„Caspar Voght war Kaufmann von Beruf und voller Humor, der allerdings nicht immer beabsichtigt, sondern einfach aus seiner derben Art entsprang.“ So hat Johannes Sass den Senator Voght in seinem Buch „Hamburger Originale und originelle Hamburger“ vorgestellt, dem ich viele Informationen zu diesem Kapitel verdanke. Dass Voght einen Platz unter den Originalen der Stadt verdient hat, dafür soll hier eine Begebenheit erzählt werden.
„Wat gifft dat hüüt avend to eten, Liesbeth?“ Die Frage war verfrüht, denn das Orchester spielte gerade erst die Ouvertüre, und Elisabeth wurde abrupt aus ihrem Kunstgenuss gerissen. Sie flüsterte ihrem Gatten zu: „Kramsvagels, Caspar!“ Damit hätten die beiden zum Genuss der Musik zurückkehren können, denn Kramsvagels, also Drosseln, waren das Lieblingsgericht des Herrn Senator. Aber beim Gedanken an sein Leib- und Magengericht kam seine nächste Frage, die das ganze Unglück auslöste: „Ok Appelmoos dorbi?“
Das geflüsterte „Nee“ brachte den Ehegatten in Zorn, und er sagte mit allen Anzeichen der Empörung: „Denn schiet ik op de Kramsvagels!“ Dieser Satz sprach der Senator laut in die Stille nach der Ouvertüre hinein, und sie war überall im Opernhaus am Gänsemarkt zu hören. Auch die Besucher, die den ersten Teil des Gesprächs nicht mitbekommen hatten, erfuhren rasch, was den Zorn des Polizeisenators ausgelöst hatte. Von nun an hieß er in der Stadt „Senator Appelmoos“.
Heikle diplomatische Aufgaben des Polizeisenators
Caspar Voght „der Ältere“ sollte nicht mit seinem Sohn gleichen Namens verwechselt werden, der zu den führenden Vertretern der Aufklärung in Hamburg gehörte. Der Vater wurde 1707 in Beverstedt bei Bremen geboren und hatte im Alter von 16 Jahren eine kaufmännische Lehre im Hamburger Handelshauses Jencquel begonnen. Seine Leistungen waren offenbar so beeindruckend, dass er mit 25 Jahren die Leitung der wichtigen Lissabonner Filiale des Handelshauses übernehmen konnte. Sechzehn Jahre lang handelte er erfolgreich mit Tuchen und Weinen, und wie in manchen Märchen durfte der Heimgekehrte dann die Tochter seines Dienstherrn heiraten.
Mit Geschick gelang es Voght, von 1848 an aus kleinen Anfängen ein eigenes erfolgreiches Handelsunternehmen für Seiden- und Leinenartikel aufzubauen. Der reiche Kaufmann besaß ein Landhaus in Hamm, und dorthin lud er einmal die Herzogin von Mecklenburg zu einem Mittagessen ein. Zur Begrüßung der Besucherin sollten die Wasserkünste spielen, auf die Voght besonders stolz war. Der Gärtnerbursche war instruiert worden, sie rechtzeitig in Gang zu setzen. Aber der Regieplan geriet durcheinander, als die Besucherin deutlich früher als geplant eintraf. Was dann geschah, hat Johannes Sass so beschrieben:
„Als Caspar Voght ihr aus dem Wagen half, fielen ihm plötzlich die Wasserkünste ein, die natürlich noch nicht zu spielen begonnen hatten. Er glaubte aber, die Situation noch retten zu können und rief mit lauter Stimme über alle Anwesenden hinweg: ‚Krischan, treck den Plack rut!‘, ein Ausruf, der sehr bald sprichwörtlich wurde.“
Ein Original an der Spitze der Polizei
Sein Erfolg als Kaufmann prädestinierte Voght dafür, in den Rat der Stadt gewählt zu werden, und als Polizeisenator entwickelte er ein gewisses Talent, mit schwierigen Problemen umzugehen. Damals waren die Gassen der Stadt schmal und die Eitelkeiten der Herren Gesandten groß. Das führte zu einer kleinen diplomatischen Krise, als der Kaiserlich Österreichische Gesandte und der Kaiserlich Russische Gesandte mit ihren Kutschen aus entgegengesetzten Richtungen in die Brandstwiete einbogen. Die Gasse war so schmal, dass die zwei Kutschen beim besten Willen nicht aneinander vorbeikommen konnten. Trotzdem trieben die hohen Herren ihre Pferde an und standen sich dann Pferdenase an Pferdenase gegenüber. Die Kutscher der beiden Diplomaten beschimpften einander ganz undiplomatisch, und keiner der Gesandten wollte nachgeben. Schließlich entschlossen sie sich, den Polizeisenator einzuschalten.
Für Caspar Voght war das eine heikle Angelegenheit. Eine der beiden Mächte zu verärgern, konnte für die Hamburger Kaufleute teuer werden. Der schlaue Polizeisenator erklärte den beiden Kontrahenten, die Sache wäre so wichtig, dass sie vom ganzen Rat entschieden werden müsste. Der tage am kommenden Morgen wieder, und er werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass diese wichtige Angelegenheit als erstes behandelt werden würde. Die Gesandten wollten dann doch lieber nicht in ihren Kutschen übernachten, und jeder ließ seine Kutsche rückwärts aus der schmalen Gasse herausbugsieren, um auf einem anderen Weg ihr Ziel noch am gleichen Tag zu erreichen.
Unkonventionell ging der Senator auch bei kleinen Streitfällen vor. Ein Schlachter klagte einen Berufskollegen an, seinen Hund gestohlen zu haben, und der Senator bestellte die Kontrahenten samt Hund ins Rathaus. Ein Wortwechsel zwischen den beiden Schlachtern führte zu nichts. Da lockte Caspar Voght den Hund zu sich und streichelte ihn eine ganze Weile, dann gab er ihm plötzlich einen Schlag. Der Hund jaulte und verkroch sich bei dem Schlachter, der den Diebstahl gemeldet hatte. Der Fall war aufgeklärt, und der Dieb nahm ohne Murren seine Strafe an.
Gesellschaftliche Verpflichtungen und ihre Risiken
Vielleicht wäre Senator Voght ausschließlich als kluger und weiser Staatsmann in die Stadtgeschichte eingegangen, hätte es nicht die vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen gegeben ... Da war zum Beispiel die Geschichte mit der „Calla aethiopica“. So war bei einer Gesellschaft nämlich eine Dame von ihrem Verehrer tituliert worden. Und da sie nicht genau wusste, um welch schöne Pflanze es sich handelte, mit der sie verglichen wurde, fragte sie den Senator.
Der hatte das Kompliment zwar nicht mitbekommen, hätte sich aber denken können, dass die schöne Dame ihn nicht aus botanischem Interesse nach der „Calla aethiopica“ fragte. Hätte, wie gesagt, denn von Senator Appelmoos ist diese Antwort überliefert: „Die Calla aethiopica, meine Beste, das ist ein dummes Ding, sieht aus wie ein Besenstiel, dem man oben eine Nachtmütze aufgesetzt hat.“ Schweigend ging die schöne Dame von dannen und soll von da an eine Abneigung gegen die „Calla aethiopica“ gehabt haben.
Einmal wollte der gutmütige Voght einem Bediensteten einen Gefallen tun. Der spielte Geige und wäre zu gern Ratsmusiker geworden. Der Senator sprach den Musikdirektor Carl Philipp Emanuel Bach darauf an, der sich bereit erklärte, sich das Geigenspiel des Bediensteten einmal anzuhören. Da dieser beim Vorspielen nur auf der Geige herumkratze, sah der Musikdirektor keine Möglichkeit, ihn als Ratsmusiker aufzunehmen. Unverblümt sagte er bei nächster Gelegenheit zu Voght: „Ihr Bediensteter, Herr Senator, ist ein elender Stümper auf der Geige und nicht zu gebrauchen.“ Der gutmütige Voght machte einen letzten Versuch, seinem Bediensteten doch noch einen Platz unter den Ratsmusikern zu sichern: „Na, wenn ji em bi de Vigelinen nich bruken köönt, denn smiet em bi de Baß!“
Wie Zeitgenossen den Senator sahen
Es kann nicht verwundern, dass der Senator als etwas derber Mann in die Stadtgeschichte eingegangen ist. Immerhin schrieb die Lessing-Freundin Eva König in einem Brief: „Voght ist doch ein braver Mann, wenn man sich auch über seine nicht ganz feinen Sitten lustig gemacht hat.“ Der Hamburger Diplomat und Publizist Piter Poel nannte ihn „einen groben Spießbürger, schlau, wo es um seinen Vortheil geht, und berühmt durch seine plattdeutschen Naivitäten“. Poel fügte aber hinzu, Voght hätte ein offenes, wohltätiges Herz besessen und unter anderem eine großzügige Spende für den Bau des Kleinen Michel zur Verfügung gestellt.
1781 starb Caspar Voght. In einer Zeitungsmeldung hieß es: „Sein Handlungshaus ist eines der ansehnlichsten unserer Stadt.“ Sein Sohn Caspar führte die Geschäfte weiter. Er war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch ein angesehener Sozialreformer und Aufklärer.
Zum Schluss zurück in die Welt der Musik. Bei einem Konzert fiel dem sparsamen Senator Caspar Voght „dem Älteren“ auf, dass zwei Musiker bei einem Stück nicht mitspielten. Nach dem Ende des Konzerts fragte er den Dirigenten: „Worum hebbt denn de bieden Kerls nich mitspeelt?" Höflich erklärte der Dirigent dem Herrn Senator, dass bei dem Satz ihre Instrumente nicht in der Partitur vorkämen und sie deshalb pausiert hätten. Damit zog er den Zorn Voghts auf sich: „Pauseert? Wat heet hier pauseert? Se kriegt jüst so goot betahlt as de annern, denn süllt se ok speeln!"
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro