Wünsche eines Engels für das Fest der Geburt Jesu
Wünsche eines Engels für das Fest der Geburt Jesu Foto: iStock.com/cstar55

Weihnachten lebendig werden lassen

 

Weihnachten – da leuchten immer noch die Augen von Kindern, und nicht nur von Kindern. Wenn bei vielen Menschen in unserem Land noch etwas von christlichem Glauben und christlichen Traditionen übrig ge­blieben ist, dann kommt es zur Weihnachtszeit an die Oberfläche. Nicht selten ist es nur noch die Sehnsucht nach einem längst vergangenen Glauben, der Halt bot in einer unübersichtlichen Welt. Für viele Erwachsene ist Weihnachten unlösbar ver­­bunden mit den Erinnerungen an die eigene Kindheit, an die Zeit, als die Welt noch etwas heiler war, und sei dies auch nur noch in einem Rückblick so, bei dem die düs­teren Sei­ten ausgespart bleiben – gerade in den Erinnerungen an das Weih­nachten der Kindheit. Und wenn dann alle inbrünstig und viele auch gerührt in der festlich geschmückten Kirche im Schein des Kerzenlichtes „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen, ist es fast so wie früher, oder doch wenigstens so, wie man sich das Weihnachten in früheren Zeiten gern vorstellen möchte.

 

Weihnachten ist eine Gelegenheit für die Kirche und auch für die einzelnen Gläubigen, die gute Nachricht des Evangeliums weiterzuerzählen und le­ben­dig werden zu lassen. In den Geschichten von der Geburt und Kindheit Jesu in den Evangelien klingt bereits vieles von dem an, was Jesus von Nazareth später gepre­digt und gelebt hat.

Wir können uns an Jesu Kindheit er­innern, als er arm, aber geborgen in einer großen Familie und in einem kleinen Dorf lebte, wo man einander kannte und oft wohl auch schätzte. Wir können uns vorstellen, wie Jesus später als Handwerker gearbeitet hat und wie er sich dann entschloss, alles hinter sich zu lassen, um zu einem neuen Leben aufzubre­chen, zuerst mit Johannes dem Täufer am Jordan und dann als Wanderprediger mit einer Schar von Jüngerinnen und Jüngern.

 

Es war ein hartes Leben, aber auch ein reiches, und wenn einmal gutes Essen und Wein vorhanden waren, wurde fröhlich gefeiert, was erklärt, warum Kritiker Jesus und seine Jün­ger­schar als Weinsäufer diffamierten (Matthäus 11,19). Es war, würden heute Pastorinnen und Pastoren in einer Traueransprache sagen, ein erfülltes Leben, das Jesus geführt hat. Am Ende dieses irdischen Lebens stand für Jesus der Tod. Es war ein gewaltsamer, brutaler Tod, und ganz am Ende dieses Menschenlebens hat Markus in seinem Evangelium den Ausruf überliefert: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mar­kus 15,34)

 

Also am Ende das Kreuz? Selbstverständlich wissen Theologinnen und The­o­lo­gen wie auch bibelkundige Laien, dass dies nicht das Ende der Jesusgeschichte war. Seine Jüngerinnen und Jünger erlebten, dass die Geschichte von Jesus nicht mit dem Tod geendet hat. Sie haben davon als Auferstehung berichtet und auch erzählt, dass Jesus aufgefahren ist in den Himmel und dass er zu­rück­kommen wird. Das löste bei den verzweifelten Mitgliedern der Jesusbewegung große Freude aus und gab ihnen Mut und Kraft, das weiter zu sagen und zu leben, was Jesus sie gelehrt und ihnen vorgelebt hatte.

 

Am Anfang der Jesusgeschichte stand die Freude über die Geburt eines Kindes, und diese Freude war auch da, als deutlich wurde, dass Jesu Mörder nicht das letzte Wort hatten, sondern dass er mit seiner Botschaft der Liebe weiterlebt, bis heute und bis an das Ende der Tage. Wir können also die Geburt Jesu fröhlich feiern und uns mit Maria und Josef freuen, auch wenn wir wissen, dass auf dieses Kind viel Schweres zukam. Aber er hat eben auch viel Schönes und Verheißungsvolles erlebt, können wir aus den Evangelien erfahren. Und wir können uns Weihnachten darüber freuen, dass Kaiser Augustus, König Herodes und all die anderen Tyrannen der Welt nicht das letzte Wort behalten haben. Jesus hat mit seiner Botschaft vom liebenden und fürsorglichen Gott in den letzten zwei Jahrtausenden vielen Millionen Menschen in aller Welt die Hoffnung und den Glauben vermittelt, dass ein anderes Leben möglich ist.

 

Die Jüngerinnen und Jünger haben dies in der Jerusalemer Urgemeinde vorgelebt. Einzelheiten über den Alltag dieser Urgemeinde kennen wir nicht, aber dieses Beispiel war derart überzeugend, dass viele Menschen sich dieser Gemeinschaft ange­schlossen haben. Sie taten dies, obwohl sie wussten, dass der Anführer dieser „Sekte“ kurz vorher gekreuzigt worden war und dass alle mit Verfolgungen rechnen mussten, die mit den Angehörigen dieser Jesusbewegung verkündeten, dass Gott und nicht der Kaiser der Herrscher dieser Welt war und ist. Die Geburt des „Aufrührers“ Jesus ist auch nach zwei Jahrtausenden ein Grund, sich dankbar und fröhlich an ihn und seine Botschaft der Liebe und Hoffnung zu erinnern.

 

Christinnen und Christen leben, so lernen wir gerade aus der Weihnachtsgeschichte, mit dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“. Dazu hat Pastor Hans-Christoph Goßmann in einer Predigt in der Jerusalem-Kirche in Hamburg gesagt: „Die endgültige Erfüllung der Verheißung Gottes steht noch aus. Es gilt der eschatologische Vorbehalt des ‚noch nicht’. Daraus folgt nun jedoch keineswegs, dass wir deshalb unsere Hände in den Schoß legen sollten, weil die Weihnachtsbotschaft jetzt ja noch nicht aktuell sei. Wer das glaubt, sieht nur das ‚noch nicht‘ und übersieht vollkommen das ‚schon jetzt’. Es gilt unverbrüchlich: Gott ist in Jesus in unsere Welt gekommen und deshalb sind wir Gottes Kinder. Diese gute Nachricht, dieses Evangelium können wir annehmen; wir können Gottes Sohn, der als Bruder zu uns kommt, bei uns aufnehmen, ihm in unserem Leben Raum geben und eben dadurch zu Kindern Gottes werden.“[1]

 

Nachdenken über das Woher und Wohin des eigenen Lebens

 

Weihnachten ist der ideale Anlass, den Menschen Mut und Stärkung auf dem Weg zu einem neuen Leben zu machen. Mit der Geburt Jesu ist auch neue Hoffnung verbunden, dass die Mächtigen und Machtbesessenen dieser Welt nicht das letzte Wort haben werden. Jesus hat seinen Mitmenschen gepredigt und vorgelebt, dass es eine Alternative zum Status quo gibt. Das übermächtig erscheinende globale Reich der Römer, das alle Lebensbereiche durchdrang und bestimmen woll­­te, war nicht alternativlos – und die heutigen globalen Machtstrukturen sind es auch nicht. Schon vor Jesu Geburt hat Maria nach der biblischen Überlieferung in einem Lied gesungen, dass Gott die Mächtigen vom Thron stößt und dass den Armen und Unterdrückten das Himmelreich gehört. Deshalb können wir Weihnachten als ein Fest des Neuanfangs feiern. Mit dem kleinen Kind von Maria und Josef ist die Botschaft vom liebenden Gott aufs Neue und in radikaler Weise in die Welt gekommen. Des­halb können wir jedes Jahr aufs Neue fröhlich Weihnachten feiern und uns vorneh­men, diese Botschaft zum Kompass für unser Leben zu machen und uns an ihm ausrichten, so wie die Weisen aus dem Morgenland in der biblischen Überlieferung dem Stern nach Bethlehem gefolgt sind.

 

Die Erinnerung an die Weihnachten unserer Kindheit und die Weihnachten in vie­len Jahrhunderten zuvor kann uns helfen, so Weihnachten zu feiern, dass dieses Fest uns und andere bereichert. Zu den Traditionen, die es zu wahren gilt, gehört gewiss, dass Weihnachten eine Zeit der Einkehr und inneren Ruhe sein kann und sollte. Es ist eine Zeit, die alten Geschichten vom neuen Anfang in Bethlehem und Nazareth wieder zu hören, sie auf die eigene persönliche Situation zu beziehen und ebenso auf die Situation unserer Welt und unserer Kirche. Weihnachten ist eine Zeit, in sich selbst hin­ein­zuhören und neu über das Woher und Wohin des eigenen Lebens nachzuden­ken.

 

Gemeinsam unterwegs nach Bethlehem

 

Die alten Geschichten und die alten Lieder rufen uns in Erinnerung, dass wir nicht allein unterwegs sind und dass wir nicht allein vor den Grundfragen des Le­bens stehen. Die Weihnachtsgeschichte, die Geschichten von Weihnachtsfesten und auch die Weihnachtstraditionen können uns den Weg weisen. Wir müssen einen eigenen Weg finden, jeder und jede für sich und auch alle gemeinsam, aber wir können davon lernen, wie die erste Schar der Jüngerinnen und Jünger Jesu ihre Wege gefunden hat und gegangen ist.

 

Die Evangelisten haben aufgeschrieben, was ihnen an Jesus, an seiner Botschaft und seinem Leben wichtig war. Sie wollten damit Menschen zum Glauben führen und den Weg der Nachfolge weisen. Wir können diese biblischen Texte heute lesen, voll Achtung vor dem tiefen Glauben und der großen Leistung der einzelnen Evange­listen. Sie haben wegweisende religiöse Texte aufgeschrieben, die nun schon fast zwei Jahrtau­sende lang Menschen den Weg zum Glauben gewiesen haben. Um Jesus nachzufolgen und seinen Weg mitzugehen, müssen wir nicht daran glauben, dass sich am Anfang unserer Zeitrechnung alles so zugetragen hat, wie die Evangelisten es aufgeschrieben haben. Wir müssen auch nicht den vergeblichen Versuch unternehmen, die Widersprüche in den Darstellungen der Evangelien weg­zudiskutieren. Jeder der Evangelisten und der Verfasser der anderen Schrif­ten des Neuen Testaments überliefert die Geschichte und die Botschaft des Wanderpredigers aus Nazareth auf eigene Weise. Keiner von ihnen besaß die „ganze Wahr­heit“, sondern war auf der Suche nach dem Kern des­sen, was Jesus auf umfassende Weise verkündet hat.

 

So betrachtet können wir dankbar sein, dass es mehrere Evangelisten und meh­rere Briefeschreiber gab, deren Texte uns im Neuen Testament überliefert sind. Weil wir die Freiheit haben, biblische Texte wie die Weih­nachtsgeschichten selbstständig zu lesen, zu verstehen und zu interpretieren, ist es sehr berei­chernd, zu lesen und zu hören, wie andere Menschen in früheren Zeiten und heute diese Texte verstanden und ausgelegt haben. So wie der christliche Glaube ohne eine Gemeinschaft von Gläubigen allenfalls theoretisch vorstellbar ist, können wir uns der Weihnachtsgeschichten im Austausch mit anderen Christinnen und Christen nä­hern. Auch das Gespräch mit Andersgläubigen und Athe­isten kann uns helfen, biblische Texte neu und tiefer zu verstehen. Im Blick auf die Weihnachtstexte gilt dies besonders für den Austausch mit jüdischen und mus­li­mischen Gläubigen.

 

Christinnen und Christen, die auch im Umgang mit der Bibel vom „Baum der Erkenntnis“ genascht haben, werden sich vielleicht manch­mal wie Adam und Eva in der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel fühlen: vertrieben aus dem Paradies der Unschuld und des Unwissens. Aber so wie es dem ersten berühmten Paar der Bibel nach der Überlieferung nicht möglich war, ins Paradies zurückzukehren, können auch wir nicht so tun, als gäbe es einem Weg zurück zu einem Glauben ohne Zweifel und ohne die Erkenntnisse der Wissenschaft. Wenn wir uns vom Glauben nicht verabschie­den wollen, dann müssen wir den Weg zu einem erwachsenen Glauben suchen, der doch keinen Bruch zum Glauben der Kindheit sein muss, sondern eine Bereicherung und Erweiterung sein kann.

 

Im Zentrum des Weihnachtsgeschehens: Liebe und Frieden

 

Weihnachten ist ein sehr guter Anlass, vielleicht der beste Anlass, neu über die Fragen des eigenen Woher und Wohin nachzudenken. Welchem Stern folge ich in meinem Leben? Wohin will ich mich mit dem Kind in der Krippe auf den Weg machen? Was ist das Besondere für mich an der Botschaft Jesu? Darauf hat der von vielen Kir­chen­tagen bekannte Theologe Jörg Zink diese Antwort gefunden: „Das Besondere am Christen­tum ist nicht irgendein Dogma. Nicht irgendeine Lehre. Nicht einmal die Bergpredigt. Viele ihrer Anweisungen kann man auch bei Buddha oder Laotse finden. Auch nicht das Liebesgebot. Das hat auch die indische Frömmigkeit auf vielerlei Weise besungen. Das Be­sondere ist nichts als die einsame Gestalt jenes Jesus, der die Menschen zu einer Heimkehr zu Gott rief, ohne ihnen Bedingungen zu stellen. Der dafür sein Leben hingab.“[2]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 


[1] Hans-Christoph Goßmann: Predigt über 1. Johannes 3,1-6, Jerusalem-Kirche, Hamburg, 25.12.2011

[2] Jörg Zink: Die Urkraft des Heiligen, Freiburg 2003, S. 29