Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1528 - Stephan Kempe streitet bei einer Disputation erfolgreich für die Reformation

Gerüchte schwirrten durch die Stadt: romtreue Christinnen und Christen hätten sich heimlich im St. Johannis-Kloster der Dominikaner getroffen und einen Aufstand geplant. Obwohl keiner von den Evangelischen dabei gewesen war, „wusste“ man ganz genau, was die Romtreuen vorhatten. Die „Martinianer“, die Anhänger Martin Luthers, sollten ermordet und die Stadt nachts in Brand gesteckt werden. Heimlich sollten die dem alten Glauben treuen Bauern aus Billwerder und Ochsenwerder in die Stadt geholt werden, um den Aufruhr zu unterstützen.

Alles Gerüchte, sagten besonnene Leute, aber die Situation blieb in diesem Frühjahr 1528 sehr angespannt. Schließlich tobten überall in Deutschland heftige Auseinandersetzungen um den rechten Glauben, und man focht sie mancherorts mit Gewalt aus. Der Rat der Stadt Hamburg war zunächst ratlos. So machte er einen neuen Versuch, die Frage nach dem rechten Glauben in einer Disputation von Pastoren und Gelehrten beider Konfliktparteien öffentlich zu debattieren.

Allerdings, die Öffentlichkeit war eingeschränkt, denn die meisten Beiträge wurden auf Latein gehalten. Aber dass es um grundlegende Themen des Glaubens ging, das bekamen alle mit. Während in Königreichen und Fürstentümern die Herrscher über den Glauben ihrer Untertanen entschieden, wollte dies in Hamburg der Rat tun, vor allem, um den Frieden in der Stadt zu wahren.

Seit einigen Jahren war jede Pastorenwahl und jede Entscheidung über die Finanzierung kirchlicher Einrichtungen zum Machtkampf zwischen den „Martinianern“ und ihren Gegnern geworden. Die Anhänger Luthers gewannen allmählich die Oberhand in der Stadt, und in drei der vier großen Kirchspiele predigten Pastoren, die sich zu den Evangelischen rechneten. Die Romtreuen sammelten sich in der St. Petri-Gemeinde, im Dom und im St. Johannis-Kloster.

Stephan Kempe prangert Missstände in der Kirche an

Zu den wichtigsten und beredtsten Verfechtern des neuen Glaubens ge­hörte Stephan (oder Stefan) Kempe. Über seine Kindheit und Jugend wissen wir nichts. Bekannt ist, dass er 1521 Theologie in Rostock studierte und sich dem Franziskanerorden angeschlossen hatte. Stephan Kempe las einige Schriften von Martin Luther, und dessen Kritik an Missständen in der Kirche und an der vorherrschenden Theologie teilte er. Als Franziskanermönch nahm Kempe das Vorbild des Franz von Assisi ernst, in Armut und Demut zu leben. Entsprechend empört war er über das ausschweifende, liederliche Leben vieler Geistlicher, Mönche und Nonnen seiner Zeit und hatte sich deshalb den Reformern um Luther angeschlossen.

 Als er 1523 von Rostock nach Hamburg kam, sollte er nur für kurze Zeit im Franziskanerkloster St. Maria-Magdalenen leben und arbeiten. Aber sehr rasch sprach es sich in der Stadt herum, dass Kempe in lebendigen und anschaulichen Predigten die Bibel im Geiste Luthers auslegte und dessen Lehre von der Gnade Gottes verkündete. Er tat das in niederdeutscher Sprache, während bis dahin das Latein die Gottesdienste geprägt hatte. Kempe attackierte auch den Ablasshandel, also die Sündenvergebung aufgrund von Spenden für die Kirche. Die Gläubigen hörten gern, dass er predigte, von Ablass stünde nichts in der Bibel.

Arme und Reiche der Stadt strömten in die Kirche des Klosters St. Maria-Magdalenen, um Kempes Predigten zu hören. Die romtreuen Pastoren versuchten, ihn möglichst rasch zu vertreiben, aber die Bürger drohten, dann das Kloster nicht mehr zu unterstützen. Sie setzten so den Verbleib Kempes in Hamburg durch. Er selbst fühlte sich in der Stadt so wohl, dass er Berufungen an andere Orte ablehnte und in einem Lied dichtete: „Hamborch, du gude stede, grote ere bistu wert“.

1526 wurde Barthold Moller, der frühere Lehrer Kempes in Rostock und angesehene theologische Gelehrte, als oberster Prediger an den Hamburger Dom berufen und vertrat dort die Sache der katholischen Partei. Bald kam es zwischen Kempe und Moller zu einem heftigen Streit über das Abendmahlsverständnis, den die ganze Stadt verfolgte. Der Rat verbot Ende Dezember 1526 alles Schelten und Verketzern von der Kanzel und forderte, dass das reine und lautere Evangelium gepredigt werden sollte. Aber das behaupteten beide Konfliktparteien von sich selbst und attackierten weiter die Gegenseite.

Eine Disputation soll klären, ob Hamburg lutherisch wird

Es ging nicht um akademische Fragen, sondern um den rechten Weg zum Seelenheil, um den Weg in den Himmel oder in die Hölle. Und diese Fragen beschäftigten ganz existenziell alle Gläubigen. Die Evangelischen beharrten darauf, dass nur die Bibel die Richtschnur für den Glauben sein könnte, während die Romtreuen auf der Verbindlichkeit auch der Lehren der Kirche und der Konzilsbeschlüsse pochten.

1527, als die Evangelischen bereits das Übergewicht in der Stadt erlangt hatten, wurde Stephan Kempe zum Pfarrherrn von St. Katharinen gewählt. Er mahnte hier zur Besonnenheit, um eine bewaffnete Auseinandersetzung über den rechten Glauben zu verhindern. Er nahm für die Evangelischen an der ersten Disputation im Mai 1527 teil, die der Rat der Stadt zwischen den Vertretern der beiden kirchlichen Lager einberufen hatte.

Gestritten wurde unter anderem über das Abendmahlsverständnis und darüber, ob die Gläubigen die Bibel selbst lesen oder sie ausschließlich unter Anleitung durch die Pfarrer hören sollten. Die Hamburger Anhänger Luthers hatten schon vollendete Tatsachen geschaffen und von 1523 an das Neue Testament sowie Schritten Luthers in niederdeutscher Sprache in der Stadt drucken lassen.

Als der Streit kein Ende nahm, lud der Rat zu einer zweiten Disputation am 28. April 1528 ein. Sie endete mit einem vollständigen Erfolg für die Anhänger der Lehren Luthers. Dazu trugen nicht nur theologische Argumente bei, sondern auch die Befürchtung des Rates, dass bei einer Entscheidung für die katholische Seite ein Aufstand der evangelischen Mehrheit unter den Bürgern zu befürchten war. Die führenden Vertreter des „alten Glaubens“ wies der Rat anschließend aus der Stadt.

Nur der Dom, der dem Erzbischof in Bremen unterstand, blieb Katholiken als Enklave erhalten, Gottesdiente durften dort aber nicht mehr abgehalten werden. Stephan Kempe blieb ein hochangesehener Prediger und Reformator. Wie andere evangelische Theologen gab er das Zölibat auf und heiratete 1530 die Hamburger Bürgertochter und ehemalige Nonne Anna Eycke. Als er zehn Jahre später am 23. Oktober 1540 starb, war Hamburg eine lutherische Stadt.

 

Die Stephan-Kempe-Kirche in Hammerbrook wurde 1943 durch Bomben zerstört und nicht wieder aufgebaut. An der Bugenhagenkirche in Winterhude ist eine Klinker-Statue des Reformators zu entdecken. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann