Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1246 – Heilwig von der Lippe gründet ein Frauenkloster und wird Äbtissin

Es gibt keine Frau in der Hamburger Geschichte, die so umfangreich auf dem Hamburger Stadtplan vertreten ist wie Heilwig von der Lippe mit dem von ihr gegründeten Kloster. Neben der Heilwigstraße und der Heilwigbrücke sind der Klosterstern, der Nonnenstieg, die Abteistraße, die Straße Klostergarten, die Klosterallee, die Innocenciastraße, der Innocenciapark und die Straßen Jungfrauenthal und Frauenthal zu nennen. Außerdem trägt das Heilwig-Gymnasium den Namen der Äbtissin. Der Name des Stadtteils Harvestehude erinnert an den Namen des Klosters.

Heilwig von der Lippe wurde um das Jahr 1400 geboren. Ihr Vater war Hermann II. von der Lippe, ihre Mutter Oda von Tecklenburg. Ihr Vater gehörte zum Hochadelsgeschlecht der von der Lippe und besaß als Regent in Lippe und später als Bischof von Utrecht großen politischen und militärischen Einfluss. Die Tochter Heilwig heiratete Graf Adolf IV. von Schauenburg, der bedeutende Teile von Norddeutschland beherrschte.

Das Leben von Adolf IV. und seiner Frau Heilwig nahm mit der Schlacht von Bornhöved gegen die Dänen am 22. Juli 1227 eine entscheidende Wendung. Adolf IV. legte während der Schlacht das Gelübde ab, er werde ein Kloster gründen und Mönch werden, wenn Gott ihm zum Sieg verhelfen werde. Er siegte tatsächlich, hielt sein Gelübde ein, gründete mehrere Klöster und wurde Abt eines Klosters in Kiel.

Gemeinsam mit seiner Frau unternahm er 1238 eine anstrengende Pilgerreise nach Livland (heute Estland und große Teile von Lettland). Seine Frau unterstützte ihren Mann auf dem Weg vom politischen Herrscher zum Abt und beschloss 1246, mit ihrem eigenen Vermögen ein Frauenkloster zu gründen und dort in Zukunft zu leben. Es gelang ihr, mehrere Frauen zu finden, die gemeinsam mit ihr an der Verwirklichung dieses Plans arbeiteten.

Die Gründung eines Klosters

Es wurde ein Gelände an der Elbe im Grenzgebiet von Hamburg und Holstein für die Anlage dieses Zisterzienser-Klosters ausgewählt. Es lag in der Nähe des Dorfes Herwardeshude an einem Bach, der später den Namen Pepermölenbek erhielt. Das Kloster entstand etwa dort, wo heute der Fischmarkt abgehalten wird. Heilwig verteilte ihren verbliebenen Besitz unter den Armen der Stadt und übernahm die Leitung des neuen Klosters als Äbtissin. Sie war aber wie die späteren Äbtissinnen dem Propst des Erzbischofs von Hamburg-Bremen und dem Domkapitel unterstellt. Aber der Erzbischof war weit weg, und so konnten die Äbtissinnen viele Entscheidungen selbst treffen. Der Erzbischof unterstützte den Bau des Klosters dadurch, dass er 1249 allen den Ablass von ihren Sünden gewährte, die sich an der Verwirklichung des Bauvorhabens beteiligten. Das Todesdatum von Heilwig von der Lippe ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass sie bald nach Fertigstellung des Klosters 1249    oder 1250 gestorben ist.

Die Nonnen stammten überwiegend aus wohlhabenden und reichen Familien. Töchter, die nicht verheiratet werden konnten oder die man zugunsten der Söhne vollständig vom elterlichen Erbe ausschließen wollte (sie durften als Nonnen nichts besitzen), wurden ins Kloster geschickt. Oft wird es die Entscheidung der Familie und nicht die Glaubensüberzeugung der Frauen gewesen sein, die sie zu Nonnen werden ließ. Für Frauen, die von sich aus nicht heiraten wollten, bot die Aufnahme in ein Kloster die Möglichkeit, einen angesehenen sozialen Status zu erlangen und wirtschaftlich abgesichert zu sein.

Der Alltag des Klosterlebens

Die Nonnen waren nach den Zisterzienser-Ordensregeln zu Armut, Keuschheit und Gehorsam verpflichtet. Die Frauen, für die der Verzicht auf vieles Liebgewonnene des bürgerlichen Lebens eine große Umstellung bedeutete, nahmen im Laufe der Jahre das Armutsgebot nicht mehr sehr ernst und verbesserten ihre Lebensqualität dadurch, dass sie viele Arbeiten von sogenannten Laienschwestern erledigen ließen, die aus weniger betuchten Familien stammten und vom Kloster abhängig waren.

Den Zisterzienser-Nonnen war es verboten, ihr Kloster zu verlassen. Der Tag wurde strukturiert durch mehrere Gottesdienste und Gebetsstunden, von denen die erste bereits um drei Uhr morgens begann. Arbeiten und Beten prägten den Alltag. Neben den Tätigkeiten im Garten, in der Küche und im Brauhaus arbeiteten die Nonnen auch im Hospital des Klosters. Außerdem unterrichteten sie Schülerinnen aus bürgerlichen Familien, die für einige Jahre im Kloster wohnten. Sprechen durften die Nonnen nur zwei Stunden lang am Nachmittag, den übrigen Tag waren Gespräche verboten. Man ernährte sich sehr überwiegend vegetarisch, nur Fisch war als einzige tierische Nahrung erlaubt. Die zunächst etwa dreißig Nonnen konnten von den Einnahmen aus ihrem großen Grundbesitz in wachsendem Maße angenehm leben.

Die Verlegung des Klosters nach Harvestehude

Den Standort des Klosters an der Elbe gab man bald wieder auf, weil er durch Elbfluten bedroht war und ebenso durch mögliche Angriffe von Piraten. Vor allem aber erstreckte sich das Klostergelände auf beiden Seiten des Mühlenbachs, der die Grenze zwischen Hamburg und Holstein bildete. Der Rat der Hansestadt war daran interessiert, eine klare Grenzziehung zu Holstein vorzunehmen. Auch galt es, ein freies Schussfeld vor der Stadtbefestigung zu schaffen.

Das Kloster wurde deshalb 1295 nach Odersfelde an der Alster verlegt. Der volkstümliche Name „Die Frauen von Herwardeshude“ blieb als Klosterbezeichnung erhalten und wandelte sich zu Harvestehude. Später bezeichnete man die gesamte Umgebung des Klosters als Harvestehude, heute ein Stadtteil Hamburgs. An den eigentlichen Namen des Klosters „Frauenthal“ (Niederdeutsch „Vrouvendales“) erinnert heute nur noch ein Straßenname.

Das Kloster gelangte durch Schenkungen und Käufe in den Besitz große Ländereien in den Ortschaften nördlich und westlich des damaligen Stadtgebietes von Hamburg, so zum Beispiel in Alsterdorf, Rissen und Winterhude. Im 14. Jahrhundert war der Landbesitz des Klosters weit größer als die Stadtfläche Hamburgs. Damit war das Kloster ökonomisch sehr gut abgesichert und die Äbtissinnen entsprechend selbstbewusst.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann