Europäische Gartenkultur seit dem Mittelalter

 

Die mittelalterlichen Klöster wurden zu Zentren der europäischen Gartenkultur. Klostergärten wie der berühmte Garten des Klosters St. Gallen mit seinem Heilkräutergarten und dem Küchengarten waren Orte der Kontemp­lation und der Ehrfurcht vor der Schöpfung, aber zugleich auch wichtig für die Ernährung der Klostergemeinschaften. Die meisten Klostergärten haben eine Kreuzform, und häufig bildet ein Brunnen das Zentrum der Anlage, mit dessen Wasser die Pflanzen bewässert wurden, aber dieses kostbare Nass war zugleich ein Zeichen für das Wasser des Lebens, das Gott schenkt. Diese Klostergärten waren auch Lehrgärten für die Bevölkerung der Umgebung, und sie inspirierten die Landbewohner zur Anlage von Bauerngärten, in denen Gemüse, Kräuter und Blumen zu einem harmonischen Ganzen vereint wurden, begrenzt durch Buchsbaumhecken. Wenn irgend möglich durfte ein Schöpfbrunnen nicht fehlen, der den Mittelpunkt des Gartens bildete. Um mehr Wasser zur Verfügung zu haben, wurde häufig das Regenwasser, das auf die Dächer des Bauerngehöftes fiel, in Regentonnen gesammelt.

 

Vom 15. Jahrhundert an erlebte die Gartenkultur in Italien eine neue Blüte. Reiche Familien wie die Medicis ließen prachtvolle Gärten nach klassischen Vorbildern anlegen, die in ganz Europa bewundert wurden. Der berühmteste Garten war der Pratolino in Florenz und dies vor allem wegen seiner zahlreichen Wasserspiele. Nichts ahnende Gäste, die in einer Grotte saßen, wurden von allen Seiten mit Wasser bespritzt und liefen, wenn sie flüchten wollten, direkt auf noch mehr Wasserstrahlen zu. Solche Wasserspiele wurden bald in ganz Europa imitiert. Bewundert wurden auch jene Wasserspiele, die hydraulisch Musik und Geräusche erzeugten. Vom Pratolino selbst ist nichts mehr übrig, aber seine Wasser-Wirkung reicht bis nach Nordeuropa.

 

Nördlich der Alpen wurden die Niederlande vom 16. Jahrhundert an ein Zentrum der Gartenkultur. Reiche Kaufleute konnten sich eigene Gärten anlegen lassen, die sich an klassischen Vorbildern orientierten. Den örtlichen Wasserverhältnissen angepasst wurden Gräben, die der Entwässerung dienten, zu einem wichtigen Gestaltungselement dieser niederländischen Gärten. Het Loo gehört zu den beeindruckendsten Gärten, der vor allem wegen seiner Brunnen und Wasserfälle bekannt wurde. Wasserfälle anzulegen, war in den flachen Nieder­landen eine besondere gartenbauliche und auch finanzielle Herausforderung. Der englische Besucher Walter Harris schrieb 1699 über Het Loo: „Die Gärten sind äußerst prachtvoll und üppig mit unzäh­ligen edlen Brunnen, Kaskaden, Blumenbeeten, Kies- und Wiesenwegen, Alleen, Statuen, Urnen, Bildwerken und einer angenehmen Aussicht ausgestattet.“ Berühmt sind zwei Brunnen, die von der himmlischen und der irdischen Weltkugel gekrönt werden. Der Wasserstrahl des Königsbrunnens erreichte eine Höhe von 13 Metern, für die damaligen hydraulischen Möglichkeiten eine viel beachtete technische Meisterleistung.

 

In Konkurrenz zu den Niederlanden wurde Frankreich im 17. Jahrhundert zu einem europäischen Zentrum der Gartenpracht. Ludwig XIV. ließ in Versailles den größten und prächtigsten Barockgarten aller Herrscherfamilien anlegen. Bevor das teuere Gartenvorhaben verwirklicht wurde, beschrieb der Herzog von Saint-Simon das Gebiet von Versailles als „den traurigsten und unfruchtbarsten Ort, den man sich vorstellen kann, ohne Wasser und ohne Wald“. Wer heute durch das Gartenreich wandert, kann sich diesen tristen Zustand kaum noch vorstellen. Möglich wurde die ­Verwandlung nur dadurch, dass von 1680 an ein gewaltiges Pumpwerk mit 14 Wasserrädern an der Seine gebaut wurde, das am Tag 5.000 Kubikmeter Wasser in 162 Meter Höhe pumpen konnte. Das Wasser wurde in ein Reservoir oberhalb der Gärten von Versailles geleitet und versorgte von dort aus zahlreiche Wasserspiele, 1.400 Brunnen, große Bassins und einen künstlich angelegten See. Für kleine Bootsausflüge der Hofgesellschaft wurde ein Kanal mit einer kleinen Flottille von aufwendig gestalteten Booten geschaffen. Angesichts des immensen Wasserbedarfs all dieser Anlagen gab es ein Wassersparprogramm. Nach einem ausgeklügelten Plan wurden die Fontänen und Wasserspiele nur in dem Teil der Parklandschaft in Gang gesetzt, in dem sich die königliche Familie gerade be­fand. Barockgärten nach dem Vor­bild von Versailles entstanden unter anderem in Herrenhausen (Hannover), Sanssouci (Potsdam) und Schönbrunn (Wien).

 

Dieser perfekten, mit dem Lineal entworfenen Barock-Gartenwelt stellten englische Landschaftsarchitekten ihr Konzept von einer „kunstvoll wilden Natur“ entgegen, so der Literat und Verfechter naturnaher Gärten: Alexander Pope. Von ihm ist auch der folgende Satz überliefert: „Bei allem vergiss niemals die Natur.“ Die Natur sollte aber nicht wild wuchern, wie sie wollte, sondern eben „kunstvoll“. Deshalb wurde die Natur unter großem Aufwand so gestaltet, dass sie den Idealvorstellungen der Schöpfer dieser Gartenlandschaften entsprach. Anders als in barocken und vielen anderen Gärten der Welt gab es keine klare Abgrenzung des Gartenareals mit Zäunen, Hecken oder Mauern, sondern der ganze Landbesitz samt Wiesen und Feldern wurde in die Gartengestaltung einbezogen. Die Prachtexemplare unter diesen Gärten waren zugleich Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, denn es wurden 100 und mehr Gärtner benötigt, um die Natur gemäß dem Gartenplan unter Kontrolle zu behalten.

 

Wasserläufe und -flächen spielen in diesen englischen Gärten eine wichtige Rolle. Besonders prominent sind sie in dem Garten Studley Royal im Norden von Yorkshire. Der Garten wurde ab 1722 von John Aislabie angelegt, der als Geschäftsmann gescheitert war, aber als Gartengestalter sein wahres Talent entdeckte. David Joyce schreibt in seinem Buch „Große ­Gärten der Welt“ über Studley Royal: „Unter Einbeziehung des Flusses Skell wurde ein hervorragender architektonischer Wassergarten geschaffen, zu dem ein großer See, Grotten­quellen, ein langer Kanal und die Mondweiher – einer rund und zwei sichelförmig – gehörten, neben denen der ‚Tempel der Frömmigkeit‘ steht.“ Die Wörlitzer Gartenanlagen sind ein erstes Beispiel dafür, wie die englischen Vorstellungen von einem Landschaftsgarten auf dem Kontinent aufgenommen wurden.

© Frank Kürschner-Pelkmann