Zeichnung des Dichters Matthias Claudius
Zeichnung des Dichters Matthias Claudius Foto: iStock.com/hrstlnkr

Matthias Claudius - der Weihnachtsglaube des Wandsbeker Dichters

 

Wie strahlte er im Glanz der Lichter, und wie strahlten die Augen der Kinder der Familie Claudius. Im großen Saal des Wandsbeker Schlosses war er aufgestellt worden, der erst Weihnachtsbaum in Norddeutschland, von dem wir heute noch wissen. Die anderen Familien in Norddeutschland stellten damals Weihnachtspyramiden auf, während in Süddeutschland der Weihnachtsbaum schon weit verbreitet war. Das Weihnachtsfest des Jahres 1796 blieb für die Familie des Dichters unvergesslich, und dies nicht nur wegen des herrlichen Baumes.

 

Dass die Familie Claudius im Wandsbeker Schloss Weihnachten feiern konnte, verdankte sie den guten Beziehungen zur Grafenfamilie Schimmelmann. Die Schim­melmanns waren sehr reich und besaßen eine ganze Reihe von Schlössern und Stadtpalais in Dänemark, Hamburg und Schleswig-Holstein, und daher wurde das Wands­beker Schloss recht selten von der gräflichen Familie genutzt. Heinrich Carl Schimmelmann (1724-1782) hatte als preußischer Heereslieferant ein kleines Ver­mögen erworben und sich am Ende des Siebenjährigen Krieges die Bestände der Meißener Porzellanmanufaktur gesichert. Diese wertvolle Kriegsbeute ließ er 1757 mit Flussschiffen nach Hamburg bringen und zum großen Teil zu hohen Preisen ver­kaufen.

 

Schimmelmann nutzte den neuen Reichtum für ein prächtiges Stadtpalais in Hamburg, vor allem aber für den Aufbau eines Handels- und Finanzim­pe­riums, das globale Ausmaße erreichen sollte. Der dänische König wurde auf das Finanzgenie Schimmelmann aufmerksam und berief den neureichen Kaufmann zum Finanzberater und dann 1768 zum dänischen Schatzmeister. Es gelang Schim­melmann, nicht nur die dänischen Staatsfinanzen zu sanieren, sondern auch die von ihm betriebene dänische Privatisierungspolitik zu nutzen, um selbst staatliche Fabriken zu erwerben.

 

Auf dieser Grundlage baute Schimmelmann einen lukrativen Dreieckshandel auf. Er ließ Schiffe mit Tuchen und Gewehren aus eigenen Fabriken beladen und nach Westafrika segeln. Dort gab es ein dänisches Fort im heutigen Ghana, wo die Schiffsladung gegen Sklaven eingetauscht wurde. Die Schiffe nahmen die Sklaven an Bord und brachten sie auf die dänische Karibikinsel St. Thomas, wo Schimmelmann auf eigenen Plantagen Zucker anbauen ließ. Viele Sklaven aus Westafrika mussten auf diesen Plantagen schuften, andere wurden meistbietend verkauft. Die Schiffe nahmen den Rohzucker an Bord und segelten zurück nach Dänemark, wo Schimmelmann ihn in einer eigenen Zuckerraffinerie verarbeiten ließ. Der ebenso geniale wie skrupellose Kaufmann machte mit diesem Handel über drei Kontinente gewaltige Gewinne, die in hohem Maße auf dem Sklavenhandel beruhten. Er war also ein besonders erfolgreicher „Globalisierungsgewinner“ des 18. Jahrhunderts.

 

Der Dichter Matthias Claudius, finanziell von Schimmelmann abhängig, schrieb dennoch das Gedicht „Der Schwarze in der Zuckerplantage“, in dem er die Sklaverei in der Karibik geißelte. Vermutlich hat der Dichter von einem „Kammermohren“ im Wandsbeker Schloss über die Verhältnisse auf den Zuckerplantagen in der Karibik erfahren. Es war eines der ersten Gedichte im deutschsprachigen Raum, das die Sklaverei anprangerten.

 

Weit von meinem Vaterlande

Muss ich hier verschmachten und vergehn;

Ohne Trost, in Müh‘ und Schande;

Ohhh die weißen Männer!! klug und schön!

 

Und ich hab‘ den Männern ohn Erbarmen

Nichts getan.

Du im Himmel! Hilf mir armen

Schwarzen Mann![1]

 

Ein vergoldeter Apfel für Caroline

 

Die Familie Claudius wohnte in einem bescheidenen Haus in der Nähe des Wands­beker Schlosses, denn die Dichtkunst des Vaters brachte mehr Ruhm als Geld ein. Bescheiden sagte Claudius über sich: „Ich bin ein Bothe und nicht mehr.“ Seine Zeitung, der „Wandsbecker Bothe“, war schon vor zwei Jahrzehnten eingestellt worden, als 1796 Weihnachten im Schloss gefeiert wurde.

 

Gerade angesichts der ärmlichen Verhältnisse zu Hause genossen die Kinder das Weihnachtsfest im Schloss besonders, zu der die Grafenfamilie sie nach dem Tod von Heinrich Carl Schimmelmann eingeladen hatte. Dazu waren auch gute Freunde gekommen, allen voran der greise Dichter Friedrich Klopstock, der an diesem Abend aus seinem „Messias“ vorlas, seinem berühmten Gedicht vom Leben und Ster­ben des Heilands. Dass an diesem Abend der Geburt und des Todes Jesu gedacht wurde, mag für manche heutige Christinnen und Christen seltsam klingen, aber für Matthias Claudius gehörten der Anfang und das Ende des Lebens aufs Eng­ste zusammen. Deshalb hat auch der Gedanke an den Tod für ihn einen selbstverständlichen Platz in seinem berühmten Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“:

 

Wollst endlich sonder Grämen

Aus dieser Welt uns nehmen

Durch einen sanften Tod!

Und wenn du uns genommen,

Lass uns in Himmel kommen,

Du unser Herr und unser Gott![2]

 

Matthias Claudius hat seiner Anfang August 1796 verstorbenen Tochter Christiane ein berührendes Gedicht gewidmet. Es beginnt mit dem Vers:

 

Es stand ein Sternlein am Himmel,

Ein Sternlein guter Art,

Das tät so lieblich scheinen,

So lieblich und so zart.[3]

 

 

Das Sternlein ist verschwunden.

Ich suchte hin und her,

Wo ich es sonst gefunden,

Und finde es nicht mehr.[4]

 

Leben und Sterben, Leid und Glück waren bei dem Weihnachtsfest im Wandsbeker Schloss präsent. Man gedachte der toten Christiane – und es bahnte sich ein neuer Lebensabschnitt für eine ihrer Schwestern an. Einer der Gäste war der junge Buchhändler und Verleger Friedrich Perthes, der später zu den führenden Köpfen des Hamburger Kulturlebens zählen sollte. Aber noch war er unbekannt und fi­nan­ziell klamm. Friedrich Perthes hatte sich in die Tochter Caroline verliebt, und vermutlich schweiften seine Gedanken ab, während die Weihnachtsge­sell­schaft „Es ist ein Ros’ entsprungen“ sang und Matthias Claudius wie jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte vorlas.

 

Danach war die Zeit gekommen, die Geschenke auszutauschen, aber der arme Buch­händler konnte „seiner“ Caroline kein großes Geschenk machen. Allerdings, ist uns überliefert, wusste er sich zu helfen. Umständlich rückte er einen Sessel an den Weihnachtsbaum, stieg hinauf und holte den schönsten vergoldeten Apfel von der Spitze des Baums herunter. Damit ging er auf die überraschte Caroline zu und über­reichte ihn ihr feierlich. Sie war so sprachlos, dass sie sich nicht bedanken konnte. Auch die übrige Runde war vollkommen verwirrt. Vater Claudius räusperte sich, wusste aber nichts zu sagen. Eine der kleinen Claudius-Töchter rettete die Situation, indem sie vorschlug, ihr Bruder möchte doch das schöne Gedicht des Vaters „Der Winter ist ein rechter Mann“ aufsagen. Es hat acht Verse, genug Zeit für die Erwachsenen, die Verlegenheit zu überwinden und anschließend umso fröhlicher zu feiern.

 

Beim nächsten Weihnachtsfest standen Caroline und Friedrich schon als Buchhändlerehepaar Perthes unter dem Weihnachtsbaum. Ein Satz Carolines ist heute in Sammlungen von Zitaten über die Liebe zu finden: „Das Liebhaben ist gewiss das größte Wunder im Himmel und auf Erden und das Einzige, von dem ich mir vorstellen kann, dass ich es in Ewigkeit nicht satt bekommen werde.“

 

Ein Dichter wird zum Boten

 

Matthias Claudius wurde am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren. Sein Vater war Pastor des Ortes. Matthias wuchs in einer großen Geschwis­terschar auf. Dass im Jahre 1751 binnen kurzer Zeit drei seiner Geschwister star­ben, hat den späteren Dichter tief geprägt. Schon in seiner Kindheit hat er sich mit dem Tod auseinandersetzen müssen, und dies hat seine Frömmigkeit vertieft. Im Religionsunterricht des Vaters hatten gute Bibelkenntnisse einen festen Platz, aber offenbar kein dogmatisches orthodoxes Luthertum. Der Pastor vermittelte seinen Kin­dern eine „lebensvolle, warmherzige Frömmigkeit“, erfahren wir von dem Claudius-Biografen Peter Berglar.[5] Matthias und sein älterer Bruder Josias sollten The­o­logen werden, entschieden die Eltern. Dafür besuchten beide vier Jahre lang die La­teinschule in Plön und begannen 1759 gemeinsam mit dem Studium in Jena. Aber während der Bruder zielstrebig Theologie studierte, besuchte Matthias Claudius zahl­reiche Vorlesungen unterschiedlicher Fakultäten. Das eröffnete ihm einen Zugang zu viel Wissen und vielen Einsichten – nur nicht zu einem Studienabschluss. Nach drei Jahren gab er das Studium auf und kehrte in das Pfarrhaus nach Reinfeld zurück.

 

Der besorgte Vater musste alle Hoffnung aufgeben, dass sein Sohn Pastor werden würde, aber wenigstens eine bezahlte Anstellung sollte er annehmen. Verschie­dene fantastisch klingende Pläne des gescheiterten Studenten werden die El­tern beunruhigt haben, so die Idee, mit anderen Schriftstellern eine „Dichterkolonie“ auf Tahiti in der Südsee zu gründen.[6] Stattdessen wurde Matthias Clau­dius 1764 durch Vermittlung eines Onkels zum Sekretär des Grafen Ulrich Adolph von Holstein in Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt war damals ein wirtschaftliches und geistiges Zentrum Europas, und Matthias Claudius begegnet vielen der großen Denker und Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, vor allem Friedrich Klop­stock. Aber die laute Großstadt und die Arroganz seines Arbeitgebers veran­lassten Matthias Claudius, Kopenhagen nach eineinhalb Jahren abrupt wieder zu verlassen und im Sommer 1765 zu seinen Eltern nach Reinfeld zurückzukehren.

 

Drei Jahre blieb er dort, und wir wissen aus dieser Zeit vor allem, dass er Orgel spielte und in der Welt der Musik ein Zuhause fand. 1768 zog Matthias Claudius nach Hamburg um und bekam dort auf Vermittlung von Friedrich Klopstock eine Stelle als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Hamburger Adreß-Comtoir-Nach­richten“. Die Be­zahlung war miserabel und die Arbeit öde, denn der neue Redakteur musste u. a. die Schiffsankünfte im Hamburger Hafen vermelden. Viel wichtiger wurde ihm der geistige Austausch mit Klopstock, Lessing und Herder. Deshalb war es für Matthias Claudius wohl eher eine Erleichterung, dass ihm der Verleger 1771 kündigte. Anlass war ein „Wiegenlied, bei Mondschein zu singen“, das der dichtende Redakteur zwischen die Angaben über Schiffsankünfte und Börsenkurse eingefügt hatte.

 

Damals lebte Matthias Claudius bereits in Wandsbek, wo er sich in die sechzehnjährige Anna Rebecca Behn verliebt hatte. Sie war die Tochter eines Zimmermeis­ters und Gastwirtes, was den Dichter nicht daran hinderte, sie zeitlebens liebevoll „mein Bauernmädchen“ zu nennen. In einem Brief an Gottfried Herder bekannte Matthias Clau­­dius, „mir glühen oft die Fußsohlen für Liebe“.[7] Das blieb ein Leben lang so. Am 15. März 1772 wurde geheiratet, auch wenn es an einer soliden finanziellen Grundlage fehlte. Rebecca Claudius brachte zwölf Kinder zur Welt, von denen neun die erste Lebensphase überstanden.

 

Der „Wandsbecker Bothe“ – eine Zeitung mit hohem Ansehen und hohen Verlusten

 

Matthias Claudius fand eine Anstellung als Redakteur der neu gegründeten klein­formatigen Zeitung „Wandsbecker Bothe“ von vier Seiten, die vier Mal in der Woche erschien. Die Initiative für dieses Zeitungsprojekt ging von Heinrich Carl Schim­melmann aus, dem Unternehmer und Schlossherrn des Ortes, von dem wir schon erfahren haben. Eine gute Zeitung würde dem aufstrebenden Wands­bek mit damals 500 bis 600 Einwohnern gut anstehen, war er überzeugt. Die erste Ausgabe erschien am 1. Januar 1771, und schon auf der ersten Seite kündigte der Bote Claudius als Programm an, die Zeitung werde „gelehrte und polit’sche Mähr ... aus Asia und Africa, Europa und America“ ver­öffentlichen.[8] Und tatsächlich erschienen in der Zeitung neben lite­rarischen Texten auch Nachrichten aus aller Welt, oft mit wochen- oder monate­langer Verspätung, aber das war zu dieser Zeit auch in anderen Zeitungen so.

 

Matthias Clau­dius gewann viele berühmte Schriftsteller als Autoren für sein kleines Blatt. Aber mochte die lite­rarische Qualität der Zeitung in gebildeten Kreisen noch so anerkannt werden, im kleinen Ort Wandsbek fand diese Zeitung kaum Leser und wur­de wirtschaftlich zu einem Desaster. Die Bewohner Wandsbeks schätzten die Skan­dal­blätter aus Hamburg und nicht die geistigen Höhenflüge der Dichter der Klassik. Die kleine Zeitung war über 400 verkaufte Exemplare nie hinausgekommen – eine der wenigen Fehlinvestitionen des Finanzgenies Heinrich Carl Schimmelmann.  Nach nicht einmal fünf Jahren musste sie eingestellt werden.

 

Ein „Bothe“ wird berühmt und erscheint mit Nachtmütze an der Tür

 

Aber Matthias Claudius war inzwischen selbst zum „Wandsbecker Bothen“ ge­worden, zum Schriftsteller, der von seinem bescheidenen Häuschen am Rande von Hamburg aus die Welt betrachtete und unermüdlich Gedichte und kurze Ge­schich­ten und Artikel zu Fragen der Zeit schrieb. Er war als Journalist überzeugt: „Man muss den Menschen nur vernünftig ansprechen, und man wird sich wundern, wie er’s begreift.“[9] So dumm waren Leserinnen und Leser damals nicht, und bis heute hat diese Botschaft des Journalisten Claudius aus dem 18. Jahrhundert ihre Aktualität nicht verloren.

 

Vielen galt er als kauziges Ori­ginal, aber immer mehr Menschen pilgerten auch nach Wandsbek, um den Verfasser der vie­len schönen Zeilen zu sehen und vielleicht auch zu sprechen. Der Dichter, der häu­fig bis spät in den Tag hinein eine Nachtmütze trug und nachlässig gekleidet war, spiel­te dann den Hausdiener, trat vor das Haus und verkündete den Besuchern, der Herr Dichter sei leider nicht zu Hause.

 

Demgegenüber waren Matthias und Rebecca Claudius für ihre Freunde die zuvorkommendsten Gastgeber und holten alles her­vor, was ihre Küche und Speisekammer boten. Viel war es nicht, denn der Dichter hatte nur ein geringes Einkommen, und eine Kuh hin­ter dem Hause gehörte zu den wich­tigsten Besitztümern. Man arrangierte sich mit den bescheidenen finanziellen Möglichkeiten, und große Sorge hat sich Matthias Claudius um seine materielle Zu­kunft wohl nicht gemacht, dichtete er doch:

 

Gott gebe mir nur jeden Tag,

so viel ich darf zum Leben.

Er gib’s dem Sperling

auf dem Dach;

wie sollt er’s mir nicht geben.[10]

 

Zu diesem einfachen, gottesfürch­tigen Leben gehörte für den Dich­ter auch, seine Kinder zu unterrichten und mit ihnen zu spielen. Wenn er mit seinen Kindern im Garten herumtollte, löste das bei nicht wenigen Wandsbekern ein Stirnrunzeln aus. Konnte ein gesetzter Mann, dazu noch eine Berühmtheit, so einfach mit seinen Kindern im Garten Bockspringen?

 

„Es sind doch Menschen auch“

 

Matthias Claudius war ein fröhlicher Mensch, aber er blieb wach für soziales Unrecht und brachte zum Beispiel in einem Gedicht das Elend und die Mühe der Bauern zur Sprache. In der letzten Gedichtzeile lesen wir: „Es sind doch Menschen auch“.[11] Der Biograf Peter Berglar sprach ob solcher Texte von einer „in ihrer schlich­­ten Menschlichkeit so eindruckenvolle(n) soziale(n) Kritik“.[12] Verbunden damit war eine tiefe Friedensliebe. Bis heute berühmt ist sein Anti-Kriegs-Gedicht, das mit diesen Zeilen beginnt:

 

‚s Krieg!, ‚s Krieg!

o Gottes Engel wehre

und rede Du darein!

‚s leider Krieg – und ich begehre

nicht schuld daran zu sein.[13]

 

1814 musste der über 70-Jährige selbst vor dem Krieg flüchten, der in Hamburg und Umgebung zwischen den französischen Besatzungstruppen und den heranrückenden alliierten Armeen verschiedener europäischer Staaten tobte. Matthias Claudius fand Zuflucht bei befreundeten Familien in Schleswig-Holstein und konn­te nach dem Ende der Kämpfe nach Wandsbek zurückkehren. Aber wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit zog er zu seiner Tochter Caroline und ihrem Mann Friedrich Perthes nach Hamburg. Hier starb der Dichter am 21. Januar 1815. 1832 starb seine Frau Rebecca, die Gräber beider liegen neben der Christuskirche in Wandsbek.

 

Matthias Claudius hatte seiner Tochter Auguste zu einem Weihnachtsfest in ihre Bibel geschrieben: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein andrer Name gegeben, darin wir sollen selig werden, als in dem Namen Jesu Christi. – Halte Du fest an ihm in Freud und Leid, und es kann Dir nichts fehlen. Ich gehe natürlich voran und erwarte Dich, liebe Auguste, wenn Deine Stunde geschlagen hat, und will, wenn ich kann, Dir entgegenkommen. Dein treuer Vater Matthias Claudius.“[14]

 

Der Weihnachtsglaube des Dichters

 

Matthias Claudius gehörte zu den Schriftstellern das ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, die die Weihnachtsgeschichte noch aus tiefer Glaubens­überzeugung lesen konnten als genaue Darstellung dessen, was sich vor beinahe zwei Jahrtausenden in Bethlehem zugetragen hatte. Zeitgenossen waren da­mit beschäftigt, die Widersprüche in den Weihnachtsdarstellungen von Matthäus und Lukas und im ganzen Neuen Testament zu diskutieren, und zweifelten daran, dass die Bibel Wort für Wort von Gott in die Federn der Verfasser diktiert worden war, aber Matthias Claudius hielt an seinem heute fast naiv erscheinenden Glauben fest. Und er setzte sich mit dem neuen Denken auseinander. Diese Auseinandersetzung fand auch in seinem berühmten Gedicht „Der Mond ist aufgegangen“ ihren Niederschlag:

 

Wir stolzen Menschenkinder

Sind eitel arme Sünder,

Und wissen gar nicht viel;

Wir spinnen Luftgespinste,

Und suchen viele Künste,

Und kommen weiter von dem Ziel.

 

Gott, lass uns dein Heil schauen,

Auf nichts Vergänglichs trauen,

Nicht Eitelkeit uns freun!

Lass uns einfältig werden,

Und vor dir hier auf Erden

Wie Kinder fromm und fröhlich sein![15]

 

Matthias Claudius hat sich nicht nur in Gedichten in die theologischen Debatten seiner Zeit eingemischt. 1799 ver­­öffentlichte er den Text „An meinen Sohn Johannes“, in der er seine christlichen Über­­zeugungen pointiert dar­stellte: „Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten. Was Du sehen kannst, das siehe, und brauche Deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halt Dich an Gottes Wort. Bleibe der Religion Deiner Väter getreu und hasse die theologischen Kannengießer.“[16] Angesichts dieser Zeilen kann es nicht überraschen, dass Matthias Claudius die philosophischen Auffassungen Immanuel Kants für abwegig hielt und einen Freund fragte, ob „Kant sein ganzes System im Ernste glaube. Ich kann es bisweilen kaum meinen.“[17] Aber in seinem „einfältigen“ Glauben (wie er ihn selbst nannte) zeigte der Dichter Verständnis gegenüber einem Freund, der zum Katholizismus übergetreten war („wir haben einen Herrn Chris­tus“) und äußerte über die asiatischen Religionen: „Alle sind übermenschlichen Ur­sprungs und durch ein himmlisches Wesen geoffenbart und mitgeteilt worden.“[18]

 

Das Gedicht „Weihnachts-Cantilene“, also einem gesungenen Gedicht zur Verehrung des Jesuskindes, in dem Matthias Claudius die Weihnachtsgeschichte ro­man­tisch verklärt nachdichtete, endet mit zwei Absätzen, die eine Glaubensge­wiss­heit ausdrücken, nach der sich heute viele sehnen:

 

Die Weisen fielen vor ihm nieder

Und gaben ihre Schätze gern,

Und gaben Weihrauch, Gold und Myrrhen.

Sie sahen seinen Stern,

Und kannten ihren Heiland, ihren Herrn,

Und ließen sich das Heu und Stroh nicht irren.


Dem Menschen dünkt es wunderbar,

Und mag es nicht verstehn;

Doch ist’s wahrhaftig wahr!

Und selig sind die Augen, die ihn sehn.[19]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

Weitere Beiträge der Reihe "Ökumenische Porträts" finden Sie auf der Seite "Ökumenische Porträts". 

 



[1] Matthias Claudius: Der Wandsbecker Bote, Frankfurt am Main 1975, S. 39

[2] Ebenda, S. 292

[3] Matthias Claudius: Der Wandsbecker Bote, Husum 1981, S. 31

[4] Ebenda

[5] Peter Berglar: Matthias Claudius, Reinbek 1972, S. 13

[6] Vgl. ebenda, S. 17

[7] Zitiert nach: Georg-Wilhelm Röpke: In Wandsbek zu Hause, in: Georg Wilhelm Röpke (Hrsg.): In Wandsbek zu Hause, Matthias Claudius, Hamburg 1990, S. 31

[8] Zitiert nach: ebenda, S. 29

[9] Zitiert nach: Reymar Klüver: Matthias Claudius, Schiffsmeldungen, Süddeutsche Zeitung, 12.5.2003

[10] Zitiert nach: Peter Berglar: Matthias Claudius, a.a.O., S. 128

[11] Zitiert nach: ebenda, S. 57

[12] Ebenda

[13] Matthias Claudius: Wandsbecker Bote, Frankfurt am Main 1995, S. 316

[14] Zitiert nach: Peter Berglar: Matthias Claudius, a.a.O., S. 76

[15] Matthias Claudius: Der Wandsbecker Bote, Frankfurt am Main 1975, S. 292

[16] Zitiert nach: Peter Berglar: Matthias Claudius, a.a.O., S. 116

[17] Ebenda, S. 118

[18] Vgl. ebenda, S. 120ff.

[19] Zitiert nach: Gundel Paulsen (Hrsg.): Weihnachtsgeschichten aus Hamburg, Husum 1992, S. 25