Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1748 - Caspar Voghtder Älteregründet ein Handelshaus in Hamburg

„Wat gifft dat hüüt avend to eten, Liesbeth?“ Die Frage war verfrüht, denn das Orchester spielte noch die Ouvertüre, und Elisabeth wurde abrupt aus ihrem Kunstgenuss gerissen. Sie flüsterte ihrem Gatten zu: „Kramsvagels, Caspar!“ Damit hätten die beiden zum Genuss der Musik zurückkehren können, denn Kramsvagels, also Drosseln, waren das Lieblingsgericht des Herrn Senator. Aber beim Gedanken an sein Leib- und Magengericht kam Caspar Voght die nächste Frage, die das ganze Unglück auslöste: „Ok Appelmoos dorbi?“

Das geflüsterte „Nee“ brachte den Ehegatten in Zorn, und er sagte mit allen Anzeichen der Empörung: „Denn schiet ik op de Kramsvagels!“ Dieser Satz sprach der Senator laut in die Stille nach der Ouvertüre hinein, und sie war überall im Opernhaus am Gänsemarkt zu hören. Und auch die Besucher, die den ersten Teil des Gesprächs nicht mitbekommen hatten, erfuhren rasch, was den Zorn des Polizeisenators ausgelöst hatte. Von nun an hieß er „Senator Appelmoos“.

Aufstieg zum erfolgreichen Kaufmann und zum Polizeisenator

Caspar Voght „der Ältere“ sollte nicht mit seinem Sohn gleichen Namens < S. 308 > verwechselt werden, der zu den führenden Vertretern der Aufklärung in Hamburg gehörte. Der Vater wurde 1707 in Beverstedt bei Bremen geboren und konnte schon im Alter von 16 Jahren die Leitung der Lissabonner Filiale des Hamburger Handelshauses Jencquel übernehmen. 16 Jahre lang handelte er erfolgreich mit Tuchen und Weinen, und wie in manchen Märchen durfte der Heimgekehrte dann die Tochter seines Dienstherrn heiraten.

Mit Geschick gelang es Voght, von 1748 an aus kleinen Anfängen ein eigenes erfolgreiches Handelsunternehmen für Seiden- und Leinenartikel aufzubauen. Das prädestinierte ihn dafür, in den Rat der Stadt gewählt zu werden, und als Polizeisenator entwickelte er ein Talent, mit schwierigen Problemen umzugehen.

Damals waren die Gassen der Stadt schmal und die Eitelkeiten der Herren Gesandten groß. Das führte zu einer kleinen diplomatischen Krise, als der Kaiserlich Österreichische Gesandte und der Kaiserlich Russische Gesandte mit ihren Kutschen aus entgegengesetzten Richtungen in die Brandstwiete einbogen. Die Gasse war so schmal, dass die zwei Kutschen beim besten Willen nicht aneinander vorbeikommen konnten. Trotzdem trieben die hohen Herren ihre Pferde an und standen sich dann Pferdenase an Pferdenase gegenüber. Die Kutscher der beiden Diplomaten beschimpften sich ganz undiplomatisch, und keiner der Gesandten wollte nachgeben. Schließlich entschlossen sie sich, den Polizeisenator einzuschalten.

Für Caspar Voght war das eine heikle Angelegenheit. Eine der beiden Mächte zu verärgern, konnte für die Hamburger Kaufleute sehr teuer werden. Der schlaue Polizeisenator erklärte den beiden Kontrahenten, die Sache sei so wichtig, dass sie vom ganzen Rat entschieden werden müsste. Der tage am kommenden Morgen wieder, und er werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass diese wichtige Angelegenheit als erstes behandelt werden würde. Die Gesandten wollten dann doch lieber nicht in ihren Kutschen übernachten, und jeder ließ seine Kutsche rückwärts aus der schmalen Gasse herausbugsieren, um auf einem anderen Weg ihr Ziel noch am gleichen Tag zu erreichen.

Unkonventionell ging der Senator auch bei kleinen Streitfällen vor. Ein Schlachter klagte einen Berufskollegen an, seinen Hund gestohlen zu haben, und der Senator bestellte die Kontrahenten samt Hund ins Rathaus. Ein Wortwechsel zwischen den beiden Schlachtern führte zu nichts. Da lockte Caspar Voght den Hund zu sich und streichelte ihn eine ganze Weile, dann gab er ihm plötzlich einen Schlag. Der Hund jaulte und verkroch sich bei dem Schlachter, der den Diebstahl gemeldet hatte. Der Fall war aufgeklärt, und der Dieb nahm ohne Murren seine Strafe an.

Warum an sich über den Senator in der Stadt lustig machte

Wahrscheinlich wäre Senator Voght ausschließlich als kluger und weiser Staatsmann in die Stadtgeschichte eingegangen, hätte es nicht die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen gegeben ... Da war zum Beispiel die Geschichte mit der „Calla aethiopica“. So war bei einer Gesellschaft nämlich eine Dame von ihrem Verehrer tituliert worden. Und da sie nicht genau wusste, um welch schöne Pflanze es sich handelte, mit der sie verglichen wurde, fragte sie den Senator. Der hatte das Kompliment zwar nicht mitbekommen, hätte sich aber denken können, dass die schöne Dame ihn nicht aus botanischem Interesse nach der „Calla aethiopica“ fragte. Hätte, wie gesagt, denn von „Senator Appelmoos“ ist diese Antwort überliefert: „Die Calla aethiopica, meine Beste, das ist ein dummes Ding, sieht aus wie ein Besenstiel, dem man oben eine Nachtmütze aufgesetzt hat.“ Schweigend ging die schöne Dame von dannen und soll von da an eine Abneigung gegen die „Calla aethiopica“ gehabt haben.

Es kann nicht verwundern, dass der Senator als etwas derber Mann in die Stadtgeschichte einging. Immerhin schrieb die Lessing-Freundin Eva König in einem Brief: „Voght ist doch ein braver Mann, wenn man sich auch über seine nicht ganz feinen Sitten lustig gemacht hat.“ Der Diplomat und Publizist Piter Poel nannte ihn „einen groben Spießbürger, schlau, wo es um seinen Vortheil geht, und berühmt durch seine plattdeutschen Naivitäten“. Poel fügte aber hinzu, Voght hätte ein offenes, wohltätiges Herz besessen und unter anderem eine großzügige Spende für den Bau des Kleinen Michel zur Verfügung gestellt. 1781 starb Caspar Voght und sein Sohn Caspar führte die Geschäfte weiter. Er war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch ein angesehener Sozialreformer und Aufklärer.

 

Zum Schluss zurück in die Welt der Musik. Bei einem Konzert fiel dem fleißigen und sparsamen Senator Caspar Voght „dem Älteren“ auf, dass zwei Musiker bei einem Stück nicht mitspielten. Am Ende des Stücks fragte er den Dirigenten: „Worum hebbt denn de bieden Kerls nich mitspeelt?" Höflich erklärte der Dirigent dem Herrn Senator, dass bei dem Satz ihre Instrumente nicht in der Partitur vorkämen und sie deshalb pausiert hätten. Damit zog er den Zorn Voghts auf sich: „Pauseert? Wat heet hier pauseert? Se kriegt jüst so goot betahlt as de annern, denn süllt se ok speeln!"

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann