Waren unterwegs

 

Die negativen ökologischen Auswirkungen der gegenwärtigen Globalisierung sind nicht zu bestreiten. Allein schon der Tatbestand, dass riesige Warenmengen um kleiner Kostenvorteile willen oder um jederzeit überall verfügbar zu sein, wie zum Beispiel Früchte, kreuz und quer über den Globus transportiert werden (oft per Flugzeug), wirkt sich äußerst negativ aus. Auch führen Homeshopping und andere Formen des E-Commerce nicht zu weniger, sondern eher zu mehr Verkehr. Zwar entfallen einige Fahrten zu Einkaufszentren, dafür nimmt der Lieferverkehr sprunghaft zu. Dirk Zumkeller vom Institut für Verkehrswesen der Universität Karlsruhe sieht schlechte Zeiten voraus: „Wenn die Kunden nicht mehr ihre Wege zum wöchentlichen Großeinkauf bündeln, sondern die Produkte einzeln ausgeliefert bekommen, wäre das ein Horrorszenario.“[1]

 

Dabei spielt eine Rolle, dass im Rahmen der Privatisierung die Post längst viele Konkurrenten bei der Auslieferung von Paketen und anderen Sendungen bekommen hat, sodass eine größere Zahl von Fahrzeugen unterschiedlicher Firmen durch die Stadtteile fahren und die einzelnen Waren ausliefern.

 

Immer mehr Waren werden auf immer mehr LKWs transportiert

 

Auch der Güterfernverkehr nimmt rasch zu. In Deutschland wird nach Prognosen des Verkehrsministeriums dieser Verkehr von 2000 bis 2015 um 63,9 Prozent wachsen.[2] Während in Industriestaaten wie Deutschland der Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt werden konnte, also mehr Wachstum nicht zu mehr Energieverbrauch führt, ist es bei den Verkehrsleistungen genau umgekehrt. Zwischen 1991 und 1999 stieg das Bruttoinlandsprodukt um real 11,7 Prozent, der Güterverkehr (in Tonnenkilometern) hingegen um 23,5 Prozent. Der Anstieg des Straßengüterverkehrs betrug sogar 38,5 Prozent, während der Eisenbahntransport um 9,7 Prozent zurückging.[3]

 

Die Zunahme des Güterfernverkehrs hängt unter anderem mit der wachsenden internationalen Arbeitsteilung und der Erweiterung der Wirtschaftsräume und dem Wirtschaftswachstum zusammen. Dabei steigt der Anteil der Waren, für deren Endpreis die Transportkosten nur gering ins Gewicht fallen, zum Beispiel Computer-Chips. Für diese Güter kommt es nicht so sehr darauf an, einen besonders preiswerten Transportweg zu finden, wie dies zum Beispiel bei Eisenerz der Fall ist, das oft auf den kostengünstigen Binnenschiffen befördert wird. Wichtiger wird hingegen, in kürzester Zeit das Ziel zu erreichen, damit die „just in time“-Produktion nicht unterbrochen wird. Dies erklärt zum Teil, warum der LKW-Transport sich so stark gegen die konkurrierenden Systeme Bahn und Binnenschiff durchsetzen konnte. Bei transkontinentalen Transporten gewinnt aus eben diesem Grund der Lufttransport ständig an Bedeutung.

 

Im Rahmen der Globalisierung wächst auch der Transport von Halbfertigprodukten von einer Fabrik in eine andere Fabrik, die auf einem anderen Kontinent liegt. Gleichzeitig sinken die Transportkosten unter dem internationalen Konkurrenzdruck (sowie Rationalisierungen und neue Techniken). In Deutschland sind sie vor allem auf Grund der EU-Liberalisierungen seit 1994 um 45 Prozent gefallen.[4] Dies geht auf Kosten der Beschäftigten, vor allem der LKW-Fahrer. Im Preiskrieg der Speditionen stellen die Fahrer fest: „Wir sind die Deppen Europas“ und: „Wer sich an die Fahrzeitbeschränkungen hält, kommt zu spät. Wer zu spät kommt, verliert den Job.“[5]

 

Eine Umfrage ergab, dass mehr als ein Drittel der deutschen Fernfahrer länger als 50 Stunden pro Woche hinter dem Lenkrad sitzt. Hinzu kommen Wartezeiten beim Be- und Entladen und dies bei einem Stundenlohn zwischen fünf und zehn Euro.[6] Die weiter wachsende Konkurrenz nach der EU-Erweiterung und die Bestrebungen der EU-Kommission, das Wochenendfahrverbot aufzuheben, verheißen nichts Gutes. Das 2003 eingeführte deutsche Mautsystem auf Autobahnen wird dazu führen, dass noch mehr Schwerlastwagen auf Landstraßen ausweichen, mit noch mehr Stress für die Fahrer. Die „Kapitäne der Landstraße sind Europas moderne Sklaven“, stand bereits 1998 auf den Flugblättern von Fernfahrern, die gegen katastrophale Arbeitsbedingungen protestierten.[7] Geholfen hat es nicht viel, sie sind weiter Opfer eines gnadenlosen Konkurrenzkampfes. Dafür preisen Befürworter der Liberalisierungen, dass die Transportkosten ständig sinken würden, ein Beweis für die Segnungen des freien Marktes.

 

Müssen Äpfel aus Neuseeland importiert werden?

 

Der Transport von Gütern über große und kleine Distanzen hat ein Ausmaß erreicht, das nicht zukunftsfähig ist. Diese Transporte einzuschränken, ist unverzichtbar. Die Lebensqualität der Menschen wird dadurch nicht nennenswert eingeschränkt, sondern auf vielen Gebieten verbessert. Die Äpfel aus Neuseeland und die Steaks aus Argentinien gehören ganz selbstverständlich zum Sortiment kleinerer Supermärkte. Die Welt ist in den Regalen versammelt. So bietet sich die Möglichkeit, auch im hiesigen Winter Erdbeeren zu essen und Schnittblumen aus Afrika zu verschenken. Immer mehr Menschen erkennen allerdings einen Zusammenhang zwischen dem Transport dieser Waren über Tausende von Kilometern und den Meldungen über die globale Klimakatastrophe. Deshalb gibt es eine wachsende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten, die beim Einkauf auf die Herkunftsangaben von Waren achten und zum Beispiel keine Äpfel mehr in ihren Warenkorb legen, sie Tausende von Kilometern zurückgelegt haben.

 

Es gibt in dieser Hinsicht allerdings einen Grenzbereich, nämlich die fair produzierten Lebensmittel wie Bananen aus Zentralamerika und die umwelt-und sozialverträglich hergestellten Blumen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die mit dem Blumen-Siegel (Flower Label) gekennzeichnet sind. Auch diese Waren werden mit Kühlschiffen nach Europa gebracht oder eingeflogen, beides unter hohem Energieaufwand. In dieser Hinsicht sind zwei Haltungen vertretbar: der völlige Verzicht auf diese Waren oder die Überzeugung, wenn schon Blumen oder Bananen aus Übersee, dann fair produzierte und gehandelte.[8]

 

„Blumen aus menschen- und umweltfreundlicher Produktion“ sind in Deutschland mittlerweile in deutlich über 600 Geschäfte im Angebot. Es ist nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit der Transport von Waren über lange Distanzen drastisch eingeschränkt wird. Wichtig ist es aber, sehr viel stärker in das öffentliche Bewusstsein zu bringen, dass diese Transporte ein Problem sind und dass es sinnvoll und notwendig ist, dies beim eigenen Einkaufsverhalten zu beachten. Zu berücksichtigen ist auch, dass umweltbewusste Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre Ökobilanz beim Transport von Waren deutlich zu verbessern. Im weltweiten Handel hilft es, wenn Waren auf Containerschiffen an ihr Ziel gelangen und nicht an Bord von Flugzeugen. Dies hat zum Beispiel der Otto Versand beim Import von Waren aus Ostasien und anderen Teilen der Welt vorgemacht.[9]

 

Die Globalisierung führt zu immer gewaltigeren Warenströmen

 

Dies ist allerdings ein Verhalten gegen den Trend. Remo Brunschwiler, Mitglied der Konzernleitung des internationalen Logistikkonzern Danzas, hat diesen Prozess vor einiger Zeit in der „Neuen Zürcher Zeitung“ so beschrieben: „Die Globalisierung ist zur bestimmenden Kraft der Wirtschaft geworden. Die internationalen Handelsströme sind enorm angeschwollen, Unternehmen sind heute mit Konkurrenten aus der ganzen Welt konfrontiert und der Faktor Zeit entscheidet vermehrt über den Geschäftserfolg. Dies Entwicklung stellt enorme Anforderungen an die Logistik, die dafür zu sorgen hat, dass die richtige Ware zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort verfügbar ist. Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, dass das heutige Ausmaß der Globalisierung nur dank ausgeklügelter Logistiklösungen erreicht werden konnte ... Mit E-Commerce lassen sich Geschäfte rund um den Erdball in Lichtgeschwindigkeit abwickeln. Um diesem Tempo auch nur annähernd folgen zu können, muss Logistik möglichst ungehindert funktionieren ... Es versteht sich von selbst, dass die Luftfracht um so mehr an Bedeutung gewinnt, je wichtiger der Faktor Zeit für Firmen wird ... Die Senkung der Frachtraten (im Luftverkehr), die seit Längerem zu beobachten ist, dürfte sich damit fortsetzen, zum Vorteil der gesamten Wirtschaft.“[10]

 

Dass es in der Logistikbranche zur internationalen Konzentration kommt, weil große Konzerne beziehungsweise Allianzen kleinerer Unternehmen über Landesgrenzen hinweg die globalen Logistikanforderungen besser erfüllen, kann nicht überraschen. Die Äpfel aus Neuseeland, so wird deutlich, sind nur ein kleines, aber gut sichtbares Beispiel dafür, wie die Integration lokaler und nationaler Märkte in einen globalen „Supermarkt“ sich auf Verkehr und Ökologie auswirkt. Um dieser Probleme Herr zu werden, reicht es nicht aus, das individuelle Konsumverhalten zu verändern, es ist ein Engagement für Strukturveränderungen erforderlich. Sie werden nur gegen den Widerstand mächtiger Konzerne und Interessenverbände durchzusetzen sein, und dies erfordert es, dass die Kirchen sich in der Gesellschaft Bündnispartner suchen.

 

Eine schon häufig geforderte Maßnahme ist die Einführung einer Besteuerung auf Flugbenzin. Es ist weder einleuchtend noch ökologisch zu rechtfertigen, dass ein Mopedfahrer ganz selbstverständlich Steuer auf seinen Treibstoff zahlt, ein Luftfahrtunternehmen aber seine Jets ohne eine Steuer auf das Flugbenzin Richtung Rio de Janeiro oder Tokio starten lassen kann. Ein Vorwand, diese Steuer nicht einzuführen, ist die Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung. Dass die EU-Bürokratie es rasch geschafft hat, das Aussehen von Äpfeln zu normieren und zu klassifizieren, aber es auch in Jahrzehnten nicht geschafft hat, die ökologisch gebotene Besteuerung von Flugbenzin im EU-Raum einzuführen, ist bemerkenswert und wohl nicht ohne Hinweis auf den Einfluss mächtiger Wirtschaftsverbände zu erklären.

 

Der Güterverkehr auf der Bahn ist (noch) auf dem Rückzug

 

Eine Förderung des Bahntransports von Gütern in Konkurrenz zum Transport auf LKWs über lange Strecken ist eine Forderung vieler Umweltverbände, wird bisher aber nur sehr halbherzig umgesetzt. Auf diesem Gebiet hat die Bahn immer mehr Marktanteile verloren, mit der Konsequenz, dass immer mehr Güter mit LKWs transportiert werden. Dass das Bahnmanagement jetzt die eigenen Angebote weiter reduziert und Frachtzentren schließt, ist als Kapitulation vor den Missständen zu werten. Dabei ist seit Langem bekannt, dass die Bahn durch die politischen Rahmenbedingungen so große Wettbewerbsnachteile hat, dass sie gegenüber dem Fernlastverkehr praktisch chancenlos ist. Übrigens war die Verlagerung des Frachtverkehrs auf die Schiene eine der relativ wenigen Erfolgsgeschichten der DDR-Führung.

 

Um finanziell zurechtzukommen, erhöht die Bahn ihre Frachttarife und verliert damit weitere Kunden. Dafür ein Beispiel. Der Otto-Versand gehört hierzulande zu den umweltbewusstesten Großunternehmen und versucht deshalb, einen möglichst großen Teil der Transporte innerhalb Deutschlands auf Schiff und Bahn zu verlagern. Im Bericht 2000 zur Nachhaltigkeit der Aktivitäten des Konzerns wird festgestellt: „Weniger erfolgreich war die Verlagerung auf die Schiene. Da die Bahn ihre Preise um 60 Prozent erhöhte, stieg der Otto-Versand in der zweiten Jahreshälfte wieder auf LKW-Transport um.“[11] Das Management hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, doch noch den Gütertransport verstärkt auf die Bahn zu verlagern, aber dies hat auch bei einem Großunternehmen betriebswirtschaftliche Grenzen. Um die Fehlentwicklungen im Güterverkehr zu stoppen, ist die Verteuerung der Transportkosten durch Straßenverkehrsabgaben und eine höhere Ökosteuer erforderlich. Nur so lässt sich verhindern, dass weiterhin viele Güter auf dem Weg vom Rohstoff zum fertigen Produkt mehrfach kreuz und quer durch Deutschland und Europa transportiert werden.

 

Die Kirchen müssten sich sehr viel intensiver für solche Regulierungsmaßnahmen engagieren, die es ermöglichen können, dem Trend zu einem immer schnelleren Transport von immer mehr Waren über immer größere Distanzen zumindest etwas entgegenzuwirken. Individuelles Konsumverhalten und ein massives kirchliches Engagement für die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen können einander also ergänzen. Für die Konsumentinnen und Konsumenten würden solche Veränderungen keine signifikanten Einschränkungen bedeuten. Zwar würden im Winter importierte Erdbeeren durch die Erhöhung der Transportkosten teurer, aber selbst ein höherer Preis würde die tatsächlichen Kosten (einschließlich der ökologischen Kosten) kaum abdecken. Die Umstellung von Transporten von LKWs auf den Schienenverkehr würde keine Probleme bringen, vorausgesetzt, die Bahn würde diese Umstellung gezielt betreiben und die dafür erforderliche politische und finanzielle Unterstützung erhalten. Eine direkte Entlastung würden die Menschen spüren, die in der Nähe von Autobahnen und Fernstraßen wohnen und weniger Lärm und Abgase als Verbesserung ihrer Lebensqualität und als Schritt auf dem Weg zu mehr Gesundheit wahrnehmen würden.

 

Eine solche Umstellung des Logistiksystems braucht Zeit, aber je länger damit gewartet wird, diesen Prozess in Gang zu bringen, desto schwieriger ist es, unter anderem, weil immer mehr Arbeitsplätze im LKW-Transportsystem entstehen, während die Bahn ihr Gütertransportsystem immer stärker einschränkt, etwa durch die Schließung von Verladestellen. Durch einen ökologisch verantwortbaren Transport der Güter entstünden dagegen zahlreiche neue Arbeitsplätze.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Zitiert nach: epd-Zentralausgabe, 14.12.2000

[2] Vgl. Gerd Aberle: Globalisierung, Verkehrsentwicklung und Verkehrskosten, Kurzgutachten für die Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, S. 2

[3] Vgl. ebenda

[4] Vgl. ebenda, S. 4

[5] Vgl. einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 17.8.2002

[6] Ebenda

[7] Vgl. Hamburger Abendblatt, 9.9.98

[8] Zur Diskussion um das Blumensiegel vergleiche unter anderem die Beiträge: „Wenn Blumen sprechen könnten ...“ und: „Blumen mit Siegel“, in: der überblick, 1/2001, S. 138 und S. 139

[9] Heinz Werner Betz, Importfrachtleiter des Unternehmens, erklärt: „Wir versuchen, möglichst viel Fracht vom Flugzeug aufs Schiff und innerhalb Europas von der Straße auf Schiff und Bahn zu verlegen.“ Report 2000, Nachhaltigkeit bei Otto, Hamburg 2000, S. 30

[10] Remo Brunschwiler: Effizienter Transport der Güter, Logistik im europäischen Verbund, in: Neue Zürcher Zeitung, 28.3.2000

[11] Report 2000, Nachhaltigkeit bei Otto, Hamburg 2000, S. 30