Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1383 – Meister Bertram stellt den Altar der Kirche St. Petri fertig

 „Anno 1383 wort de tafel des hogen altares tho S. Peter tho Homborch gemaket. De se makede, hetede mester Bertram van Mynden.“ So steht es in einer alten Chronik über den Altar von St. Petri in Hamburg. Neben zwei Testamenten gehört dieser Satz schon zu dem Wenigen, was schriftlich über den Maler und Bildhauer Meister Bertram überliefert ist. Wahrscheinlich wüssten heute nur noch einige Kunsthistoriker von Meister Bertram, hätte nicht der Hamburger Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark < S. 612 > den St. Petri-Altar in der mecklenburgischen Kleinstadt Grabow aufgespürt und 1903 in die Hansestadt geholt.

Wer war dieser Meister Bertram? Er wurde um das Jahr 1340 in Minden in Westfalen geboren und hat vermutlich verschiedene Reisen unternommen, auf denen er sich von der europäischen Kunst seiner Zeit inspirieren ließ, bevor er etwa 1367 nach Hamburg kam. Er machte sich rasch sowohl als Maler als auch als Bildhauer einen Namen. Damaligen städtischen Rechnungsbüchern ist zu entnehmen, dass er auf vielfältige Weise für die Stadt tätig war. So hat er zum Beispiel Botentaschen für die Stadt bemalt und Marienskulpturen geschaffen. Auch für einen Hängeleuchter bezahlte man ihn.

Ein Künstler mit hohem Ansehen in der Stadt

Bertram genoss nach der Vollendung dieser Werke hohes Ansehen als Bürger der Stadt. Bereits vier Jahre nach seiner Ankunft in Hamburg konnte er ein Haus erwerben und beschäftigte Gesellen und Lehrlinge. Sein Ansehen zeigte sich daran, dass er zum „Ältermann“ (Vorsitzender) des Hamburger Maleramtes gewählt wurde. Das genaue Todesdatum des Meisters ist nicht bekannt, aber es kann das Jahr 1415 gewesen sein. Mit etwa 75 Jahren erreichte Meister Bertram für seine Zeit ein hohes Alter.

Berühmt geworden ist der Meister durch den großen Altar der St. Petri-Kirche, der eine Höhe von 2,77 Meter und aufgeklappt eine Breite von 7,26 Meter hat. Alfred Lichtwark erkannte Jahrhunderte später in dem gotischen Altar eines der bedeutendsten Kunstwerke des Mittelalters in Norddeutschland und holte ihn in die Kunsthalle: „Man steht sofort im Bann eines großen Künstlers, wenn man beginnt, sich in eine einzelne Figur zu vertiefen.“

Dass Lichtwark die Einzeldarstellungen hervorhob, ist kein Zufall, denn es gelang zunächst nicht, die Botschaft des gewaltigen Altars zu entschlüsseln. Zwei Flügel fehlten zunächst, konnten aber in Hamburg wiederentdeckt werden. Die größten Rätsel warf zunächst die Kreuzigungsgruppe im Zentrum des Altars auf. Das Kruzifix und die Figuren von Maria und Johannes sind wesentlich älter als der Altar selbst, während sich der Golgatha-Hügel im Hintergrund und die Gesamtkomposition der Kreuzigungsgruppe auf das Jahr 1596 datieren lassen. Zudem will die Kreuzigungsszene so gar nicht zu den übrigen Bildern und Skulpturen des Altars passen.

Der Altar als Spiegel der alltäglichen Probleme in Hamburg

Wenn wir das Geheimnis des Altars entschlüsseln wollen, müssen wir uns in das 14. Jahrhunderts zurückversetzen. Damals war Hamburg eine aufstrebende Handels- und Hafenstadt mit etwa 8.000 Einwohnern, die vor allem vom Bierbrauen lebten. Es gab damals über 500 Braustätten in der Stadt, und Hamburger Bier wurde in ganz Nordeuropa getrunken. Allerdings war der neue Wohlstand stets gefährdet. Sieben Pestepidemien rafften zwei Drittel der Bewohner der Stadt hinweg. Angesichts solcher Katastrophen und des alltäglich drohenden Leidens sehnten sich viele Menschen nach einem besseren Jenseits, nach einer Rückkehr zu Gott. Und das war das große Thema des Altars.

Wochentags war der Altar geschlossen, und vermutlich sahen die Gläubigen dann auf den (verlorengegangenen) Außenseiten der äußeren Tafeln die Apostel Petrus und Paulus. An Sonntagen wurden die vorderen Flügel aufgeklappt, und nun waren auf Goldgrund 24 biblische Szenen von der Schöpfung bis zur Flucht nach Ägypten zu bestaunen. Es handelt sich nicht lediglich um zufällige Bilder einzelner biblischer Szenen, sondern dahinter stand ein großer theologischer Entwurf der mittelalterlichen Mystik, dessen Mittelpunkt die Verfolgung in der Welt und die Tröstung durch Gott bildete.

An hohen Feiertagen klappte man die vorderen Flügel nach außen, und nun sah die Gemeinde auf den beiden dahinterliegenden Flügeln und im Zentrum des Altars auf über 40 geschnitzte Figuren, vor allem Apostel und Propheten. In der Mitte der Darstellung befindet sich heute die erwähnte Kreuzigungsszene, aber das war nicht immer so. Der Hamburger Kunsthistoriker Christian Beutler hat das Geheimnis des Altars in seinem Buch „Der Hochaltar von Sankt Petri“ entschlüsselt und nachgewiesen, dass sich hier ursprünglich eine Skulpturengruppe befand, die die Himmlische Hochzeit von Maria und Jesus darstellte. Die Sehnsucht der Menschen nach einer Vereinigung mit Gott, einer Rückkehr in den Himmel, kam durch diese Hochzeit zum Ausdruck. Dabei knüpfte Meister Bertram an das Hohelied Salomos an. Maria symbolisierte dabei die Menschen oder auch die Kirche. Jesus stand für das Göttliche. Die übrigen Skulpturen des Altars waren die Trauzeugen des großen festlichen Ereignisses.

Warum der Altar verändert wurde

Durch den Altar erfahren wir also viel über den Glauben der Hamburgerinnen und Hamburger in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Handwerker und Künstler Meister Bertram allein die komplexen Überlegungen angestellt hat, die dem Gesamtkonzept und vielen Details des Altars zugrunde liegen. Dieses Konzept stammte wahrscheinlich von dem hochgebildeten Theologen Wilhelm Horborch. Aber Meister Bertram hat dieser Vision vom besseren Jenseits konkrete Gestalt gegeben und in den Gesichtern der leidenden Menschen das ganze Leiden seiner Zeit zum Ausdruck gebracht. Gestiftet haben den Altar die Brüder Bertram und Wilhelm Horborch, die als Bürgermeister und Theologieprofessor ein hohes Ansehen genossen und offenkundig über ein großes Vermögen verfügten.

Aber warum hat man den Altar später zum Teil umgestaltet und zum Teil zerstört? Der Grund liegt in der Reformation. Die Lutheraner grenzten sich scharf gegen den Marienkult der Katholiken ab. Eine Hochzeit von Maria und Jesus erschien ihnen als Skandal, zumal die Symbolik des Bildes vielleicht nicht mehr bekannt war. Also entfernte man die Skulpturen im Zentrum des Altars 1596 und ersetzte sie durch eine Kreuzigungsszene, für die ältere Skulpturen in eine neue Darstellung einbezogen wurden.

Damit war die Aussage des Altars verlorengegangen, und außerdem war die Kreuzigungsszene den Lutheranern, immer noch nicht herausragend genug im Altar vertreten. Man fand, dass der Altar „bei seinem riesigen Umfang im Wege“ wäre und schenkte ihn 1731 der Gemeinde Grabow, die ihren eigenen Altar bei einem Brand verloren hatte. Da hatte der Altar bereits seine beiden äußeren Flügel verloren, die man einem Hamburger Künstler überließ, der sie übermalte. Auch diese Flügel fand Alfred Lichtwark wieder.

Der Buxtehuder Altar

Meister Bertrams zweites berühmtes religiöses Werk, der „Buxtehuder Altar“, wurde um das Jahr 1410 fertiggestellt und stand zunächst in der Kapelle des Frauenklosters in Buxtehude. Wie von den Nonnen gewünscht, entstand ein Marienaltar mit 16 Bildtafeln aus dem Leben der Jesusmutter. Dabei orientierte sich Meister Bertram nicht in erster Linie am Neuen Testament, sondern am Protevangelium des Jakobus. Es zählt zu den so genannten Apokryphen Schriften, also zu den antiken christlichen Texten über das Leben und die Lehre Jesu sowie seine Familie, die keine Aufnahme in das Neue Testament gefunden haben.

Der Verfasser des Protevangeliums füllte mit viel Fantasie die Lücken, die die Verfasser des Neuen Testaments über die Herkunft und Einzelheiten des Lebens Marias gelassen hatten. So erhielten hier die Eltern Marias die Namen Joachim und Anna. Auf den anschaulichen Bildern des Altars werden die Legenden über Maria dargestellt und zwar so, als hätte alles im 15. Jahrhundert stattgefunden. Auf diese Weise erfährt der Betrachter viel über die Kleidung und das Zuhause wohlhabender Familien im Hamburg des 15. Jahrhunderts.

Diesen Buxtehuder Altar, ein sehr gut erhaltenes Meisterwerk mittelalterlicher Malerei, konnte Lichtwark 1903 als Dauerleihgabe in die Kunsthalle holen, sodass diese beiden Hauptwerke Meister Bertrams nun zu den bedeutendsten Kunstwerken des Hauses zählen. Es ist seither möglich, die beiden Altäre in der Kunsthallte zu bewundern und zu erfahren, wie den Menschen des Mittelalters mit Bildern und geschnitzten Figuren die damaligen Glaubensüberzeugungen vermittelt wurden.

 

Auf dem Hamburg Stadtplan ist die Meister-Bertram-Straße in Ohlsdorf verzeichnet. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann