Dieses Buch lädt dazu ein, die Geschichte Hamburgs durch Porträts von Originalen der Stadt kennenzulernen. Oft erscheinen Hamburgs Originale lediglich als komische Figuren oder als Staffage für eine verklärte Präsentation des Alten Hamburg. Aber viele Hamburger Originale waren weder komisch, noch führten sie ein fröhliches Leben. Es gab Ausnahmen wie den „vergneugten“ Vetter Kirchhoff. Aber mehr Originale fristeten ein tristes Leben, verspottet von ihren Zeitgenossen und wirtschaftlich verelendet. In einem Wikipedia-Beitrag über Originale heißt es: „Einige Schicksale lokaler Personen wurden zudem in Gedichten, Geschichten und Theaterstücken thematisiert. Dabei werden mitunter die tragischen Züge wie Armut, Alkoholismus oder sonstige Krankheiten ausgeblendet und die Lebensgeschichte eher verklärend wiedergegeben.“
Dieses Buch ist trotzdem nicht voller trauriger Lebensbeschreibungen. Viele Originale waren humorvolle Menschen und zögerten nicht, sich selbst und ihre Mitmenschen mit ihren originellen Seiten darzustellen. Gern verspotteten sie die Arroganz und Selbstgerechtigkeit der Reichen und Mächtiger der Stadt. Manche historischen Gedichte und Anekdoten kann man auch heute noch schmunzelnd lesen und sich fragen, was sich eigentlich seither geändert hat. Und so ganz nebenbei lernt man durch die Porträts der Originale auch viel über das alltägliche Leben in der „guten alten Zeit“ in Hamburg kennen, die so gut oft gar nicht war.
Was ist ein Original? Lesen wir nach im Brockhaus Conversations-Lexikon aus dem Jahr 1839, aus einer Zeit, als es viele Originale in Hamburg gab: „Auch Menschen werden Originale genannt, wenn sie sich durch Originalität ihrer Denkungsart oder ihres Benehmens auf eigenthümliche und auffallende Weise vom Gewöhnlichen entfernen; dies kann jedoch ebenso gut durch Seltsamkeit und Thorheit, wie durch edle und vortreffliche Eigenschaften geschehen.“
Mehr als dreißig Hamburgerinnen und Hamburger werden in diesem Buch porträtiert. Es sind bei weitem nicht alle Originale der Stadt. Über viele Originale konnte trotz aller Recherchen nicht ausreichend Informationen zusammengetragen werden, um ein Porträt zu schreiben. Auch sollte erwähnt werden, dass lebende Originale nicht in dieses Buch aufgenommen worden sind. Dass über die einzelnen Hamburger Originale sehr unterschiedlich viel zu erfahren ist, bildet den wichtigsten Grund dafür, dass die Porträts unterschiedlich ausführlich sind. Auch nehmen manche Porträts mehr Platz ein, um den besonders komplexen Persönlichkeiten gerecht zu werden, zum Beispiel das Porträt von Hans Albers. Bei allen Porträts habe ich mich bemüht, auf der Grundlage intensiver Beschäftigung mit diesen Menschen und ihrer Zeit ein realistisches Bild zu zeichnen. Deshalb wird auch keine „Heldenverehrung“ betrieben, sondern die Originale werden auch in ihren Fehlern und Schwächen dargestellt. Aber stets werden die vorgestellten Originale mit einer großen Portion Sympathie präsentiert. Das haben sie schon deshalb verdient, weil sie zu Lebzeiten von ihren Mitmenschen häufig vergeblich auf Anerkennung oder auch nur Tolerierung hofften.
Die in diesem Buch vorgestellten Hamburger Originale sind wegen ihres von den gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen abweichendes Auftreten und/oder ihren Humor in Erinnerung geblieben. Alle sind mit oft beeindruckender Hartnäckigkeit ihren Weg gegangen. Sie sind in Erinnerung geblieben als Menschen, die sich durch das Getuschel oder die Angriffe ihrer Mitmenschen nicht von diesem Weg abbringen ließen. Das gilt zum Beispiel für Vogeljette.
Sie unterschieden sich stark in dem, was sie zum Original machte. Da gab es die berühmten volkstümlichen Sänger und Schauspieler wie Hein Köllisch und Henry Vahl. Ebenso Menschen, die wegen ihres Verhaltens verspottet und ausgegrenzt wurden wie Hummel und Zitronenjette. Einige Originale besaßen eine beeindruckende Bildung wie der Theologe Johann Balthasar Schupp. Andere haben nur eine geringe Schulbildung genossen oder waren geistig zurückgeblieben. Einige Originale nutzten ihre Redegewandtheit und ihren Humor, um ihre Waren an die Frau und den Mann zu bringen wie Aalweber und Oskar vom Pferdemarkt. Andere hatten große Mühe, finanziell zu überleben und verarmten.
Die meisten historischen Originale, von denen wir heute noch wissen, waren Männer. Sie genossen weit größere Freiheiten als Frauen, sich abweichend von den herrschenden Normen und Gewohnheiten zu äußern und zu verhalten. Frauen, die durch Spott und Originalität auffielen, landeten rasch im Zuchthaus oder in der Irrenanstalt. Über andere Frauenoriginale schüttelten die gutbürgerlichen Hamburger den Kopf, ignorierten sie und dachten gar nicht daran, deren Sprüche oder Späße der Nachwelt zu überliefern. Immerhin gab es auch Wirtinnen wie die Marianne und später Hermine, die ihre Lokale mit Erfolg geführt haben.
Viele Originale wurden wie früher die Hofnarren so lange geschätzt, wie sie ihre Verse schmiedeten, ihre Späße machten und ihre Mitbürger zum Narren hielten. Aber ein altes, gebrechliches und müde gewordenes Original, das ignorierten die Mitmenschen rasch.
Für die wenigsten Originale sind Denkmäler errichtet worden. Dieses Buch soll dazu beitragen, dass Hamburgs Originale trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Das wäre nicht nur wegen der vielen Gedichte und Anekdoten schade, sondern auch, weil die Lebensgeschichten der Originale den heutigen Menschen Mut machen können, entschlossen und mutig den eigenen Weg zu gehen. Und das auch dann, wenn er oder sie den herrschenden Normen und Erwartungen nicht entsprechen. Der berühmte Schlagertitel von Frank Sinatra „I did it my way“ bringt eine Einstellung zum Leben zum Ausdruck, die das Leben vieler Hamburger Originale bestimmt hat.
Zum Schluss ein Hinweis für alle, die mein Buch „Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte – 240 Porträts aus 12 Jahrhunderten“ gelesen haben. Einige der dort Porträtierten haben auch in diesem Buch einen Platz gefunden. Aber diese Porträts habe ich gründlich bearbeitet und erweitert mit dem Ziel, die Originalität der Porträtierten sichtbar werden zu lassen.
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro