„Er sprach viel, besonders mit Mama, mit mir wenig, ich schwieg.“ So beschrieb die Tochter aus gutem Hause den Mann, mit dem ihre Eltern sie verheiraten wollten. Eine richtig gute Partie war er nicht, fanden auch die Eltern, aber immer noch besser als Octav Nolte, der Sohn eines Bankrott gegangenen und des Betruges überführten Kaufmanns. Also bedrängten die Eltern Hudtwalcker ihre Tochter Margarethe Elisabeth, Johann Milow zu heiraten. Margarethe tat zunächst alles, um Milow zu missfallen, aber dann wurde doch geheiratet, als Margarethe die Spannung zwischen ihrer Liebe zu Octav Nolte und dem Gehorsam gegenüber den Wünschen ihrer Eltern nicht mehr ertragen konnte: „‚Das halte ich nicht länger aus‘, sagte ich und wenn Milow der abscheulichste Mann unter der Sonne ist, so nehme ich ihn, unglücklicher als ich jetzt bin, kann ich doch nie werden.“
So steht es in ihren Lebenserinnerungen, die die Historikerin Dr. Rita Bake im Hamburger Staatsarchiv entdeckt hat. Es ist eine der ganz wenigen Lebenserinnerungen einer Frau aus dem Bürgertum des 18. Jahrhunderts. Rita Bake und Birgit Kiupel veröffentlichten sie 1987 unter dem Titel „Ich will aber nicht murren“. Am Anfang der Erinnerungen lesen wir: „Warum ich Euch mein Leben schreiben will? Weil es reich ist an Erfahrungen aller Art; weil Euch, meine Kinder, besonders, diese Erfahrungen nützen können.“
Geboren wurde Margarethe Hudtwalcker am 2. Oktober 1748. Die Hudtwalckers gehörten zu den aufstrebenden Kaufmannsfamilien in Hamburg, waren aber noch weit von späterem Reichtum entfernt. Margarethes Vater, Heinrich Jacob Hudtwalcker, war der Sohn eines Käsehändlers in Altona und konnte sich in Jahrzehnten zu einem angesehenen Kaufmann hocharbeiten. Über die Mutter Sara Elisabeth schrieb Margarethe: „Meine Mutter hatte nach der damaligen Gewohnheit die Töchter zu erziehen, Ordnung und Fleiß in häuslichen Geschäften und Hausarbeit gelernt … Sie verstand zu herrschen, ohne jedoch den Ton davon zu haben; in Gesellschaften und wo es bemerkt werden konnte, ließ sie immer meinem Vater die Oberhand.“
An ihre frühe Kindheit erinnerte sich die Tochter gern, es war ihre glücklichste Zeit. Als sie alt genug war, wurden sie und ihre Geschwister von einer „Aufseherin“ unterrichtet. Sie mussten „beständig von 8 des Morgens bis 8 des Abends nähen und lernen, und nur Sonntags hatten wir Zeit und Erlaubnis zum Spielen.“ Es folgten weitere Erzieherinnen und mit ihnen wechselten Bildungsinhalte und Erziehungsstile. Bestehen blieb das elterliche Streben, sowohl Söhne als auch Töchter mit einer guten Bildung auf das Erwachsenenleben vorzubereiten.
1768 verliebte sich Margarethe in den bereits erwähnten Octav Nolte, der zu dieser Zeit im Kontor von Margarethes Vater arbeitete: „Bei Octav war schon zu Anfang des Winters Liebe gegen mich entstanden ...“. Auch sie zeigte ein wachsendes Interesse an dem jungen Mann, der zu den Mahlzeiten mit am Tisch der Familie saß: „Meine Schwestern sagten mir ein ander Mal, ich sähe ja bei Tische Octav so viel an, was das wäre?“
Es folgte ein, wenn auch kurzes Liebesglück. „Wir taumelten also so fort, vergaßen die ganze übrige Welt um uns herum.“ Auf einer Bootstour gaben sich die liebenden den „ersten heiligen Kuß“: „Dieser Kuß war für uns Verlobung vor Gott, der Mond und die Sterne waren Zeugen, und wir versicherten uns, daß nur der Tod uns trennen sollte.“ Aber aus einer Verlobung auf Erden wurde nichts. Margarethes Eltern und besonders der Vater sahen Octav nicht als standesgemäßen Schwiegersohn an.
Die Eltern hatten Johann Milow als zukünftigen Ehemann ausersehen. Er wurde 1738 in Hamburg geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Ein Hamburger Pastor ermöglichte ihm, eine höhere Schule zu besuchen.
Ein weiterer Gönner unterstützte ihn während des Theologie- und Philosophiestudiums in Göttingen. 1764 konnte Milow in Kiel das Studium abschließen, um ein Jahr später Professor an dieser Universität zu werden. Aber leider befand sich die Universität Kiel zu dieser Zeit in einem beklagenswerten Zustand. Es gab nur 13 Studenten und 14 Professoren, die man auch noch sehr schlecht bezahlte. Johann Milow wurde vom aufkommenden Rationalismus seiner Zeit erfasst, und die Zweifel an dem ererbten Glauben waren so tief, dass er seinen wenigen Theologiestudenten empfahl, dieses Studium aufzugeben. Er fand erst nach Jahren des inneren Ringens zurück zum Glauben.
Gern wäre Milow Professor am Akademischen Gymnasium seiner Heimatstadt Hamburg geworden, aber da er den orthodoxen lutherischen Predigern wie Goeze nicht genehm war, hintertrieben sie seine Wahl. So nahm er notgedrungen andere Stellen an: an der Ritteracademie in Lüneburg, an der Handelsacademie in Hamburg und schließlich als Pastor in Lüneburg. Er konnte nun an eine Heirat denken, auch wenn sein Gehalt dürftig und sein Vermögen gleich null war. Ein Freund brachte ihn in Verbindung mit der Familie Hudtwalcker und vermittelte Gespräche über eine mögliche Heirat mit Margarethe. Allerdings: Johann Milow fand Margarethes jüngere Schwester Sarah sehr viel reizender - und Margarethe hätte lieber Octav geheiratet.
Aber Margarethes Eltern wollten zuerst ihre älteste Tochter unter die Haube bringen und schafften das auch. Als Margarethe das erste Mal mit dem zukünftigen Ehemann zusammentraf, fühlte sie sich „wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“. Die Freude der Eltern, dass es zur Heirat mit Milow kommen würde, währte nur kurz. Rasch merkten sie, wie teuer die Mitgift und die Hochzeit werden würden und wie misslich es war, dass der Bräutigam ein armer Pastor war und nichts zur Anschaffung des Hausstandes beitragen konnte.
Am 17. Oktober 1769 wurde geheiratet und Margarethe schrieb über den Hochzeitstag: „Er ward herbeigeweint. Hätte ihn da Jemand zu meinem Sterbetag verwandeln können, oh, wie würde ich ihm gedankt haben.“ Bald nach der Hochzeit kam der nächste Schmerz, der Abschied von den geliebten Geschwistern und Eltern, um in das provinzielle Lüneburg umzuziehen. Heimisch wurde das junge Paar dort nie, hatte nur wenige Bekannte und sehnte sich nach Hamburg zurück.
Mehrmals bewarb Johann Milow sich um freie Pfarrstellen in Hamburg, immer vergeblich. Die orthodoxen Prediger verhinderten stets seine Wahl. Zudem war Milow ein kränkelnder, schwacher Mann, der sich im Laufe der Jahre immer mehr zum Hypochonder entwickelte und vor der Unbill der Welt in Krankheiten flüchtete. Und Unbill gab es genug in seiner Familie, so die gegenseitige Eifersucht, die Leiden Margarethes bei der Geburt des ersten Sohnes, die schwere Erkrankung dieses Sohnes in den ersten Lebenswochen und zu all dem verschlechterte sich auch noch die finanzielle Situation der Familie zusehends.
Drei Jahre nach der Heirat gab Johann Milow notgedrungen seine Hamburg-Ambitionen auf und bewarb sich auf die Pastorenstelle in Wandsbek. Der Ort gehörte damals zum dänisch regierten Holstein, und neben der Kirche stand das Schloss des dänischen Schatzmeisters Heinrich Carl Schimmelmann < S. 232 >. Johann Milow konnte ihn und seine Frau für sich einnehmen, und mit dieser Protektion konnte er am 15. November 1772 in sein Amt als Pastor von Wandsbek eingeführt werden. Welch eine Freude für die ganze Familie nach all den Rückschlägen! Das Gehalt war hier etwas höher als in Lüneburg, Hamburg war nah und außerdem befreundeten sich die Milows rasch mit der Dichterfamilie Claudius.
Die Pastorenfamilie eröffnete ein Lehrinstitut für Jungen von acht bis fünfzehn Jahren, die im Pastorat wohnten. So wurde die Familienkasse deutlich aufgebessert, aber die zusätzliche Arbeitsbelastung der Ehefrau als Hausmutter war enorm. Dabei war sie durch die Geburten und Betreuung der vielen eigenen Kinder gesundheitlich geschwächt. Als Pastor kam Milow zu Ansehen, und nach dem Tode Schimmelmanns wurde er dazu ausersehen, in der Schlosskirche in Ahrensburg die Beisetzungsansprache zu halten, die so viel Eindruck machte, dass man sie drucken ließ.
Nach einem langen Brustkrebsleiden starb Margarethe Milow am 20. Oktober 1794. Ende 1793 hatte sie geschrieben: „Ich kann nach menschlichem Ansehn nicht besser werden, ich muss aller Erfahrung nach eines fürchterlichen Todes sterben, aller dieser Erfahrung nach ferner lange leiden. Ich will aber nicht murren, dort werde ich das im Lichte erkennen, was ich hier dunkel sah.“
Die Köster-Stiftung, deren Gründer mit Margarethe Milow verwandt war, hat in einer Altenwohnanlage am Amalie-Dietrich-Stieg in Barmbek eine Büste dieser Frau aufgestellt. Eine Tafel informiert dort über ihr Leben.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte