Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1669 – Peter und Anna Maria Rentzel stiften mit guten Absichten das Spinnhaus

Wenn Ratsmitglied Peter Rentzel zu Gericht saß, war er immer wieder mit Frauen aus armen Schichten konfrontiert, die in ausweglosen Situationen mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Da waren zum Beispiel die Dienstmädchen, die von ihren Herren vergewaltigt worden waren und schwanger wurden. Man vertrieb sie rasch aus dem herrschaftlichen Haus. Entschlossen sie sich nun zur Abtreibung, war das strafbar, brachten sie ein uneheliches Kind zur Welt, stand auch das unter Strafe. Ebenso ausweglos war die Lage von Frauen, die aus der Not heraus zu Prostitution oder Diebstahl gezwungen waren.

Solche Schicksale müssen den Richter Rentzel bewegt haben, über Alternativen zum bloßen Wegsperren dieser Frauen nachzudenken. Er wurde in seinen Reformbemühungen von seiner Frau unterstützt, die mit viel Energie dabei half, eine Einrichtung zur „Besserung“ von Frauen zu schaffen.

Ein Ratsherr erlebt die soziale Realität und unterstützt wohltätige Einrichtungen

Peter Rentzel, geboren am 8. November 1610, war der Sohn des Ratsherrn Hermann Rentzel. Er studierte Jurisprudenz in Rostock, Leiden und Basel. Anschließend ließ er sich in Hamburg als Advokat nieder und heiratete 1647 Anna Maria Twestreng, die Tochter eines Ratsherrn. Die Ehe blieb kinderlos. Rentzel wurde 1658 in den Rat gewählt. Neben den Kaufleuten, die traditionell den Rat dominierten, nahm man zu dieser Zeit auch einige Juristen in das höchste politische Entscheidungsgremium der Stadt auf.

Rentzel übernahm als einer von zwei Ratsherren die Prätur. Die Prätoren leiteten das Justizwesen und waren abwechselnd für jeweils ein Jahr die Vorsitzenden des Niedergerichts. Rentzel und sein Mit-Prätor Nicolaus von der Fechte gerieten häufig in Streit, und das soll Letzteren so mitgenommen haben, dass er 1660 frühzeitig starb. Rentzel gab sich dafür die Schuld und konnte nur schwer mit dieser Last leben. In seinem Testament bedachte er deshalb wohltätige Einrichtungen wie das Waisenhaus mit Geldern, vor allem aber stellte er das Kapital für den Bau des Spinnhauses zur Verfügung.

Die Stiftung eines Spinnhauses, in dem die Frauen dann drangsaliert und asugebeutet wurden

Nach seinem Tod am 18. November 1662 machte es sich seine Witwe Anna Maria zur Aufgabe, den Bau des Spinnhauses voranzubringen. Es sollte trotzdem fast acht Jahre dauern, bis es fertig war. Das Spinnhaus entstand gegenüber dem Zuchthaus beim Alstertor. Das Portal blieb nach dem Abriss des Gebäudes erhalten und wurde in die Fassade des Museums für Hamburgische Geschichte eingefügt. Gekrönt wird das Portal vom Wappen des Stifterehepaars Anna Maria und Peter Rentzel. Der lateinische Text über dem Portal erinnert daran, dass das Haus nach dem letzten Willen von Peter Rentzel entstand. Es „ist zur Ehre Gottes und zur Besserung der Übelthäter dieses Spinnhaus auf seine Kosten erbauet worden“.

Die schmucke Fassade des Spinnhauses konnte beeindrucken, ebenso das prächtige Eingangsportal. Aber was sich dahinter auftat, war eine Institution zur Ausbeutung und Gängelung von Frauen aus armen Schichten der Bevölkerung. Das Ehepaar Rentzel wollte eine Einrichtung zur – so würde man es heute sagen – Resozialisierung von Frauen schaffen. Auch sollten sie in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Aber die Frauen, die hier wegen Prostitution, Diebstahl oder anderer Vergehen eingeliefert wurden, mussten in kleinen Zellen hausen, die man abends verschloss. Tagsüber mussten sie in einem großen Saal Wolle spinnen und weben. Ihre Kleidung war so grau wie der Alltag, und Frauen, die sich widersetzten, peitschte man aus. Das Essen war karg. Es gab meistens Gemüsesuppe und grobes Brot, dazu Wasser oder Dünnbier.

Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft war das Spinnhaus ungeeignet und zur Ehre Gottes diente dieses Haus auch nicht. Positiv fiel nur ins Gewicht, dass die Frauen nicht im Zuchthaus einsaßen und nach ihrer Entlassung deshalb leichter eine Anstellung fanden. Dass man das Spinnhaus bereits einige Jahre nach der Gründung zu einer Einrichtung „für Criminal-Verbrecher beiderlei Geschlechts“ machte, beendete die Reformpläne endgültig. Da immer mehr Menschen eingeliefert wurden, musste das Spinnhaus mehrfach erweitert werden. Beim Großen Brand von 1842 wurde es zerstört und nicht wiederaufgebaut.

 

Die Rentzelstraße verbindet die Stadtteilen Rothenbaum und St. Pauli. Die St. Katharinenkirche besitzt ein Porträt Peter Rentzels. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann