Matthias Claudius wurde am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren. Sein Vater war Pastor des Ortes. Matthias wuchs in einer großen Geschwisterschar auf. Im Religionsunterricht des Vaters hatten gute Bibelkenntnisse einen festen Platz, aber offenbar kein dogmatisches orthodoxes Luthertum. Matthias und sein älterer Bruder Josias sollten Theologen werden, entschieden die Eltern. Dafür besuchten beide vier Jahre lang die Lateinschule in Plön und begannen 1759 gemeinsam mit dem Studium in Jena. Aber während der Bruder zielstrebig Theologie studierte, besuchte Matthias Claudius zahlreiche Vorlesungen unterschiedlicher Fakultäten. Das eröffnete ihm einen Zugang zu viel Wissen und zu vielen Einsichten – nur nicht zu einem Studienabschluss. Nach drei Jahren gab er das Studium auf und kehrte in das Pfarrhaus nach Reinfeld zurück.
Als Sekretär in Kopenhagen
Der besorgte Vater musste alle Hoffnung aufgeben, dass sein Sohn Pastor werden könnte, aber wenigstens eine bezahlte Anstellung sollte er annehmen. Verschiedene phantastisch klingende Pläne des gescheiterten Studenten werden die Eltern beunruhigt haben, so die Idee, mit anderen Schriftstellern eine Dichterkolonie auf Tahiti in der Südsee zu gründen. Stattdessen wurde Matthias Claudius 1764 durch Vermittlung eines Onkels zum Sekretär des Grafen Ulrich Adolph von Holstein in Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt war damals ein wirtschaftliches und geistiges Zentrum Europas, und Matthias Claudius begegnete dort vielen der großen Denker und Schriftsteller des 18. Jahrhunderts wie Friedrich Klopstock. Aber die laute Großstadt und die Arroganz seines Arbeitgebers veranlassten ihn, Kopenhagen nach eineinhalb Jahren wieder zu verlassen und nach Reinfeld zurückzukehren.
Als Redakteur einer Wirtschaftszeitung
Drei Jahre blieb er dort, und wir wissen aus dieser Zeit vor allem, dass er Orgel spielte und in der Welt der Musik ein Zuhause fand. 1768 bekam Matthias Claudius auf Vermittlung von Friedrich Klopstock in Hamburg eine Stelle als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Adreß-Comptoir-Nachrichten“. Die Bezahlung war ziemlich miserabel und die Arbeit öde, denn der neue Redakteur musste vor allem die Schiffsankünfte im Hamburger Hafen und Wechselkurse vermelden. Viel wichtiger wurde ihm der geistige Austausch mit Klopstock, Lessing und Herder. Deshalb war es für Matthias Claudius wohl eher eine Erleichterung, als ihm der Verleger 1771 kündigte. Anlass war ein „Wiegenlied, bei Mondschein zu singen“, das der dichtende Redakteur zwischen die Angaben über Wechselkurse eingefügt hatte.
Damals lebte Claudius bereits in Wandsbek, wo er sich in die sechzehnjährige Anna Rebecca Behn verliebt hatte. Sie war die Tochter eines Zimmermeisters und Gastwirtes, was den Dichter nicht daran hinderte, sie zeitlebens liebevoll „mein Bauernmädchen“ zu nennen. Er meinte damit, dass sie eine Frau aus dem Volke war. Claudius fand eine Anstellung als Redakteur der neu gegründeten kleinformatigen Zeitung „Wandsbecker Bote“ von vier Seiten Umfang, die vier Mal in der Woche erschien. Die Initiative für dieses Zeitungsprojekt ging von Heinrich Carl Schimmelmann aus, dem dänischen Schatzmeister und Schlossherrn des Ortes. Eine gute Zeitung würde dem aufstrebenden Wandsbek mit damals 500 bis 600 Einwohnern gut anstehen, davon war er überzeugt.
Die neue Zeitung für Wandsbek
Die erste Ausgabe erschien am 1. Januar 1771, und schon auf der ersten Seite kündigte der Bote Claudius als Programm an, die Zeitung werde „gelehrte und polit’sche Mähr ... aus Asia und Africa, Europa und America“ veröffentlichen. Und tatsächlich erschienen in der Zeitung neben literarischen Texten auch Nachrichten aus aller Welt, oft mit wochen- oder monatelanger Verspätung, aber das war zu dieser Zeit auch in anderen Zeitungen so. Und über alle Nachrichten vergaß Claudius im Frühling nicht die Mitteilung, dass die Nachtigall das erste Mal zu hören war.
Der Redakteur gewann viele berühmte Schriftsteller als Autoren für sein kleines Blatt, für das er einen Bildungsanspruch hatte: „Man muss den Menschen nur vernünftig ansprechen, und man wird sich wundern, wie er‘s begreift.“ Aber mochte die literarische Qualität der Zeitung in gebildeten Kreisen noch so anerkannt werden, im kleinen Ort Wandsbek fand sie kaum Leser und entwickelte sich wirtschaftlich zu einem Desaster. Die Bewohner Wandsbeks schätzten die Skandalblätter aus Hamburg und nicht die geistigen Höhenflüge der Dichter der Klassik. Nach nicht einmal fünf Jahren musste die Zeitung, von der nicht mehr als 400 Exemplare verkauft wurden, eingestellt werden.
Als Claudius selbst zum Wandsbeker Boten wurde
Aber Claudius war inzwischen selbst zum „Wandsbecker Boten“ geworden, zum Dichter und Übersetzer, der von seinem bescheidenen Häuschen am Rande von Hamburg aus die Welt betrachtete und unermüdlich Gedichte und kurze Geschichten und Artikel zu Fragen der Zeit verfasste. Nach der Einstellung der Zeitung fand er mehr Muße zum Dichten und zum Leben. So blieb auch genügend Zeit zum Nachdenken über seinen Gott. Theologisch passte er nie in eine Schublade. Für die Erkenntnisse der Wissenschaft war er offen, aber forderte, darüber dürfte man das Staunen über die wunderbare Schöpfung Gottes nicht aufgeben.
Mit den Aufklärern seiner Zeit trat er für Toleranz ein, Toleranz auch gegenüber fremden Religionen, in denen er Gottes Wirken wahrnahm. Seine Toleranz schloss auch die Katholiken ein, das war in seiner Umgebung nicht selbstverständlich. Als der Dichter Stolberg zum Katholizismus übertrat, sagten sich viele bisherigen Freunde entsetzt von ihm los, nicht aber Claudius. Er sagte dem Freund: „Wir haben einen Herrn Jesus Christus und wollen gegenseitig uns auffordern, wer ihn von uns beiden am meisten lieben wird."
Ein zufriedenes Leben trotz Armut
Vielen galt er als kauziges Original, aber immer mehr Menschen pilgerten auch nach Wandsbek, um den Verfasser der vielen schönen Gedichte zu sehen und vielleicht auch zu sprechen. Claudius, der häufig bis spät in den Tag hinein eine Nachtmütze trug und nachlässig gekleidet war, spielte dann den Hausdiener, trat aus der Tür und verkündete den Besuchern, der Herr Dichter sei leider nicht zu Hause. Zu diesem einfachen, gottesfürchtigen Leben gehörte es für den Dichter auch, seine Kinder zu unterrichten und mit ihnen zu spielen. Wenn er mit seinen Kindern im Garten herumtollte, löste das bei nicht wenigen Wandsbekern ein Stirnrunzeln aus. Konnte ein gesetzter Mann, dazu noch eine Berühmtheit, so mit seinen Kindern im Garten Bockspringen?
1776 gab die Familie das Leben im idyllischen Wandsbek auf und zog nach Darmstadt, wo der Dichter auf Vermittlung Herders die gut bezahlte Stelle eines Oberlandcommissarius erhalten hatte. Er sollte daran mitwirken, die hessische Wirtschaft zu modernisieren. Aber Claudius konnte sich nicht in eine Beamtenhierarchie einfügen und tagein, tagaus am Schreibtisch sitzen. Das merkten auch seine Vorgesetzten, und hinfort sollte er als Redakteur einer neuen Zeitung die Pläne der Landkommission und das gute Wirken des Landgrafen vermitteln. Es misslang, und bereits 1777 kehrte die Familie nach Wandsbek zurück.
Dank der Übersetzungshonorare, der Autorentantiemen, der Unterstützung durch Freunde und Gönner und nicht zuletzt der sparsamen Haushaltsführung Rebeccas konnte die Familie 1781 ein kleines Haus erwerben. Aber Rebecca erkrankte mehrfach, und nur ihr unerschütterliches Gottvertrauen half, mit diesen Krisen fertig zu werden.
Engagement für die Armen und für den Frieden
Der Dichter blieb auch wach für die Not anderer und brachte in einem Gedicht das Elend und die Mühe der Bauern zur Sprache. Die letzte Gedichtzeile lautet: „Es sind doch Menschen auch“. Ebenso beklagte er die Sklaverei in der Karibik und war von einer tiefen Friedensliebe beseelt:
‚s Krieg!, ‚s Krieg!
o Gottes Engel wehre,
und rede Du darein!
‚s leider Krieg – und ich begehre,
nicht schuld daran zu sein!
1814 musste der über Siebzigjährige selbst vor dem Krieg zwischen den französischen Besatzungstruppen und den heranrückenden alliierten Armeen flüchten. Matthias und Rebecca Claudius fanden Zuflucht bei befreundeten Familien in Holstein und kehrten anschließend nach Wandsbek zurück. Aber wegen ihrer sich verschlechternden Gesundheit zogen sie zu ihrer Tochter Caroline und deren Mann Friedrich Perthes nach Hamburg. Hier starb der Dichter am 21. Januar 1815.
Die Gräber von Matthias Claudius und seiner Frau Rebecca befinden sich auf dem historischen Friedhof neben der Christuskirche in Wandsbek. Einige Meter entfernt erhebt sich das Mausoleum der Familie Schimmelmann. Ganz in der Nähe befinden sich zwei Denkmäler für den Dichter. 2015 wurde die sechs Meter breite Skulptur „Der Mond ist aufgegangen“ eingeweiht. Sie zeigt Claudius, wie er die Sterne am Firmament beobachtet. Eine Skulptur auf dem Wandsbeker Markt stellt dar, wie der Dichter ansetzt, über eines seiner Kinder zu springen. Außerdem tragen ein Gymnasium und mehrere Straßen seinen Namen: Claudiusstraße, Claudiusstieg. Asmusweg (nach einem Pseudonym des Dichters).
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte