Kirchenfenster in der Deutschen Kirche in Stockholm
Kirchenfenster in der Deutschen Kirche in Stockholm Foto: iStock.com/Jorisvo

Paulus - der große Theologe der entstehenden Kirche

 

Über keinen der Jesusanhänger der ersten und zweiten Generation wissen wir so viel wie über Paulus. Lukas hat ihm lange Passagen in seiner Apostelge­schichte gewidmet, und Paulus selbst schrieb lange Briefe, die in das Neue Testament aufgenommen wurden. Es bleiben allerdings gelegentlich Zweifel, was in diesen Darstellungen Biografie und was Legende ist.

 

Geboren wurde Paulus etwa im Jahre 8 n. Chr. in Tarsus in Kleinasien, damals eine be­deutende hellenistisch geprägte Stadt, die als Bildungszentrum berühmt war. Seine strenggläubigen jüdischen Eltern gaben ihm den Namen Saul, aber er nahm den römischen Namen Paulus an, lange bevor er sein Erweckungserlebnis auf dem Weg nach Damaskus hatte. Paulus studierte die Tora eifrig und erwarb zugleich fundierte Kenntnisse der griechischen Sprache, Kultur und Philosophie. Er war also in zwei Kulturen zu Hause.[1]

 

Das hat es ihm später ermöglicht, die im jüdischen Kontext verkündete Lehre Jesu einer hellenistisch geprägten Zuhörerschaft zu vermit­teln und damit die Voraussetzung für eine Verbreitung des Evangeliums im ganzen Mittelmeerraum zu schaffen. Dass Paulus wie sein Vater das römische Bürgerrecht besaß, zeigte seine Zugehörigkeit zu der gebildeten und relativ wohlhabenden Schicht von Tar­sus. Die Tätigkeit als Zeltmacher war in der römischen Zeit zu einem Handwerk geworden, das in kleinen Manufakturen ausgeübt wurde. Ein selbst­ständiger Zeltmacher konnte zu einigem Wohlstand gelangen.[2]

 

Von Tarsus über Jerusalem bis Rom

 

Paulus gab seine Tätigkeit in Tarsus auf, um eine religiöse Ausbildung in Jerusalem zu absolvieren. Als pharisäischer Schriftgelehrter war er an den Debatten mit der jüdischen „Sekte“ der Jesusanhänger beteiligt. Ob Paulus wirklich die Jesusanhänger verfolgt und bei der Steinigung von Stephanus anwesend war, wie es Lukas in seiner Apostelgeschichte schildert, ist umstritten.[3] Und ob seine Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus so dramatisch verlief, wie sie uns Lukas überliefert hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Aber es ist unbestritten, dass Paulus zu einem überzeugten Verkünder der Botschaft von Jesus Christus wurde und sie überall im Römischen Reich verbreiten wollte.

 

Paulus sprach in den Städten, in die er kam, zunächst mit den jüdischen Gläubigen und den Gottesfürchtigen; Letztere waren Nichtjuden, die dem Judentum nahe standen, aber vor einer Beschneidung und der Einhaltung der Speisevorschriften zurückschreckten. Der Apostel wandte sich auch an einen weiteren Kreis von Nichtjuden und eröffnete ihnen einen Weg, Teil der Gemeinden zu werden, ohne alle Verpflichtungen einhalten zu müssen, die mit dem Judesein verbunden waren. Er hatte damit entscheidenden Anteil daran, dass der heidenchristliche Anteil an der Jesusbewegung immer größer wurde. Zugleich war er stets bemüht, die Verbindung zur judenchristlichen Urgemeinde in Jerusalem zu bewahren und sie von seiner Missionsarbeit zu überzeugen. Auch deshalb sammelte Paulus auf seinen Missionsreisen beträchtliche Gelder für die Jerusalemer Gemeinde. Die von Paulus initiierte Sammlung ist bis heute ein Beispiel dafür, wie zu ökumenischer Gemeinschaft auch das Teilen materieller Güter über Ländergrenzen hinweg gehört.[4]

 

Wie Jesus zog auch Paulus unermüdlich als Wanderprediger von Ort zu Ort. Aber während Jesus vor allem in galiläischen Dörfern und Kleinstädten predigte, fand Paulus in den Zentren hellenistischen Denkens und römischer Herrschaft seine Zuhörerinnen und Zuhörer. Paulus trug auf diese Weise entscheidend dazu bei, aus einer „jüdischen Sekte“ eine über das ganze Römische Reich verbreitete religiöse Bewegung zu machen. Sie bestand allerdings zunächst nur aus kleinen Grup­pen. Von den etwa 100.000 Einwohnern von Korinth sollen sich zunächst nur etwa 100 Personen der Gemeinde angeschlossen haben.[5] Und in diesen kleinen Gemeinschaften gab es zudem noch häufig Konflikte, wie wir den Briefen des Apostels entnehmen können. Aber Paulus zog entschlossen weiter und hielt Kontakt zu den bestehenden Hausge­meinden. Auf seinen Reiserouten war Athen ebenso zu finden wie Rom, wo er aber als Gefangener hingebracht und etwa 64 n. Chr. hingerichtet wurde.

 

Der Apostel Paulus übernahm die Aufgabe, die Lehre Jesu systematisch zusammenzustellen und weiterzuvermitteln, wie er sie verstanden hatte. Wir müssen uns bewusst machen, dass zu Lebzeiten von Paulus die Evangelien noch nicht vorlagen, und vermutlich waren Paulus allenfalls kleine Sammlungen von Aussprüchen Jesu zugänglich. In seinen Briefen zitierte er nur an vier Stellen „Worte des Herrn“.

 

Paulus wollte alle Menschen, Juden und Nichtjuden, Frauen und Männer, Sklaven und Freie dafür gewinnen, sich der Jesusbe­wegung auf ihrem Weg zur Wiederkehr Jesu und zum Reich Gottes anzuschließen. Aber Paulus hat durch die Verkündigung des auferstandenen Christus als Messias den Bruch mit dem Judentum nicht vermeiden können. Und da er Nichtjuden den Weg in die Gemeinden öffnete, ohne von ihnen zu erwarten, hierfür Juden zu werden, löste er geradezu notwendigerweise Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen aus. Es war die Tragik des Apostels, dass er alle ansprechen und einbeziehen wollte und doch letztlich die sich anbahnenden Konflikte und Trennungen nicht verhindern konnte.

 

Immer wieder musste Paulus die Gemeinden dazu ermahnen, die Einheit zu wahren, und neben religiösen waren es vor allem soziale Unterschiede, die die junge Bewegung zu spalten drohten. Dies ist auf dem Hintergrund der wachsenden sozialen Unterschiede im römischen Weltreich zu sehen, die sich in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt noch vertieften.

 

Paulus und die Geschichte der Jesusfamilie

 

Ein Biograf Jesu wollte Paulus offenkundig nicht werden. Dabei hätte er durchaus die Möglichkeit gehabt, Zeitzeugen intensiv zu befragen, denn seine Bekehrung erfolgte vermutlich etwa drei Jahre nach der Kreuzigung Jesu. Es ging Pau­lus aber vor allem um die Botschaft des gestorbenen und auferstandenen Mannes aus Naza­reth, und die galt es, bis an die Enden der Welt zu tragen. Der Theologe und Rundfunkjournalist Eike Christian Hirsch hat aufgrund der biblischen Quellen über einen Besuch des Paulus in Jerusalem geschrieben: „Niemanden sonst von denen, die Jesus noch selbst gekannt hatten, außer Jakobus, den Bruder Jesu, wollte er sehen. Er hatte nicht einmal den Wunsch, etwas über Jesus und sein Leben zu erfahren.“[6]

 

Von Paulus erfahren wir über das Leben Jesu wenig und besonders wenig über dessen Geburt. Der Apostel hatte die Tendenz, so Gert Theißen und Annette Merz in ihrem grundlegenden Werk „Der historische Jesus“, „in Jesus ein präexistentes, mythisches Wesen zu sehen“.[7] Dass Maria nur an einer Stelle vorkommt, und dort nicht einmal namentlich genannt wird, kann nicht überraschen. Dass der Name Ma­ria nicht fällt, sollte nicht als Zeichen von Paulus viel diskutierten Vorbehalten gegen Frauen gewertet werden. Josef kommt nämlich bei Paulus überhaupt nicht vor, denn die Familie Jesu stieß bei Paulus auf keinerlei Interesse. Aber dieses christuszentrierte Verständnis allein war vielen Gläubigen in der frühen Kirche nicht genug. Die Gläubigen der zweiten und dritten Generation wollten wissen, wer die­ser Jesus war und wie er gelebt hatte. Der Verfasser des Markusevangeliums hat das Leben des erwachsenen Jesus dargestellt, aber keine Beschreibung der Geburt und Kindheit geliefert. Diese Aufgabe übernahmen Matthäus und Lukas, aber es blieben Lücken in der Biografie Jesu und den Biografien seiner Eltern. Und diese Lücken wurden mit viel Fantasie von den „apokryphen Texten“ gefüllt.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Vgl. u. a. Marion Giebel: Paulus – „Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt“, in: Paulus – Wegbereiter des Christentums, Welt und Umwelt der Bibel, 1/2009, S. 29ff.

[2] Vgl. ebenda, S. 30

[3] Vgl. u. a. Hubertus Halbfas: Die Bibel, Düsseldorf 2001, S. 547

[4] Jacques Rossel, der frühere Präsident der Basler Mission, hat in einer kleinen provozierenden Schrift entwickelt, was es wirklich bedeutet, geschwisterlich zu teilen; Jacques Rossel: Teilen in der Ökumenischen Gemeinschaft, Frankfurt am Main 1983

[5] Vgl. Daniel Kosch: „Ein Herz und eine Seele?“, Paulus – Wegbereiter des Christentums, Welt und Umwelt der Bibel, 1/2009, S. 13

[6] Eike Christian Hirsch: Mein Wort in Gottes Ohr, Hamburg 1995, S. 175

[7] Theißen/Merz: Der historische Jesus, Göttingen 2001, S. 35