Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1429 - Geseke Cletzen eröffnet ein Hospital für arme Frauen

Geseke Cletzen gehörte zu den bekanntesten Hamburgerinnen des 15. Jahrhunderts. Ihre Eltern Albert und Margarethe Schreye verfügten über ein beträchtliches Vermögen und der Vater außerdem über großen politischen Einfluss. Das Vermögen entstand durch einen erfolgreichen Handel mit England und Flandern. Dieser Handel wurde vom Ende des 14. Jahrhunderts an immer stärker durch Piratenüberfälle beeinträchtigt, und deshalb gehörte Albert Schreye zu den Kaufleuten, die sich aktiv am Kampf gegen Störtebeker & Co. beteiligten. In mehreren Seegefechten gelang es der Hamburger Flotte, viele Seeräuber zu töten oder aber gefangen zu nehmen und anschließend zur Abschreckung öffentlich zu enthaupten.

Das Geburtsdatum der jüngsten Tochter Geseke kennen wir nicht, aber sie muss etwa 1380 geboren worden sein. Sie wuchs wohlbehütet im großen Haus der Familie an der Straße Neue Burg auf. Anders als ihre Brüder erhielt sie keine Schulbildung, sondern lernte zu sticken, zu nähen und zu weben. Als sie hartnäckig darauf beharrte, eine Schulbildung zu erhalten, kam die Jugendliche für fünf Jahre in das Kloster Harvestehude. Silke Urbanski hat in ihrer romanhaften Biografie von Geseke Cletzen deren Alltag im Kloster beschrieben:

„Es dauerte nicht lange, bis sich Geseke langweilte. Der Alltag der Schülerinnen folgte dem der Nonnen. Die Klosterfrauen standen gegen drei Uhr in der Frühe auf, weit vor Sonnenaufgang. Sie lasen eine Morgenmesse, Lobgesänge und meditierten in der Kirche ... Mit dem Aufgang der Sonne wurden die Schülerinnen geweckt und zur ersten Tagesmesse, der Prim, gebracht. Zum Frühstück gab es Brot und selbst gebrautes Bier. Dann begann der Unterricht. Gegen acht Uhr wurde eine weitere Messe abgehalten. Darauf trafen sich die Nonnen zu Beratungen, die Schülerinnen erledigten Haushalts- und Schreibaufgaben.“ Auch der Ablauf des übrigen Tages war genau geregelt, und als Pause waren lediglich zwei Stunden am Nachmittag vorgesehen. In dieser Zeit durfte gesprochen werden, die übrige Zeit galt: „Unter den Schülerinnen aber herrschte eine harte Disziplin. Kein Mädchen sprach, wenn sie nicht Erlaubnis erhielt, keine tat etwas, zu dem sie nicht aufgefordert wurde.“

Wie in anderen reichen und einflussrechen Familien der Stadt planten die Eltern die Vermählung ihrer Tochter Geseke mit dem Ziel, das Vermögen und den politischen Einfluss der Familie zu vergrößern. Die Wahl fiel auf den Ratsherrn Siegfried Clingspor, der seinerseits großes Interesse daran hatte, durch die Heirat die Verbindung zur Familie Schreye zu festigen. Nicht nur war Albert Schreye Ratsherr, sondern ein Neffe war zum Bürgermeister aufgestiegen.

Dass der Bräutigam mehr als doppelt so alt war wie Geseke, betrachteten die Eltern von Geseke bei der Heiratsplanung nicht als Hindernis, zumal die Gespräche von Margarethe Schreye mit den Frauen der Familie Clingspor zum Ergebnis hatten, dass die beiden wohl zusammenpassen würden. Die 21-jährige Geseke selbst hatte wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Wahl des Ehemanns. Eine Liebesheirat war in den Plänen der Familie nicht vorgesehen.

Heirat mit dem Kaufmann Johann Cletzen

Aus der 1401 geschlossenen Ehe gingen zwei Söhne hervor, die aber in jungen Jahren starben. Der Ehemann starb auch bereits nach wenigen Ehejahren 1406. Vier Jahre später heiratete die Witwe den Kaufmann Johann Cletzen, der großen politischen Einfluss besaß. 1410, im Jahr der Heirat, beteiligte er sich an den Auseinandersetzungen zwischen dem Rat, in dem die reichen Kaufleute das Sagen hatten, und den Handwerkern, die endlich an den politischen Entscheidungen beteiligt werden wollten und eine Verminderung ihrer Steuerlast forderten.

Johann Cletzen ergriff Partei für die Handwerker und trug dazu bei, dass der Rat einen Kompromiss einging. In den vier Kirchspielen (St. Jacobi, St. Katharinen, St. Nikolai und St. Petri) wurden jeweils 15 Bürger gewählt, und dieses Gremium der Sechziger musste vom Rat vor vielen Entscheidungen konsultiert werden. Im folgen­den Jahr stieg Cletzen in den Rat der Stadt auf, obwohl verschiedene Ratsmitglieder weiterhin Vorbehalte gegen den früheren Rebellen hatten. Er erwarb sich aber große Verdienste als Gesandter der Stadt und bei militärischen Auseinandersetzungen.

1427 führte er die Hamburger Truppen im Krieg von Schauenburger Grafen und Hanse gegen Dänemark. Bei der Belagerung Flensburgs kam es zu einer Verkettung unglücklicher Umstände. Die Anführer der Belagerungstruppen hatten am Abend vor dem Himmelfahrtstag das Ausschenken von Bier an die Soldaten angeordnet. Die betrunkenen Soldaten beschossen aus Übermut die Stadt mit Brandpfeifen und lösten dort ein Feuer aus. In dem entstehenden Chaos ordnete Graf Heinrich VI. von Holstein den Sturm auf Flensburg an, der fehlschlug. Er selbst wurde von einem Pfeil tödlich getroffen.

Daraufhin beendeten die Verbündeten die Belagerung, und in Hamburg gab man Cletzen die Schuld für die Niederlage. Es wurde sogar die Behauptung aufgestellt, er hätte heimlich mit den Dänen zusammengearbeitet. Tatsächlich war er der Sündenbock für einen fehlgeschlagenen Feldzug, obwohl die Verluste gering waren und andere den Rückzug angeordnet hatten.

Die Hinrichtung von Johann Cletzen

Die Vorwürfe boten die Gelegenheit, den früheren „Aufrührer“ loszuwerden. Er wurde festgenommen und mehrfach gefoltert, verweigerte aber hartnäckig ein Schuldeingeständnis. Der Rat beschloss trotzdem, ihn ohne Prozess hinzurichten. Seine Hinrichtung am 16. Januar 1429 hat Silke Urbanski so beschrieben: „In aller Frühe fuhren sie ihn auf einem Wagen nach St. Petri. Er hielt sich gerade, und seine Gesichtszüge waren ruhig, als würde er in der Ferne Musik hören. Noch immer trug er die Ratskette über dem dunklen Wams. Haltung und Gewand beeindruckten alle, die ihn sahen. Keiner wagte, Johann Cletzen zu beschimpfen … Johann wollte keine Augenbinde. Auch als er langsam niederkniete, hielt er seine Frau im Blick. Geseke hatte das Gefühl, als würde sie seine Stimme hören. Mach dir keine Sorgen, Geseke.“

Die Gründung des Krankenhauses

Vor seiner Hinrichtung hatte er mit seiner Frau ein gemeinsames Testament aufgesetzt. Darin legten sie fest, dass das Haus der Familie zu einem Frauenspital für zwanzig bedürftige Frauen umge­wandelt werden sollte. Verwirklichen ließ sich der Plan aber nur, wenn die Witwe einen Geistlichen und einen Ratsherrn fand, die die Aufsicht über das erste Haus dieser Art in Hamburg übernehmen würden. Das gestaltete sich durch das „unehrenhafte“ Ende von Johann Cletzen nicht einfach, aber die Witwe konnte den Ratsherren Simon von Utrecht < S. 80 > für die Aufgabe gewinnen, der auch für eine geistliche Begleitung sorgte.

Als rechtlichen Rahmen gründete man eine Bruderschaft. Geseke Cletzen leitete das Hospital und wohnte auch dort. Die Frauen lebten in dem Haus ohne religiöse Verpflichtungen zusammen. Das Hospital erhielt den Namen der heiligen Elisabeth von Thüringen, die den Schritt von der Herzogin zur Krankenpflegerin gewählt hatte. Das Spital St. Elisabeth wurde mit seinem niederdeutschen Namen bekannt, Ilsabeenhaus. Geseke Cletzen starb zwischen 1444 und 1447. Ihr immer noch beträchtliches Vermögen vererbte sie vor allem an Frauen, darunter ihre Magd, Verwandte und Freundinnen. Das von ihr gegründete Hospital löste man im Verlauf der Reformation auf.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann