„Folgenden Sonntags fuhr die Königin gegen 9 Uhr nach St. Petri-Kirche … Der Pastor und Senior Dr. Müller hielt eine schöne Predigt und legte den Text aus von der Königin aus Arabia, mit welcher er die Königin Christina gar sinnreich verglich. Sie aber hörte ersichtlich wenig zu und hatte der trefflichen Rede kein Acht.“ Dieses Geschehen im Juni 1654 hat exakt 200 Jahre später Otto Beneke, der Leiter des hamburgischen Staatsarchivs, nach der Lektüre zeitgenössischer Archivalien veröffentlicht. Von ihm erfahren wir auch, dass die Königin „am 3. Juli 1654 in Hamburg ankam und zunächst gar nicht erkannt wurde, denn sie kam in Männerkleidern, den Degen an der Seite, einhergeritten“. Während ihres kurzen Aufenthalts erregte sie immer wieder Aufmerksamkeit: „Fast alle Tage, solange sie hier war, ist sie bald in Manns-, bald in Frauen-Kleidern ausgeritten, zu großem Aergerniß mancher der ehrbaren Frauen Hamburgs.“
Die Tochter von König Gustav Adolf wird zur schwedischen Königin
Christina (auch Christine genannt) war 1626 als Tochter des berühmten Königs Gustav Adolf geboren worden und wurde bereits 1632 nach dem Tod des Vaters im Dreißigjährigen Krieg zur Königin des schwedischen Reiches gewählt. Zunächst übernahm ein Regent ihre königlichen Aufgaben und die Prinzessin wurde auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet. Sie liebte es, zu reiten und zu jagen, während sie wenig Wert auf ihr Äußeres legte. Das war ganz im Sinne ihres Vaters, der auf einen Sohn gehofft und dann die Anweisung gegeben hatte, die Tochter wie einen Jungen zu erziehen. Christina selbst erinnerte sich später so an ihre Kindheit und Jugend: „Ich war jähzornig und hitzig, stolz und ungeduldig, verachtend und spöttisch. Ich verachtete alles, was zu meinem Geschlecht gehörte, Sittlichkeit und Schicklichkeit.“
1644 übernahm sie mit 18 Jahren die politische Verantwortung für ihr Land, und ihre Diplomaten beteiligten sich erfolgreich an den Verhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Schweden erhielt im Friedensvertrag die Kontrolle über große Gebiete in Norddeutschland. Das war der jungen Herrscherin offenbar nicht genug. 1648 raubten die abziehenden schwedischen Truppen auf ihren Befehl hin in Prag weit mehr als 700 Gemälde und eine große Zahl wertvoller Kunstwerke und Bücher aus dem kaiserlichen Besitz.
Die Königin, die Katholikin werden will, dankt ab
Die Königin führte ein prunkvolles Leben und ermöglichte eine bis dahin nicht gekannte kulturelle Blüte in Stockholm, aber die Kosten waren so hoch, dass die finanziellen Möglichkeiten ihres Landes bald überstrapaziert waren. Dies und die Ankündigung der Königin, nie heiraten zu wollen, sorgten für Unmut in der Bevölkerung. Außerdem verbreitete sich das Gerücht, sie wollte zum Katholizismus konvertieren.
1654 dankte die Königin ab, sicherte sich aber beträchtliche Einkünfte sowie viele Kunstwerke und wertvolle Bücher. Christina verließ Schweden und unternahm ausgedehnte Reisen durch Europa. In ihr Heimatland kehrte sie nur noch zwei Mal zurück. Im Dezember 1654 konvertierte sie zum Katholizismus – zum Ärger ihrer Landsleute und zur Freude des Vatikans. Dass die Tochter des berühmten protestantischen Königs und Feldherrn Gustav Adolf nun Katholiken war, gab der Gegenreformation Auftrieb.
Ein großes Fest endet mit einem Tumult
Nach dem erwähnten Aufenthalt 1654 besuchte Christina 1661 und 1662 erneut Hamburg. Sie wohnte bei ihren Hamburg-Besuchen in einem Haus der reichen Bankiersfamilie Teixeira am Krayenkamp, wo sie auch logierte, als sie im Juni 1666 für einen längeren Aufenthalt in die Hansestadt kam. Die jüdische Familie Teixeira war aus Portugal über Holland nach Hamburg gekommen, wo sie mit vielfältigen internationalen Finanzgeschäften ein großes Vermögen erlangte. Die Teixeiras verwalteten auch das Vermögen Christinas, konnten aber nicht verhindern, dass es wegen ihres aufwendigen Lebensstils schrumpfte.
Die ehemalige schwedische Königin wohnte seit einem Jahr in Hamburg, als sie am 15. Juli 1667 zu einem großen Fest im Haus am Krayenkamp einlud. Es kamen die städtischen Honoratioren, die diplomatischen Vertreter der europäischen Mächte und andere Persönlichkeiten. Es hätte ein schöner Abend werden können, hätte die katholische Königin nicht mit 600 Lampen am Haus eine Botschaft anbringen lassen: „Es lebe Papst Klemens IX.“ Die Leute auf der Straße, die von der Königin mit Wein bedacht worden waren, fühlten sich nun durch diese pro-katholische Botschaft provoziert.
Otto Beneke hat die Folgen so beschrieben: „Freilich trug wohl grade der Wein zur Erhitzung der Gemüther bei … Aus dem Schreien und Toben wurden Thätlichkeiten, und Steine flogen gegen das Haus und in die Fenster.“ Aus dem Haus schossen die Diener der Königin auf die Angreifer, es gab mehrere Tote. Manuel Teixeira hatte gerade noch Zeit, die Königin durch eine Tür an der Rückseite des Hauses in Sicherheit zu bringen. Diese Tür nannte man im Volksmund danach „Christinenpförtchen“.
An den nächsten Tagen versuchten Rat der Stadt und Christina, die Wogen zu glätten. Der Rat entschuldigte sich für die Übergriffe, und Christina zahlte den Angehörigen der Toten sowie den Verwundeten Entschädigungen. Am Haus Krayenkamp 13 nahe den Krameramtsstuben erinnert heute eine Informationstafel der Patriotischen Gesellschaft an die Flucht der prominenten Schwedin durch ein Pförtchen. Christina lebte noch bis zum Oktober 1668 in Hamburg und pflegte trotz ihrer Finanzprobleme weiterhin einen aufwendigen Lebensstil.
Exil in Rom und die Beisetzung im Petersdom
Die ehemalige Königin wählte anschließend Rom als festen Wohnsitz, wo sie in ihrem Palast eine Akademie einrichtete. Auch gründete sie ein Theater, in dem viele berühmte Schauspielerinnen, Schauspieler, Sängerinnen und Sänger auftraten. Christina nutzte ihre Zeit, um sich intensiv mit vielfältigen Themen der Wissenschaft und der Kunst zu beschäftigen.
Auch in Rom sorgte sie immer wieder für Gerüchte und Vorwürfe. So hieß es, sie hätte sowohl Frauen als auch Männer geliebt, auch ein Kardinal soll zu ihren Liebhabern gehört haben. Christina starb am 19. April 1689 in Rom, und der Papst ordnete an, sie im Petersdom beizusetzen. Sie hinterließ beträchtliche Schulden, zu deren Begleichung ihre wertvolle Bibliothek und die Gemälde veräußert wurden, soweit sie sie nicht bereits selbst verkauft hatte.
Im Petersdom in Rom befinden sich ihr Grab und ein Grabdenkmal. Das bewegte Leben der Königin bot Anlass für ein Drama (von August Strindberg), eine Oper und mehrere Filme (einer davon mit Greta Garbo in der Hauptrolle). In Hamburg erinnert die Patriotische Gesellschaft mit einer Tafel am Krayenkamp 13 (gegenüber der St. Michaeliskirche) an das erwähnte „Christinenpförtchen“.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte