Er ist als Glückskind in die Hamburger Kulturgeschichte eingegangen. Er erbte so viel, dass er nicht gezwungen war, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So konnte er das Leben genießen, mit Freude lange Gedichte schreiben und als Ratsherr viel Zeit und Energie zum Wohle seiner Stadt einsetzen. Immer wieder dankte er Gott in seinen Gedichten für dieses Glück und für die schöne Schöpfung. Der Dank seiner Heimatstadt war ihm aber nicht gewiss, das sei hier schon verraten. Zwar benannte die Stadt eine Straße nach ihm, aber es ist eine der kürzesten Straßen Hamburgs, die das Museum für Kunst und Gewerbe und den ZOB voneinander trennt. Es gibt nicht einmal eine Hausnummer an dieser Straße. Und sein Werk als Poet ist weitgehend vergessen.
Barthold Heinrich Brockes wurde am 22. September 1680 geboren. Er war der einzige Sohn eines reichen Kaufmanns, der die Zeit fand, seinem Sohn Privatunterricht zu erteilen. Nachdem der Vater Bernhard Brockes 1694 verstorben war, setzte der Sohn seine Schulbildung am Akademischen Gymnasium fort. Danach unternahm er Reisen nach Dresden und Prag.
Der Sohn eines reichen Kaufmanns kann von seinem Vermögenleben
Zurückgekehrt in Hamburg verbrachte er ein Jahr auf diese Weise: „In Hamburg war ich nun abermal sonder Aufsicht, und muß ich wol gestehen, daß ich in diesem letzten Jahre nicht soviel avancierte als ich wol gekönnt, doch hörte ich die Institutiones (Lehrbücher zum Römischen Recht, der Autor) von Monsieur Haetde, lernte tanzen, fechten, voltigieren und reiten, legte mich auch etwas auf die Französische Sprache und Music, preparierte mich als auf diese Weise mit dem fördersamsten nach Universitäten zu gehen.“ Von 1700 bis 1702 studierte er Jura in Halle und daneben auch Philosophie. 1704 promovierte Brockes in Leiden in den Niederlanden.
Nach dem Tod seines Vaters und später auch seiner Mutter verfügte er über ein „ziemliches Capital“, sodass er sich der „brotlosen“ Existenz als Dichter zuwenden konnte. Er schrieb in seiner „Selbstbiographie“, dass er mit sich selbst zu Rate ging, „wie ich nunmehr mein Leben anstellen, ob ich mich auf die Parim legen (im übertragenen Sinne auf eine Weide begeben, der Autor), und ein eifriger Advocat werden, oder ein geruhiges Leben führen und mein eigener Herr bleiben wolte. Zu dem letzteren hatte ich einen natürlichen Trieb, und ward auch darin je mehr und mehr bestärkt durch den Umgang verschiedener Freunde.“
Erste Erfolge als Dichter
Er beschloss, Dichter zu werden. Gleich sein erstes Werk, das Passions-Oratorium „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende JESUS“, fand viel Anerkennung und wurde unter anderem von Georg Philipp Telemann vertont, mit dem Brockes befreundet war. Danach beschloss Brockes, „durch die Schönheit der Natur gerühret … in fröhlicher Betrachtung und möglicher Beschreibung zu besingen“. Wie andere barocke Poeten beschrieb er die Natur in den schönsten Farben, aber er flocht in die Verse viele detaillierte Angaben zu Flora und Fauna ein. Hier nahm er bereits die Bildungsbemühungen späterer Aufklärer vorweg. Dass er am Besenbinderhof außerhalb der damaligen Stadtwälle einen Garten und ein Landhaus besaß, schätzte der Naturliebhaber sehr, und es inspirierte ihn zu vielen seiner Gedichte.
Seine zwischen 1721 und 1748 erschienene neunbändige Gedichtsammlung unter dem Titel „Irdisches Vergnügen in Gott“ verkaufte sich gut. Sie gehörte mit etwa 3.500 verkauften Exemplaren zu den „Bestsellern“ in einer Gesellschaft, in der die weitaus meisten Menschen nicht Lesen und Schreiben konnten. Unermüdlich schrieb Brockes ein langes Gedicht nach dem nächsten und füllte weitere umfangreiche Bücher. Kein Thema war ihm zu unwichtig, um nicht zum Anlass für ein Gedicht zu werden. Unvergessen (aber nur noch höchst selten gelesen) ist ein Gedicht zum Lob eines gebratenen Lammkopfes, mit dem er sieben Druckseiten füllte.
Als weitschweifig ist die Dichtung Brockes von Kritikern bezeichnet worden, gar als geschwätzig. Aber er war trotzdem populär und verschaffte Leserinnen und Lesern „irdisches Vergnügen“. Er war ein fleißiger Dichter, und ein Ausdruck seines Fleißes waren auch viele gelungene Übersetzungen, was inzwischen den Deutschen Übersetzerfonds veranlasst hat, jedes Jahr ein Barthold-Heinrich-Brockes-Stipendium an Literaturübersetzer zu vergeben.
Brockes heiratet und wird Vater von zwölf Kindern
Brockes war zunächst sehr zurückhaltend gegenüber Frauen, aber unternahm dann doch Versuche, eine Ehefrau zu finden. So reiste er zum Beispiel in die Niederlande, als ein reicher Kaufmann ihm Aussichten machte, seine Tochter heiraten zu können. Aber als Brockes dort eintraf, war die junge Frau inzwischen einem anderen versprochen worden, sodass er gleich nach Hamburg zurückreisen musste. Aber 1714 konnte er Anna Ilsabe Lehmann heiraten. Beglückt schrieb er später über seine Frau: „Dem großen Gott, von dem allein alles Gute kommt, sey innbrünstig gepriesen, daß Er mir in derselben ein wolgestaltetes, fruchtbares, vernünftiges, tugendhaftiges und Ihn mit allen Kräften fürchtendes Ehegemahl beygelegt …“. Das Paar lebte glücklich zusammen und hatte zwölf Kinder.
In Brockes „Selbstbiographie“ hat er die Fähigkeiten und Kenntnisse seiner Frau mit großem Lob bedacht. So erwähnte er die Vollkommenheit seiner Frau bei Klavierspiel und Gesang, „daß wenig Meister sich funden, welche nicht durch sie beschämt wurden und sie bewundern mußten“. Allerdings war sie als Ehefrau und Mutter so belastet, dass sie ihre musikalischen Fähigkeiten nicht mehr entfalten konnte. Brockes lobte auch die Französischkenntnisse seiner Frau, die man für eine Französin halten konnte, wenn sie sprach.
Auch im Schreiben besaß sie eine „neue und scharfsinnige Art sich auszudrücken, daß niemand selbige ohne Bewunderung lesen wird“. Wie viele Frauen von Dichtern hat Anna Ilsabe Brockes ihre eigenen Fähigkeiten kaum entfalten können, weil ein Haushalt mit vielen Kindern ihr keine Zeit dafür ließ. Wenigstens hat Brockes ihre Fähigkeiten und Kenntnisse gewürdigt.
Brockes wird Gründungsmitglied der Patriotischen Gesellschaft und Mitglied des Hamburger Rates
1715 gehörte Brockes zu den Gründungsmitgliedern der Teutsch-übenden Gesellschaft, die sich die Förderung der deutschen Sprache und Literatur zum Ziel setzte. Wichtiger war 1724 die Gründung der Patriotischen Gesellschaft, die sich große Verdienste um die Förderung der Gedanken der Aufklärung, der Bildung der Bürgerinnen und Bürger und des sozialen Engagements in der Stadt erworben hat und die bis heute besteht. Dass Brockes sich für mehr Bildung für Frauen, eine Frauenakademie und eine Bibliothek für Frauen einsetzte, stieß auf Ablehnung in der patriarchal geprägten Oberschicht.
1720 nahm er die Wahl zum Mitglied des Hamburger Rates an, und bald gehörte der Jurist zu den fleißigen und geschätzten Mitgliedern des höchsten politischen Gremiums der Stadt. So beteiligte er sich an vielen Delegationsreisen von Ratsmitgliedern, um die politischen und wirtschaftlichen Anliegen Hamburgs in anderen Städten und Staaten zu vertreten.
1735 übernahm er die Aufgabe eines Amtmanns von Ritzebüttel (heute Cuxhaven), das damals zu Hamburg gehörte. Nachdem seine Frau Anna Ilsabe 1736 gestorben war, wurde Brockes etwas schwermütig. Er kehrte 1741 mit seinen Kindern aus Cuxhaven zurück und übernahm als Ratsherr weitere Aufgaben. Barthold Brockes starb am 16. Januar 1747.
Erinnerungen an einen Dichter und erfolgreiches Mitglied des Rates
Neben der erwähnten Straße erinnert eine Gedenktafel an den Poeten und Ratsherrn. Sie ist am Gewerkschaftsgebäude am Besenbinderhof angebracht worden, dort, wo sich der Garten befand, den Brockes geliebt und immer wieder in Gedichten gepriesen hat. In Cuxhaven (früher Ritzebüttel) erinnert im Schlosspark ein Brunnen mit einer Bronzeplakette an Brockes. Als Amtmann hatte er ein Waldstück parkähnlich gestalten lassen, das zum beliebten Ausflugsziel wurde. Das Waldstück trägt bis heute den Namen Brockeswald.
Seine Liebe zur Natur und zur ganzen Welt hat der Dichter in dem Gedicht „Die Welt ist allezeit schön“ so ausgedrückt:
Im Frühling prangt die schöne Welt
In einem fast smaragdnen Schein.
Im Sommer glänzt das reife Feld
Und scheint dem Golde gleich zu sein.
Im Herbste sieht man, als Opalen,
Der Bäume bunte Blätter strahlen.
Im Winter schmückt ein Schein, wie Diamant
Und reines Silber, Flut und Land.
Ja kurz, wenn wir die Welt aufmerksam sehn,
Ist sie zu allen Zeiten schön.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte