Bahn- und Busverkehr auf Irrwegen

 

Die Deutsche Bahn AG ist ein trauriges Beispiel dafür, wie man ein Unternehmen auf den Ruin zusteuern kann bei dem Versuch, es „börsenfähig“ zu machen. Statt das Bahnsystem auszubauen und zu einer attraktiven Alternative zum Auto zu machen, werden immer wieder Strecken stillgelegt, Bahnhöfe verkauft, Serviceleistungen eingeschränkt und Zugverbindungen gestrichen. Die Bahn-Politik hat durchaus ihre Logik. Wenn Gewinn erzielt werden soll, ist es einleuchtend, sich von allen Geschäftszweigen und Aktivitäten zurückzuziehen, die Verluste bringen. Zurück bleibt dann ein nationales Netz von Hochgeschwindigkeitsstrecken mit einigen Zubringerlinien. Sonst werden nur noch Strecken betrieben, für die es staatliche Subventionen gibt. Während das Straßennetz in Deutschland seit 1950 um 250.000 Kilometer erweitert wurde, schrumpfte das Schienennetz um 15.000 Kilometer.[1]

 

Was betriebswirtschaftlich noch Sinn machen kann (auch das wird von Kritikern des Bahnmanagements bestritten), wirkt sich volkswirtschaftlich und ökologisch verheerend aus. Je geringer das Angebot und je schlechter der Service sind, desto weniger Reisende wird man überzeugen, mit der Bahn statt mit dem Auto zu fahren – und desto stärker wird das Angebot dann wiederum eingeschränkt, weil angeblich niemand mehr mit der Bahn fahren will. Die Zahl der Beschäftigten der Bahn wurde von 500.000 im Jahre 1990 auf etwa 225.000 vermindert, Tendenz weiter sinkend. Besonders in den neuen Bundesländern mit ohnehin hohen Arbeitslosenzahlen und wenigen Berufsperspektiven für junge Leute hat diese Kürzung sehr negative Auswirkungen gehabt.

 

Die Verantwortlichen der Deutschen Bahn AG versuchen immer wieder, die Verkehrszahlen schön zu reden und auf Erfolge hinzuweisen, die es auch gibt, zum Beispiel bei der Erneuerung von großen Bahnhöfen (während viele kleine Bahnhöfe allerdings in einem jämmerlichen Zustand sind und Tausende Bahnhöfe verkauft werden sollen). Die Bahn macht es vielen ihrer Freunde wie der Initiative „Pro Bahn“ schwer, diese Möglichkeit, ohne großen ökologischen Schaden mobil zu sein, zu propagieren. Bundestagsabgeordnete und Bürger haben sich zu einer Initiative „Bürgerbahn statt Börsenwahn“ zusammengeschlossen, um dazu beizutragen, dass die Bahn eine neue Richtung nimmt.[2]

 

Die Möglichkeit, mit der Bahn zu fahren, gehöre wie Gesundheit und Altersversorgung zur Grundversorgung. Bei einer neuen Verkehrspolitik gehe es um die „Vorsorge für diejenigen, die sich heute oder künftig kein Auto leisten können. Und für die, die einen Beitrag zum Klimaschutz bringen wollen“.[3]

 

Der Versuch eines Börsengangs und seine Folgen

 

Ohne das Problem öffentlich zu debattieren, dass ein Bahnbetrieb sich eben nicht als „profit centre“ betreiben lässt, sondern dies ein Angebot für alle ist, preiswert und umweltfreundlich ans Ziel zu kommen, selbst wenn dafür beachtliche Steuergelder aufgewendet werden müssen, fährt die Bahn aufs Abstellgleis. Erforderlich wäre ein Eingeständnis, dass die Politik der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche mindestens bei der Bahn ohne Perspektive ist. Der Weg an die Börse ist ein Weg weg von der Wahrnehmung einer Verantwortung für die ganze Gesellschaft.

 

Die Perspektivlosigkeit der gegenwärtigen Bahnpolitik lässt sich exemplarisch an der Einführung eines neuen Tarifsystems Ende 2002 zeigen. Statt die Angebote für die Bahncard-Besitzer auszuweiten und damit ein Erfolgsmodell zu pflegen, wird das Angebot für sie komplizierter und lohnt sich nur noch, wenn sie Tage oder Wochen vorher wissen, mit welchem Zug sie fahren wollen. Ein Hauptziel dieser Tarifstruktur ist es, leere Plätze in den verkehrsschwachen Zeiten in den Zügen zu füllen – nicht aber etwa, den Kunden zu einem günstigen Preis eine Reise zu dem Zeitpunkt anzubieten, zu dem sie reisen möchten und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Pläne auch kurzfristig zu ändern. Dazu ist das ganze System so kompliziert, dass es in einer Zeitungsüberschrift zutreffend hieß: „Stammkunden der Bahn blicken beim neuen Preissystem nicht durch“.[4]

 

Der krampfhafte Versuch, ein betriebswirtschaftlich für die Bahn vielleicht optimales System („alle Kunden richten sich bitte schön danach, wann wir gerade Plätze in einem Zug frei haben, und wenn sie das nicht wollen, müssen sie mehr bezahlen“) als Verbesserung darzustellen, ist bisher fehlgeschlagen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie eine Orientierung an Gewinnzielen in die Sackgasse führt. Die Einstellung der beliebten Interregios durch die Deutsche Bahn ist ein weiteres Beispiel dafür. Das haben als Erste die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn festgestellt. Bei einer Befragung 2001 bescheinigten nur 20 Prozent von ihnen der Bahn, „alles zu tun, um die Kundenwünsche zu erfüllen“. Gerade noch 50 Prozent der Beschäftigten gaben an, gern bei der Bahn zu arbeiten, 1998 waren es immerhin noch 60 Prozent gewesen. Zur Unzufriedenheit trägt offenbar bei, dass die Aufteilung der Bahn in mehrere Gesellschaften zu einem „Chaos“ geführt hat, so die „Süddeutsche Zeitung“ nach dem Studium von internen Vorstandspapieren.[5]

 

Der Versuch, die Bahn zu kommerzialisieren, statt sie als ein solide und effektiv arbeitendes öffentliches Unternehmen auszubauen, hat mit einem Desaster geendet. Gerade deshalb ist es erforderlich, das Modell eines Bahnbetriebes zu propagieren, das sich nicht irgendwelchen Gewinnerwartungen hingibt, sondern den Dienst an der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Bemühungen stellt.

 

Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern

 

In England, wo der Prozess der Kommerzialisierung und Privatisierung des Bahnbetriebs schon länger betrieben wird, sind die Folgen noch negativer als bei uns. Ein Zeitungsbeitrag über die Krise der britischen Bahn hat die Unterüberschrift: „Weil die Privatisierung der britischen Bahn zum Desaster geriet, trösten die Behörden entnervte Fahrgäste mit frischen Blumen am Bahnsteig.“[6]  British Rail wurde bei der Privatisierung in 30 größere und zahlreiche kleine Unternehmen aufgespalten, und nun trägt im Zweifelsfall niemand mehr irgendeine Verantwortung. Das Schienen- und Signalsystem ist mittlerweile so marode, dass es in den letzten Jahren eine größere Zahl von Unfällen gegeben hat, nicht selten mit tödlichen Folgen für Fahrgäste. Die Betriebsgesellschaft für das Schienennetz Railtrack musste inzwischen Konkurs anmelden, und die Steuerzahlen müssen die Kosten für die Sanierung des heruntergekommenen Netzes tragen, vorerst durch Staatsgarantien für Schulden und Löhne.

 

Demgegenüber arbeitet die nicht privatisierte Eisenbahngesellschaft der Schweiz mit großem Erfolg und hat es geschafft, die Schweizer Bürgerinnen und Bürger zu weit mehr Bahnfahrten zu animieren als die Deutsche Bahn. Jeder Schweizer Bürger legt im Jahr 1.850 Kilometer mit der Eisenbahn zurück, jeder Deutsche hingegen 891, also nicht einmal die Hälfte.[7]  Wenn im Zeitalter der Globalisierung immer häufiger internationale Vergleiche angestellt werden, sollte dies auch und vor allem unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Entwicklung geschehen.

 

Man muss vielleicht doch von fundamentalistischen Vorstellungen bei denen sprechen, die trotz aller gegenteiligen Beweise überzeugt sind, Liberalisierung und Privatisierung seien immer besser als ein öffentlicher Betrieb in Bereichen wie der Bahn, der Wasserversorgung etc. Um so wichtiger ist es, die negativen Auswirkungen einer solchen Politik konkret zu belegen und Alternativen zu entwickeln. Das würde den Rahmen dieser Studie sprengen, aber vielleicht ist auch so am Beispiel des Bahnverkehrs deutlich geworden, wie eine verfehlte Ideologie fatale Folgen hat und warum es notwendig ist, sich kritisch mit dieser Ideologie und ihren Konsequenzen auseinanderzusetzen. Hier ist wiederum der große Vorteil der heutigen weltweiten Verbindungen, dass Erfahrungen und Einsichten aus verschiedenen Regionen der Welt zusammenkommen können. Bei solchem Austausch wird auch deutlich, dass es bestimmte Bereiche gibt, wo private Unternehmen gute Leistungen im Bahnbereich erbringen, dass dafür aber eine sehr differenzierte Steuerungspolitik des Staates durch Gesetze, Bestimmungen und Verträge erforderlich ist. Ansonsten gilt, dass der öffentliche Dienst, der Dienst an der Öffentlichkeit, viele Vorteile gegenüber einem Ansatz hat, der den Bahnbetrieb so gestalten will, dass ein möglichst hoher Gewinn entsteht.

 

Der Irrweg der Liberalisierung der Nahverkehrssysteme

 

Die Nahverkehrssysteme in deutschen Großstädten sind auch im internationalen Vergleich vorbildlich, aber das bleibt eventuell nicht so. Zum einen fehlen den Kommunen die Gelder, um neue U-Bahnen oder Straßenbahnlinien zu finanzieren. Zum anderen droht eine Zerschlagung des Systems durch die von der EU verordnete sogenannte „Liberalisierung“. Um der Idee des Wettbewerbs auch hier zum Durchbruch zu verhelfen, sollen in Zukunft alle Strecken europaweit ausgeschrieben und an den preisgünstigsten Anbieter vergeben werden. Da die Kosten für Busse und Treibstoff für alle Anbieter weitgehend identisch sind und die jetzigen Träger des Nahverkehrs in der Regel relativ effizient arbeiten, bleibt nur eine substanzielle Einsparungsmöglichkeit: die Löhne und Gehälter der Beschäftigten. Wie bereits in der Baubranche werden auch im öffentlichen Nahverkehr das Lohnniveau und die Sozialleistungen reduziert. Dies deutet sich bereits an, und mit schlechter bezahlten und wenig motivierten Beschäftigten lässt sich kein attraktiver Nahverkehr aufbauen.

 

Deshalb gilt es, das Gehaltsniveau und die Sozialleistungen der Beschäftigten von Verkehrsbetrieben entsprechend der lokal gültigen Tarifverträge für alle Anbieter verbindlich zu machen, sonst ist ein Lohndumping geradezu unvermeidlich. Was es dann noch für einen Sinn macht, dass sich ein Unternehmen in einer mehrere Tausend Kilometer entfernten Stadt um den Auftrag bemüht, Buslinien zu betreiben, bleibt abzuwarten. Nicht der Glaube an die Segnungen einer Liberalisierung wird den öffentlichen Nahverkehr voranbringen, sondern ein effizientes, soziales und ökologisch verantwortungsbewusstes lokales Verkehrsunternehmen, das im öffentlichen Besitz ist und dessen Aktivitäten deshalb einer politischen Kontrolle unterliegen (selbst wenn diese Möglichkeiten bisher viel zu wenig genutzt werden). Konzepte und Beispiele für attraktive Nahverkehrsangebote in Deutschland sind in der Studie „Strategien für die Mobilität der Zukunft“ von Hans-Böckler-Stiftung und Deutschem Gewerkschaftsbund ausführlich dargestellt.[8]

 

Private Anbieter sollten eine Chance haben, aber nur dann, wenn sie ihren Wettbewerbsvorteil nicht mit schlechteren Arbeits- und Lohnbedingungen ihrer Beschäftigten erzielen. Ziel muss es in jedem Fall sein, dass die privaten Anbieter das Angebot ausweiten und sich nicht nur die „Rosinen herauspicken“.

 

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. Publik-Forum, 6/2001, S. 22

[2] Vgl. ebenda. S. 23

[3] Zitiert nach buergerbahn-statt-boersenwahn.de (inzwischen offline)

[4] Süddeutsche Zeitung, 2.10.2002

[5] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 17.12.2001

[6] Süddeutsche Zeitung, 18.1.2002

[7] Stand 1999, vgl. Das Parlament, 11.1.2002

[8] Stand 1999, vgl. Das Parlament, 11.1.2002