n diesem Gebäude entstand 1909 das "Kolonialinstitut", aus dem später die Universität Hamburg wurde.
In diesem Gebäude entstand 1909 das "Kolonialinstitut", aus dem später die Universität Hamburg wurde. Foto: iStock.com/jvdc

Hamburg – Afrika und Retour

 

Geschichte und Geschichten aus vier Jahrhunderten

 

Der nachfolgende Beitrag ist im November 1997 als Skript vom Nordelbischen Missionszentrum, Hamburg, veröffentlicht worden. Einige aktuelle Veränderungen wurden vom Autor im Frühjahr 2018 kursiv in Klammern eingefügt.

 

Hamburg und Afrika, das ist eine Beziehung, bei der es um Neugier und Entdeckungen, um Handel und Skrupellosigkeit, Exotik, Faszination und Vorurteile, um christliches Engagement und Mission geht. ln diesem Beitrag soll kurz dargestellt werden, wie sich diese Beziehungen historisch entwickelt haben. Dabei bleibt Nordafrika ausgespart, es sei aber erwähnt, dass es schon während der Wikingerzeit erste Verbindungen zwischen Norddeutschland und Nordafrika gab.

Der erste Afrikaner, der nachweislich nach Hamburg kam, war ein „Mohr“, den der junge und abenteuerlustige Edelmann Leopold von Wedel aus England mitbrachte. Dorthin war er als Sklave aus Westafrika gebracht worden. Die beiden trafen am 3. Mai 1585 in Hamburg ein und reisten von hier aus nach Kremzow in Pommern weiter. Auch weitere „Kammermohren“ kamen über Hamburg nach Deutschland. 1638 kam ein etwa fünfjähriger afrikanischer Junge auf einem Handelsschiff nach Hamburg, das entlang der afrikanischen Küste von Indien zurückgekehrt war. Die Händlerinnen auf dem Hopfenmarkt waren völlig begeistert von dem fremden schönen Kind und nannten es einen „lütten söten swatten Engel“. Es ist überliefert, dass sie ihn „herzten und küßten“.

 

Damals überwog in der öffentlichen Wahrnehmung die Faszination des Fremden, des Exotischen. Das kommt zum Beispiel auch im Trauerspiel „Die Mohrin von Hamburg“ von Ernst Lorenz Michael Rathelfs aus dem Jahre 1775 zum Ausdruck. Eine ganze Reihe Hamburger Überseekaufleute hatte später „schwarze Boys“, die sie bedienten und einen Hauch „Exotik“ in ihre Villen an Eibe und Alster brachten.

Englische Kaufleute, die sogenannten „Merchant Adventurers“, brachten Anfang des 17. Jahrhunderts einige Afrikaner mit nach Hamburg, von denen nicht mehr bekannt ist, ob es sich um Nordafrikaner oder Schwarzafrikaner gehandelt hat. Nachgewiesen ist demgegenüber, dass die jüdischen Kaufleute aus Spanien und Portugal, die sich ebenfalls im 17. Jahrhundert in Hamburg ansiedelten, einige „Mohren“ mit an die Elbe brachten. So wird im Testament eines dieser Kaufleute aus dem Jahre 1651 eine schwarze Sklavin erwähnt: „Meine Dimiana erhält die Freiheit." Auch andere Sklavinnen und Sklaven wurden von ihren Besitzern freigelassen, blieben aber meist in wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihren Herren.

 

Hamburg profitiert von den Kolonien anderer Mächte

 

Hamburg hat mehr als andere europäische Hafenstädte vom Handel mit Afrika, Asien, Südamerika und der Karibik profitiert und ist durch diesen Überseehandel reich geworden. Während die Kolonialmächte wie Spanien und Portugal gewaltige Kosten für die militärische Kontrolle und die Verwaltung ihrer Weltreiche aufwenden mussten, konzentrierten sich die Hamburger Kaufleute auf den lukrativen Handel mit den Kolonialwaren. Sie holten diese begehrten Waren aus spanischen, portugiesischen oder holländischen Häfen, was auch den Vorteil hatte, die Risiken langer Schiffsreisen zu vermindern. In Hamburg wurden die Kolonialwaren zum Teil weiterverarbeitet, zum Teil direkt mit einem kräftigen Aufschlag in Deutschland, Skandinavien und Osteuropa weiterverkauft.

 

Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm der direkte Handel mit Afrika zu. Aber noch in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts fuhr nur ein Schiff pro Jahr an die afrikanische Westküste im Gebiet des heutigen Senegal. Lange Zeit wurden afrikanische Häfen vor allem auf dem Weg nach Indien und Ostasien angelaufen, ohne dass es zu intensiven Handelsbeziehungen kam. Eine Ausnahme bildete der Sklavenhandel, und dieser Handel mit Menschen mit all seinen Begleiterscheinungen zerrüttete die afrikanischen Gesellschaften und ihr Wirtschaftsleben so weitgehend, dass lange Zeit kaum Raum für den internationalen Warenhandel war.

 

Schimmelmann – Ein Finanzgenie erzielt Riesengewinne aus dem Sklavenhandel.

 

lm 18. Jahrhundert und beginnenden 19. Jahrhundert profitierten Hamburg und Altona auf vielfältige Weise vom Sklavenhandel in Afrika und von der Ausbeutung afrikanischer Sklaven auf den Plantagen in Lateinamerika und in der Karibik. Einer der erfolgreichsten Kaufleute in diesen Geschäften war Heinrich Carl Schimmelmann. Von 1757 an dirigierte er vom Gottorper Palais in Hamburg aus ein internationales Handelsimperium und war so erfolgreich, dass der dänische König ihn ein Jahrzehnt später zu seinem Schatzmeister machte. Von seinen Palais in Hamburg und Kopenhagen und seinen Schlössern in Ahrensburg, Wandsbek und Dänemark aus regierte er nun einen auf drei Kontinenten tätigen Konzern.

 

Als Besitzer des Gutes und des Schlosses Wandsbek förderte Schimmelmann dort den Aufbau von Textilbetrieben, die in seinem Auftrag billige Stoffe, sogenanntes „Negertuch“, herstellten. Die Stoffe wurden zusammen mit den in einer eigenen Fabrik in Dänemark hergestellten Gewehren auf eigene oder z. B. von dem Altonaer Reeder van der Smissen gecharterte Schiffe verladen und nach Westafrika gebracht. Dort wurden diese Waren gegen Sklaven getauscht, die von den gleichen Schiffen auf die Karibikinsel St. Thomas gebracht wurden. St. Thomas war damals eine dänische Kolonie, und Schimmelmann besaß hier große Zuckerplantagen, auf denen die Sklaven arbeiten mussten. Die Schiffe brachten den Rohzucker zurück nach Dänemark, wo er in Zuckerfabriken verarbeitet wurde, die Schimmelmann gehörten. Durch den lukrativen Dreieckshandel Europa – Afrika – Karibik – Europa wurde Schimmelmann rasch zu einem der reichsten Männer Nordeuropas.

 

In Afrika ließ Schimmelmann seinen Sklavenhandel von der dänischen Festung Christiansborg im heutigen Ghana aus betreiben. Dänemark gehörte damals zu den größeren Seemächten mit weltweiten Ambitionen. Während aber dem dänischen Staat durch die koloniale Präsenz in Westafrika und der Karibik nur Kosten entstanden, nutzte der Schatzmeister (heute würden wir ihn Finanzminister nennen) Schimmelmann diese Stützpunkte für seine privaten Geschäfte. Hamburger und Altonaer Reeder setzten ihre Schiffe im Auftrag Schimmelmanns in diesem internationalen Geschäft ein und profitierten mit vom Sklavenhandel.

Durch Schimmelmann kamen auch mehrere Afrikaner über den Umweg der Karibik nach Wandsbek. Um seine Plantagenwirtschaft zu fördern, ließ Schimmelmann einige Sklaven in Wandsbek und Ahrensburg zu Handwerkern ausbilden. Außerdem arbeiteten sogenannte „Kammermohren“ auf seinen Schlössern. Damals war es unter den reichen Adelsfamilien in Europa „en vogue“, sich von schwarzen Dienern Kaffee oder Kakao servieren zu lassen.

 

Namentlich bekannt ist der „Kammermohr“ Peter, der im Wandsbeker Schloss arbeitete. Wandsbek gehörte zu Holstein und wurde vom dänischen König regiert, war für die Hamburger also Ausland. Das machten sich Schmuggler und Diebe zunutze, die ihre Aktivitäten vom Dorf Wandsbek aus organisierten. Caroline Tugendreich Schimmelmann, die Frau des Schatzmeisters, fühlte sich deshalb im Schloss nicht sicher, und so wurde Peter dazu abgeordnet, nachts vor ihrer Schlafzimmertür mit einem Dolch Wache zu halten. Für diese verantwortungsvolle Aufgabe erhielt er nur ein Achtel des Gehaltes der deutschen Kammerdiener. Trotzdem ging es ihm natürlich besser als den Sklaven auf den Zuckerplantagen.

 

Die Gegner der Sklaverei – Gewinn und Gewissen

 

Von den Afrikanern, die in Wandsbek lebten, erfuhr der Dichter Matthias Claudius von der Ausbeutung und den Misshandlungen der afrikanischen Sklaven in der Karibik. Obwohl Schimmelmann zu seinen Förderern gehörte, war Claudius so empört, dass er ein Gedicht gegen die Sklaverei schrieb. Das Gedicht „Der Schwarze auf der Zuckerplantage“ mag uns heute sentimental vorkommen, aber die Kritik am Unrecht ist unüberhörbar:

 

Weit von meinem Vaterlande

Muß ich hier verschmachten und vergehn,

Ohn Trost in Müh und Schande

Ohhhh die weißen Männer! Klug und Schön!

 

Und ich hab den Männern ohn Erbarmen

Nichts getan.

Du im Himmel hilf mir armem

Schwarzen Mann!

 

Claudius stand mit seiner Kritik an der Sklaverei nicht allein. Durch die Aufklärung auf der einen und den Pietismus auf der anderen Seite wuchs die Einsicht, dass jeder Mensch Rechte hat und ein Geschöpf Gottes ist. Zu denen, die von den Gedanken der Aufklärung geprägt wurden, genörte Ernst Schimmelmann, der älteste Sohn des Schatzmeisters. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1782 stand er auf einmal an der Spitze eines großen Unternehmens, das auf Sklavenhandel und Sklavenwirtschaft beruhte. Er schrieb „... und ich als Direktoren des Sklavenhandels ernannt! Könnten wir doch, anstatt Unruhe und Verderben in einen Teil der Welt zu bringen, um dadurch nur Habgier, Lug und Trug zu vermehren, uns vereint darum bemühen, dass einmal glücklichere Tage anbrechen! Das wäre eine Aufgabe, die uns würdig wäre.“

 

Ernst Schimmelmann blieb seinen Vorstellungen von einer menschlicheren Welt treu und sorgte dafür, dass Dänemark im Jahre 1792 den Sklavenhandel verbot. Noch vor Frankreich und England. Auch die Sklaverei wurde abgeschafft – und damit die wirtschaftliche Grundlage des Schimmeimannschen Imperiums zerstört. Bei der Frage von Gewinn und Gewissen entschied sich Ernst Schimmelmann entschieden für das Gewissen und hat sich damit einen Ehrenplatz in der Liste derer gesichert, die zum Ende von Sklavenhandel und Sklaverei beitrugen.

 

Von dem Schimmelmannschen Weltreich sind noch einige Spuren im Hamburger Raum zu sehen, vor allem natürlich sein Schloss in Ahrensburg. Das Wandsbeker Schloss wurde Mitte des letzten Jahrhunderts von einem Grundstücksspekulanten abgerissen und der Schlosspark parzelliert. Geblieben sind die Attika des Schlosses (heute im Bezirksamt Wandsbek am Wandsbeker Markt), die Shinxe des Schlossparks (heute über dem Zugang zum Eichtalpark) sowie ein steinerner Löwe neben dem Gemeindehaus der Wandsbeker Christuskirche. Das Mausoleum der Schimmelmanns befindet sich auf dem alten Friedhof neben der Christuskirche, und schräg gegenüber haben Matthias und Rebecca Claudius ihre letzte Ruhe gefunden. Dass der Aufstieg Wandsbeks zu einem kleinen Industrieort nicht zu trennen ist vom Sklavenhandel Schimmelmanns, und dass Hamburger und Altonaer Schiffseigner daran kräftig mitverdienten, ist wenig bekannt. (Nachtrag: Inzwischen ist in Wandsbek das Bewusstsein für die Rolle Schimmelmanns im Sklavenhandel deutlich gewachsen, sodass zum Beispiel eine 2006 aufgestellte Schimmelmann-Büste im Zentrum des Stadtteils nach heftigen Protesten zwei Jahre später auf Beschluss der Bezirksversammlung wieder entfernt wurde, siehe dazu u. a. die Website www.wandsbektransformance.de)

 

Hamburger Sklavenhandel - die heimlichen Geschäfte

 

Schimmelmann war nicht der einzige Hamburger Kaufmann und Reeder, der aktiv am Sklavenhandel beteiligt war, aber je größer der Widerstand gegen den Verkauf von Menschen wurde, desto stärker wurde versucht, diese Geschäfte zu verheimlichen und zu tarnen. In heutigen Festschriften alteingesessener Reedereien wird man vergeblich nach Hinweisen auf eine Beteiligung an diesen Geschäften suchen. Auch der Schifffahrtshistoriker Walter Kresse hat nur wenige Beweise für diese Beteiligung herausfinden können: „Da dieser Zweig der Schifffahrt bis 1837 nicht verboten war, bestand für die Stadt keine Veranlassung, die Beteiligten in irgendeiner Form zu registrieren; und diese selbst haben über ihr Tun natürlich geschwiegen. Es gibt daher nur wenige Belege und Anhaltspunkte dafür, dass sich Hamburger in der Sklavenfahrt betätigt haben.“

Sein Ergebnis der spärlichen Quellen: „Dass zumindest bis 1837 Sklaventransporte auf Hamburger Schiffen durchgeführt worden sind, muss demnach angenommen werden. Offen bleibt die Frage nach dem Umfang der Beteiligung an dieser Fahrt.“ Nachgewiesen ist zum Beispiel die Ankunft des Hamburger Schiffes „De witte Voss“ mit 100 Sklaven aus Westafrika in Buenos Aires im Jahre 1801. Auch eine ganze Reihe von Seeleuten aus Hamburg und Altona waren auf deutschen, dänischen und holländischen Schiffen tätig, die sich an Sklaventransporten beteiligten.

 

Ein unbekanntes Kapitel der Geschichte Hamburgs – die ersten Afrikanerinnen und Afrikaner in der Hansestadt

 

Vieles harrt noch der Entdeckung, etwa die Lebensgeschichte der Frau eines afrikanischen Herrschers, die von einem portugiesischen Sklavenhändler verschleppt wurde. Sie wurde nach einem Schiffbruch von einem englischen Schiff nach London geholt und dann unter falschen Versprechungen nach Hamburg gelockt, wo sie Ende des 18. Jahrhunderts als Prostituierte arbeiten musste. Dem „Mohr“ Franz Georg Husen erging es in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts besser, denn er konnte in Eppendorf eine kleine Gärtnerei betreiben.

 

Es würde sich lohnen, mehr über den „Mohren“ Francis zu erfahren, der mit Unterstützung des Domvikars Kellinghusen die Eppendorfer Küsterschute besuchen konnte und seinem Förderer im Jahre 1800 „unangenehm aufgefallen“ ist – die Köchin des Domvikars erwartete ein Kind von Francis. Auch über das Leben von Antonio Congo, der seine letzte Ruhe in Ottenstein im Kreis Holzminden fand, ist wenig bekannt. Auf seinem Grabstein steht „Hier ruht Antonio Congo, Sohn eines afrikanischen Häuptlings, Namens Ambrosio Congo zu Giumbata in Afrika geboren den 12. Oktober 1811 wurde er, 8 Jahre alt, seinen Aeltern geraubt und als Sklave nach Brasilien gebracht. Hier kaufte ihn der Hamburger Kaufmann Ferdinand Schlüter, ein edler Mann, der ihn mit nach Hamburg nahm und in der christlichen Religion erziehen ließ." Der Grabaufschrift ist weiter zu entnehmen, dass Antonio Congo das Tischlerhandwerk erlernte und auf der Wanderschaft nach Ottenstein kam, wo er an Schwindsucht erkrankte und am 11. Januar 1843 verstarb. War es ein Zufall, dass der frühere Sklave Ottenstein besuchte? Immerhin stammte aus diesem Ort der Sklavenhändler Schomburg, der am Sklavenhandel von Westafrika nach Brasilien beteiligt war. Er stand im Ruf, sich selbst unter den Sklavenhändlern noch durch besondere Grausamkeit hervorzutun. War Antonio Congo auf der Suche nach seinem Peiniger?

 

Mission – eine Sache, die sich für Kaufleute nicht rechnet und doch Freunde findet

 

Der Sklavenhandel stieß in Kreisen der Aufklärer und auch in kirchlichen Kreisen vom Ende des 18. Jahrhunderts an auf immer mehr Ablehnung und Widerstand. Die Beschäftigung mit dem Sklavenhandel trug dazu bei, in den Kirchen die Frage des christlichen Zeugnisses und der Verkündigung des Evangeliums in der Welt neu ins Gespräch zu bringen. Die Kaufmannsstadt Hamburg war allerdings für die Missionsbewegung ein schwieriges Feld. Die Kaufleute interessierte all das, was sich rechnete, und die Mission rechnete sich nicht. So blieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zahl derer klein, die die Missionsgesellschaften in Halle, Basel und Wuppertal unterstützten. Eine ganze Reihe von Missionaren reisten über Hamburg nach Übersee und hatten Kontakt zur lokalen Kirche, aber ein missionarischer Aufbruch ging davon nicht aus. Immerhin wurde 1821 ein Aufruf zur Gründung eines Missionsvereins veröffentlicht, der auch von bekannten Persönlichkeiten wie Gilbert van der Smissen und Karl Sieveking unterzeichnet war. Die meisten der Unterzeichner waren Laien.

 

1822 nahm der „Evangelische Missionsverein in Hamburg“ seine Arbeit auf. lm Verein arbeiteten Lutheraner, Reformierte, Mennoniten und Mitglieder der Brüdergemeinde zusammen. Aus einem damaligen Bericht geht hervor, dass „die hohen Scheidemauern der Kirchen fallen“ sollten. Dies ist ein frühes Beispiel dafür, wie die ökumenische Bewegung aus der Missionsbewegung heraus entstanden ist. Es muss allerdings gesagt werden, dass sich in späteren Jahren manche lutherischen Mitglieder aus dem ökumenischen Verein zurückzogen und lutherische Missionsvereine gründeten, aber immerhin blieb der Verein seinem Ideal des gemeinsamen missionarischen Engagements über alle konfessionellen Grenzen hinweg treu.

 

Die lutherischen Mitglieder des Vereins vertraten das ganze Spektrum theologischer Positionen, die damals in der Kirche in Hamburg und Altona in Konflikt miteinander standen. Auch bildeten sich in verschiedenen Orten in der Nähe Hamburgs Hilfsvereine des „Evangelischen Missionsvereins", z. B. in Sahms, wo der Verein auf Initiative von Johannes Claudius entstand, eines Sohnes von Matthias Claudius.

 

Der Verein lud regelmäßig zu Missionsstunden ein und sammelte Geld für die Arbeit verschiedener Missionsgesellschaften und Ausbildungsstätten für Missionare, wobei Einrichtungen unterschiedlicher Konfessionen gleichermaßen bedacht wurden. Der Verein entsandte keine eigenen Missionare nach Übersee, vermittelte und unterstützte aber die Ausbildung junger Leute, die in die Mission gehen wollten. Als erster wurde der Schulgehilfe H. H. Wulff zur Ausbildung nach Basel geschickt. Er reiste 1827 als Missionar der Basler Mission nach Liberia aus. Er starb bereits ein Jahr später an einer der vielen tropischen Krankheiten, die damals noch nicht behandelt werden konnten. Ein weiterer Missionar aus Hamburg ging 1833 als einer der ersten Mitarbeiter der Berliner Missionsgesellschaft nach Südafrika, und ein anderer Hamburger Missionar wurde bald darauf zum ersten Superintendenten der Berliner Missionsarbeit in Südafrika.

 

1836 war der Missionsverein an der Gründung der „Norddeutschen Missionsgesellschaft“ beteiligt. Die Gründungsversammlung fand im Nikolai-Kirchsaal statt. Die Missionsgesellschaft hatte Trägervereine in verschiedenen Orten Norddeutschlands und konnte bereits im folgenden Jahr ein Missionsseminar eröffneten. Die ersten ausgebildeten Missionare reisten nach Neuseeland aus, weitere Missionare gingen nach Ostindien. 1847 wurden die ersten vier Missionare nach Westafrika entsandt. Drei von ihnen starben innerhalb von fünf Monaten. Dem vierten Missionar, Lorenz Wolf, gelang es, unter dem Volk der Ewe eine Missionsarbeit zu beginnen, die Bestand hatte. Als Lorenz Wolf einige Jahre später geschwächt aus Westafrika zurückkehrte, erlag er noch im Hamburger Hafen einer tropischen Krankheit.

 

Die Arbeit in Westafrika überdauerte auch die Konflikte innerhalb der „Norddeutschen Missionsgesellschaft“, bei denen es um konfessionelle Fragen, um Geld und um persönliche Konflikte ging. Zahlreiche Förderer der Gesellschaft zogen sich zurück, und die Arbeit kam zum Erliegen. 1851 wurde die Gesellschaft neu in Bremen gegründet. Sie besteht heute in Gestalt des regionalen Missionswerkes „Norddeutsche Mission" fort, die Beziehungen zu Kirchen in Ghana und Togo unterhält, Kirchen, die aus der Missionsarbeit entstanden sind, die vor eineinhalb Jahrhunderten in Hamburg begann.

 

In Hamburg selbst bildeten sich weitere Missionsvereine, die die Missionsarbeit verschiedener deutscher Missionsgesellschaften unterstützten. (Es sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass die drei Hanseatischen Landeskirchen Bremen, Hamburg und Lübeck 1927 die Stelle eines Missionsdirektors mit Dienstsitz in Hamburg schufen, die missionarische Arbeit in Übersee also stärker zur Sache der ganzen Kirche machten.)

 

Die Geschäfte stehen im Vordergrund

 

Die Beziehungen zu Afrika blieben zunächst vor allem Wirtschaftsbeziehungen. Nach dem Verbot und der weitgehenden Beendigung des Sklavenhandels wurde ein intensiver Handelsaustausch mit der afrikanischen Küste aufgenommen, an dem sich auch Hamburger Kaufleute mit ihren Schiffen beteiligten. Es war ein sehr ungleicher Handel, denn nur die europäischen Kaufleute verfügten über Schiffe, und nur sie und ihre Regierungen verfügten über eine große Zahl von Kanonen, mit denen sich die eigenen Interessen im Streitfall durchsetzen ließen.

 

In Afrika wurde ein großes Interesse an europäischen Waren wie Brandwein, Waffen, Baumwollstoffen und anderen Waren geweckt, die gegen Gold, Elfenbein, Palmöl und andere tropische Waren getauscht wurden. Die europäischen Händler handelten von gut geschützten Forts an der Küste oder direkt von ihren Schiffen aus mit afrikanischen Zwischenhändlern. Auch einzelne Hamburger Schiffseigner gingen die Risiken des Westafrikahandels ein. Neben Konflikten mit den afrikanischen Aufkäufern, tropischen Krankheiten und dem schwierigen Navigieren in unbekannten Gewässern mussten die Seeleute und Kapitäne auch mit Angriffen von Piraten oder feindlich gesinnten Mächten rechnen. Jede Begegnung mit einem fremden Schiff konnte mit der Kaperung oder Versenkung enden.

 

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts waren am Hamburger Afrikahandel nur einige wenige Schiffe beteiligt, die oft auch am illegal gewordenen Sklavenhandel nach Lateinamerika verdienten. Es gab abenteuerlustige Hamburger Schiffer, die mit ihrem Segelschiff die Weltmeere befuhren und überall dort Geschäfte betrieben, wo es sich gerade anbot. Aber die reichen Kaufleute hatten längst erkannt, dass ihr Platz nicht auf den schwankenden Decks der Segler war, sondern in gediegenen Kontoren, von wo aus sie ihre weltweiten Handelsaktivitäten planten und koordinierten. Die Abwicklung des Handels an der afrikanischen Küste überließen sie erfahrenen Kapitänen. Um eigene Erfahrungen im internationalen Handel zu sammeln, wurden die Söhne der Kaufleute für einige Jahre zu einer der Niederlassungen der Firmen entsandt, wobei sie selten nach Afrika kamen. Denn hier waren die Risiken groß, an einer der vielen tropischen Krankheiten zu sterben.

 

Die cleveren Geschäfte mit den Kaurimuscheln

 

Der erste Kaufmann und Reeder, der systematisch den Handel zwischen Hamburg und Westafrika aufbaute, war Adolph Jacob Hertz. Der Kaufmann hatte erfahren, dass in Westafrika die Kaurimuschel als Zahlungsmittel verwendet wurde. Diese Muscheln gab es auch auf den Malediven, und so schickte Hertz von 1844 an seine Schiffe in den Indischen Ozean, um von dort Muscheln zu holen und diese in Westafrika gegen Kolonialwaren wie Palmöl einzutauschen. Auch auf Sansibar gab es Kaurimuscheln, die zwar größer als die westafrikanischen Muscheln waren und dort nur mit einem Abschlag als Zahlungsmittel anerkannt waren, aber da Hertz die Muscheln auf Sansibar sehr billig kaufen konnte, blieb immer noch ein großer Gewinn. Bis etwa 1870 wurde dieser Kaurihandel betrieben und brachte Hertz und anderen Hamburger Handelshäusern große Gewinne.

 

Hertz eröffnete auf Sansibar eine eigene Niederlassung und über Jahrzehnte waren jeweils mehrere Schiffe zwischen Sansibar, Westafrika und Hamburg unterwegs. Als der Kaurihandel zurückging, nahm der Import von Waren wie Kaffee, Elfenbein und Tropenholz von der ostafrikanischen Küste über Sansibar zu. Neben Hertz wurde auch das Handelshaus O'Swald im Afrikahandel tätig und beteiligte sich am Geschäft mit den Kaurimuscheln und anderen Sparten des Geschäftes. Außerdem schickte die Firma O'Swald Schiffe nach Brasilien, um dort billig Tabak und Rum zu kaufen, die dann in Westafrika gegen Palmöl getauscht wurden. Die europäische Vorherrschaft auf den Weltmeeren ermöglichte es also auch Hamburger Kaufleuten, den Handel mit Afrika zu kontrollieren und nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten.

 

Die hohen Gewinne veranlassten weitere Hamburger Kaufleute, ihre Schiffe nach Afrika zu senden, aber eigene Niederlassungen an der Küste und große Erfahrungen ermöglichten es Handelshäusern wie O'Swald, den Handel Afrika – Hamburg unter Kontrolle zu behalten. In Ostafrika eröffneten mehrere Hamburger Handelshäuser Niederlassungen und holten von hier u. a. Gewürze in die Hansestadt. lm Westafrikahandel gewann der Import von Palmkernen für die Ölmühlen in Hamburg und Harburg an Bedeutung. lm Austausch wurden weiterhin Glasperlen, Tabak, Rum und Waffen geliefert. Während in Hamburg ein ganzer Industriezweig zur Verarbeitung der wertvollen Importe entstand, erhielten die Menschen in Westafrika nur einige billige Konsumartikel sowie Waffen. Es überrascht nicht, dass die afrikanische Wirtschaft noch weiter geschwächt wurde, während in Hamburg und Umgebung die Handelshäuser Reichtum ansammelten und die Industrie aufblühte.

 

Die „Mohrentaufe“ im Michel

 

Die intensiven Handelsbeziehungen Hamburgs führten dazu, dass auf den Schiffen Menschen aus Afrika in die Hansestadt kamen. Einer von ihnen war Charles Ferdinand James Bachu. Unter diesem Namen wird der damals 13jährige Junge im Taufbuch der St. Michaeliskirche im Jahre 1855 aufgeführt. Er stammte aus Kamerun und war auf die Insel Fernando Poo vor der westafrikanischen Küste verkauft worden. Diese Insel war Teil des spanischen Kolonialreiches und ein Zentrum des Sklavenhandels und des Handels mit Kolonialwaren. Ein englischer Seemann hatte Mitleid mit dem kleinen Jungen und versteckte ihn auf seinem Schiff.

 

Auf hoher See gestand er dies dem Kapitän, und vielleicht auch, weil Weihnachten war, akzeptierte der Kapitän den Mitreisenden und war bereit, ihn mit nach Europa zu nehmen. lm westafrikanischen Hafen Callao begegnete der Kapitän des englischen Schiffes einem Hamburger Kapitän, der zu wenig Besatzung für sein Schiff hatte und den afrikanischen Jungen gern als Schiffsjunge an Bord nahm. Dieses Schiff strandete bei den Kapverdischen Inseln. Zum Gluck konnte die Besatzung von einem englischen Schiff gerettet werden und der Junge gelangte über London nach Hamburg.

 

Hier wurde der Junge aus Afrika von einem Pumpenmacher in die Lehre genommen, und einem zeitgenössischen Zeitungsbericht ist zu entnehmen, dass er „große Lust und ungewöhnliche Geschicklichkeit“ entwickelte. Der Junge erhielt auch Schulunterricht, und bald stellte sich die Frage der Taufe. Sein Lehrmeister plädierte für eine Taufe im Michel, weil dies auf den Jungen einen besonders tiefen Eindruck machen würde.

Von anderen Taufen von Afrikanern wusste der Meister, dass eine solche „Mohrentaufe“ – die erste fand bereits 1651 in der Katharinenkirche statt – immer eine große Zahl von Menschen anlockte. Auch bei der Taufe des Jungen aus Kamerun standen die Menschen dicht gedrängt in der Kirche, und viele hatten Geschenke für den Täufling mitgebracht. Die Geldgeschenke wurden auf einem Sparbuch angelegt. Dann verliert sich leider die Spur des Lebens des Flüchtlings aus Afrika.

 

Hier soll eingeschoben werden, dass der Hamburger Schriftsteller Hans Leip im 20. Jahrhundert eine Geschichte über einen Jungen aus Fernando Poo geschrieben hat, die von ganzen Generationen von Schulkindern im Hamburger Raum gelesen wurde. Das Buch heißt „Der Nigger auf Scharhörn2 und stellt aus der Sicht eines Jungen auf der Hamburger Insel Neuwerk dar, wie er Freundschaft mit einem afrikanischen Schiffsjungen schließt, der als Einziger einen Schiffsuntergang vor Scharhörn überlebt hat. Zunächst wurde überlegt, ob der gestrandete Junge als schwarzer Boy an einen Hamburger Überseekaufmann vermittelt werden sollte, aber dann entscheidet man sich, dass er erst einmal auf der Insel bleiben sollte. Die beiden Jungen erleben spannende Abenteuer auf Neuwerk und auf hoher See, aber die schönen Tage gehen zu Ende. Der afrikanische Junge kehrt auf seine Heimatinsel zurück und wird dort Häuptling, und sein deutscher Freund wird zum Hamburger Kaufmann ausgebildet.

 

Die Geschichte sagt viel über die Faszination des Fremden und zugleich die große Kluft zwischen den Kulturen aus. Hier nur zwei Sätze aus dem Buch. Über das erste gemeinsame Essen heißt es: „Kubi hatte sich über die Maßen und zu aller Erstaunen sehr gesittet betragen.“ Und das Entern eines verlassenen Geisterschiffes beschreibt der deutsche Freund so: „Wie ein Affe klomm er (Kubi) dann empor, schwang sich über die Galerie, sah herunter und winkte mir, und seine Zähne und Augäpfel blitzten grausig zu mir nieder.“ Das Buch bringt das Erwachsenwerden des deutschen Jungen und seinen Umgang mit dem Fremden und Unbekannten in Beziehung zur Begegnung mit dem afrikanischen Jungen. Es ist kein rassistisches Machwerk, sondern es lädt dazu ein, den eigenen Umgang mit dem Fremden und Unbekannten und die Begegnung mit fremden Menschen in Beziehung zu setzen.

 

Woermann – eine Geschichte von wirtschaftlichem Aufstieg und vom Schnaps

 

Zurück ins 19. Jahrhundert und zu einem der wichtigsten Hamburger Überseekaufleute in Westafrika, Carl Woermann. Er gründete 1837 im Alter von erst 24 Jahren ein Überseehandelsunternehmen in Hamburg und unterhielt von 1854 an eine Niederlassung in Liberia. Von hier aus baute er systematisch Handelsbeziehungen bis nach Kamerun und Gabun auf. Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts waren bereits fünf Woermann-Schiffe ständig zwischen Hamburg und Westafrika unterwegs. Weitere kleinere Schiffe übernahmen die Fahrt entlang der afrikanischen Küste und kauften dort die Waren auf, die dann von den Niederlassungen aus nach Hamburg verschifft wurden. Woermann entsandte in Kamerun und Gabun eigene Händler ins Hinterland, um nicht länger auf die afrikanischen Zwischenhändler angewiesen zu sein. In Kamerun kaufte das Handelshaus im großen Stil Palmöl, Palmkerne und Elfenbein auf und hatte bald ein Viertel aller Ausfuhren des Landes unter seiner Kontrolle.

 

Aber auch in Gabun war das Unternehmen mit über dreißig Faktoreien vertreten. Von 1880 an setzte das Unternehmen Dampfer für die Westafrikafahrt ein, sodass es nun möglich wurde, den Linienverkehr mit festen Abfahrtzeiten einzuführen. Bis 1914 vergrößerte sich die Dampferflotte Woermanns auf 42 Schiffe.

Der Überseekaufmann Adolph Woermann, Sohn des Firmengründers, beteiligte sich aktiv daran, dass das Deutsche Reich in Afrika seine Flagge hisste und Kolonien eroberte. Adolph Woermann leitete ein großes Handelshaus und eine bedeutende Reederei, saß als Abgeordneter im Reichstag und wurde zum Präses der Handelskammer gewählt. Um seine Vorstellungen zu verbreiten, gründete Woermann eine Zeitschrift, die „Afrika-Post“.

 

Woermann verstand es, seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren, als das Deutsche Reich 1883 begann, eine aktive Kolonisierungspolitik zu betreiben. Er war nämlich zum Ergebnis gekommen, dass es nicht im Interesse seines Unternehmens lag, die Erschließung Kameruns für seine Handels- und Plantagenpläne allein zu finanzieren. Deshalb schrieb er einem seiner leitenden Mitarbeiter in Kamerun: „Es scheint mir, die Erwerbung des Cameroonsgebietes hat uns schon ziemliche Opfer gekostet, und möchte ich vorläufig auch nach dieser Richtung hin keine weiteren Ausgaben machen. Wir dürfen bei allen patriotischen Gesinnungen niemals die Priorität des Geschäftes außer Augen lassen.“

 

Deshalb bot die Entsendung eines Reichskommissars zur Vorbereitung der deutschen Kolonialexpansion in Westafrika die Chance, das Deutsche Reich für Kamerun zu interessieren. Also wandte sich die Hamburger Handelskammer ganz offiziell an das Auswärtige Amt, um es für das Gebiet von Kamerun zu interessieren und den deutschen Konsul Emil Schulze in Kamerun als Experten zu empfehlen, der unbedingt konsultiert werden sollte. Jener Emil Schulze war nicht nur Konsul, sondern leitete auch als Angestellter Woermanns dessen gesamte Westafrika-Aktivitäten. Es konnte nicht verwundern, dass Kamerun dann tatsächlich zu einer der ersten deutschen Kolonien wurde. Knapp vor den britischen Vertretern gelang es den Deutschen 1884, sogenannte „Schutzverträge“ mit lokalen Herrschern in Kamerun abzuschließen und die deutsche Fahne in diesem Teil Afrikas zu hissen.

 

Woermann unterstützte diese Inbesitznahme nach Kräften, aber kaum war die Fahne gehisst, kam es zu ersten Spannungen. Die Reichsregierung hatte gehofft, dass die Hamburger Handelshäuser mit Woermann an der Spitze die Verwaltung der Kolonie in die Hand nehmen würden, aber die hatten keinerlei Interesse an Verwaltungskosten, sondern hatten die deutsche Kolonisierung ja gerade vorangetrieben, damit solche Kosten vom Staat übernommen würden. Die Reichsregierung beugte sich und zahlte, während Woermann als Reichstagsabgeordneter ein um so treuerer Verfechter der Kolonialpolitik wurde. Die Verkehrserschließung Kameruns eröffnete die Möglichkeit, in großem Stil Plantagen zu errichten, und Kaufleute wie Woermann und Johannes Thormählen ließen große Kakaoplantagen entstehen.

 

Dass die Firma Woermann in große Mengen Schnaps aus Deutschland nach Kamerun einführte und dort den Alkoholkonsum förderte, wurde von den Missionsgesellschaften heftig kritisiert, und die Branntweinfrage wurde selbst im Reichstag debattiert. Woermann verteidigte den Schnapshandel mit den vielen Arbeitsplätzen, die dadurch in Deutschland entstehen würden. Der Schnapshandel musste unter dem öffentlichen Druck eingeschränkt werden, und der Ruf der „ehrbaren“ Kolonialkaufleute hatte sich nachhaltig verschlechtert.

Die Handels- und Reedereiinteressen Woermanns wurden auf Südwestafrika und Ostafrika ausgedehnt. So wurden 1904/5 die deutschen Truppen, die den Aufstand der Herero niederschlagen sollten, auf Woermann-Schiffen transportiert. Für Woermann wurde dieses Unternehmen zu einem Fiasko, denn es wurde ihm in der Presse des ganzen Reiches vorgeworfen, sein Schifffahrsmonopol für überhöhte Transportpreise missbraucht zu haben. Er stand als „Kriegsgewinnler“ da und wurde von der Reichsregierung fallen gelassen. Krank und verbittert zog er sich aus der Firma zurück.

 

Eine Reederei speziell für den Afrikahandel

 

Mit dem Namen Woermann ist auch mit der Gründung der heutigen „Deutschen Afrika-Linien“ verbunden. Adolph Woermann trennte 1885 das Handels- und das Reedereigeschäft des Familienunternehmens. Als neue Reederei entstand die „Afrikanische-Dampfschiffs-Actiengesellschaft (Woermann-Linie)“, an der sich auch andere Hamburger Reeder und Bankiers beteiligten. 1890 wurde eine weitere Reederei in Hamburg gegründet, die „Deutsche Ost-Afrika-Linie“ (DOAL), die mit staatlichen Subventionen den Schiffsverkehr zum deutschen Kolonialgebiet in Ostafrika und an der ostafrikanischen Küste aufbauen sollte. Namen wie Afrikakai und Windhukkai im Hamburger Hafen erinnern an den intensiven Afrikaschiffsverkehr am Anfang unseres Jahrhunderts. 1907 kam es dann zu einer engen Kooperation von Woermann-Linie, DOAL und HAPAG, die gemeinsam ein dichtes Netz von Schifffahrtslinien in zahlreiche afrikanische Häfen anbieten konnten. 1914 verfügten Woermann-Linie und DOAL zusammen über 72 Dampfer, die bis auf ein kleines Schiff versenkt oder nach dem Krieg von den Alliierten beschlagnahmt wurden.

 

Nach dem Krieg blieben die beiden Unternehmen juristisch selbstständig,

arbeiteten aber sehr eng zusammen. 1934 schließen sich beide Reedereien mit einer dritten Reederei zu den ,,Deutschen Afrika-Linien" (DAL) zusammen. Die neue Reederei verfügte über 19 Schiffe, eine Zahl, die sich bis Kriegsausbruch auf 27 erhöhte. Nach dem Krieg übernahm der Reeder John T. Essberger den Wiederaufbau der DAL, der dann von 1959 an von seiner Tochter Liselotte von Flantzau-Essberger fortgesetzt wurde.

 

Forscher und Kaufleute – Afrika wird ,,entdeckt"

 

Andere Hamburger Handelshäuser bauten Niederlassungen in Dahome (heute Benin), Nigeria und anderen westafrikanischen Ländern auf. Außer in Togo und Kamerun führte dies aber nicht zum Erwerb deutscher Kolonien, weil diese Regionen Afrikas bereits zum Einflussbereich anderer europäischer Kolonialmächte gehörten bzw. gerade von diesen zu Kolonien gemacht wurden. Gefördert von den Handelshäusern beteiligten sich Hamburger Forscher an der Erkundung Afrikas. Besonders bekannt geworden ist Dr. Heinrich Barth, der 1849 als erster Europäer das Innere Kameruns beieiste. A. Overweg konnte sich zusammen mit Barth an der großen britischen Sudan-Expedition beteiligen, die in Tripolis in Libyen quer durch die Sahara bis nach Timbuktu führte. Hamburger Handelshäuser unterstützten insgesamt mehr als ein halbes Dutzend Forschungsreisen ins Innere Afrikas. So reiste der Afrikaforscher E. R. Fleget im Auftrag des Handelshauses Gaiser & Witt ins Innere Westafrikas und „entdeckte“ den Benue, den größten Nebenfluss des Nigers.

 

Zu den bekannteren Forschern gehörte Dr. Albrecht Roscher, der 1836 in Ottensen geboren wurde. Er beschloss schon als Schüler des Johanneums, als Forscher nach Afrika zu gehen und bereitete sich durch ein Studium mehrerer Fächer systematisch darauf vor. 1858 reiste er mit finanzieller Unterstützung von bedeutenden Persönlichkeiten wie Heinrich Barth auf einem Schiff der Reederei Hertz nach Sansibar, wo er im Haus der Reeder- und Kaufmannsfamilie O'Swald wohnen konnte. lm folgenden Jahr führte er mit bescheidenen Mitteln eine Forschungsreise entlang der ostafrikanischen Küste durch, bei der er 1.000 Kilometer zu Fuß zurücklegte.

 

Noch im gleichen Jahr brach et zu einer Forschungsreise ins Innere Afrikas auf, bei der er den Nyassasee erreichte. Auf dem Rückweg wurde er in der Nacht vom 19. zum 20. März 1860 überfallen und ermordet. Es wird vermutet, dass er von Sklavenhändlern getötet wurde, die verhindern wollten, dass Roscher Informationen über ihre Aktivitäten weitergeben konnte. Die Hamburger Afrikaforschung verlor so einen ihrer vielversprechendsten jungen Wissenschaftler.

 

Ein Jahrhundert später setzte sich 1992 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei einem Besuch auf Sansibar für einen rinatt des Roscher-Hauses ein, des Hauses, in dem der Hamburger Afrikaforscher bei seinem Aufenthalt auf der Insel gewohnt hatte. (Nachtrag: 2014 besuchte Matthias Gretzschel, Redakteur des „Hamburger Abendblatts“, Sansibar und fand dort an der Fassade des früheren Hauses des Handelsunternehmens O'Swald ein Schild, das auf Swahili, Englisch und Deutsch an die historischen Handelsbeziehungen zwischen Hamburg und Sansibar erinnert und ebenso an den Afrikaforscher: „Der deutsche Forschungsreisende Albrecht Roscher war hier in den Jahren 1858 und 1859 zu Gast. Er erkundete von Sansibar aus die Bucht von Daressalam und das Landesinnere.“)

 

1882 bereiste der Arzt G. A. Fischer im Auftrag der „Geographischen Gesellschaft in Hamburg“ das Massaigebiet in Ostafrika, eine Reise, die nicht nur wissenschaftlichen Zwecken diente, sondern auch die Schaffung des deutschen Kolonialgebietes in Ostafrika mit vorbereitete. Mehrere zurückgekehrte Afrikaforscher wurden zu wichtigen Förderern des kolonialen Gedankens in Hamburg.

 

Verbündet mit dem Sultan von Sansibar

 

In Ostafrika kam es zu Konflikten zwischen verschiedenen Kolonialmächten und ihren Handelshäusern, welche Fahne wo gehisst werden durfte. Sansibar nahm eine wichtige Rolle als bedeutendster Hafen und lokaler Sitz Hamburger Unternehmen ein, vor allem aufgrund eines Handelsvertrages zwischen dem Sultan von Sansibar und den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck im Jahre 1859. Hamburger unternehmen wie Hänsing & Co. und O'Swäld unterhielten gute Beziehungen zum Sultan von Sansibar, denn sie schufen so die Grundlage für ihre Präsenz auf der Insel und ihrer lukrativen Geschäfte.

 

Entsprechend ablehnend standen sie zunächst Plänen von Carl Peters und anderer Kolonialenthusiasten gegenüber, die ostafrikanische Küste unter deutsche Kontrolle zu bringen. Das musste notwendigerweise zu Konflikten mit dem Sultan führen, der diese Küste für sich beanspruchte. Während Hansing eine eventuelle Kolonisierung nur im Einvernehmen mit dem Sultan von Sansibar betreiben wollte, strebten andere eine Einbeziehung Sansibars in die deutsche Kolonie an, also die Unterwerfung des Sultans. Über die Aktivitäten von Carl Peters heißt es in einem Bericht der Firma O'Swald aus dem Jahre 1885: „Die Pioniere des deutschen Handels sind vollständig ignoriert, und man hat gehandelt, ohne zu berücksichtigen, dass durch solches Vorgehen bestimmte Interessen geschädigt würden, um einer problematischen und mehr als noch sehr zweifelhaften Zukunft ein Bett zu machen.“ Die Kaufleute konnten die Inbesitznahme Tanganjikas dennoch nicht verhindern. Vor allem im Blick auf die zu erwartenden Konflikte mit Großbritannien lehnte Bismarck eine Annexion Sansibars allerdings ab.

 

Eine Prinzessin von Sansibar kommt nach Hamburg

 

Der Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete war Prokurist der Firma Hansing & Co. auf Sansibar. Die engen Handelsbeziehungen zwischen Hamburg und Sansibar bilden den Hintergrund für eine spannende Familiengeschichte: die Ehe zwischen der sansibarischen Prinzessin Salme und dem Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete. Salme, eine von 38 Kindern des Sultans von Sansibar und Oman, wuchs in der Welt des Harems und der arabisch geprägten Kultur an der ostafrikanischen Küste auf.

 

Das behütete und in vieler Hinsicht freie Leben gab sie 1866 auf, um auf abenteuerlichem Wege mit ihrem zukünftigen Ehemann nach Hamburg zu fliehen. Das Leben in der hanseatischen Oberschicht mit vielen Konventionen und Einschränkungen für Frauen machte ihr nachträglich noch deutlicher, wie viel Freiheit und Selbstständigkeit sie auf Sansibar genossen hatte. Die Situation wurde noch schwieriger, als ihr Mann nach wenigen Jahren starb und sie und die drei Kinder unter die Kuratel von zwei Vormündern gestellt wurden, die zudem noch dafür verantwortlich waren, dass ein großer Teil des Vermögens verloren ging.

 

Die Witwe verließ Hamburg und wohnte in anderen deutschen Städten. Dann versuchte sie vergeblich, von der sansibarischen Sultansfamilie wieder aufgenommen zu werden. Bei diesem Versuch geriet sie mitten hinein in die Großmachtpolitik, denn das Deutsche Reich erwog kurz, sich zum Sachverwalter der Interessen der Prinzessin zu machen und dies zum Anlass zu nehmen, Sansibar unter deutsche Kontrolle zu bringen.

 

Aber Bismarck einigte sich mit Großbritannien, dass Deutschland Sansibar den Briten überließ und dafür Helgoland erhielt. Die sansibarische Prinzessin wurde von Kaiser Wilhelm l. mit 5.000 Mark unterstützt und verlor angesichts der neuen politischen Konstellation endgültig die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren.

Angesichts der vielen Vorurteile, mit denen sie in den Hamburger Kaufmannsfamilien im Blick auf das Leben im Orient begegnet war, schrieb Emily Ruete 1886 das Buch „Leben im Sultanspalast“, in dem sie ihre Kindheit und Jugend auf Sansibar sehr anschaulich beschrieben hat. Es wurde zu einem großen Verkaufserfolg und ist vor einigen Jahren neu aufgelegt worden. So hat sie wenigstens literarisch eine Brücke zwischen Sansibar und Hamburg geschlagen. Über sich selbst schrieb sie in einem Brief: „... ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Muhamedanerin und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche." (Nachtrag: Heute erinnert ein Raum im Palastmuseum von Sansibar an Prinzessin Salme und ihren Lebensweg.)

 

Ohne Enthusiasmus, aber kühl rechnend – Hamburger Kaufleute und der deutsche Kolonialismus

 

Die Frage, ob Deutschland Kolonien erwerben sollte, war in Hamburg über Jahrzehnte eine heftig diskutierte Frage. Während die einen befürchteten, Deutschland werde bei der Aufteilung des Südens der Welt in Kolonien zu kurz kommen, verwiesen die anderen auf die höhen Kosten der Eroberung und Verwaltung von Kolonien. Es war dann die große Zahl deutscher Auswanderer, die Mitte des letzten Jahrhunderts dem Gedanken an deutsche Kolonien Auftrieb gab. Es sollten deutsche Siedlerkolonien entstehen, die dann auch eine wirtschaftliche Brücke in ferne Länder bilden könnten. Deshalb entstand unter Beteiligung führender Kaufleute der Stadt der „Colonisations-Verein von 1849“ in Hamburg. Wegen der ungünstigen klimatischen Verhältnisse erschien Afrika für die Bildung von Siedlerkolonien nicht geeignet, so erwarb man zunächst in Südbrasilien Land. Dieser Kolonisationsversuch blieb in den Anfängen stecken und bestätigte die Vorbehalte der Gegner der Kolonialpläne.

 

Nach dem deutschen Sieg gegen Frankreich im Jahre 1871 gab es in Deutschlandpläne, französische Kolonien unter deutsche Kontrolle zu bringen. Dabei wurde u. a. an die Insel Fl6union östlich von Madagaskar gedacht, wo deutsche Schiffe auf dem Weg nach Asien versorgt werden sollten. Aber die meisten Hamburger Überseekaufleute und die Hamburger Handelskammer standen solchen Kolonisierungsplänen weiterhin ablehnend gegenüber und propagierten den Gedanken des Freihandels. Auch fürchteten sie, dass eine aggressive deutsche Kolonialpolitik die guten Beziehungen der Handelshäuser zu andern europäischen Mächten und zu lokalen Herrschern gefährden könnten.

 

Das Bild wandelte sich allmählich, als die Hamburger Kaufleute einerseits auf eine verstärkte Schutzzollpolitik und die Begünstigung der jeweils eigenen Unternehmen durch andere Kolonialmächte stießen. Vor allem die Handelshäuser mit Plantagen und Faktoreien in Afrika erkannten, wie zweckmäßig es sein würde, die Kosten eigener Handelsstützpunkte dadurch zu senken, dass das Deutsche Reich mit Steuermitteln viele Aufgaben finanzierte. Bei der Frage Pro und Contra des Erwerbs deutscher Kolonien ging es für die Hamburger Kaufleute nicht um moralische Überlegungen, sondern um die Frage, was den eigenen Handelsinteressen am besten dienen würde.

 

Gegen Ende des Jahrhunderts gewannen außerdem deutsch-nationale Gedanken an Gewicht in der Kolonialdebatte. Das Deutsche Reiche sollte bei der Aufteilung der Welt nicht zu kurz kommen und Flagge zeigen, ja die Flagge hissen, und sei es im fernen Samoa. Diese Kolonialbegeisterung wurde von jenen Hamburger Handelshäusern kräftig gefördert, deren Interessen durch die offizielle Annexion von Kolonien gut geeignet sein würden, so das Handelshaus Woermann.

Zu den wichtigen Förderern des Kolonialgedankens gehörte der Hamburger Kaufmann Wilhelm Hübbe-Schleiden, der in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eine kleine Handelsniederlassung in Gabun betrieben hatte und anschließend ausführlich in diversen Publikationen darstellte, wie die deutschen Handelsinteressen durch eine Kolonisierung gewahrt werden könnten. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des „Deutschen Kolonialvereins“. Ganz im Sinne der Handelshäuser trat er für deren ungehinderte Betätigung in einer solchen Kolonie in Westafrika ein: „Ich meine, es muss dabei von vorne herein so wenig wie möglich regiert und der privaten Bethätigung so viel als möglich Spielraum gegönnt werden.“

 

Der Hafen- und Handelsmetropole Hamburg kam eine wichtige Stellung in der Debatte um deutsche Kolonien zu, und deshalb appellierten deutsche Kolonialenthusiasten wie der Barmer Missionsdirektor Friedrich Fabri an die Hansestädte: „Die Frage nach deutschen Handels-Colonien ist in erster Linie ein Appell an unsere Hanse-, an unsere Seestädte, an unseren gesammten als intelligent und thätig gewiß nicht mit Unrecht gerühmten Handelsstand. Geht dieser überlegt und energisch vor, dann muss die deutsche Reichsregierung ihm nachfolgen und trotz aller Dementis im ‚Reichs-Anzeiger‘ eine deutsche Colonial-Politik inaugurieren.“ Mit der Kolonialbegeisterung in Hamburg – und übrigens auch in Bremen und Lübeck – hielt es sich durchaus in Grenzen. Von den 3.260 Mitgliedern des „Deutschen Kolonialvereins“ im Jahre 1884 kamen nur 38 aus Hamburg. Darunter waren allerdings einige wichtige Handelshäuser mit Überseeinteressen wie Woermann. Ende der 1880er Jahre fand der Kolonialgedanke auch in Hamburg eine größere Zahl von Anhängern, und 1896 konnte ein Zweigverein des „Kolonialvereins“ gegründet werden.

 

Gegen Eintrittsgeld zu besichtigen: Menschen aus Afrika

 

Eines der buntesten und zugleich düstersten Kapitel der Beziehungen von Afrika und Hamburg waren die sogenannten „Völkerschauen“. Menschen aus Afrika und aus anderen „exotischen“ Teilen der Welt wurden mitsamt ihren Tieren, Hausgeräten, Zelten oder Hütten auf Märkten oder in Hallen zum Bestaunen durch ein großes Publikum ausgestellt, wofür Eintrittsgelder erhoben wurden. Zu den erfolgreichsten Veranstaltern solcher Völkerschauen gehörte Carl Hagenbeck. Er hatte die Idee, die Menschen nicht nur auszustellen, sondern auch Szenen zu inszenieren, zum Beispiel bei einer Äthiopien-Schau in Hagenbecks Tierpark im Jahre 1909. Hier eine Szenenbeschreibung: „Der Überfall; Erscheinen der Kundschafter; Beschleichen und töten des Wächters; Raub der Tiere; Alarm; Abwehr und Bedrängnis; Hilfe durch Reiter, die von Gondor herab kommen; Kampf und Rückzug der Räuber, mit Hinterlassung von Toten und Verwundeten, die durch Durchschneiden des Halses getötet werden; Siegestanz der Habre Awal; unter wildem Uh-hu-hu wird das Halsabschneiden markiert, die Speere in die Luft geworfen und wieder aufgefangen."

 

Hagenbeck bemühte sich darum, die angeworbenen Menschen aus anderen Teilen der Welt möglichst freundlich aufzunehmen und menschlich zu behandeln, aber es blieb natürlich der Kulturschock und das Angestarrtwerden durch große Menschenmassen. Es lässt sich sagen, dass die Völkerschauen das Interesse an fernen Ländern und an deutschen Kolonien weckten und förderten. So holte Hagenbeck zwei Jahre nach der Berliner Konferenz zur Aufteilung Afrikas eine große Kamerun-Truppe nach Deutschland. Die Schau ermöglichte es den Deutschen, „Eingeborene“ aus der neu in Besitz genommenen Kolonie in Westafrika zu bestaunen. Selbstverständlich wurden nicht Angehörige der gebildeten Schichten dieser Kolonien geholt, sondern Menschen, die „exotisch“ aussahen und die geradezu auf die deutsche Zivilisation zu warten schienen. Gelegentlich und eher am Rande kam es dann doch zu Begegnungen zwischen den ausgestellten Menschen und der einheimischen Bevölkerung.

 

Carl Hagenbeck schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „Besonders sind mir die Somalis noch in lebhafter Erinnerung, die Josef Menges unter ihrem Häuptling Hersy Egeh 1895 aus Abessinien mitbrachte. Waschkörbe voller belegter Brote mussten dann bereitgestellt werden, eimerweise wurde heißer Tee gekocht, und es war rührend anzusehen, wie sich unsere Hamburger Kökschen mit den Somalimüttern um die kaffeebraunen Kinder bemühten.“

 

Hamburg wird zur Metropole deutscher Kolonialbeziehungen

 

Hamburg wurde zu einem Zentrum des Handels mit den Kolonien, und Bismarck hätte gern in der Hansestadt ein Kolonialamt eingerichtet, und das allein schon, um die schwierigen Probleme des Umgangs mit Aufständen, Finanzen, Konflikten zwischen Handelshäusern etc. „auszulagern“, aber der Hamburger Senat lehnte höflich und entschieden ab. Demgegenüber entsandte man gern Fachleute in den „Kolonialrat“, ein Beratungsgremium, über das die Kaufleute Einfluss nehmen konnten, ohne die Kosten oder die Schwierigkeiten des kolonialen Abenteuers des Deutschen Reiches tragen zu müssen.

 

1909 wurde das „Kolonialinstitut“ in Hamburg eröffnet, eine Ausbildungsstätte für Kaufleute und Beamte, die in den deutschen Kolonien Dienst tun sollten. Damals gab es in Hamburg noch keine Universität, und viele der im Stadtstaat einflussreichen Kaufleute hatten auch kein Interesse an einer Universitätsgründung, mit der nur hohe Kosten verbunden waren, ohne dass ein finanzieller Gewinn zu erwarten war. Das Kolonialinstitut hingegen wurde gerade aus den Kreisen der Überseekaufleute begrüßt, weil für die Geschäfte mit den Kolonien dringend qualifizierte Fachkräfte gesucht wurden.

Ein wichtiger Bereich der Ausbildung sollte das Erlernen der Sprachen der Kolonien sein, und so entstand ein Institut für afrikanische Sprachen mit dem ersten Lehrstuhl für Afrikanistik in Deutschland. Die Beschäftigung mit afrikanischen Sprachen und afrikanischer Kultur war nur unter aktiver Mitwirkung von Afrikanerinnen und Afrikanern möglich. Deshalb wurden Stellen für „afrikanische Sprachgehilfen“ eingerichtet. Mitarbeiter aus Ostafrika, Kamerun, Togo und vielen anderen afrikanischen Ländern erteilten Sprachunterricht und wirkten am Entstehen von Sprachführern mit, in denen sie lediglich in den Vorworten kurz genannt wurden'

 

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verlor Deutschland seine Kolonien, aus dem Kolonialinstitut wurde die Universität Hamburg, und auch die Afrikanistik löste sich von ihrem kolonialen Erbe. Zunächst einmal verlor sie innerhalb der Hochschule ihre herausragende Bedeutung, was auch zur Folge hatte, dass die Stellen für die „afrikanischen Sprachgehilfen“ ersatzlos gestrichen wurden. Erst in den 60er Jahren war es wieder möglich, afrikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für afrikanische Sprachen und Kultur zu beschäftigen.

lm Rahmen einer Neuorientierung der Arbeit erfolgte auch eine Beschäftigung mit der kolonialen Geschichte der Afrikanistik in Hamburg. In einer Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Instituts heißt es: „Die koloniale Vergangenheit ist zweifellos eine Bürde, von der sich die Wissenschaft nur durch permanente Reflexion der eigenen Situation befreien kann. Ihr kommt damit zugleich die moralisch-politische Aufgabe zu, ethnozentrischen Vorurteilen über Afrika und seine Menschen, Kulturen, Geschichte in Wissenschaft und Öffentlichkeit entgegenzuwirken.“

 

Zeugen der Kolonialgeschichte in Hamburg

 

Mitten in der Innenstadt gibt es noch eine Erinnerung an die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika: das ehemalige Reichsbankgebäude zwischen Rathaus und Alsterschleuse, in dem heute eine Bank untergebracht ist. Das Gebäude entstand von 1914 bis 1918, und gerade noch rechtzeitig vor Kriegsausbruch waren die grauen Steine für die Fassade angekommen – aus der damaligen deutschen Kolonie Togo. (Nachtrag: In dem Gebäude ist heute u. a. das Bucerius Kunst Forum untergebracht.) Und auch im Deutschen Zollmuseum am Rande der Speicherstadt gibt es noch eine Spur der deutschen Kolonialzeit, einen Aluminiumabguss des alten Zoll-Dienststellenschildes von Windhuk. Das Original wird in Namibia aufgehoben.

 

Von den vielen Spuren der Verbindungen Hamburgs zu Afrika soll noch ein Gebäude erwähnt werden, die Beit-Villa, Mittelweg 113. Die Villa im Stil der italienischen Spätrenaissance mit kostbarer Innenausstattung ließ sich der reiche Diamantenhändler Alfred Beit (1853-1906) errichten. Beit hatte in Südafrika und Rhodesien gemeinsam mit Cecil Rhodes im großen Stil Gold- und Diamantengeschäfte betrieben. Er reiste zwischen Südafrika, London und Hamburg hin und her. In Hamburg lebte seine Familie, und hier ließ er sich eine prächtige Villa errichten.

 

Schon unmittelbar nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft begann in Hamburg wie im übrigen Deutschland eine romantische Verklärung dieser Kolonialgeschichte und der Versuch der Verteidigung von Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Wer Spuren dieser Verklärung sucht, muss sich nach Aumühle begeben. Dort steht in einer kleinen Parkanlage nahe des Bahnhofs ein Denkmal mit der Inschrift „Deutsch-Ost-Afrika 1914-1918“. Auf einem Sockel stehen ein deutscher und ein afrikanischer Soldat in Tropenuniform, neben denen ein afrikanischer Träger, ein Askari, sitzt. Gestaltet wurde das Denkmal von dem Hamburger Bildhauer Walter von Ruckteschell, der als Adjutant von General von Lettow-Vorbeck in der Schutztruppe in Ostafrika gekämpft hatte. Er schuf das Denkmal in der Zeit des Dritten Reiches, als Hoffnungen aufkeimten, Deutschland könnte wieder zu Kolonien kommen. Noch mitten im Krieg wurden Pläne für ein Kolonialamt in Hamburg ausgearbeitet. Es sollte in der enteigneten Synagoge an der Oberstraße untergebracht werden, dem heutigen Großen Sendesaal des NDR.

 

Aber aus den Kolonialplänen wurde nichts, und das Denkmal wurde beim Einmarsch der britischen Truppen versteckt. Der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel weihte das Denkmal im Mai 1955 ein. Er erinnerte daran, dass die deutsche Kolonialtruppe vier Jahre lang Krieg gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner führte und bis zum Ende des Krieges fortsetzte. Zehntausende Afrikanerinnen und Afrikanern, vermutlich sogar mehrere Hunderttausend, starben als Folge dieses Krieges, der nicht ihr Krieg war. Aber, der Mythos um diese ungeschlagene kleine Kolonialtruppe war schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg so groß, dass es ernsthafte Pläne gab, Lettow-Vorbeck zum Reichspräsidenten vorzuschlagen. In den Nachkriegswirren kommandierte er Truppen, die in Hamburg gegen aufständische Kommunisten vorging. Als er sich dem rechten Kapp-Putsch anschloss, der scheiterte, war die politische und militärische Karriere des Generals beendet.

 

Als 1955 das Denkmal bei Aumühle eingeweiht wurde, lebte Lettow-Vorbeck noch, nahm an der Feier aber nicht teil. Es kamen mehrere Hundert Mitglieder der deutschen Kolonialtruppe in Ostafrika. Lettow-Vorbeck selbst hat viel dazu beigetragen, dass der Mythos von den tapferen und edlen deutschen Kolonialsoldaten und ihren treuen Askari sich bis in die Gegenwart gehalten hat. Eines seiner Bücher trägt den Titel „Heia Safari“.

 

In Hamburg wurde eine Kaserne nach Lettow-Vorbeck benannt, was viel darüber aussagt, wie die Bundeswehr die Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika wahrgenommen hat. In dieser ehemaligen Kaserne gibt es seit 1943 ein Ehrenmal für die deutsche „Schutztruppe“ und ihre afrikanischen Askaris, das ebenfalls von Walter von Ruckteschell gestaltet wurde. Kaum jemand wusste von den Reliefs, bis die Bundeswehr 1999 die Kaserne aufgab und sich die Frage stellte, was aus dem Tonrelief mit dem deutschen Kolonialsoldaten und den schwarzen Helfern werden sollte. Ein Vorschlag lautete, sie in die Lettow-Vorbeck-Kaserne nach Bad Segeberg zu bringen – man sieht, die Tradition der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika wird weiter gepflegt. (Nachtrag: 2014 hat der Hamburger Senat beschlossen, unter Einbeziehung des „Ehrenmals“ in Hamburg-Jenfeld einen „Geschichtspark Deutschland-Tansania“ als Gedenkort zu schaffen.)

 

Anders als zum Beispiel in Hannover wird aber mit keiner Straße an Carl Peters gedacht, der mit brutalen Mitteln Tanganjika unter deutsche Kontrolle gebracht hatte. Hier wirkt sich aus, dass die Hamburger Kaufleute wie erwähnt den Kolonisierungsplänen Peters skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Hamburg ersparte sich damit die Diskussion, ob es angemessen ist, einen Mann zu ehren, der von sich selber sagte „Leider, leider führte mein Weg über Leichen“ und der im heutigen Tansania immer noch als „Nkomo wa damu“ bekannt ist, als der Mann mit den blutbefleckten Händen. Auch ein anderes Kolonial“erbe“ bereitet den Hamburgern kein Kopfzerbrechen mehr, das Denkmal des afrikanischen Kolonial“helden“ Hermann von Wissmann, der zu den Stiftern des Kolonialinstituts gehört hatte. Sein Denkmal neben dem Hauptgebäude der Hamburger Universität wurde 1968 von protestierenden Studenten gestürzt.

 

Auf dem Weg zu einer Partnerschaft

 

Eine ganz andere Tradition wurde in den 60er Jahren in Hamburg wieder aufgenommen, die Entsendung von Missionskräften nach Afrika. Da die Freundeskreise und Gemeinden in der DDR, die früher die Arbeit der Berliner Missionsgesellschaft in Ostafrika unterstützt hatten, keine Gelder mehr für diese Arbeit zur Verfügung stellen konnten, bat die Missionsgesellschaft die Hamburger Landeskirche um eine Mitwirkung an der Unterstützung der Arbeit der Süddiözese der lutherischen Kirche in Tansania. Gemeinsam mit Kirchen in Skandinavien und Nordamerika beteiligte sich die Hamburger Landeskirche am „Joint Board Committee“, das die Zusammenarbeit mit der tansanischen Kirche koordinierte.

Neben Finanzmitteln sandte die Kirche in Hamburg auch drei Pastoren nach Tansania, die als Gesandte, also als Missionare, am Ausbau der kirchlichen Arbeit der lutherischen Kirche mitwirken sollten. Die drei Missionare Horwege, Hoffmann und Knuth haben nach ihrer Rückkehr aus Tansania entscheidend dazu beigetragen, die ökumenischen Verbindungen zwischen Hamburg bzw. Nordelbien und Tansania aufzubauen und zu festigen. Heute gibt es enge Verbindungen zwischen einer ganzen Reihe Gemeinden und Kirchenkreisen in Hamburg und Tansania. Auch arbeiten weiterhin nordelbische Missionare in Tansania und drei tansanische Pastorenfamilien in Hamburg, ebenso ein afrikanischer Seemannspastor.

 

So wird zumindest auf kirchlichem Gebiet versucht, von einseitigen Abhängigkeiten zu einer wirklichen Partnerschaft zu gelangen. Aber auch in den kirchlichen Beziehungen kann die Last der Geschichte der Beziehungen Hamburg-Afrika nicht ignoriert werden, ebenso wenig die Schuldenlast der verarmten Länder Afrikas, die jede Entwicklung behindert. Deshalb engagieren sich Gruppen und Gemeinden in Hamburg dafür, aus der Geschichte zu lernen und die Chancen einer wirklich gleichberechtigten Partnerschaft zu nutzen. Die Frage, die schon Ernst Schimmelmann vor zwei Jahrhunderten beschäftigt hat, ist aktuell geblieben: Gewinn oder Gewissen.

 

 

(Nachtrag: Besonders in den zwei Jahrzehnten nach Erscheinen dieses Beitrages haben die Afrikanerinnen und Afrikaner, die als Migrantinnen und Migranten nach Hamburg kamen, und ebenso ihre Nachfahren, ein vielfältiges wirtschaftliches, kulturelles und soziales Leben entfaltet, das die Stadt bereichert hat. Auch haben Menschen mit afrikanischen Wurzeln energisch dazu beigetragen, dass die Rolle Hamburgs bei Sklavenhandel, Kolonisierung und Ausbeutung Afrikas endlich stärker in das Blickfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit kommt.) 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann