Regionales Wirtschaften als Alternative

 

Mehr internationaler Warenverkehr wird von den Befürwortern der gegenwärtigen Globalisierung als Zeichen des Erfolges des eigenen Konzepts angesehen. Das gilt sowohl global als auch für den europäischen Raum. In einem Buch, in dem euphorisch die Vorteile des Euros gepriesen werden, wird als ein Vorteil genannt: „In einem einheitlichen Wirtschaftsraum sind keine Wechselkursschwankungen mehr möglich. Exporteure und Importeure müssen sich nicht mehr gegen Kursschwankungen absichern. Damit lohnen sich grenzüberschreitende Einkäufe auch schon bei geringen Preisunterschieden.“[1]

 

Autoren des Buches sind der Chefvolkswirt der Deutschen Bank und ein Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". Dass mit dem Transport von immer mehr Waren kreuz und quer durch Europa auch Probleme verbunden sind, nicht zuletzt ökologische Probleme, ist den Autoren offenbar nicht in den Sinn gekommen. Die weltweite Liberalisierung des Welthandels hat zum Ziel, dass auch global immer mehr Waren um den halben Globus transportiert werden, wenn damit Preisvorteile erzielt werden können. Das diene letztlich dem Wohle der Verbraucherinnen und Verbraucher in aller Welt, wird argumentiert, aber schon kurzfristig muss man davon die Anwohner von Flughäfen und Fernstraßen ausnehmen und längerfristig auch die übrige Menschheit. Auch die gequälten Rinder, die auf Lkws kreuz und quer über den Kontinent geschafft werden, weil Regierungen dies subventionieren oder die Besitzer kleine Preisvorteile nutzen wollen, gehören zu den Verlierern des Status quo der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

 

Die Rückkehr zu regionalen und lokalen Wirtschaftskreisläufen

 

Die Alternative ist eine Stärkung des Wirtschaftens in der Region. Die regionalen Unternehmen werden allerdings schon dadurch gefährdet, dass die Länder, Regionen und Kommunen sich mit allen Mitteln darum bemühen, große international tätige Konzerne dazu zu bewegen, ihren Hauptsitz oder doch zumindest eine Produktionsstätte in das eigene Gebiet zu legen. Eine Hamburger Regionalzeitung nannte das eine „Standortschlacht“.[2]

 

Dafür werden nicht selten Millionenbeträge an Subventionen gezahlt, manchmal sogar staatliche Gelder in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro eingesetzt, wie es zum Beispiel der Stadtstaat Hamburg getan hat, um Airbus ein Gelände für die Erweiterung der Produktion zur Verfügung zu stellen und dafür eine Elbfläche trocken zu legen. Es gibt einen wirklich gnadenlosen Wettbewerb auf internationaler und regionaler Ebene um ansiedlungswillige Konzerne, und dabei spielen Subventionen aller Art eine wichtige Rolle. Auf eine solche Unterstützung können kleine Gewerbebetriebe, die für einen lokalen Markt produzieren, allerdings nicht rechnen. Dafür müssen sie die Steuern aufbringen, mit denen die großen Konzerne angelockt werden, die dann selbst oft sehr wenig Steuern zahlen.

 

Die Alternative der Rückkehr zu regionalen und lokalen Wirtschaftskreisläufen findet immer mehr Anhänger. Kiwis aus Neuseeland und Äpfel aus Australien gehören nicht auf den Tisch, sondern die Preise für Flug- und Schiffstreibstoffe müssen die realen Kosten, einschließlich der ökologischen Kosten, widerspiegeln und deshalb so drastisch steigen, dass sich solche Transporte nicht mehr rechnen. Das mag hart klingen, aber die Gegner solcher Einschränkungen sind bisher den Beweis schuldig geblieben, dass mit den Instrumenten des Marktes dafür gesorgt werden kann, dass solch ökologisch verheerende Aktivitäten beendet werden.

 

Die Alternative sind Waren aus heimischer, möglichst lokaler Produktion. Das bedeutet eine Einschränkung des Angebots an „exotischen“ Früchten und mancher anderer Waren, zum Beispiel billiger Textilien, die nicht nur unter Niedriglohnbedingungen produziert, sondern auch um den halben Erdball transportiert werden. Ein solches Konzept der Rückkehr zu möglichst vielen lokal oder regional erzeugten Produkten wird von manchen belächelt, aber es gibt auch eine wachsende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten, die bewusst lokale Produkte kaufen und zum Beispiel auf den Kauf von Erdbeeren verzichten, bis die heimische Ernte im Angebot ist. Werben darf das Bundesumweltamt für eine solche bevorzugte Nutzung heimischer Produkte nicht mehr. Das wurde von der EU-Kommission verboten, weil damit die Wettbewerber benachteiligt würden.[3]

 

Von Italien lernen: slow food

 

In den italienischen Kleinstädten Bra in der Nähe von Turin und Greve in der Toskana ist eine internationale Bewegung entstanden, die sich um eine „langsame Stadt“ und „Slow Food“ (als Gegensatz zu „Fast Food“) bemühen. Ein wichtiger Teil des Konzepts ist die Förderung von lokalen und zugleich ökologisch unbedenklichen Produkten. So erhalten zum Beispiel Hausbesitzer günstige Kredite, wenn sie Materialien verwenden, die diesen Kriterien entsprechen. In den Schulen werden nur Öko-Lebensmittel aus lokaler Produktion angeboten. Es wird propagiert, das tägliche Essen mit Zeit zu genießen, statt sich auf die Angebote der „Fast Food“-Ketten zu stürzen. Insgesamt soll der Lebensrhythmus langsamer werden, wozu auch beiträgt, dass der Autoverkehr in der Stadt eingeschränkt wird. Diese Versuche einer lokalen nachhaltigen Entwicklung sind so attraktiv, dass sie von anderen italienischen Städten übernommen werden und auch international Interesse finden.[4]

 

Auch viele andere alternative Ansätze zur Vermeidung ausufernder globaler Waren- und Verkehrsströme zeigen, dass es möglich ist, lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe zu fördern. Selbstverständlich kommt es nicht nur darauf an, dass ortsnah produziert wird, sondern auch darauf, dass bei der Produktion ökologische und soziale Standards eingehalten werden und dass die angebotenen Waren und Dienstleistungen solchen Standards entsprechen. Auch eine lokale Energieerzeugung hat viele Vorteile.[5]

 

Ein Vorzug des lokalen und regionalen Wirtschaftens besteht darin, dass die Produktionsbedingungen nachprüfbar und die Lieferanten persönlich bekannt sind. Man kennt den Bauernhof, von dem die Eier stammen, und kann sicher sein, dass dort keine Käfigtierhaltung stattfindet, sondern die Hühner auf dem Hof herumlaufen. Das Motto mancher landwirtschaftlichen, handwerklichen und industriellen Produzenten: „Das merkt ja keiner“ gilt nur sehr eingeschränkt, wenn die Kunden in der Nachbarschaft wohnen.

 

Regional und ökologisch

 

In Deutschland sind inzwischen mehrere Hundert Regional-Initiativen entstanden, die landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte vermarkten und so die örtliche Wirtschaft stärken. Viele dieser Initiativen haben sich dem ökologischen Anbau verpflichtet. Einen Überblick über diese Initiativen bietet das "REGIOportal" an. Auch die Umweltschutzorganisation NABU engagiert sich für dieses Anliegen. Regelmäßige Informationen über Regionalinitiativen in Deutschland liefert das Portal Bundesverbandes der Regionalbewegung.[6]

 

Wie breit die Unterstützung für solche regionalen Initiativen sein kann, zeigt das Brucker Land im bayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck. Hier hat sich 1994 unter dem Namen „Brucker Land Solidargemeinschaft“ ein Bündnis aus Landwirtschaft, Handwerk, Kirchen, Umwelt- und Naturschutzverbänden gebildet. Gemeinsam haben sie sich das Ziel gesetzt, regionale Wirtschaftsstrukturen zu fördern und zur „Erhaltung der Lebensgrundlage für Mensch, Tier und Pflanze in der Region“ beizutragen.[7]

 

Der Kompromiss, der das breite Bündnis ermöglichte, bestand darin, auch eine größere Zahl von regionalen Produkten in die Vermarktung aufzunehmen, die nicht strengen ökologischen Kriterien entsprechen, deren Produzenten aber ebenfalls das Ziel haben, umweltschonend zu wirtschaften. Dazu gehört zum Beispiel, dass in der Milchwirtschaft nur heimische Futtermittel verwendet werden.

 

Es ist der Solidargemeinschaft gelungen, eine eigene Logistik zu schaffen, einen regionalen Schlachthof aufzubauen und zahlreiche Verkaufsstellen in das Vertriebsnetz einzubeziehen, darunter auch Supermarktfilialen. Auch Gaststätten, das regionale Krankenhaus und ein Altenheim werden inzwischen beliefert. Dank zahlreicher Aktionen bei Schulfesten, Gemeindefesten etc. sowie einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit war bereits 1996 92 Prozent der lokalen Bevölkerung die Initiative im Brucker Land bekannt. Mittlerweile sind die Erfahrungen mit dieser regionalen Vermarktung so positiv, dass das Konzept auf weitere Landkreise in der Umgebung von München übertragen werden soll.[8]

 

Die Solidargemeinschaften bestehen jeweils aus fünf Säulen: Landwirtschaft, Handwerk, Kirchen, Verbraucher und Naturschutz. Allein schon die Einsparungen bei den Transportkosten sind enorm, es gelingt aber auch, die Initiativen für ein umweltfreundliches Wirtschaften in der Region zu stärken und neue Märkte zu schaffen.

 

Dass es unsinnig ist, Waren über große Entfernungen zu transportieren, wenn eine lokale Versorgung möglich ist, überzeugt einen großen Teil der Bevölkerung und auch viele Betriebe, vor allem jene Anbieter, die ohnehin nur einen kleinen Markt beliefern können. Diese Unterstützung ist nach einigen Lebens- und Futtermittelskandalen noch größer geworden. Außerdem gibt es ein wachsendes Interesse daran, möglichst viele Produkte ohne Rückstände von Agrarchemikalien zu kaufen (wenn diese nicht sehr viel teurer sind). Von daher gibt es für eine Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe eine breite Unterstützung in der Bevölkerung und in lokalen Betrieben.

 

Dies ist besonders dort der Fall, wo im Rahmen von lokalen „Agenda 21“-Prozessen in der Bevölkerung das Bewusstsein dafür geweckt ist, wie eine intakte lokale Umwelt und Beiträge zu gerechten und ökologisch verträglichen internationalen Wirtschaftsbeziehungen einander ergänzen. Der „Agenda 21“-Prozess wurde nach der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahre 1992 ins Leben gerufen, und ein wichtiges Ziel ist es, eine nachhaltige kommunale Entwicklung zu fördern.

 

Keine Abschottung gegenüber dem Rest der Welt

 

Die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe bedeutet nicht eine Abschottung gegenüber dem Rest der Welt, sondern den Kauf von Produkten, die in der Region angebaut oder produziert werden, und eine überregionale Versorgung auf all den Gebieten, wo es keine regionalen Anbieter gibt. Wenn sich ein solches Konzept landesweit durchsetzen würde, könnten die Transportkosten drastisch reduziert werden. Die gleichzeitige Umstellung auf umweltfreundliche Produkte stößt allerdings bisher auf einigen Gebieten auf Grenzen. So gab es zunächst nur wenige bundesdeutsche Molkereien, die in größeren Mengen Biojoghurt herstellen.[9]

 

Aber solche regionalen Angebotslücken werden sicher rasch geschlossen, wenn es eine genügende Nachfrage gibt. Hier kann man dem Markt vertrauen, wie es bei einer Umstellung auf eine regionale, ökologisch verantwortliche Wirtschaftsweise insgesamt darauf ankommt, die „Gesetze“ des Marktes dort zu nutzen, wo dies den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung dient, und in anderen Fällen dafür zu werben, dass die Konsumenten und Konsumentinnen sich verantwortungsbewusst verhalten, also zum Beispiel Äpfel aus der Region kaufen, selbst wenn die pro Kilo 5 Cent teurer sind.

 

Dass es bundesweit inzwischen viele Hundert Biobäckereien gibt, ist ein Beweis dafür, dass der Markt für solche Produkte wächst, und gleichzeitig entsteht so eine bessere Grundlage für eine regionale Versorgung. Es spricht viel dafür, dass in nächster Zeit das Angebot an ökologisch und sozial verantwortlich hergestellten Waren in den Regionen weiter zunehmen wird. Die Anzeichen einer beginnenden globalen Klimakatastrophe werden zudem die Bereitschaft vieler Menschen steigen lassen, zu der Jahreszeit Erdbeeren und andere Früchte zu kaufen, in der sie in der eigenen Region geerntet werden. Das ermöglicht es auch, wieder stärker zu einem Lebensrhythmus zurückzukehren, in dem ein Jahr einen Ablauf hat, der im Einklang mit der Natur steht.

 

„Tag der Regionen“

 

Die Freude auf die ersten Erdbeeren der Saison kann zurückkehren, ebenso ein stärkeres Bewusstsein, dass wir mit und von der Natur leben. Es gibt nur wenige Bereiche, wo die Alternativen zum totalen globalen Markt so konkret und für breite Bevölkerungskreise spontan überzeugend sind wie bei der Stärkung des Wirtschaftens in der Region. Wie weit der Weg dorthin dennoch noch ist, zeigt sich an der unzureichenden öffentlichen Wahrnehmung, dass es jedes Jahr am 6. Oktober einen „Tag der Regionen“ gibt. Zwar werden vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen, wo dieser Tag schon länger verankert ist, jedes Jahr mehrere Hundert Aktionen aus diesem Anlass durchgeführt, aber eine breite Resonanz fehlt vielerorts noch.

 

Dabei sind die Argumente, die im Rahmen der Aktion vermittelt werden, überzeugend. So ist unter www.tag-der-regionen.de zum Beispiel nachzulesen, dass für den Transport von einem Kilogramm kalifornischen Weins auf den hiesigen Markt vier Liter Kerosin verbraucht werden. Es werden viele Argumente aufgezählt, die für einen Kauf regionaler Produkte sprechen. Um die Unterschiede sichtbar zu machen, wird angeregt, ein 50-Kilometer-Menü mit lokalen Produkten einem 50.000-Kilometer-Menü mit Rindfleisch aus Argentinien, Äpfeln aus Neuseeland etc. gegenüberzustellen. Man ahnt, dass die internationalen Lebensmittelkonzerne, die ihre Waren rund um den Globus einkaufen und in den hiesigen Supermärkten anbieten, nicht zu den begeisterten Partnern bei einer solchen Aktion gehören.

 

Große Erwartungen werden für den „Tag der Regionen“ auch an Kirchengemeinden deutlich. Das Erntedankfest bietet eine gute Gelegenheit zur Mitwirkung an der Aktion „Kirche hilft zum Leben in der Region“. Aber auch Gebete, Meditationen, Pilgerwege zu Wasserquellen und offenes Singen werden als Möglichkeiten genannt. Erwartungen an Kirchengemeinden gibt es auch im ökologischen Bereich. Genannt werden zum Beispiel der lokale Einkauf für Gemeindefeste, Wassersparmaßnahmen und Mithilfe bei der Wiedereinführung von Bauernmärkten und Dorfläden. Im Internet-Informationsangebot, das von einem breiten Spektrum von Initiativen getragen wird, sind auch „Zehn An-Gebote zum Erntedank“ veröffentlicht. Entgegen manchen Behauptungen bestehen also in der Gesellschaft weiterhin hohe Erwartungen an die Kirchen, in ihrem Reden und in ihrem Handeln Zeichen zu setzen für ein anderes Wirtschaften und ein anderes Leben.

 

Zur internationalen Gerechtigkeit steht in der Internet-Präsentation: „Fairer Welt-Handel kein Thema für die Region? Doch, denn uns ist wichtig, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Es kann uns nicht egal sein, wenn woanders auf dieser Welt die regionalen Strukturen, für die wir uns hier einsetzen, durch Globalisierungstendenzen zunichte gemacht und damit den kleinen Betrieben jegliche Perspektive genommen wird. Nicht nur bei uns wollen wir sozial verträgliche, umweltgerechte Strukturen erhalten.“

 

Regionales Wirtschaften auch im Süden der Welt gefragt

 

Nicht nur für Deutschland, sondern zum Beispiel auch für afrikanische Länder gibt es gute Gründe für eine Stärkung der Wirtschaftsaktivitäten i und für die Region. Die forcierte Konzentration auf den Anbau von Exportprodukten wie Kaffee oder Baumwolle hat viele Dörfer abhängig gemacht von den Spekulationsgeschäften auf einem globalen Markt, auf den sie selbst keinerlei Einfluss haben. So kostete ein Kilogramm Rohbaumwolle 1960 3,14 Dollar, 1999 waren es nur noch 1,13 Dollar.[10]

 

Danach fiel der Kaffeepreis weiter, sodass 2002 etwa 25 Millionen Kaffeeproduzenten in ihrer Existenz bedroht waren und die ersten Hungertoten vermeldet wurden. Vorübergehend erholte sich der Preis etwas, als es zu einem Aufstand in der Elfenbeinküste kam, denn die Spekulanten spekulierten nun, dass eventuell die Ernte des Landes nicht auf den Weltmarkt kommen und damit das Angebot vermindert würde. Der Waffenstillstand in der Elfenbeinküste brachte den Preisanstieg zu einem raschen Ende.[11]

 

Krieg und Not, so zeigt dieses Beispiel, haben bei der globalen Warenspekulation ihre eigene Bedeutung. Die Länder des Südens müssen also immer mehr Baumwolle verkaufen, um die gleiche Menge Industrieprodukte zu kaufen, deren Preise allein schon inflationsbedingt stetig steigen. Auch an den ständig fallenden Kaffeepreisen in den letzten Jahren lässt sich zeigen, wie dramatisch sich eine totale Abhängigkeit vom Weltmarkt auswirkt.

 

Deshalb gewinnen Entwicklungskonzepte immer mehr Plausibilität und Unterstützung, die davon ausgehen, dass die regionale Wirtschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika so gestärkt werden muss, dass möglichst viele Bereiche des täglichen Bedarfs aus der heimischen Produktion abgedeckt werden und so die existenzielle Abhängigkeit von den Schwankungen der Weltmarktpreise vermindert wird. Es geht nicht um eine völlige Abkoppelung vom Weltmarkt, sondern um eine Verbindung von lokaler Selbstversorgung auf vielen Gebieten und einer ergänzenden Einbindung in die globale Wirtschaft.

 

Dieses Konzept ist im Rahmen eines liberalisierten Marktes allerdings schwer zu verwirklichen. Die Globalisierung führt vielmehr dazu, dass fruchtbares Land verstärkt für die Exportproduktion genutzt und damit kommerziell betrachtet wertvoller wird. Dies gilt zum Beispiel für den Anbau von Schnittblumen für einen lukrativen globalen Markt. In solchen Situationen werden viele Pächter von ihrem Land vertrieben, und es gibt intensive Bemühungen der erfolgreichen Großbauern, ihren ärmeren Nachbarn das Land abzukaufen. Sind diese ärmeren Nachbarn bei den reicheren Bauern verschuldet, reicht schon eine schlechte Ernte, um sie von ihrem Land zu vertreiben. Das ist keine ökonomische Theorie, sondern lässt sich von Brasilien bis Indien beobachten.[12]

 

Deshalb muss die Aussage, die Öffnung der internationalen Agrarmärkte nütze den Ländern des Südens, qualifiziert werden: Wenn die Regierung nicht durch Gesetze und eine gezielte Landwirtschaftspolitik gegensteuert, nützt die Liberalisierung vor allem den großen Landwirtschaftsbetrieben, während die kleinen nicht selten aufgeben müssen. Dies ist zum Beispiel auch in den EU-Beitrittsstaaten in Mittel- und Osteuropa eine akute Sorge der Bauernfamilien mit wenig Land.

 

Außerdem können die ökonomischen Unterschiede zwischen den Regionen wachsen, wenn Teile eines Landes in den globalen Agrarmarkt einbezogen werden, während andere wegen schlechterer natürlicher Bedingungen oder fehlender Verkehrsanbindungen weiter zurückfallen. Es fehlen bisher überzeugende Beweise dafür, dass eine Liberalisierung der internationalen Handelsbeziehungen im Agrarbereich wirklich allen oder doch wenigstens den allermeisten Bauernfamilien nützt, zumal auch zu berücksichtigen ist, dass nicht nur mehr exportiert wird, sondern auch der Import billiger Nahrungsmittel aus anderen Teilen der Welt zunimmt, die nicht selten von den dortigen Regierungen subventioniert werden. Ähnlich sieht es für Handwerk und Industrie aus.

 

Die Gefahr besteht, dass langsam gewachsene lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen unter dem Ansturm einer liberalisierten globalen Wirtschaft zerstört werden. Von daher ist im Interesse der lokalen Bevölkerung sehr genau zu prüfen, wem eine Liberalisierung dient, bevor Märkte der internationalen Konkurrenz geöffnet und eigene Exportoffensiven gestartet werden.

 

Nachhaltige Entwicklung in den Regionen

 

Demgegenüber hat sich zum Beispiel in den ostasiatischen Staaten eine Landreform, die die intensive Bewirtschaftung durch Kleinbauernfamilien ermöglicht und ihnen ein höheres Einkommen bringt, als solide Grundlage für eine wirtschaftliche Entwicklung erwiesen. Auf diese Weise entstehen bei guter landwirtschaftlicher Beratung arbeitsintensive Mischkulturen, die auch ökologisch viele Vorteile haben. Dagegen führen die Konzentration des Landes und eine ausschließliche Orientierung auf die Exportproduktion zu Monokulturen, die unter ökologischen Gesichtspunkten mit hohen Risiken verbunden sind.[13]

 

Gelingt es hingegen, die Bauernfamilien zu fördern, steigt auch der Anreiz zum Aufbau lokaler Handwerks- und kleiner Industriebetriebe. Eine Stärkung der regionalen Wirtschaft bei gleichzeitiger gerechterer Gestaltung nationaler und globaler Strukturen des Handels ist also sowohl im Süden der Welt als auch bei uns eine vielversprechende Alternative zur vorherrschenden Globalisierung. Dabei gehen konservative Vorstellungen von Bauernfamilien und die „modernen“ Vorstellungen von einer nachhaltigen Entwicklung eine Symbiose ein.

 

In einer Studie zur „Globalisierung der Landwirtschaft aus christlicher Sicht“ schreibt dazu der Ausschuss für den Dienst auf dem Lande in der Evangelischen Kirche: „Es gibt sie noch, die Bauern, die mit der Natur verbunden sind, die den Schöpfungsauftrag gegenüber ihren Tieren und Pflanzen noch ernst nehmen, jedes Fleckchen Erde ihres Landes kennen, das Wetter spüren und sich auch der dörflichen Solidargemeinschaft verbunden fühlen. Es gibt noch die traditionelle Landwirtschaft, die ihr altes Saatgut pflegt, schonend mit dem Boden umgeht, sich an dem natürlichen Kreislauf orientiert und den Betrieb als Organismus betrachtet. Bevor die traditionelle Lebens- und Wirtschaftsform gänzlich unter dem Globalisierungsdruck verschwindet, gilt es, ihren besonderen agrarkulturellen Wert wiederzuentdecken. Menschen, die das noch leben, können uns etwas vermitteln. Alternativen zur Globalisierung in der Landwirtschaft entstammen den Prinzipien einer anderen Auffassung zur Landwirtschaft und zum ländlichen Leben als die des Agrobusiness.“[14]

 

Solche Zeilen könnten auch über Bauern in Peru oder Sri Lanka geschrieben werden – nicht nur die Globalisierung erreicht alle Enden der Welt, sondern auch die Rückbesinnung auf ein Leben in Einklang mit der Natur und mit einer festen Verwurzelung im eigenen Dorf, in der eigenen Region.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Thomas Hanke/Norbert Walter: Der Euro – Kurs auf die Zukunft, Frankfurt am Main 1997, S. 115

[2] Vgl. Hamburger Abendblatt, 28.2.2001

[3] Vgl. Öko-Test 10/2001, S. 6

[4] Vgl. Gerhard Dilschneider: Lob der Langsamkeit, in: VEM-Mitarbeiterbrief, 8-9/2001, S. 17f.

[5] Vgl. zum Beispiel Ulrich Duchrow/Franz Hinkelammert: Leben ist mehr als Kapital, Alternativen zur globalen Diktatur des Eigentums, Oberursel 2002, S. 219

[7] Weitere Informationen über diese regionale Initiative sind in der Studie „Regionale Bio-Lebensmittel im Handel“ von Dorle Gothe zu finden, sie ist im Internet nachzulesen (Link).

[8] Vgl. ebenda, S. 19f.

[9] Vgl. den Beitrag „Regional ist erste Wahl“, in: Schrot und Korn, 9/2002, S. 10ff.

[10] Vgl. Richard Gerster: Globalisierung und Gerechtigkeit, Bern 2001, S. 16

[11] Vgl. epd-Zentralausgabe, 29.10.2002

[12] Vgl. zum Beispiel den Beitrag: „Die fatalen Folgen des freien Handels – Wie Agrobusiness und Genkonzerne gewachsene Strukturen zerstören“ von José Lutzenberger und Siegfried Pater in: Publik-Forum, 11/2000, S. 8ff., sowie das Themenheft „Landwirtschaft“ (9/2002) der Schweizer Missionszeitschrift Wendekreis

[13] Vgl. hierzu Richard Gerster, Globalisierung und Gerechtigkeit, a. a. O., S. 46f.

[14] Sonderheft 2000 der Zeitschrift Kirche im ländlichen Raum, S. 31