Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1700 – Christian Krumbholtz wird Hauptpastor an St. Petri und gilt bald als Aufrührer

Er musste nicht einmal zum Gespräch erscheinen, um am 11. Juli 1700 einstimmig zum Hauptpastor an St. Petri gewählt zu werden: Christian Krumbholtz. Er nutzte von nun an jede Gelegenheit, um das Wort zu ergreifen. Manche Kirchenhistoriker sehen in ihm einen Aufrührer, obwohl sich auch sagen lässt, dass er ein Vorkämpfer der Demokratie in Hamburg war, nicht einmal ein erfolgloser, aber das hat ihm selbst nicht viel genützt.

Christian Krumbholtz kam am 11. November 1662 in Neustadt bei Dresden zur Welt. Der Bauernsohn schaffte es im Alter von 20 Jahren, zum Theologiestudium in Leipzig zugelassen zu werden und nach dessen erfolgreichem Abschluss zum Prediger an der Nicolaikirche in Leipzig berufen zu werden. Acht Jahre lang wirkte er anschließend als Prediger in Preßburg in Ungarn, bis er 1696 seines Amtes enthoben wurde und binnen drei Tagen die Stadt verlassen musste, „weil er das Volk gegen die Obrigkeit aufreizte“. Willkommener Anlass für seine Amtsenthebung war, dass er ein Kind von konfessionell verschiedenen Ehepartnern lutherisch getauft hatte, damals ein Skandal, worauf angeordnet wurde, dass er „wegzuschaffen sey“.

Der Hauptpastor fordert mehr Rechte für die Bürger

Krumbholtz wirkte anschließend vier Jahre als Pastor an der Sophienkirche in Dresden und fiel hier nicht auf, sodass erst in einem späteren Prozess der „Skandal“ in Preßburg wieder zur Sprache kam. In Hamburg angekommen, befreundete sich Krumbholtz mit Hauptpastor Johann Friedrich Mayer von der St. Jacobi-Kirche. Da dieser an der Universität Kiel lehrte, konnte er dem neuen Amtsbruder helfen, die Doktorwürde dieser Universität zu erlangen. Krumbholtz und Mayer verband das Bestreben, die Handwerker und kleinen Kaufleute gegen den mächtigen Rat der reichen Kaufleute zu unterstützen. Aber bereits ein Jahr nach der Ankunft von Krumbholtz ging Mayer als Superintendent nach Greifswald, und der Pastor an St. Petri musste nun den Kampf für mehr Bürgerbeteiligung ohne ihn fortsetzen.

Unerschrocken trat Pastor Krumbholtz dafür ein, dass die Bürger mehr Rechte gegenüber einem Rat erhalten sollten, der selbstherrlich regierte und sich durch Zuwahl selbst ergänzte, also nicht von den Bürgern gewählt wurde. In Predigten und Traktaten setzte sich Krumbholtz kritisch mit diesen Verhältnissen auseinander.

An der Spitze einer Bürgerbewegung

Während Mayer noch eine breite Unterstützung in der Pastorenschaft für sein Engagement für die Handwerker und Händler gefunden hatte, war Krumbholtz im Geistlichen Ministerium weitgehend isoliert und erschien bald nicht mehr zu den Sitzungen. Die Tumulte im Rathaus, die es während der Amtszeit Mayers gegeben hatte, verschreckten offenbar die anderen Pastoren, die nichts mit diesem „Pöbel“ zu tun haben wollten. Zur Ehrenrettung von „Krumbholtz und Konsorten“ muss gesagt werden, dass der Rat sich allen Verhandlungen über eine stärkere politische Mitwirkung der Bürger über die Bürgerschaft entzog und in allen Entscheidungen das letzte Wort behalten wollte. Krumbholtz und der Posaunenmacher Balthasar Stielcke standen an der Spitze einer Bürgerbewegung, die 1707 sieben Ratsherrn für abgesetzt erklärte und vier neue Ratsherren berief und vereidigte.

Es entstand durch diese Auseinandersetzungen ein solches Chaos, dass das Stadtmilitär keinen Sold mehr erhielt und die Reichssteuern nicht mehr bezahlt wurden. Das war Anlass für Kaiser Joseph I. in Wien, eine Streitmacht vor die Tore der Stadt zu schicken, die am 31. Mai 1708 ohne nennenswerte Gegenwehr in Hamburg einmarschieren konnte. Gegen zehn Anführer des Aufruhrs erließen die Eroberer Haftbefehle, so auch gegen den Hauptpastor von St. Petri. Während fünf der Gesuchten sich durch Flucht dem Zugriff der kaiserlichen Truppen entzogen, wurde Krumbholtz in der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1708 verhaftet, seines Amtes enthoben und im Namen des Kaisers zu lebenslanger Haft verurteilt, ein Urteil, das 1711 das Obergericht bestätigte.

Die Verurteilung zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe 

Im Krumbholtz-Urteil heißt es, „daß er den Rechten nach die Todesstrafe wohl verdient hätte, dennoch als Gefangener und peinlich Angeklagter aus dazu bewegenden Ursachen mildertem Rechte wie von seinem oft und viel schändlich gemißbrauchten Prediger-Ampte, also vor allen übrigen Dignitäten zu degradieren und derselben zu entsetzen und zu ewigen Gefängnis zu condemniren, auch alle Atzung (Ernäh­rung in der Haft, der Autor) und dem Prozeß verwandte Unkosten, Richterliche Moderation zu erstatten schuldig sey“. Auch verbot man ausdrücklich, mit dem Verurteilten zu korrespondieren oder ihn zu besuchen. Krumbholtz wurde auf die Festung Hameln gebracht, wo er am 5. Dezember 1725 starb.

Sein Einsatz für eine Stärkung der Rechte der Bürger war nicht umsonst, denn 1712 vereinbarten nach langen und zähen Verhandlungen Rat und Bürgerschaft in einem sogenannten „Hauptrezeß“, dass in Zukunft alle Gesetze sowohl der Zustimmung des Rates als auch der Erbgesessenen Bürgerschaft bedurften. Kam man zu unterschiedlichen Entscheidungen, gab es ein Schlichtungsverfahren. Die Allmacht des Rates war damit beendet. Er behielt zwar noch das Recht, sich selbst zu ergänzen, aber in Hamburg entschloss man sich, würden wir heute sagen, etwas „mehr Demokratie zu wagen“. Das hatte dann ganz praktische Konsequenzen für die Bürger, zum Beispiel, wenn es darum ging, Steuern und Abgaben je nach Einkommenshöhe festzusetzen. Hamburg bewegte sich in kleinen Schritten auf die Aufklärung zu, und der Verteidiger von Krumbholtz im Strafprozess, Hinrich Wrangel, wurde zu einem Vorkämpfer der Abschaffung der Todesstrafe und der Folter.

 

Krumbholtz wird in einem Buch über die Petrikirche von Friedrich Wittig so gewürdigt: „Unter den Predigern von St. Petri fällt ein eigenwilliger, trotziger Kopf auf, der sich sowohl mit dem Geistlichen Ministerium als auch mit dem Rat der Stadt anlegte: Christian Krumbholtz. Alle Seiten ließen es an Händelsucht nicht fehlen, aber Krumbholtz zog den Kürzeren ... Das barocke rauflustige Zeitalter war auch an den Kirchenleuten nicht spurlos vorübergegangen. Im Falle von Krumbholtz ... kamen auch soziale Motive ins Spiel.“

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann