Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Die Weltstadt Babylon in der Zeit von König Nebukadnezar II.

 

Unter König Nebukadnezar II., der von 605 bis 562 v. Chr. regierte, erlebte Babylon einen rasanten Aufstieg zur größten und wichtigsten Stadt zwischen Ägypten und Persien. Schon sein Vater Nabopolassar hatte Assyrien weitgehend erobert und zu einem Teil des babylonischen Reiches gemacht. Nebukadnezar machte sich schon als Kronprinz einen Namen, als unter seiner Führung 605 v. Chr. in der Schlacht von Karkemisch ägyptische und restliche assyrische Truppen geschlagen und zum großen Teil vernichtet wurden. Dadurch wurde die babylonische Herrschaft über Assyrien stabilisiert und Ägypten aus Syrien und Palästina verdrängt. Bald darauf trat Nebukadnezar die Nachfolge seines Vaters an. Er setzte die Expansionspolitik fort und führte regelmäßig einmal im Jahr einen Feldzug durch, sodass das babylonische Reich bei seinem Tode von der ägyptischen Grenze bis nach Persien und von der Südtürkei bis in das Herz des heutigen Saudi-Arabiens reichte.

 

Bei der Absicherung der Herrschaft im Grenzgebiet zu Ägypten spielte die Kontrolle über Juda eine gewisse Rolle, auch wenn dies nur ein sehr kleiner Teil des babylonischen Einflussbereiches war. Nach dem Sieg über die ägyptischen Truppen brach  Nebukadnezar 604 v. Chr. zu einer halbjährigen Militäraktion nach Syrien und Palästina auf. Es gelang ihm unter anderem, Juda tributpflichtig zu machen. Erneute Kämpfe gegen die ägyptischen Truppen in den Jahren 601 und 600 v. Chr. endeten allerdings mit einer empfindlichen babylonischen Niederlage. In dieser Situation     unternahm der judäische König Jojakim den Versuch, durch ein Bündnis mit den  ägyptischen Pharaonen die babylonische Herrschaft abzuschütteln.

 

Die Einstellung der Tributzahlungen veranlasste Nebukadnezar II. aber, babylonische Truppen nach Juda zu schicken, die im Jahre 597 v. Chr. Jerusalem eroberten. Wahrscheinlich folgte ein Jahrzehnt später eine weitere Strafaktion, nachdem der babylonische Statthalter Gedalja einem Attentat zum Opfer gefallen war. Auch in den folgenden Jahren hat es babylonische Strafaktionen in dem Unruhegebiet Juda gegeben. Der Prophet Jeremia hatte vergeblich davor gewarnt, sich gegen die militärisch übermächtigen Babylonier in der vagen Hoffnung aufzulehnen, ägyptische Truppen würden zur Hilfe kommen, oder Gott werde sein Volk vor einer Eroberung durch die Feinde schützen. Auf die babylonische Besatzungspolitik und die Verschleppung der „oberen Zehntausend“ nach Babylon wird noch detaillierter eingegangen werden.

 

Durch die Heirat einer Tochter des Mederkönigs Astyages versuchte Nebukadnezar, gute Beziehungen zum Nachbarreich aufzubauen. Aber uneingeschränkt war das Vertrauen des babylonischen Herrschers in die freundschaftlichen Beziehungen zu den Medern nicht, und deshalb ließ er eine Mauer zur Abgrenzung von den Nachbarn errichten. Diese „Medische Mauer“ war zwar im Zweifelsfall von feindlichen Truppen zu überwinden, wurde aber offenbar von den Medern als Grenzziehung respektiert. Zur Abschreckung möglicher Feinde diente auch der massive Ausbau der Stadtmauern von Babylon.

 

Nebukadnezar II. erlangte auch dadurch Anerkennung und Einfluss, dass er Friedensvereinbarungen zwischen verfeindeten Nachbarvölkern vermitteln konnte. Gleichzeitig festigte er durch eine kluge Politik der Wirtschaftsförderung die ökonomische Basis seiner Herrschaft und den Wohlstand in Babylonien und besonders in der Hauptstadt Babylon. Nebukadnezar II. verstand es geschickt, durch den Wiederaufbau von Tempeln in Städten wie Sippar die lokale Bevölkerung – oder doch zumindest größere Bevölkerungsgruppen – seines großen Reiches für sich einzunehmen. Zugleich machte er deutlich, dass er die religiösen und kulturellen Traditionen Babyloniens, die bis zu den Sumerern zurückreichten, achtete, ehrte und neu beleben wollte.

 

Das negative Bild des Königs in der Bibel

 

Dass babylonische Truppen während der Herrschaftszeit von Nebukadnezar II. Jerusalem eroberten, Stadt und Tempel verwüsteten sowie mehrere Tausend Menschen an Euphrat und Tigris verschleppten, hat diesem König eine sehr häufige, meist sehr negative Erwähnung in der Bibel eingetragen. Dass er als Gottes Instrument zur Bestrafung des jüdischen Volkes gedient haben soll, ist noch die positivste Rolle, die diesem Herrscher zugebilligt wird. Er wird in der biblischen Überlieferung mehrmals von Gott sogar als „mein Knecht“ bezeichnet (u. a. in Jeremia 25,9), aber das tritt leicht in den Hintergrund gegenüber all den Diffamierungen dieses babylonischen Königs.

 

Und die Bemerkungen zur Rolle Nebukadnezars als „Knecht“ Gottes werfen bei genauer Betrachtung auch nicht unbedingt ein gutes Licht auf den babylonischen König, sondern diese biblischen Passagen lassen sich auch so lesen, dass Gott in all seiner Macht selbst einen der übelsten Despoten dafür einsetzen kann, das umzusetzen, was er beschlossen hat.

 

Die negative Darstellung von Nebukadnezar II. in biblischen Texten steht im Kontrast zu seiner historischen Bedeutung, die ihn zu einer der wichtigsten Identifikationsfiguren im heutigen Irak machen. Allerdings geriet das Erbe von Nebukadnezar II. bald in politische Krisen und sein Reich ging nach einigen Jahrzehnten unter. Nur zwei Jahre nach dem Tod des mächtigen Königs im Jahre 562 v. Chr. wurde sein Sohn und Nachfolger Amel-Marduk während eines Aufstandes ermordet. Und auch dessen Nachfolger Neriglissar konnte sich nicht lange an der Macht halten.

 

Archäologen ist Nebukadnezar II. durch zahlreiche Bauten bekannt, vor allem das Ischtar-Tor, die Prozessionsstraße, den Marduk-Tempel, den benachbarten Tempelturm und die königlichen Paläste. Wer heute das Vorderasiatische Museum in Berlin besucht, der bestaunt vor allem rekonstruierte Bauwerke und einzigartig schöne Kunstwerke aus dem Babylon Nebukadnezars. Zahllose Texte auf Keilschrifttafeln sowie Stempel auf Lehmziegeln erinnern an die Bautätigkeit unter diesem König. So ist zum Beispiel überliefert: „Die Heiligtümer von Babylon und Borsippa ließ ich bauen und erhielt sie in Stand. Etemenanki, den Stufenturm von Babylon, E-uriminanki, den Stufenturm von Borsippa … stellte ich mit Asphalt und Backsteinen wieder her und führte ihn zu Ende.“[1]

 

Eine Großstadt am Euphrat

 

Wie viele Menschen zur Zeit von Nebukadnezar II. im Stadtgebiet von Babylon gelebt haben, wissen wir bisher nicht. Experten vermuten, dass es zwischen 50.000 und einigen Hunderttausend waren. Die Stadtfläche war mit annähernd 450 Hektar so groß, dass es auch bei einer höheren Bevölkerungszahl nicht eng geworden wäre. Es gab vermutlich größere Freiflächen im Stadtgebiet, denn Babylon war auf Wachstum angelegt, aber dazu sollte es nicht mehr kommen. Die Stadt mit ihren beeindruckend hohen Mauern erreichte unter Nebukadnezar II. den Höhepunkt ihrer Macht und Pracht, und danach ging beides zurück, allerdings nicht so dramatisch, wie in der Bibel prophezeit.

 

Das Babylon Nebukadnezars II. erstreckte sich auf beiden Seiten des Euphrats, wobei während seiner Herrschaftszeit eine Brücke gebaut wurde, sodass das Übersetzen mit Fähren entfiel. Sie besaß sieben Pfeiler, war 123 Meter lang und 21 Meter breit, also auch nach heutigen Maßstäben ein eindrucksvoller Bau. In der wichtigeren östlichen Stadthälfte befanden sich der Tempel, der Turm, die Königspaläste und andere repräsentative Bauten. Gradlinig angelegte Hauptstraßen führten von den Toren zu den wichtigsten Gebäuden der Stadt.

 

Auch die Nebenstraßen sind offenbar plan-mäßig angelegt worden und gaben der Stadt eine klare Struktur. Das war kein Zufall, sondern Ausdruck des babylonischen Weltverständnisses. Babylon repräsentierte innerhalb seiner Stadtmauern die geordnete Welt, während in der Wahrnehmung der Babylonier draußen die Feinde lauerten und Unordnung herrschte. Teil der geordneten Welt war natürlich – in zweiter Linie – das gesamte Herrschaftsgebiet der babylonischen Könige, das sich um Babylon gruppierte und auf Babylon ausgerichtet war. Deshalb wurden einzelne Stadtteile von Babylon nach mesopotamischen Städten und Kultzentren benannt.

 

Die Ansiedlung von Menschen anderer Völker innerhalb der Stadt brachte zum Ausdruck, dass auch diese Völker nun Teil einer wohlgeordneten Welt geworden waren. Was den nach Babylon verschleppten Juden als Völkervermischung und Sprachengewirr erschien, war nach babylonischem Verständnis Ausdruck der Tatsache, dass die Stadt das Zentrum der Welt und den Mittelpunkt eines geordneten Lebensraums bildete.

 

Eine Welt aus Lehm

 

Auch wenn manche Babylonier „steinreich“ gewesen sein mögen, reich an Steinen waren sie nicht. Im Schwemmland von Mesopotamien waren Steine rar, und wer Steingebäude errichten wollte, musste sie zu hohen Kosten per Schiff aus entfernten Regionen herbeischaffen lassen. Deshalb wurden auch Tempel und Paläste aus Lehm erbaut. Lehm als Baustoff hat einige Vorzüge, aber die Bauten waren – zum Leidwesen heutiger Archäologen in Mesopotamien – meist nicht sehr langlebig.[2] Ohne ständige Pflege drohten Lehmgebäude rasch wieder zu verfallen. Und das war dann auch das Schicksal Tausender Gebäude des antiken Babylons.

 

Die Haltbarkeit wurde deutlich erhöht, wenn man gebrannte Lehmziegel verbaute. Aber hier kam ein weiterer Engpass im mesopotamischen Schwemmland ins Spiel, der Mangel an Holz. Es gab keine Wälder und nur wenige Bäume, sodass Holz zu den wichtigen und teuren Importartikeln gehörte. Nur für besondere Bauten konnte man sich deshalb den Luxus leisten, Ziegel zu brennen. Zusätzliche Festigkeit und auch Widerstandsfähigkeit gegen Regen ließen sich durch eine Glasur der äußeren Steine (wie beim berühmten Ischtar-Tor) oder durch eine Bitumenschicht (wie beim Turm von Babylon) erzielen.

 

Der große Vorteil der Lehmziegel von Babylon war, dass sie sich rasch und in fast unbegrenzter Menge herstellen ließen. Lehm gab es überall ausreichend, Wasser lieferte der Euphrat und Strohhäcksel war dank des ständig zunehmenden Anbaus von Getreide auch verfügbar. Holzrahmen sorgten für genormten Ziegel, die unter der Sonne über Babylon rasch trockneten. Gemauert wurde mit Lehmmörtel, und geglättet wurden die Wände mit Lehmputz. Da man festgestellt hatte, dass quadratische Ziegel besonders belastbar waren, entschied man sich meist für diese Form, wobei sich ein Normziegel mit etwa 33 mal 33 Zentimeter Seitenlänge und einer Höhe von 8 Zentimetern durchsetzte. Auch für mehrgeschossige Wohnhäuser ließ sich so eine ausreichende Stabilität erreichen. Schwieriger war dies bei hohen Palästen oder Stadtmauern. Hier war eine Wandstärke von 4 Metern und mehr erforderlich, um den Druck aufzufangen.

 

Die Stadtmauern von Babylon, bestehend aus mehreren Mauerringen, waren ein besonders eindrucksvolles Zeugnis der Lehmbaukunst und wurden sogar zu den     sieben Weltwundern gezählt. Die wichtigste Stadtmauer hatten in der Zeit von Nebukadnezar II. eine Länge von 18 Kilometern und eine Höhe von 30 Metern. Die Breite von bis zu 30 Metern wurde dadurch erreicht, dass an beiden Seiten Lehmziegelmauern errichtet und in den Zwischenraum große Mengen Lehm und Schutt geschüttet wurden. Die breiten Mauern ermöglichten es, rasch Truppen an jene Stellen zu verlegen, die von Feinden bedroht waren. Wie alle babylonischen Lehmbauten verfielen auch die Stadtmauern in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende. Sie wurden deshalb aus der Liste der Weltwunder gestrichen und verloren schließlich auch jegliche militärische Bedeutung, weil die geschrumpfte Bevölkerung nicht ausreichte, um genügend Soldaten für die Verteidigung aufzubieten. Zu den Blütezeiten von Babylon waren die Mauern aber Furcht einflößend. Es gelang allerdings vor allem assyrischen Truppen im Laufe der Geschichte trotzdem mehrmals, die Stadt zu erstürmen und zu besetzen.

 

Immer wenn Babylon zerstört worden war, und das geschah einige Male, konnten die Einwohner die stehen gebliebenen Reste der Lehmmauern einebnen und darüber neue Gebäude errichten. Noch brauchbare Ziegel wurden wieder verwendet, und so blieb von der früheren Siedlungsschicht – salopp formuliert – nur ein großer Lehmberg übrig, in dem zur Freude heutiger Archäologen wenigstens einige Skulpturen und Alltagsgegenstände verborgen sind.

 

Bei aller Vergänglichkeit war besonders das Babylon von Nebukadnezar II. eine beeindruckend große und auch schöne Stadt aus Lehm. Viele Häuser wiesen zur Straße hin gestaltete Mauern mit Rillen, Vorsprüngen und anderen schmückenden Elementen auf – und manche Hauswände wurden sogar mit farbigen Bändern und anderen farbigen Bemalungen versehen. Damit auch spätere Generationen erfahren konnten, wer ein Gebäude errichten ließ, wurden – vor allem bei repräsentativen Bauten – in die Lehmziegel ein Stempel eingedrückt, der zum Beispiel sichtbar machte, dass König Nebukadnezar der Bauherr eines Tempels war.

 

Die Zimmer von Privathäusern gruppierten sich um einen Innenhof, und diese Wohnanlagen waren bis auf eine Tür, die mithilfe eines Balkens verriegelt werden konnte, durch fensterlose Wände nach außen abgeschlossen. Reiche Familien bewohnten mehr als 20 Räume mit einer Wohnfläche von zusammen über 600 Quadratmetern. Hier gab es auch großzügig ausgestattete Bäder und getrennt davon Toiletten. Die Wohnräume waren mit Möbeln aus Holz, Metall oder Elfenbein ausgestattet.

 

Die Häuser der armen Familien waren hingegen sehr viel kleiner und schlichter ausgestattet. Dort lagen über den Stampflehmfußböden lediglich Matten, und Badezimmer fehlten. Fenster gab es in Wohnhäusern der Stadt nicht, denn noch konnte man keine Fensterscheiben herstellen, und Fensteröffnungen hätten Hitze und Staub ungehindert in die Zimmer gelangen lassen. So kam das Licht ausschließlich durch die Türen zum Innenhof in die Zimmer.

 

Das Alltagsleben der Familie spielte sich vor allem in diesem Innenhof ab. Im Sommer schlief man auf dem Flachdach, wo es angenehmer war als in den oft kleinen und schlecht belüfteten Zimmern. Zweigeschossige Wohnhäuser waren selten. Dass die Stadt durchweg aus drei- und viergeschossigen Gebäuden bestand, entspringt nur der Fantasie von Herodot, der die Stadt nie gesehen hat – und sie dennoch als schönste Stadt unter allen pries.

 

In dem ansonsten wohl organisierten Babylon gab es keine Müllabfuhr, sodass der Müll auf die Straßen geworfen wurde. Da dieser Müll heute überwiegend in die Biotonne käme und aus natürlichen Materialien bestand, löste er sich bald auf. Allerdings erhöhte der weggeworfene Müll das Straßenniveau im Laufe der Jahrhunderte stetig, sodass die Häuser mit Stufen versehen werden mussten, um auf die nun höher gelegene Straße zu gelangen. Da die meisten Straßen nicht gepflastert waren, wechselten sich dort Staub- und Matschphasen ab.

 

Wie Nebukadnezar die Gnade verspielte

 

Die Stadt Babylon, ihr Turm und ihr König Nebukadnezar haben den Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt von den 1940er Jahren an über Jahrzehnte beschäftigt. Aber sein geplantes großes Drama über die dramatische Geschichte an den Ufern des Euphrats blieb unvollendet, und manche Vorarbeiten soll Dürrenmatt verzweifelt verbrannt haben. Lediglich einen kleineren Teil des Gesamtprojektes konnte der Schriftsteller 1953 abschließen, die Komödie „Ein Engel kommt nach Babylon“. Von Erfolg gekrönt war das Theaterstück nicht, und es wird nur selten aufgeführt. 1990 stellte der Schriftsteller zu seinem großen Babylonvorhaben fest: „Allzu leichtfertig ließ ich mich auf ein Unternehmen ein, dessen Ende nicht abzusehen war. Es ging mir wie mit dem Turmbau zu Babel, den ich einmal plante und begann: Ich musste ihn abbrechen, um mich von ihm zu befreien. Was blieb, sind seine Trümmer.“[3]

 

Der Engel, den Friedrich Dürrenmatt in seiner Komödie nach Babylon hinabsteigen lässt, hat den göttlichen Auftrag: den ärmsten Menschen zu finden und ihm das Mädchen Kurrubi, das mit vom Himmel herabkommt, zur Frau zu geben. Der Auftrag erweist sich als schwieriger als erwartet. König Nebukadnezar ist nämlich mit seinem Plan weit vorangekommen, einen modernen, wahrhaft sozialen Staat ohne Armut aufzubauen. Allen Bettlern sind Stellen im Staatsdienst angeboten worden, und alle haben das Angebot angenommen – außer einem einzigen: Akki will seine Freiheit behalten und bettelt trotz aller Verbote weiter. König Nebukadnezar will diesem Ärgernis, das dem „makellosen“ Staat im Wege steht, persönlich ein Ende bereiten. Er verkleidet sich als Bettler und versucht, den renitenten Akki zum Einlenken zu bewegen. Beide einigen sich auf einen Bettlerwettbewerb, und Akki erweist sich gerade in dem Augenblick als der erfolgreichere Bettler, als der Engel in Babylon landet. Deshalb kommt der Engel zum Ergebnis, dass der als Bettler verkleidete König der ärmste Mensch der Stadt sei und Kurrubi zur Frau bekommen soll.

 

Das Problem für Nebukadnezar: Er will beides, König bleiben und Kurrubi zur Frau nehmen. Er fühlt sich durch die göttlichen Bestimmungen um die schöne Frau betrogen und beschließt, Gottes Autorität infrage zu stellen und einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reicht. Sein Reich regiert er längst despotisch und macht den Henker zum viel beschäftigten Mann. Am Ende des Stücks gibt es wenigstens für Akki und Kurrubi ein Happy End. Sie fliehen vor den Folterknechten des Despoten, um anderswo ihr gemeinsames Glück zu finden. Kurrubi, die die Gnade Gottes symbolisiert, verlässt die Stadt Babylon wieder. Friedrich Dürrenmatt hat die Botschaft des Stücks so zusammengefasst: „Es geht um eine Welt, die am Ende tragisch verunglückt, ins Gigantische rennt, versteinert, durchaus aus eigener Schuld … Sie verspielte ihre Gnade, die ein Engel brachte.“[4]

 

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Zitiert nach. Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 139 .

[2] Zu den babylonischen Lehmbauten vergleiche: Joachim Marzahn: Babylon – Metropole aus Lehm, in: Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 139ff.

[3] Zitiert nach: Thomas Staubli: Abschied vom Turmmythos, Suchwege der Exegese, Bibel heute, Heft 142 (2000), S. 44.

[4] Zitiert nach: Urs Luger: Das Motiv der Versuchung in den früheren Stücken Friedrich       Dürrenmatts, Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008, S. 51.