Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1693 – Johann Heinrich Horb, ein frommer Theologe, wird aus Hamburg vertrieben

„Die Klugheit der Gerechten“ wurde dem Hauptpastor zum Verhängnis. So lautete der Titel einer Schrift, die Johann Heinrich Horb drucken ließ und damit so etwas wie eine Staatskrise auslöste. Schon die Berufung Horbs zum Hauptpastor von St. Nikolai war mit Streit verbunden gewesen. Er gehörte zur pietistischen Bewegung in der Kirche, gegen die in der orthodox-lutherisch geprägten Stadt große Vorbehalte bestanden.

Geboren wurde Johann Heinrich Horb am 11. Juni 1645 in Colmar im Elsass. Er studierte Theologie an verschiedenen deutschen Universitäten und unternahm Reisen in die Niederlande, nach England und Frankreich. Er wurde Hofprediger in Bischweiler am Rhein und dann Superintendent in Trabach an der Mosel. Hier heiratete er Sophie Cäcilia Spener, die Schwester des bekannten Pietisten Philipp Jacob Spener. Wegen angeblicher Irrlehren, gemeint war seine pietistische Einstellung, enthob man Horb 1678 aller Ämter. Er fand aber in Windsheim in Franken eine neue Anstellung als Superintendent.

Dass er 1685 nach Hamburg berufen wurde, verdankte er vor allem der Fürsprache von Hauptpastor Johann Winckler von St. Michaelis sowie großbürgerlichen Kreisen der Stadt Hamburg, die dem Pietismus nahestanden. Obwohl die früheren Konflikte um seine Person dem Vorstand von St. Nikolai bekannt waren, wählte man ihn einstimmig. Das Geistliche Ministerium, das Gremium der Pastoren der Stadt, teilte dem neuen Amtsbruder Horb allerdings seine Bedenken mit und ermahnte ihn, keine „Neuerung und Zerrüttung“ in die Kirche zu tragen.

Der pietistische Pastor wird nach Hamburg berufen

Horb sah sich von Gott nach Hamburg gesandt und nahm seine Arbeit deshalb mit großem Gottvertrauen auf. Neben ihm und Winckler gab es noch einen dritten pietistisch eingestellten Pastor. Alle drei riefen bei ihren Amtsbrüdern dadurch Misstrauen hervor, dass sie zu „Collegia Dietas“, zu Hausversammlungen, einluden. Die orthodoxen Prediger sahen darin eine Abweichung von der üblichen Form kirchlicher Arbeit. Der Kritik der Pietisten am bestehenden kirchlichen Leben konnten die Orthodoxen entgegenhalten, dass jeden Sonntag in allen Hauptkirchen vier Gottesdienste gefeiert wurden und an jedem Wochentag zwei. Dazu kamen noch die Gottesdienste und Andachten in den anderen Kirchen und Kapellen der Stadt - leere Kirchen gab es auch bei diesem Angebot in der 70.000-Einwohner-Stadt nicht.

Die Orthodoxen verteidigten die lutherische Vorherrschaft und ihr Verständnis von Kirche mit großer Vehemenz und wollten „kein anderes religiöses Leben“ in der Stadt dulden. Die Hausversammlungen der Pietisten erinnerten die orthodoxen Pastoren an die Versammlungen „separatistischer Gruppen“, die sich heimlich in Häusern trafen, um ihre „ketzerische“ Lehre zu verbreiten.

Das "Geistliche Ministerium" stellt sich gegen Horb

Senior Schultz, der älteste Hauptpastor, beobachtete die Entwicklung mit Sorge und entschloss sich zu einem Überraschungsschlag gegen die Pietisten. Ohne Vorankündigung verlas er auf der Sitzung des Geistlichen Ministeriums am 14. März 1690 einen Text zur „Wiederherstellung der brüderlichen Einigkeit“, den er allen Pastoren zur Unterschrift vorlegte. Darin verurteilte er, dass „neue fanatische opiniones disseminirt“, also neue fanatische Auffassungen, verbreitet würden. Was genau verurteilt wurde, blieb etwas vage, und eine Aussprache eröffnete der Senior zu seinem Text nicht.

Die Schrift "Die Klugheit der Gerechten" löst neue Angriffe auf Horb aus

Über diesen Text kam es zum Bruch zwischen den drei pietistischen Pastoren und der orthodoxen Mehrheit ihrer Amtsbrüder, der auch in der Öffentlichkeit bekannt und diskutiert wurde. Nun hätten die pietistischen Pastoren als Minderheit wahrlich die „Klugheit der Gerechten“ zeigen müssen, aber Hauptpastor Horb machte den Fehler, das erwähnte Traktat eines religiösen französischen Schwärmers mit einem Vorwort zu versehen und unter dem Titel „Die Klugheit der Gerechten, die Kinder nach den wahren Gründen des Christentums von der Welt zu dem Herrn zu erziehen“ am Ende des Jahres 1692 herauszubringen.

Die Schrift stieß in der Pastorenschaft auf Kopfschütteln und Widerspruch, aber zu einem Skandal wurde die Sache erst, als der Hauptpastor von St. Jacobi, Johann Friedrich Mayer, von der Kanzel herab die Verbreitung dieser Schrift mit scharfen Worten geißelte und von einer „großen Bosheit“ sprach. Die große Mehrheit des Geistlichen Ministeriums forderte daraufhin vom Rat der Stadt eine Entlassung Horbs.

Der empfindsame Horb sah sich plötzlich im Mittelpunkt eines mit großer Vehemenz ausgetragenen Konflikts, bei dem er nicht nur als Ketzer angegriffen, sondern auch mit Faustschlägen traktiert wurde. In einer Predigt berichtete Horb in bewegenden Worten von der Hetzjagd gegen ihn. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: „Den 4. Juny hat Herr Horbius gepredigt, und solchergestalt, daß alle Zuhörer bitterlich geweinet.“ Der bedrängte Pastor unterschrieb eine Erklärung, in der er sein Bedauern über die Verbreitung der Schrift eingestand. Er war krank und psychisch schwer belastet und mag gehofft haben, durch diese demütige Geste den Konflikt zu einem Ende zu bringen.

Der Pastor stellt sich auf die Seite der "Bönhasen", was neuen Streit auslöst

Aber seine Gegner mit Hauptpastor Mayer an der Spitze nahmen die Demutsgeste des Pietisten nur zum Anlass, nun erst recht seine Amtsenthebung zu fordern. Die meisten Amtsbrüder Horbs lösten einen öffentlichen Skandal aus, als sie demonstrativ mehrere Leichenzüge verließen, als ihr Amtsbruder Horb hinzutrat. Es folgten turbulente Wochen, in denen bewaffnete Anhänger beider Seiten aneinandergerieten und sich vor allem die Handwerksgesellen des Kirchspiels von St. Jacobi durch Gewaltaktionen hervortaten.

Die Handwerker hatten sich auf die Seite der orthodoxen Lutheraner gestellt, weil diese die oft brutale Verfolgung der „Bönhasen“ durch die Zünfte billigten, also die Jagd auf Handwerker, die nicht offiziell zugelassen waren und heimlich arbeiteten. Die Pietisten verurteilten diese Gewaltmaßnahmen und zogen dadurch den Zorn der Meister und Gesellen der Zünfte auf sich. Sogar der Kaiser in Wien war beunruhigt über den Konflikt um Glaubenslehren und Handwerkerrechte. Die Krise erfasste die ganze Stadt, und die Kinder auf der Straße spielten „Horbianer“ gegen „Mayeraner“.

 

Horb wird gezwungen, die Stadt zu verlassen

Schließlich wurde Horb auf einer turbulenten Bürgerversammlung am 24. November 1693 aufgefordert, binnen acht Tagen die Stadt zu verlassen. Er zog in die Kupfermühle des Dorfes Schleen, das zum Kirchspiel Steinbek an der Bille gehörte. Am 26. Januar 1695 starb Horb im Alter von erst 49 Jahren als gebrochener Mann. Das Geistliche Ministerium wollte seine Beisetzung in Hamburg verhindern, und die Witwe entschied, dass er in Steinbek seine letzte Ruhe finden sollte. Freunde stifteten ein (inzwischen zerstörtes) Denkmal, und in der Kirche von Steinbek hängt ein goldener Leuchter, den seine Erben im Gedenken an Horb gestiftet hatten. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann