Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1675 – Friedrich Martens berichtet detailliert von der Jagd auf den Wal im Nordmeer

Glück brauchte man beim Walfang im Nordmeer, viel Glück. Das hat Friedrich Martens, der 1671 als „Schiffs-Barbierer“ (Barbier und Arzt) auf dem Hamburger Fangschiff „Jonas im Walfisch“ reiste, immer wieder erlebt: „Dieses Glück von Wallfischfang fält wie eine Würffel im Spiel, und dazu gehöret eben kein großer Witz, selbige zu finden. Der eine siehet und bekombt mehr als er begehret, und der ander auff eine halbe Meil davon fanget und siehet keinen.“ Der Verfasser hat seine Erfahrungen in einem Buch veröffentlicht, das 1675 in Hamburg erschien. Darin betonte er auch, dass es nicht allein auf das Glück ankam, sondern auch auf die Erfahrungen und den Mut der Besatzungen.

Die genaue Beschreibung des Walfangs ist bis heute eine wichtige Quelle

Über Friedrich Martens wissen wir leider sehr wenig, aber seine profunden Kenntnisse nicht nur des Walfangs, sondern auch die genaue Beobachtung und Beschreibung der Flora und Fauna Spitzbergens und des Nordmeers sind beeindruckend. Er habe, so schreibt er in der Vorrede, Gottes Vorsehung betrachtet und beschrieben, „was ich im Eise, im Wasser, in der Lufft also bald auff dem Lande“ kennengelernt hatte. Sein Buch mit dem Titel „Friedrich Martens vom Hamburg Spitzbergische oder Groenlandische Reise Beschreibung gethan im Jahre 1671“ wurde, und das war damals sehr selten, ins Italienische, Niederländische, Englische und Französische übersetzt und ist auch heute noch eine unverzichtbare Quelle zum Walfang im 17. Jahrhundert.

Das Geschäft mit dem Walfang

Mit dem Walfang war viel Geld zu verdienen, wenn man bereit war, die Risiken des Kampfes gegen die Wale und gegen das Eis des Nordmeers aufzunehmen – oder wenn man vom heimischen Kontor aus die Kapitäne und Seeleute ins Nordmeer schickte. Vor allem holländische Walfangreedereien waren zunächst in diesem Geschäft tätig. So überrascht es nicht, dass die aus Holland nach Hamburg und Altona geflüchteten Mennoniten eine herausragende Rolle beim Aufbau der hiesigen Walfangreederei spielten. Wie lukrativ das Geschäft war, kann man daran erkennen, dass mennonitische Reeder fünf Prozent der Erlöse aus dem Walfang eines Jahres für den Bau eines Gotteshauses stifteten und damit den Bau der Kirche ermöglichten.

Die Beteiligung Hamburgs und Altonas an der Verfolgung der gewaltigen, bis zu 18 Meter langen Säugetiere begann im Jahr 1644, als der Reeder Johan Been vom dänischen König das Privileg des Walfangs und des Auskochens von Tran erhielt. Die Hamburger und Altonaer Fangschiffe waren bald vor allem im Gebiet um Spitzbergen zu finden, wo eine Bucht mit dem Hamburger Stützpunkt den Namen Hamburg Bai erhielt. Zwei Jahrzehnte nach Beginn der Beteiligung am Walfang zählte die hamburgische Flotte im Nordmeer bereits 30 Schiffe, später waren es über 80, und etwa die gleiche Zahl kam aus Altona. Der Walfang im Nordatlantik wurde zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige in Altona und Hamburg. Wer etwas Geld erübrigen konnte, kaufte einen Anteil an einer der Walfang-Reedereien. Auch die Werften profitierte stark vom Bau der Fangschiffe.

Um zu verhindern, dass französische und nordafrikanische Seeräuber die Walfangschiffe mit ihrer wertvollen Ladung überfielen, ließ Hamburg seine Schiffe von Convoischiffen begleiten, die über zahlreiche Kanonen verfügten. Modelle dieser Convoyschiffe, die auch Handelsflotten nach Spanien begleiteten, sind im Museum für Hamburgische Geschichte ausgestellt.

Für den Walfang waren Mut und Geduld erforderlich

Dass der Walfang großen Mutes, großer Kraft und nicht zuletzt großer Geduld bedurfte, können wir dem Buch von Friedrich Martens entnehmen. Wenn eine Fontäne entdeckt war, ruderten kleine, wendige Ruderboote (Schaluppen) dort hin, und beim erneuten Auftauchen des Wals versuchte der Harpunierer, ihm eine primitive Harpune in den Bauch zu schießen, die an einem Seil befestigt war. Dabei war Vorsicht geboten, denn wenn der Wal die Ruderschläge hörte, passierte Folgendes: „… ehe man sich versihet, wirfft er den Schwantz hinten auß dem Meer und wünscht uns gute Nacht …“

Es konnte auch vorkommen, dass der Wal das Fangboot mit einem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse zertrümmerte: „Eine Schlupe achtet er wie Staub, den er schlegt sie zu kleinen Splittern.“ War der Harpunierer erfolgreich, dann galt es, mit der langen Harpunenleine die Verbindung zum flüchtenden Tier zu halten und es zu verfolgen, bis es ermüdet war und mit Lanzen getötet werden konnte. Aber häufig zerrte der Wal so kräftig an der Harpunenleine, dass sie sich verhedderte oder riss und er entkam. Aber selbst, wenn der Wal getötet war, waren die Schwierigkeiten nicht zu Ende. Des Öfteren versank der Kadaver im Meer und kam erst nach einigen Tagen wieder an die Oberfläche. Dann folgte eine „rechte Schinderey“, um die Speckschicht, in der es nun von Maden wimmelte, zu bergen. Es stank dann heftiger „als ich mein lebtage Gestanck gerochen“.

Der Mangel an frischen Nahrungsmitteln führte auf den langen Reisen häufig zu Skorbut, der tödlichen Berufskrankheit damaliger Seeleute. Wer all diese Gefahren gut überstand, konnte zu einem kleinen Vermögen kommen, wenn er Kapitän („Commandeur“) war oder eine andere hervorgehobene Position wie Harpunierer hatte und am Gewinn beteiligt wurde. Die einfachen Matrosen erhielten eine bescheidenere Heuer. Oft war es die wirtschaftliche Not in der Heimat, die sie dazu veranlasste, jedes Jahr erneut an Bord eines Walfangschiffes zu gehen, und nur selten die Abenteuerlust. Spätestens vor der zweiten Reise wussten sie, dass sie an Bord vor allem Langeweile erwartete, unterbrochen von kurzen Zeiten der hektischen Jagd. Es konnte Wochen oder auch schon einmal Monate dauern, bis ein Wal gesichtet und getötet war. Dazu kam die Hinreise ins Fanggebiet und zurück, die sich jeweils deutlich über einen Monat hinziehen konnte.

Das Ende der Raubzüge im Nordmeer

 

In der Heimat war vor allem der Tran sehr gefragt. Um ihn zu gewinnen, kochten die Walfänger den Speck der Wale zunächst auf Spitzbergen aus. Als die Fanggebiete sich immer weiter ins Nordmeer verlagerten, blieb der Speck in Fässern an Bord und wurde in Tranbrennereien in Hamburg und Altona ausgekocht. Tran diente vor allem als Lichtquelle. Auch mit Walknochen ließen sich gute Geschäfte machen. Aus dem Fischbein, den Barten im Maul des Wals, stellte man u. a. Korsettstangen, Knöpfe, Koffer und Kämme her.

Die Raubzüge der Walfänger aus mehreren Ländern führten allerdings bald dazu, dass die Zahl der Wale dramatisch zurückging. Um Wale zu erlegen, musste das Jagdgebiet auf das ganze Nordmeer ausgedehnt werden, wobei viele Schiffe im Eismeer vom Packeis eingeschlossen und zerdrückt wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam der Walfang im Nordatlantik zum Erliegen, weil nur noch wenige Wale überlebt hatten. 1861 kehrte das letzte Hamburger Fangschiff aus dem Nordmeer zurück. Nach etwa 6.000 Fahrten war Schluss mit dem Hamburger und Altonaer Walfang.

Richtig gefreut haben dürften sich darüber vor allem die Nachbarn der Tranbrennereien am Hamburger Berg in St. Pauli, die sich wiederholt über den bestialischen Gestank beschwert hatten, der bei der Trangewinnung entstand. Parallel zum Verschwinden der Wale sank der Bedarf an Tran und anderen Produkten aus dem Wal drastisch. So ersetzte die viel hellere Petroleumlampe die Tranlampe. Wer diesen Wandel verschlief, musste sich als „Tranfunzel“ verspotten lassen. Auch als Schmiermittel war Tran nicht mehr gefragt.

An die große Zeit des Walfangs erinnern verschiedene Gemälde und Schiffsmodelle im Museum für Hamburgische Geschichte, im Altonaer Museum und im Internationalen Maritimen Museum. Das Museum der Natur – Zoologie stellt die gewaltigen Knochen eines Wals aus, während das Museum für Kunst und Gewerbe ein Kleinod besitzt, eine Fayence-Deckeldose mit Bildern vom Walfang.

 

Das Schulterblatt eines Wals war das Prunkstück eines Lokals an der Grenze von Hamburg und Altona. So ist die Straße Schulterblatt zu ihrem Namen gekommen. Das Schild ist heute im Museum für Hamburgische Geschichte ausgestellt. Empfehlenswert zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema ist das Buch „Die Jagd auf den Wal, Schleswig-Holsteins und Hamburgs Grönlandfahrer“ von Joachim Münzing, das vergriffen, aber antiquarisch erhältlich ist. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann