Hamburgs Patriotische Gesellschaft lebt in der Tradition der Aufklärung und Toleranz. Sie wurde 1765 gegründet, zunächst unter dem Namen „Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“. Aber dieser Name war dann doch zu lang und man gab ihn nach kurzer Zeit auf. Dass sich die Gesellschaft „patriotisch“ nannte und nennt, ist Programm. In diese Tradition stellte sich auch der damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, als er am 10. April 2015 bei einem Senatsempfang zum 250. Geburtstag der Gesellschaft bekannte: „Für mich steht Patriotismus für Aufklärung, Gerechtigkeit und Solidarität, für eine herzliche Anhänglichkeit an den Staat, in welchem man lebt, und tätiges Bestreben, diesem nützlich zu werden, wie es ein Gründer der Patriotischen Gesellschaft damals ausdrückte. In diesem Sinne bekenne ich gern: Auch ich bin ein Patriot.“
In ihrem Jubiläumsjahr musste sich die Gesellschaft gegen den Missbrauch dieses Begriffs zur Wehr setzen. Rechtsradikale riefen für den 12. September 2015 zu einem Aufmarsch zum „Tag der Patrioten“ auf. Die Patriotische Gesellschaft zog daraufhin an diesem Tag vor ihrem Haus an der Trostbrücke ein Banner hoch: „Hamburg muss Farbe bekennen.“ Und die Vorsitzende der Gesellschaft, Ingrid Nümann-Seidewinkel bekannte im Jubiläumsjahr angesichts der rechten Versuche, sich den Patriotismus anzueignen, man habe über eine Namensänderung nachgedacht: „Doch das haben wir abgelehnt. Wir lassen uns den Namen nicht wegnehmen, schon gar nicht von Pegida.“
Die Gesellschaft stellt sich auf ihrer Website so vor: „Unsere Geschichte beginnt mit dem Aufkommen eines neuen bürgerlichen Bewusstseins. Noch 24 Jahre vor der französischen Revolution schlossen sich Bürger in Hamburg zusammen. Beseelt von der Idee der Gleichheit der Menschen und dem Wunsch, Bürgerrechte und Gemeinwohl zu stärken. Heute sind wir die älteste zivilgesellschaftliche Organisation im deutschen Sprachraum – aber neuen Ideen gegenüber so offen wie am ersten Tag.“
Büsch übernimmt die Leitung der Handelsakademie
Zu den Gründungsvätern der Patriotischen Gesellschaft gehörte Johann Georg Büsch, einer der angesehensten Vertreter der Aufklärung in Hamburg. Er wurde am 3. Januar 1728 in der Nähe von Lüneburg geboren und kam im Alter von drei Jahren nach Hamburg, wo sein Vater Pastor an die St. Michaeliskirche war. Wie andere Söhne aus der Oberschicht besuchte Johann Georg die Gelehrtenschule Johanneum und anschließend das Akademische Gymnasium, das auf ein Universitätsstudium vorbereitete. Von 1748 an studierte er Theologie in Göttingen und arbeitete nach dem Abschluss zunächst als Privatlehrer in Hamburg. Von 1756 an unterrichtete er Mathematik am Akademischen Gymnasium. Er heiratete 1759 Margarete Augusta Schalb, die fünf Töchter und fünf Söhne zur Welt brachte.
1771 übernahm Büsch die Leitung der einige Jahre vorher in Hamburg gegründeten Handelsakademie (auch Hamburger Handlungs-Akademie genannt). Sie bereitete junge Männer auf eine kaufmännische Tätigkeit vor und genoss unter der Leitung von Büsch bald über Hamburg hinaus einen guten Ruf. Zu den in späteren Jahren bekanntesten Schülern gehörten Alexander von Humboldt und Georg Heinrich Sieveking.
Der Aufklärer Büsch setzte sich auch zum Ziel, die Schüler auf die Übernahme von Positionen im Staatsdienst vorzubereiten, wo er große Defizite beim wirtschaftlichen Umgang mit Finanzen und bei der Förderung der Wirtschaft diagnostiziert hatte. Die Privatschule hatte allerdings Mühe, eine ausreichend große Zahl von zahlungskräftigen Schülern zu finden. Ausgerechnet unter Hamburger Kaufleuten gab es Vorbehalte gegenüber der Akademie, sie sei zu theoretisch ausgerichtet, hieß es. Von den 282 Schülern bis 1787 kamen nur 53 aus Hamburg.
Die Gründung der Patriotischen Gesellschaft
Büsch verfasste zahlreiche Schriften zu Wirtschaftstheorie und -praxis und eine große Zahl von Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften. Diese Veröffentlichungen weisen ihn als bedeutenden praxisorientierten Denker der Aufklärung aus. Überdies hielt Büsch zahlreiche öffentliche Vorträge zu einem breiten Spektrum von Themen. Er besaß eine Bibliothek mit mehr als 3.000 Büchern, damals eine der bedeutendsten Privatbibliotheken der Stadt. Büsch war ein entschiedener Verfechter der Aufklärung und mit anderen Aufklärern in Hamburg befreundet.
So kann es nicht überraschen, dass er sich von Anfang an für und in der Patriotischen Gesellschaft engagierte. Die Gründungsversammlung der Gesellschaft fand am 11. April 1765 in der Hamburger Börsenhalle statt. Büsch wurde zu einem der Direktoren gewählt. Im ersten Jahr gewann die Patriotische Gesellschaft 96 Mitglieder, von denen die meisten Kaufleute waren, aber auch Professoren, Juristen und Geistliche traten bei. Sie alle wollten sich für politische und soziale Reformen einsetzten und diese auch exemplarisch in die Tat umsetzten. Führende Mitglieder der Gesellschaft plädierten für die Gleichberechtigung der Frauen, aber es blieb zunächst ein Engagement „für“, nicht „der“ Frauen selbst. Es dauerte lange, bis Frauen in führende Positionen aufstiegen, aber immerhin tat die Gesellschaft vieles, was den Frauen nützte.
Der Historiker Franklin Kopitzsch bewertet das Entstehen der Gesellschaft und ähnlicher Gesellschaften in anderen Städten so: „Die Gründung der Patriotischen Gesellschaft von 1765 ist ein entscheidendes Datum in der Geschichte der hamburgischen Aufklärung, wie überhaupt die Bildung dieser Organisationen … In diesen Sozietäten fanden sich Angehörige verschiedener Stände und Berufe, Professionen und Konfessionen zusammen. Regierende und Regierte, Verwaltende und Verwaltete, am politischen Leben Partizipierende und Ausgeschlossene trafen sich zum Gedankenaustausch und zur gemeinsamen Arbeit.“
Engagement zum Wohle der Stadt
Büsch brachte in die Arbeit der Gesellschaft seine Überzeugung ein, dass Armut wirksam dadurch zu bekämpfen wäre, dass man den arbeitsfähigen Menschen eine ausreichend bezahlte Beschäftigung ermöglichte und sie durch eine Krankenversicherung vor einer erneuten Verarmung schützte. Den Kindern der Armen sollte eine gute Schulbildung zukommen. Diese und weitere Vorschläge von Büsch übernahm die Gesellschaft und setzte sie möglichst exemplarisch um.
Darüber vergaß Büsch nationale und internationale Anliegen nicht und forderte zum Beispiel eine größere Freizügigkeit in Deutschland und Europa. Originalton Büsch aus dem Jahre 1772: „Muß es nicht als Mensch, als Weltbürger verdrießen, daß ich nicht meinen Fuß über die Gränzen Deutschlands, ja ich, ein Deutscher, nicht einmal meinen Fuß aus einem Theile Deutschlands in den anderen setzen darf, ohne, so wie ein Feind von Feinden, angehalten und durchsucht zu werden, nicht anders, als wenn ich alle Anzeigen eines mit Raube und Morde umgehenden Menschen in meinem Betragen und meinem finsteren Gesichte trüge …“ In Deutschland sollte es noch ein Jahrhundert und auch nur in Teilen Europas noch zwei Jahrhunderte dauern, bis die von Büsch geforderte „Hospitalität“ verwirklicht wurde.
Den Nutzen, von anderen Ländern zu lernen, demonstrierte Büsch an der Straßenpflasterung. Bei einer Reise nach Dänemark bemerkte er in Kopenhagen, dass dort das Kopfsteinpflaster nicht so holprig war wie in Hamburg. Zum Nutzen seiner Heimatstadt ließ er dänische Pflasterer nach Hamburg kommen, wo sie zeigten, welche Vorteile ihre Technik der Straßenpflasterung hatte – und überzeugte damit seine Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Die Biene ist das Wappentier der Patriotischen Gesellschaft, und bienenfleißig haben Büsch und die anderen Mitglieder der Gesellschaft immer wieder Initiativen zum Wohle der Stadt ergriffen. „Hamburgs erste Bürgerinitiative“ gründete die erste Lebensversicherung Deutschlands, die erste Sparkasse der Welt, die erste Flussbadeanstalt Deutschlands an der Alster, Milchküchen zur Verminderung der Kindersterblichkeit, eine moderne Armenfürsorge, Mütterberatungsstellen sowie die erste Öffentliche Bücherhalle in Hamburg.
Büsch starb am 5. August 1800. Für den hoch angesehen Bürger der Stadt wurde ein Denkmal errichtet, das erste Denkmal für eine bürgerliche Person in Deutschland. Das Denkmal steht heute in der Nähe des Hauptgebäudes der Universität. Die Stadt ehrte den Aufklärer mit einer Büschstraße. Die Patriotische Gesellschaft hat einen Saal nach Büsch benannt und vergibt einen Johann-Georg-Büsch-Preis.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte