Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten, ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

Hamburgs Geschichte in einem kurzen Überblick

Im 9. und 10. Jahrhundert gab es am Ufer der Alster nur eine kleine Siedlung, umgeben von einem Lehmwall, der keinen Schutz gegen die Wikinger bot. Wie hart das Leben damals war, kann man erahnen, wenn man das Porträt von Papst Benedikt V. liest, der hierher verbannt worden war und noch im ersten Jahr seines Exils starb. In weiteren Porträts wird dargestellt, wie das, was einmal Hamburg werden sollte, mehrmals in Schutt und Asche gelegt wurde. Schutt gab es allerdings zunächst nicht viel, haben Archäologen inzwischen festgestellt, denn der kleine Ort bestand aus recht primitiven Holzbauten.

 

Die günstige Lage an Flussfurten und Handelswegen zahlte sich aber bald aus.

Vom 13. ]ahrhundert an entwickelte sich Hamburg zu einer wohlhabenden Handelsstadt, die für ihr Bier berühmt war und als Mitglied des Städtebundes der Hanse mit allen Städten an Nord- und Ostsee wirtschaftliche Beziehungen unterhielt. Mit viel Geschick, Hartnäckigkeit und einem gefälschten Barbarossa-Freibrief konnte die Stadt ihre Selbständigkeit verteidigen. Aus dieser Zeit gibt es bereits so viele historische Quellen, dass eine größere Zahl von Porträts erscheinen kann. Sie erzählen zum Beispiel von Kaufleuten und Pastoren, Künstlern und angeblichen „Hexen“.

 

Die nächste große Veränderung, die mit Porträts nachgezeichnet wird, war die Reformation. Anders als in deutschen Fürstentümern und Königreichen bestimmte nicht ein Herrscher, was die Menschen zu glauben hatten, sondern es gab öffentliche Disputationen über den rechten Glauben, bei denen es um die Grundfragen menschlicher Existenz ging: um ein gottgefälliges Leben hier auf Erden und den Weg zum ewigen Heil. Die Lutheraner konnten sich durchsetzen und das auch deshalb, weil angesichts der Missstände in der Kirche und besonders in den Klöstern die Forderung nach radikalen Veränderungen von allen Schichten der Bevölkerung mitgetragen wurde. Die neue Kirchenordnung Bugenhagens regelte nicht nur das religiöse Leben, sondern auch das Verhältnis von lutherischer Kirche und städtischer Obrigkeit. Religiöse Minderheiten hatten danach durch die Vorherrschaft der lutherischen Kirche einen schweren Stand in der Stadt, besonders die Katholiken und die Juden.

 

Im 17. Jahrhundert wurden gerade noch rechtzeitig vor den anrückenden Heeren des Dreißigjährigen Krieges gewaltige Wallanlagen nach Plänen des niederländischen Festungsbauers Valckenburg fertiggestellt. Bei dieser Gelegenheit wuchs das geschützte Stadtgebiet um die Neustadt, also die Gebiete westlich der Alsterfleete. Die halbkreisförmigen Wallanlagen sind noch heute deutlich auf dem Stadtplan zu erkennen. Hamburg überstand den Dreißigjährigen Krieg weitgehend unbeschadet und stieg zu einer der größten und reichsten Städte des Deutschen Reiches auf.

Eine weitere prägende Epoche war der Aufbruch der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Alte Glaubensgewissheiten gerieten ins Wanken, auch bei der jüdischen Minderheit. Eine Reihe von Por­träts erlauben es, diesen Aufbruch und die zum Teil heftigen Reaktionen darauf kennenzulernen. Es ist bemerkenswert, dass die vehementen Verfechter der Gedanken der Aufklärung ihre bis heute bestehende Vereinigung Patriotische Gesellschaft taufen. Patriotisch sein, das hieß für sie, sich zum Wohle der Stadt zu engagieren und dabei besonders die Armen der Stadt zu unterstützen sowie allen Bewohnerinnen und Bewohnern eine Bildung zu ermöglichen.

 

Auch entstanden damals in Hamburg bemerkenswert viele Stiftungen, die vor allem Wohnmöglichkeiten für Verarmte schufen. Viele dieser Wohnstifte bestehen bis heute. Es war zunächst eine paternalistische Unterstützung, bei der die Förderer bestimmten, wem geholfen wurde und wem nicht. Und häufig waren es verarmte Mitglieder der Oberschicht, für die zu allererst oder ausschließlich gesorgt wurde.

 

Hamburgs Aufbruch zu einem modernen Gemeinwesen erhielt von den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhundert an großen Auftrieb durch viele Tausend Einwanderer aus Frankreich, England und anderen Ländern. Sie ließen eine kosmopolitische Stadt entstehen, wo es ein französisches Theater gab, viele Handelshäuser ihre Ge­schäfts­bücher auf Niederländisch führten und man englische Sitten hochschätzte. Lutherische Geistliche wie der berühmte Hauptpastor Goeze versuchten im multireligiösen Hamburg, die Privilegien der lutherischen Kirche zu verteidigen. Die Stadt sollte ein „lutherisches Zion“ bleiben. Wer nicht lutherischen Glaubens war, konnte Jahrhunderte lang kein Bürger werden, wer gar Jude war, musste mit Schikanen und Ausweisung rechnen. Die Nachbarstadt Altona und das kleine Wandsbek waren wesentlich toleranter und wurden zur Heimat von Verfolgten aus vielen Ländern Europas.

 

Die Einwanderer trugen entscheidend zum profitablen Überseehandel bei und sorgten für weltweite Geschäftsverbindungen. Das zeigen beispielhaft einige Porträts in diesem Buch. Hamburg wurde zum wichtigsten Umschlagplatz für „Colonialwaren“ in Norddeutschland und Nordeuropa. Skrupel kannten viele dieser Reeder und Kaufleute nicht. Es gibt viele Beispiele dafür, wie sie sich an Sklavenhandel und der Ausplünderung ganzer Weltregionen beteiligten und dadurch zu großem Reichtum gelangten. Die Kaufleute selbst hatten erkannt, dass hohe Gewinne nicht an Bord schwankender Segelschiffe zu erzielen waren, sondern auf den festen Holzböden der Kontore.

 

1806 erlitt die Wirtschaft der Stadt einen schweren Rückschlag. Napoleonische Truppen besetzten Hamburg und verbreiteten Schrecken und Elend. Englische Waren wurden verbrannt, der Überseehandel kam völlig zum Erliegen und auch die übrigen Geschäfte lagen weitgehend darnieder. Es galt in dieser Zeit als patriotische Tat, Waren über die Hamburger Stadtgrenze zu schmuggeln. Immerhin sorgten die französischen Besatzer für eine Modernisierung der Verwaltung und gleiche Rechte für alle Religionsgemeinschaften, wovon nicht zuletzt die jüdische Bevölkerung profitierte. Kaum waren die Franzosen 1814 abgezogen, kehrten auf vielen Gebieten die alten Verhältnisse zurück, „Restauration“ hieß diese Epoche in Deutschland, und in Hamburg wurde damals viel „restau­riert“ – zum Beispiel wurde der jüdischen Minderheit ihr gerade erst zuerkanntes Bürgerrecht wieder genommen.

 

Wie lebendig das wieder prosperierende Hamburg im 19. Jahrhunderts war, hat der Dichter Joseph von Eichendorff staunend festgestellt: „Endlich langten wir im Hafen an. Welchen Eindruck dieses seltsame in der Welt einzige Schauspiel auf uns machte, ist unbeschreiblich. Mit staunendem Entzücken fuhren wir in das tosende Chaos hinein. Wie eine fremde Feenwelt umschlossen uns rings die ungeheuren Seepaläste. Hier wurde gezimmert, dort gerudert, dort klommen Matrosen auf den Masten hinan, hier schwebten andere am Tauwerk zwischen Himmel u. Wasser, und ein dumpfes Getöse von 1.000 Stimmen in hunderterlei Sprachen tönte darein ... Der Jungfernstieg verdient wegen seiner vorzüglichen Schönheit nähere Erinnerungs-Merkmale: Es ist eine große breite Straße, an der einen Seite von schönen Häusern, von der anderen von einem große Teiche begrenzt, welcher wieder zu beiden Seiten von der Stadt u. im Hintergrunde von den trefflichen Wällen eingeschlossen wird. Auf dem Teiche befinden sich mehrere Schwanenhäuschen, u. schöne auf modernen niedlichen Schiffen schwimmende Coffeehäuser ... Nach Tische gingen wir auf den Jungfernstieg, bestiegen dort eine Gondel, u. ließen uns auf dem kleinen See herumschiffen, eine herrliche Partie noch zum letztenmale recht in vollen Zügen zu genießen.“

 

Die Welt, die den Dichter am Jungfernstieg faszinierte, war die Welt der Wohlhabenden und Reichen. Es gab daneben aber auch die Welt der Armen - und das war die große Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt -, die in engen, feuchten Kellern oder dunklen, kleinen Wohnungen in den Gängevierteln leben mussten. Alt wurden die Menschen unter solchen gesundheitsgefährdenden Lebensverhältnissen nicht, und wer in eine Notlage etwa durch den Tod des Ehemanns geriet, war auf mildtätige Gaben angewiesen. Das waren Hilfen, die meist erst nach einer strengen Überprüfung des Lebenswandels der Bedürftigen gewährt wurde. Das hatte sich über die Jahrhunderte nicht geändert.

 

Da nur die Reichen in der Bürgerschaft, dem Parlament der Stadt, saßen, hatten die Armen wenig Aussicht auf eine Änderung dieser Misere. Im Rat, der Stadtregierung, waren die Kaufleute und Reeder sowie einige Juristen unter sich. Der Rat ergänzte sich durch Zuwahl, und die Mitglieder wurden auf Lebenszeit gewählt, sodass man unter sich blieb. Ein gemeinsames Interesse dieser Kaufleute und Reeder bestand darin, ihre Steuern niedrig zu halten. Sozialaufgaben überließ man privater Mildtätigkeit, und eine Universität verhinderte man, weil sie Kosten verursacht hätte und es billiger war, die eigenen Söhne an andere Universitäten zu schicken. Einzelne Aufstände des „Pöbels“ wurden rücksichtslos niedergeschlagen.

 

Wie fragil die Lage der Stadt war, zeigte sich beim Großen Brand von 1842. Tagelang herrschte völliges Chaos in Hamburg, weil alle nur an die Sicherung des eigenen Besitzes oder aber an das Plündern dessen dachten, was die Reichen angesichts des nahenden Feuers zurückgelassen hatten. Aber auch nach dieser Katastrophe wurden die alten Verhältnisse wiederhergestellt. Selbst das Jahr 1848 brachte keine grundlegenden Veränderungen, schon gar nicht für das wachsende Proletariat der Stadt.

 

Was sich in den folgenden Jahren abzeichnete, war ein Bündnis zwischen den alten Kaufmannsfamilien, die seit Generationen die Stadt beherrschten, und dem wachsenden aufstrebenden Bürgertum. Das Ergebnis war die Verfassungsreform von 1860, die das Wahlrecht auf eine größere Zahl von Bürgern mit erheblichem Einkommen oder Grundbesitz ausdehnte. Die armen Männer der Stadt und alle Frauen waren weiter machtlos. Selbst die Reichsgründung von 1871 änderte daran nichts. Bei Reichstagswahlen durften alle Männer abstimmen, bei den Wahlen zur Bürgerschaft nur die wohlhabenden unter ihnen – so viel zur vielgepriesenen demokratischen Tradition Hamburgs.

 

Auch ohne Wahlrecht in lokalen Angelegenheiten bildete sich in Hamburg eine starke Arbeiterbewegung, die sich in Gewerkschaften und SPD sammelte. Auch die demokratische Frauenbewegung in Deutschland hatte in Hamburg eines ihrer Zentren. Darüber ist in einer ganzen Reihe von Porträts mehr zu erfahren. Wie wenig unter den herrschenden politischen Bedingungen für die Überwindung auch nur der schlimmsten sozialen Missstände geschah, zeigte die Choleraepidemie von 1892, die den herbeigerufenen Arzt Robert Koch erschütterte. Danach wachte die Obrigkeit endlich auf, denn die Quarantäne, die verhängt werden musste, hatte große Einbußen in der Wirtschaft verursacht.

 

Es wurde beschlossen, die Gängeviertel abzureißen, die für alle sichtbare Ballungsräume des sozialen Elends in der Stadt. Die freiwerdenden Flächen bebaute man vor allem mit großen Kontorhäusern und Geschäften, während die Bevölkerung an den Rand der Stadt, zum Beispiel nach Barmbek, verdrängt wurde. Auch für den Bau der Speicherstadt, die Backsteinlagerhäuser im neu entstandenen Freihafen, riss man Hunderte von Wohnhäusern rücksichtslos ab und siedelte die Bewohner um, meist in billig errichtete Mietskasernen.

 

Der Wirtschaftsaufschwung vor dem Ersten Weltkrieg begünstigte eine Entfaltung des kulturellen Lebens. Neue Theater und Museen entstanden, internationale Stars wie die schwedische Sängerin Jenny Lind feierte die Bevölkerung nicht hanseatisch kühl, sondern sehr stürmisch. Viele Porträts geben einen lebendigen Einblick in diesen kulturellen Aufbruch. Das Ende des Kaiserreiches und der große politische Einfluss der Sozialdemokraten auch in Hamburg und Altona veränderten nicht nur das politische Leben, sondern es entstand auch eine große Zahl solider Backsteinmietshäuser, die sich noch heute großer Beliebtheit erfreuen. Die hohe Arbeitslosigkeit blieb aber in den 20er und Anfang der 30er Jahre ein großes soziales Problem und war eine der Ursachen für den Aufstieg der Nationalsozialisten auch in Hamburg.

 

Vom 30. Januar 1933 an brachten die Nazis sehr rasch den gesamten Staatsapparat und die meisten kulturellen, sozialen und religiösen Einrichtungen durch eine „Gleichschaltung“ unter ihre Kontrolle und verbreiteten Angst und Terror. Es erwies sich als unmöglich, die große Mehrheit der Bevölkerung gegen dieses Unrechts­regime zu mobilisieren. Tatenlos sahen sehr viele zu, wie Kommu­nisten und Juden, Sinti und Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Umso bedeutsamer, dass Einzelne und kleine Gruppen sich zum Widerstand entschlossen und das eigene Leben dafür riskierten, der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten ein Ende zu setzen. An einige dieser Menschen wird mit Porträts erinnert. Das Ende des Krieges war besonders für verfolgte Menschen eine Stunde der Befreiung – und mit dieser Zäsur in der Hamburger Geschichte endet das Buch. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann