ELBKURHAUS IN BLANKENESE

 

Der Mühlenberg erhielt seinen Namen nach einer Wassermühle, die unterhalb des Berges seit dem 15. Jahrhundert betrieben wurde. Ein Bach und mehrere Quellen, die einen Teich speisten, lieferten ausreichend Wasser für die Mühle. Als sich mehr Bauern im Umkreis der Mühle ansiedelten, kam eine Windmühle an der heutigen Elbchaussee östlich des Hirschparks hinzu. 1841 gab es am Mühlenberg insgesamt 55 Häuser von Fischern und Handwerkern.

 

Die Tochter des Tapetenfabrikanten

 

Auf dem Gelände des bisherigen Mühlenbetriebes siedelten sich im 19. Jahrhundert verschiedene Gewerbeunternehmen an, zuletzt 1905 der Tapetenproduzent Wilhelm Iven. Er war, so erinnerte sich seine älteste Tochter Dora, ein Mustertyp des großbürgerlichen Vaters, der entsetzt war, dass sowohl sein erstes als auch sein zweites Kind „nur“ Mädchen waren. Aber unter den weiteren 11 Kindern der Familie waren dann auch Söhne. Wilhelm Iven war ein sehr erfolgreicher Tapetenfabrikant, der seine Produkte auch in andere europäische Länder und nach Übersee exportierte.

 

Manche Muster für seine Tapeten ließ er von angesehenen Künstlern wie Professor Hans Christiansen aus Darmstadt entwerfen. Dessen Jugendstil-Gemälde hängen heute zum Beispiel im Altonaer Museum und im Museum für Kunst und Gewerbe. Es war Christiansen, der das künstlerische Talent der Tochter Dora erkannte. Und da Dora als Tochter nun einmal nicht für die Leitung des Tapetenkonzerns in Frage kam, förderte die reiche Familie ihre Ausbildung an einer Kunstschule – nachdem sie vorher eine verordnete hauswirtschaftliche Ausbildung abgeschlossen hatte. Sie nutzte die vielen inter­nationalen Verbindungen ihres Vaters, um ihre künstlerische Weiterbildung im Ausland zu vertiefen. Sie wurde zu einer angesehenen Künstlerin. Nicht ganz überraschend bezog man ihren Ehemann in die Leitung des Tapetenkonzerns ein.

 

Für die reiche Familie entstand auf dem Fabrikgelände eine Villa. Aus dem großen Fabrikgebäude am Elbufer wurde ein Hotel mit Restaurant, das Elbkurhaus. Auch die Umgebung veränderte sich in dieser Zeit. Es erfolgte eine Parzellierung des Tals. Der frühere Mühlenteich wurde verkleinert und mit Betonwänden versehen. Die Quelle sprudelt auch heute noch und sorgt dafür, dass das Wasser des Teichs immer eine Temperatur von 5 bis 10 Grad Celsius hat, sodass das Gewässer nicht zufriert. Der Teich ist von Privatgrundstücken umgeben.

 

Das Hotel bot zwar einen schönen Blick auf die Elbe, lag aber ziemlich abgelegen. Es schloss vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bei einer Zwangsversteigerung im Januar 1939 erwarb der Reeder John T. Essberger das Gebäude. Er kündigte an, dass Haus grundlegend zu renovieren. Dazu kam es aber nicht mehr, weil der Krieg ausbrach. Essberger vermietete den ersten und zweiten Stock des Gebäudes an das Luftgaukommando XI, in das Erdgeschoss zogen mehrere Firmen ein.

 

Als aus dem Elbkurhaus ein Kibbuz wurde

 

Im März 1946 mietete die sozialistisch-zionistische Bewegung Paole Zion Räumlichkeiten im Elbkurhaus und richtete dort ein Ausbildungs-Kibbuz für zukünftige Fischer ein. Die 70 jüdischen Frauen und Männern aus Osteuropa hatten die Konzentrationslager der Nazis überlebt und galten nun als „displaced persons“. Sie wollten nicht in ihre inzwischen von sowjetischen Truppen besetzte Heimat zurück, sondern nach Palästina auswandern. Das aber wollte Großbritannien verhindern, die damalige Mandatsmacht Palästinas. Angesichts der wachsenden Spannungen zwischen arabischer und jüdischer Bevölkerung sollten möglichst wenige Juden dorthin auswandern können.

 

Die Kibbuz-Mitglieder erhielten als Vorbereitung auf ihre spätere Tätigkeit in Palästina auf vier Fischkuttern eine praktische Ausbildung. Die Kutter fuhren bis in die Elbmündung hinaus und waren oft tagelang unterwegs. Es erwies sich als günstig, dass das frühere Hotel über einen Bootsanleger verfügte. Die jungen Leute wurden an Land in die Fischverarbeitung eingeführt und erhielten theoretischen Unterricht. Einen Teil der gefangenen Fische stellte die Schule für jüdische Einrichtungen in der Stadt zur Verfügung.

 

Mit der lokalen Bevölkerung hatten die Kibbuz-Bewohner kaum Kontakt. Die Einwohner von Dockenhuden und Blankenese hatten kurz nach Kriegsende andere Prioritäten, als Beziehungen zu den jüdischen Kibbuz-Bewohnern aufzunehmen. Diese sahen das frühere Hotel nur als kurzzeitige Zwischenstation auf dem Weg nach Palästina an. Die britischen Besatzer hatten zunächst anderes zu tun, als sich um die „displaced persons“ in dem heruntergekommenen früheren Hotel zu kümmern, akzeptierten aber deren Anwesenheit. Das änderte sich schlagartig, als Mitte Oktober 1946 ein englischer Unterhausabgeordneter im Parlament anfragte, wer den potenziellen Auswanderern nach Palästina die Fischkutter zur Verfügung gestellt und die Erlaubnis zum Fischfang erteilt hatte. Die Londoner Presse griff den Fall auf und schrieb, „eine geschickt getarnte Bande jüdischer Propagandisten“ wäre aufgeflogen, die an der Elbe einen Stützpunkt für die illegale Auswanderung nach Palästina betreiben würde.

 

Daraufhin wurde die britische Militärverwaltung in Hamburg aktiv und schickte am 21. November 1946 im Morgengrauen eine Hundertschaft Militärpolizei zum Elbkurhaus. Die Polizisten zwangen die 26 anwesenden Kibbuz-Mitglieder, das Ge­lände zu verlassen. Eine Begründung für die Vertreibung wurde nicht gegeben. Die einheimische Bevölkerung nahm den Militäreinsatz vermutlich wahr, zeigte aber wenig Interesse an dem Vorgang. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ins öffentliche Bewusstsein kam, das in Blankenese einmal ein Kibbuz existierte.

Der Bau einer Reihenhaussiedlung mit Elbblick

 

Das frühere Hotelgebäude diente nun erst einmal als Unterkunft für Flüchtlinge. Einen Teil der Räume vermietete die Reederei Essberger preiswert als Künstlerateliers. Mitte der 1950er Jahre beschlossen die Eigentümer, das Haus abzureißen. Nach Entwürfen des Architekten Cäsar Pinnau entstand 1956 die heute noch bestehende Reihenhauszeile, die etwa die Größe des früheren Hotels hat. Pinnau war und ist wegen seiner engen Zusammenarbeit mit Nazi-Führern wie Hermann Göring umstritten, erhielt aber in der Nachkriegszeit viele Aufträge, so von den Reedern Onassis und Essberger. Anfang der 1960er Jahre entwarf Pinnau auch die Innenausstattung der eleganten Schiffe von Hamburg-Süd, die als „Weiße Schwäne des Südatlantiks“ in die Schifffahrtsgeschichte eingegangen sind. Eines der Schiffe, die „Cap San Diego“, liegt inzwischen als Museumsschiff an der Hamburger Überseebrücke.

 

Gegen den Bau der „Mammuthäuser“ in Dockenhuden gab es zunächst in der Bevölkerung Proteste. Kritiker behaupteten: „Ein Schandfleck weicht dem nächsten“. Das Bezirksamt argumentierte, dass die neuen Häuser niedriger als das frühere Hotel sein würden. Heute sind sie sehr beliebte Wohnhäuser und stehen unter Denkmalschutz. Wenn man Bausünden an Elbe und Elbchaussee sucht, gehören die Reihenhäuser in Dockenhuden nicht zu den gesuchten Objekten, im Gegenteil gehören sie zu den schöneren Nachkriegsbauten. Die Straße „Beim Elbkurhaus“ erinnert an das frühere Hotel.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann

Entdeckungsreise entlang der Elbchaussee

Mit dem Linienbus 112 von Altona bis Blankenese

Rediroma Verlag 2024, 342 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, 31,95 Euro

 

Hinweis: Die Fotos zu diesem Beitrag sind nur im gedruckten Buch zugänglich.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann