Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Der Aufstieg der Stadt Babylon

 

Während sich die ersten Vorfahren des jüdischen Volkes in Kanaan ansiedelten, entstand in Mesopotamien die Stadt, die für Verfasser verschiedener biblischer Texte zum großen Widersacher wurde, Babylon. Wann genau die Stadt gegründet wurde, wissen wir heute nicht mehr. Die ältesten Siedlungsschichten sind noch nicht ausgegraben, und angesichts der politischen Konflikte im Irak, die archäologische Grabungen unmöglich machen, wird dies vermutlich noch einige Zeit so bleiben. Erste Erwähnungen der Stadt reichen bis in die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends zurück.[1]

 

Nach dem Wenigen, was wir aus der damaligen Zeit wissen, nahm Babylon zunächst keine bedeutende Position unter den Städten im sumerischen Königreich ein. Häufiger wird Babylon dann in der Zeit um 2100 v. Chr. als Sitz eines Statthalters der Könige von Ur erwähnt. Aus den Opfern, die regelmäßig zum Tempel in Nippur geliefert werden mussten, lässt sich schließen, dass Babylon bereits damals ein Bierbrauort war. Die Stadthistoriker des später mächtigen Babylons haben die bescheidene Frühgeschichte der Stadt anders erzählt, um einen beeindruckenden ersten Auftritt der Stadt auf der Bühne der Weltgeschichte zu inszenieren. Es ist deshalb ratsam, sich auf das zu verlassen, was historisch belegt ist.

 

Hammurapi – ein König sorgt für Gerechtigkeit

 

König Samu-abum regierte von 1894 v. Chr. an die damals noch kleine Stadt Babylon. Er ist der erste uns noch bekannte Herrscher einer Dynastie, die den allmählichen Aufstieg zu einer bedeutenden Stadt einleitete. Am berühmtesten unter den frühen Herrschern war Hammurapi, der von 1793 bis 1750 v. Chr. regierte und der in diesen 43 Jahren die politische Macht und den Mythos der Stadt begründete. Seine militärischen Erfolge und vor allem seine diplomatische Durchsetzungsfähigkeit machten Babylon zu einer der führenden Städte Mesopotamiens. Eine wichtige Grundlage dieses Erfolges war das gute Verhältnis zum benachbarten Königreich Mari (im östlichen Teil des heutigen Syrien). Die Zusammenarbeit reichte so weit, dass man sich im Bedarfsfall gegenseitig Truppen zur Verfügung stellte.

 

Vor allem die Besetzung der konkurrierenden Stadt Esnunna im Jahre 1761 v. Chr. machte Babylon zur dominierenden Stadt im Süden Mesopotamiens. In den folgenden Jahren konnte Hammurapi einen Angriff der Herrscher von Elam abwehren und den Einflussbereich Babylons stark ausweiten.

 

Dabei profitierte Babylon beträchtlich von der Zuwanderung von Bewohnern südmesopotamischer Städte. Ob diese Fluchtwelle ökologische Gründe hatte oder durch militärische Angriffe ausgelöst wurde, ist bisher nicht vollständig geklärt. Aber eindeutig ist, dass die politische, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung Babylons durch die Migranten rasch zunahm. Begünstigt wurde der Aufstieg der Stadt in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends auch dadurch, dass ältere sumerische Städte wie Ur und Uruk ihre politische und militärische Vorherrschaft verloren hatten. Die Schwäche der anderen Städte bildete eine wichtige Grundlage für die Stärke Babylons.

 

Hammurapi sorgte in seinem Reich durch Gesetze und Wirtschaftsreformen für das Wohlergehen der Bürger und damit auch für eine solide ökonomische Grundlage seiner Expansionspolitik. Die lange Regierungszeit des Königs schuf die Möglichkeit, ein wirkungsvolles Verwaltungs- und Kontrollsystem aufzubauen. Bekannt geblieben ist dieser babylonische König durch seine umfangreiche Sammlung von Gesetzen („Codex Hammurapi“), die immer neu auf Keilschrifttafeln kopiert wurde. Die nach heutiger Zählung 282 Rechtssätze bildeten zwar nicht explizit die rechtliche Begründung der Entscheidungen von Gerichten, stellten aber die Grundlage des babylonischen Rechtssystems dar (siehe auch den Abschnitt über Recht und Gerechtigkeit in Babylon).

 

Dass Hammurapi aus dem unbedeutenden Ort Babylon die Hauptstadt eines großen Reiches machen konnte, war für die Babylonier nur dadurch zu erklären, dass der Gott Marduk, der für das Wohlergehen der Stadt sorgte, an die Spitze der Stadtgötter der mesopotamischen Städte aufgestiegen war. Dem Erfolg einer Stadt auf der Erde ging nach mesopotamischem Glauben der Aufstieg des Gottes dieser Stadt im      Götterhimmel voraus. Da war es nur angemessen, Marduk einen großen Tempel in Babylon zu errichten, und in diesem Tempel wurde ein Kultbild des Gottes auf- und ausgestellt. Zwischen Götterhimmel und irdischem Geschehen gab es eine unlösbare Verbindung, und die Schlüsselfigur war der überaus erfolgreiche König Hammurapi, der als Erwählter des Stadtgottes Marduk verehrt wurde.

 

Wie andere Stadtstaaten in Mesopotamien vorher und hinterher, musste Babylon in der Zeit nach Hammurapi erleben, dass eine militärische und politische Vorherrschaft so rasch verloren ging, wie sie erkämpft worden war. Hammurapis direkter Nachfolger konnte die Größe des Reiches zwar noch um einige Teile Assyriens erweitern, aber dann schwanden das militärische Übergewicht Babylons und auch die Größe des Reiches. 1595 v. Chr. konnten die Hethiter die Stadt erobern und für kurze Zeit besetzt halten. Dass sie die Marduk-Statue aus dem Tempel raubten, hatte katastrophale Auswirkungen auf das religiöse und gesellschaftliche Leben in Babylon, weil sie für die kultischen Handlungen unersetzlich war.

 

Eineinhalb Jahrzehnte später erlangten die Kassiten die Kontrolle über Babylon. Diese Einwanderergruppe aus dem heutigen Iran regierte die Stadt und die umgebenden Gebiete vier Jahrhunderte lang. Viel wissen wir über diese Epoche der babylonischen Geschichte noch nicht, aber es ist bekannt, dass die Stadt einen Großteil ihrer politische Bedeutung verlor, als der kassitische König ein Jahrhundert nach der Eroberung Babylons seine Hauptstadt nach Dur-Kurigalzu verlegte. Babylon blieb immerhin das geistig-religiöse Zentrum des Reiches. Hier wurde das Wissen der ganzen Weltregion auf kleinen Keilschrifttafeln festgehalten, und von hier aus verbreiteten sich babylonische Keilschrift und Sprache weit über Mesopotamien hinaus.

 

Dass die kassitische Herrschaftszeit zunächst eine relativ friedliche Zeit war, erleichterte die kulturelle und religiöse Blüte Babylons. Für die Festigung der religiösen Stellung der Stadt war von großer Bedeutung, dass es den kassitischen Herrschern gelang, den Hethitern die Marduk-Statue wieder abzunehmen und zurück nach Babylon zu bringen.

 

Ein König als Hirte

 

Die Könige von Babylon und besonders Hammurapi sahen sich als „Hirten“ ihres Volkes.[2] Dabei orientierte Hammurapi sich vermutlich weniger an dem nomadischen Ursprung seiner Familie als an einer sumerischen Tradition des Hirten-Herde-Verhältnisses von Herrscher und Untergebenen. Auch König Gilgamesch wird in dem berühmten Epos als „Hirte von Uruk“ bezeichnet.[3] In den religiösen Vorstellungen Mesopotamiens war es die Aufgabe des Hirten, seinen Schafen den Weg zu weisen, für sie zu sorgen und ihren Schutz zu gewährleisten. Ein sehr ähnliches Bild von Gott, dem Herrn, als Hirten finden wir in der Bibel, das bis heute in den Kirchen erhalten geblieben ist.

 

In Babylon, so vermuten heutige Fachleute, hing die Verwendung dieses Bildes auch damit zusammen, dass die Tempelherden und deren Schutz durch die Hirten und indirekt den König von großer Bedeutung dafür waren, dass die Menschen ihrer religiösen Verpflichtung stets nachkommen konnten, für die Ernährung der Götter zu sorgen. Aus der Keule als Waffe des Hirten, der seine Herde verteidigt, hat sich in Mesopotamien das Zepter der Könige entwickelt, einer der vielen „Exportartikel“ dieser Weltregion.

 

Der Gott Marduk wurde als so heilig angesehen, dass man sich schließlich scheute, seinen Namen auszusprechen. Man sprach nur noch von „Bel“, was mit „Herr“ übersetzt werden kann. Kennerinnen und Kenner des jüdischen Glaubens werden sich an dieser Stelle bewusst machen, dass es auch im nachexilischen Judentum eine große Scheu gab, den Namen Jahwe auszusprechen. Im Christentum vermeidet man die zu häufige Nennung des göttlichen Namens, indem man vom „Herrn“ spricht. Es wäre verfehlt, diese Zurückhaltung der Nennung des Gottesnamens einfach auf babylonische Wurzeln zurückzuführen, aber bemerkenswert ist diese Parallele bei der Benennung des Höchsten dennoch.

 

Im Schatten Assyriens

 

Im 14. Jh. v. Chr. verschoben sich die politischen und militärischen Gewichte in  Mesopotamien erneut. Der assyrische König nutzte die Schwäche Babyloniens, um dort einen Herrscher seiner Wahl an die Macht zu bringen, Karigalzu II. Aber der erwies sich als undankbar und unternahm einen Feldzug gegen Assyrien. Anschließend griff er das Nachbarreich Elam an und zerstörte die dortige Hauptstadt. Mit diesen Kriegszügen hatte er allerdings die militärische und ökonomische Stärke Babyloniens arg überstrapaziert, was zur Folge hatte, dass zunächst die Truppen Elams und dann die Truppen Assyriens über das Land herfielen. 1233 v. Chr. gelang es den Assyrern, Babylon zu erobern und weitgehend zu zerstören.

 

Es folgten lang anhaltende und  erbittert geführte Kämpfe zwischen den kulturell und religiös sehr ähnlichen Königreichen Babylonien und Assyrien um die Vorherrschaft in Mesopotamien. Diese Konflikte nutzte der König von Elam, um das geschwächte Babylonien zu erobern und zu plündern. Die Herrschaft der kassitischen Könige war damit endgültig beendet.

 

Der Widerstand gegen die Beherrschung durch Elam war in Babylonien beträchtlich und Mitte des 12. Jahrhunderts auch erfolgreich. Neue politische und militärische Bedeutung gewann Babylon unter der Herrschaft von König Nebukadnezar I. (Regierungszeit von 1126-1104 v. Chr.). Er führte erfolgreiche Kriege sowohl gegen Elam als auch gegen Assyrien. Besonders prestigeträchtig für den König war, dass er die Statue des Stadtgottes Marduk, den die Elamiter geraubt hatten, zurück nach Babylon holen konnte.

 

Aus Sicht der Bewohner von Babylon war klar, dass dieser erneute Aufstieg ihrer Stadt nur mit dem Segen der Götter geschehen konnte. Der Stadtgott Marduk nahm deshalb eine noch herausragendere Position im Götterhimmel ein, jedenfalls im Verständnis der Babylonier. Dazu passend wurde der Schöpfungsmythos „Enuma elisch“ in seine heute noch bekannte Gestalt gebracht und untermauerte nun die Stellung von Marduk als führendem Gott. Verknüpft damit war, dass die Einwohner Babylons ihre Stadt zum Zentrum des Universums proklamierten.

 

Trotz des göttlichen Schutzes durch Marduk wurde Babylon allerdings wenige Jahre nach dem Tod von König Nebukadnezar I. erneut von assyrischen Truppen erobert. Der Widerstandsgeist der Stadtbevölkerung war so groß, dass die Assyrer Babylon noch mindestens zwei Mal erobern mussten, bevor sie die Stadt für längere Zeit unter ihre Kontrolle bringen konnten. Sie raubten viele Tausend Tontafeln aus Babylon, was zur Folge hatte, dass Wissenschaft und Kultur in Assyrien aufblühten, allerdings stark von babylonischen Vorstellungen geprägt blieben. In gewisser Weise führten die militärische Beherrschung und der Raub der Keilschrifttafeln zu einer kulturellen Abhängigkeit Assyriens von Babylon.

 

Assyrien erlebte bald nach der Eroberung von Babylon selbst eine politische und militärische Schwächeperiode und verlor die Kontrolle über die Stadt an die  Aramäer. Eine aramäische Volksgruppe, die Chaldäer aus dem Süden Mesopotamiens, stellten nun die babylonischen Könige. Ihre militärische Position wurde allerdings         dadurch geschwächt, dass sie sich in ständigen Konflikten mit anderen aramäischen Volksgruppen befanden.

 

Assyrien wurde wieder so mächtig, dass Babylonien in Tributabhängigkeit geriet. Wiederholt sandten die assyrischen Könige Truppen, um ihren Tributforderungen Nachdruck zu verleihen. Die Assyrer fühlten sich aber Babylonien weiterhin kulturell eng verbunden und verzichteten auf brutale Vernichtungsfeldzüge. Vor allem vermieden sie es, die Heiligtümer in Babylon zu beschädigen oder gar zu zerstören.

 

Der assyrische König Tiglat-pileser III., der von 745 bis 727 v. Chr. regierte, versuchte die ständigen Konflikte um die Herrschaft in Babylonien dadurch zu beenden, dass er sich auch zum König von Babylon erklärte. Er erfüllte nun auch alle Pflichten, die vom König beim Neujahrsfest für den Stadtgott Marduk erwartet wurden. Aber die Doppelmonarchie stieß bei den Chaldäern, der weiterhin tonangebenden Gruppe in Babylon, auf Widerspruch und Widerstand.

 

722 v. Chr. nutzte ein chaldäischer politischer Führer die kurzzeitige Schwäche Assyriens, schloss ein Bündnis mit Elam und setzte sich als Marduk-apla-iddina II. auf den babylonischen Königsthron. Erst zwölf Jahre später konnten assyrische Truppen diesen König aus Babylon vertreiben. Aber dank eines erneuerten Bündnisses mit Elam und der Unterstützung durch chaldäische Volksgruppen kehrte der vertriebene König noch einmal nach Babylon zurück – und wurde ein zweites Mal und diesmal endgültig von den Assyrern vertrieben.

 

Es folgten weitere Aufstände gegen die assyrische Vorherrschaft in Babylonien, und das veranlasste den assyrischen König Sanherib im Jahre 689 v. Chr., Babylon ein weiteres Mal zu erobern und dieses Mal vollständig zu zerstören. Das hätte das Ende der Stadt sein können, aber der nächste assyrische König, Asarhaddon, ließ Babylon wieder aufbauen, den Tempel restaurieren und die geraubten Götterbilder zurück in die Stadt am Euphrat bringen.

 

Um frühere Bewohner wieder in die Stadt zu locken, wurden ihnen großzügige wirtschaftliche Privilegien gewährt. Und tatsächlich erlebte Babylon nun eine neue ökonomische und kulturelle Blüte. König Asarhaddon regelte seine Nachfolge so, dass einer seiner Söhne Assyrien regieren sollte und ein zweiter Sohn Babylonien. So geschah es auch, aber der neue König von Babylon stellte sich umgehend an die Spitze einer Aufstandsbewegung gegen seinen Bruder. Es kam zum Kampf, und Babylon wurde 648 v. Chr. ein weiteres Mal durch assyrische Truppen erobert. Dieses Mal brannten die assyrischen Truppen große Teile der Stadt nieder.  Aber ein weiteres Mal wurde die Stadt wiederaufgebaut und dies erneut mit assyrischer Unterstützung.

 

Dankbar zeigten sich die Chaldäer dafür nicht. Als die assyrischen Truppen gleichzeitig einen Aufstand in einem anderen Landesteil niederschlagen und eine Invasion abwehren mussten, nutzten die Chaldäer die Gunst der Stunde im Jahre 626 v. Chr. zum Aufstand und setzten einen der Ihrigen auf den babylonischen Thron, der als König Nabopolassar in die Geschichte Mesopotamiens eingegangen ist. Dieser König verbündete sich mit den Medern und konnte so die Assyrier schlagen. Die Unabhängigkeit Babyloniens war wiederhergestellt.

 

Unter dem Sohn von Nabopolassar, dem König Nebukadnezar II., gewann Babylonien erneut eine dominierende Position in der Region, und Babylon erlebte eine nie gekannte Blütezeit. Der Herrschaft von    Nebukadnezar II. und der „Boomtown“ Babylon wird ein eigenes Kapitel gewidmet werden. Vorher soll ein wichtiger Ursprung des Aufstiegs und des Reichtums von    Babylon beleuchtet werden: das Wasser des Flusses Euphrat und seine Rolle in einem Epos von der großen Flut.

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Einen fundierten und detaillierten Überblick der Geschichte Babylons finden Sie in dem Aufsatz „Geographie und Geschichte“ von Bernd Müller-Neuhoff in: Babylon, Wahrheit, a. a. O., S. 38ff.

[2] Vgl. zu diesem Thema den Aufsatz „Das babylonische Königtum“ von Gebhard J. Selz in: Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 113f.

[3] Vgl. Stefan M. Maul: „Das Gilgamesch-Epos", Neu übersetzt und kommentiert, München 2005, S. 48.