Die USA bei Nacht aus dem Weltraum
Die USA bei Nacht aus dem Weltraum Foto: iStock.com/NicoElNino

Ökumenische Kritik am heutigen „Imperium“

 

Die Missstände in aller Welt, von denen auch in vielen Überlegungen und Predigten die Rede ist, erfordern ein Umdenken und ein verändertes Handeln jedes einzelnen Menschen. Es müssen aber auch Strukturen verändert werden, die immer neu Unrecht und Elend schaffen. Der Reformierte Weltbund hat dies bei seiner Generalversammlung 2004 in Accra mit großer Mehrheit so formuliert: „Als Wahrheits- und Gerechtigkeitssuchende, die sich die Sichtweise der Macht­­losen und Leidenden zu Eigen machen, sehen wir, dass die gegenwärtige Welt-(Un)Ordnung auf einem außerordentlich komplexen und unmoralischen Wirt­­schaftssystem beruht, das von einem Imperium verteidigt wird. Unter dem Begriff ‚Imperium’ verstehen wir die Konzentration wirtschaftlicher, kultureller, politischer und militärischer Macht zu einem Herrschaftssystem unter der Führung mächtiger Nationen, die ihre eigenen Interessen schützen und verteidigen wollen.“[11]

 

Angesichts dieser globalen Situation hat der Reformierte Weltbund die Notwen­digkeit des eigenen Bekennens hervorgehoben: „Wir glauben, dass die Integrität unseres Glaubens auf dem Spiel steht, wenn wir uns gegenüber dem heute geltenden System der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung ausschweigen oder untätig verhalten.“[12] Die reformierten Kirchen aus aller Welt im Refor­mier­ten Weltbund sagten deshalb 2004 Nein zur „gegenwärtigen Weltwirtschaftsord­nung“ und zu einer „Kultur des unbändigen Konsumverhaltens, der konkurrierenden Gewinnsucht und zur Selbstsucht des neoliberalen globalen Marktsystems oder jedes anderen Systems, das von sich behauptet, es gäbe keine Alternativen.“[13]

 

Stattdessen wird in der Erklärung der Glaube zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen berufen sind, sich für Gott und gegen den Mammon zu entscheiden und auf die Seite der Opfer der Ungerechtigkeit zu stellen. Eine Kernaussage der Erklä­rung lautet: „Indem wir unseren Glauben gemeinsam bekennen, schließen wir einen Bund im Gehorsam gegen Gottes Willen. Wir verstehen diesen Bund als einen Akt der Treue in gegenseitiger Solidarität und verlässlichen Bindungen. Was uns verbindet, ist der gemeinsame Einsatz für wirtschaftliche und ökologische Gerech­tigkeit, sowohl in unserem uns allen gemeinsamen globalen Kontext als auch in unserem jeweiligen regionalen und lokalen Umfeld.“[14]

 

Der Heidelberger Theologe Ulrich Duchrow, der sich seit vielen Jahren für ein stärkeres Engagement der Kirchen gegen wirtschaftliche Unrechtsstrukturen einsetzt, hat die Debatte und Beschlüsse von Accra bewertet: „Kirche kann sich – wie in der Bibel bezeugt – an die Seite Gottes stellen, indem sie ihren Ort an der Seite der arm Gemachten und der gefährdeten Schöpfung findet und so für das ‚Leben in Fülle’ eintritt. Wenn sie es tut, wird der Geist Gottes erfahrbar – wie in Accra.“[15]

 

Was das konkret bedeuten kann, hat René Krüger, Präsident der Theologischen Hochschule ISEDET in Argentinien, 2005 in einem Aufsatz so formuliert: „Heute ist es die Aufgabe der Kirche, ein Zentrum der Möglichkeiten für eine alternative Gesellschaft und des Widerstandes zu sein und nicht einfach eine Institution, die Linderung oder ein Schmerzmittel anbietet. Es ist entscheidend, in der Lage zu sein, den Schmerz und den Bedarf genau zu erkennen und deren Ursachen aufzudecken – zu beklagen und anzuklagen, öffentlich zu sagen, dass Gott ein solches System nicht will – und eine alternative Gemeinschaft aufzubauen, die durch Solidarität ge­kennzeichnet ist. Ein solcher Widerstand ist allerdings nur möglich, wenn man den Gegenstand genau erkennt, gegen den der Widerstand sich richtet.“[16] Es geht für René Krüger also darum, das heutige Imperium zu analysieren und zu durchschauen, um ihm dann als Kirche überzeugende Alternativen entgegenzustellen.

 

Die Imperiumskritik und der „Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerech­tigkeit“ von Accra wurden zum Ausgangspunkt einer lebhaften und vielfältigen Debatte über heutige Imperiumsstrukturen und das Engagement für ein anderes Wirtschaften und Leben. Diese Debatte beschränkte sich nicht auf die Mitgliedskirchen des Reformierten Weltbundes, sondern ist zum Beispiel auch im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und im Luthe­ri­schen Weltbund (LWB) geführt worden. Ein Kristallisationspunkt der lutheri­schen Imperiumsdiskussion war eine Tagung in San Diego/USA im November 2007, bei der die LWB-Veröffentlichung „Being the Church in the Midst of Empire: Trini­tarian Reflections“[17] (Kirche sein inmitten imperialer Machtstrukturen: Trinitarische Reflexionen) vorgestellt und diskutiert wurde.

 

Der US-amerikanische Theologe und Hochschullehrer Jack Nelson Pallmeyer hat in einem der Aufsätze des Bandes reflektiert, was es bedeutet, im Zentrum des heutigen Imperiums zu leben. Er ist zu diesem Ergebnis gekommen: „Christinnen und Christen, die im Zentrum des Imperiums leben, müssen sich mit einem beun­ruhi­genden Widerspruch auseinandersetzen: Vierundachtzig Prozent aller Erwach­se­nen in den USA bezeichnen sich als Christen; Jesus lehrte, Feinde zu lieben, und rief seine Anhänger dazu auf, Frieden zu schaffen; und die heutigen USA sind das am stärksten militarisierte Imperium in der Menschheitsgeschichte und sind allein für die Hälfte aller Militärausgaben der Welt verantwortlich. Als Bürgerinnen und Bür­ger müssen wir die Republik anstelle des Imperiums wählen. Als Christinnen und Christen müssen wir uns zwischen dem Glauben an das Imperium und der Nachfolge des Beispiels Jesu entscheiden.“[18]

 

Es wäre zu einfach, sich als Christinnen und Christen in Deutschland als nicht betroffen anzusehen, weil unser Land nicht das Zentrum des heutigen globalen Imperiums darstellt. Als Bürgerinnen und Bürger der größten europäischen Wirtschaftsmacht haben wir eine große Mitverantwortung dafür, wie sich das globale System politischer und wirtschaftlicher Macht entwickelt, das in der Zeit Jesu als Imperium bezeichnet wurde und das in der ökumenischen Diskussion der letzten Jahre erneut als Imperium identifiziert worden ist. Rose Wu, die als Hongkonger Theologin ebenfalls in einem der regionalen Zentren des Imperiums lebt, hat ihren Landsleuten 2006 in einem Brief geschrieben: „Als Mitglieder der Kirche Christi, die danach streben, gläubig dem zu folgen, was er gelehrt hat, stehen wir vor der Her­ausforderung, ob wir uns für Gott entscheiden oder für das Imperium derer, die die Macht besitzen. Angesichts unserer menschlichen Natur ist uns be­wusst, dass es immer eine Versuchung für uns ist, das Imperium und nicht Gott zu wählen, weil das Imperium uns Sicherheit und Privilegien zu geben scheint.“[19]

 

An kirchlichen Festen wie Weihnachten sollten wir deshalb nicht nur an das damalige römische Imperium und seine Repräsentanten wie Augustus und Herodes denken, sondern auch an das, was heute politisch und wirtschaftlich Mächtige auf diesem Planeten anrichten. Wenn wir uns Weihnachten für Gott entscheiden, hat das gravierende Folgen für unser Engagement in der Gesellschaft. Mit der Geburt Jesu hat etwas Neues begonnen, und wir sind eingeladen, uns mit ganzem Herzen und ganzem Verstand an diesem Neuen zu beteiligen.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 [11] Reformierter Weltbund: Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit, Erklärung der 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes, Accra 2004, die reformierten, update 04.3, S. 23f.

[12] Ebenda, S. 24

[13] Ebenda, S. 25

[14] Ebenda, S. 27

[15] Ulrich Duchrow: Das Wunder von Accra, Zeitschrift Entwicklungspolitik, 17/2004, S. 33

[16] René Krüger: The biblical and theological significance of the Accra Confession: a perspective from the south, Reformed World, 3/2005, S. 233

[17] Karen L. Bloomquist (Hrsg.): Being the Church in the Midst of Empire: Trinitarian Reflections, Minneapolis 2007

[18] Jack Nelson-Pallmeyer: Faith and Empire: Some Biblical Perspective, in: Karen L. Bloomquist (Hrsg.): Being the Church in the Midst of Empire, a.a.O., S. 53f.

[19] Rose Wu: God or the Empire, Hong Kong Christian Institute, Newsletter, June 2006, S. 3