„Am Tode von Heidi Kabel erkennt man, was uns fehlt: Künstlerpersönlichkeiten, mit denen sich die gesamte Bevölkerung identifizieren kann. Das nennt man Volksschauspieler. Es scheint immer schwieriger zu sein, Menschen mit solcher Lebensnähe und einem solchen Humor anzutreffen. Vielleicht hat das mit einer veränderten Zeit zu tun, in der solche Gestalten kaum mehr ermöglicht werden.“ So hat Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters, an die Frau erinnert, die viele Rollen spielte und sich dabei stets treu blieb. Und nicht zu vergessen: Sie gehört zu Hamburgs bekanntesten Originalen.
Heidi Bertha Auguste Kabel wurde am 27. August 1914 geboren. Ihr Geburtshaus lag an der Straße Große Bleichen – gegenüber der Niederdeutschen Bühne Hamburg, später Ohnsorg-Theater, wo sie später als Schauspielerin große Erfolge feierte. Ihr Vater war Besitzer einer Druckerei und des Ernst Kabel Verlages. Zeitweise war er Vorsitzender des Vereins geborener Hamburger und engagierte sich im Theaterverein Urania. Gelegentlich trat er als Alleinunterhalter im Freundes- und Bekanntenkreis auf.
Die Tochter Heidi besuchte das Emilie-Wüstenfeld-Lyzeum, das sie mit der Mittleren Reife verließ. In dem Erinnerungsband an Heidi Kabel „In Hamburg sagt man Tschüss“ ist über ihre Schulzeit zu erfahren: „Sie soll durchaus strebsam, jedoch nicht überaus ehrgeizig gewesen sein. Ausnahme: In musischen Fächern blühte die Deern aus der Innenstadt auf. Im Nachhinein alles andere als ein Wunder. Mittlerweile leider gleichfalls verstorbene Mitschülerinnen berichteten den Medien einst von geradezu begeisternden Darbietungen des blonden Teenagers in der Theatergruppe des Lyzeums. Wer Heidi Kabel damals in der Aula beobachtete, wird die bewundernswerte Anlage bemerkt haben. Nur eine Petitesse wirkt rückblickend erstaunlich: In der Schule durfte kein Plattdeutsch gesprochen werden. War es nicht fein genug? Hinderte es die Pennäler am reinen Hochdeutsch?“
Durch Zufall und Hartnäckigkeit kam Heidi Kabel ans Theater
Die Tochter wollte gern Konzertpianistin werden. aber dafür besaß sie nicht genügend Talent. In ihrer Autobiografie „Das Leben macht mir Freude“ schrieb Heidi Kabel über ihre Situation im Frühjahr 1932: „Längst schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, eine erstklassige Konzertpianistin zu werden. Mir fehlte einfach der Funken Talent, um aus dem Klavier das herausholen zu können, was die Zuhörer in den Bann schlägt. Mein ständiges, stundenlanges Üben nützte da wenig. Nur wollten meine Eltern das nicht wahrhaben. Sie hatten viel Geld und Hoffnung in meine Ausbildung gesteckt, und ich war dabei, alles hinzuwerfen.“
Im März 1932 begleitete Heidi Kabel eine Freundin zum Vorsprechen bei der Niederdeutschen Bühne. Die Mutter gab ihr mit auf den Weg: „Heidi, du nicht!“ Aber das blieb wirkungslos. Zwar war der Theaterintendant Richard Ohnsorg gerade nicht da, aber der Schauspieler Hans Mahler verhinderte, dass die beiden Mädchen gleich an der Tür abgewiesen wurden, indem er seinem Kollegen sagte: „Nu lot jem doch wenigstens ers mol rin.“ Sie durften eine Probe miterleben und erhielten von Mahler den Rat: „Am besten ist es, wenn Sie morgen noch einmal zur Probe kommen …“
Heidi Kabel und ihre Freundin erschienen am nächsten Tag erneut. Sie durften noch immer nicht vorsprechen, aber wo sie nun schon einmal da waren, konnten sie sich in der nächsten Zeit als Anziehhilfen, Souffleusen und als Requisiteurinnen nützlich machen. Heidi Kabel gab die Idee einer Karriere als Konzertpianistin endgültig auf, zumal sie es genoss, mit Hans Mahler zusammen zu sein, denn sie hatte sich in ihn verliebt. Sie konnte Richard Ohnsorg von ihren schauspielerischen Fähigkeiten überzeugen und erhielt eine Rolle in dem Stück „Ralves Carstens“. Heidi Kabel erhielt parallel zu ersten Rollen am Theater von zwei Schauspielern des Ohnsorg-Theaters Schauspielunterricht. Sie trat anschließend mehr als sechs Jahrzehnte in diesem Theater auf.
In schweren Zeiten in heiteren Stücken auf der Bühne
1937 heiratete Heidi Kabel ihren Kollegen Hans Mahler. Das Ehepaar hatte bald drei Kinder, und Heidi Kabel musste von nun an Beruf und Familienverpflichtungen miteinander verbinden. Ihre Tochter Heidi erinnerte sich später so an ihre Eltern: „Ich hatte ein sehr liebevolles und sehr liberales Elternhaus. Nur wenn meine Mutter mit mir schimpfte, dann auf Plattdeutsch. Das nahm dem Gesagten gleich die Spitze.“
Dass Heidi Kabel Familie und Berufstätigkeit verbinden konnte und zur erfolgreichen Schauspielerin wurde, lag auch an der Unterstützung durch ihren Mann, damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit in der deutschen Gesellschaft. Sie wollte ihrerseits ihren Mann bei seiner Karriere fördern.
Gern hätte er 1936 die Leitung der Bühne in Lüneburg übernommen, aber dort machte man die Mitgliedschaft in der NSDAP zur Voraussetzung für eine Berufung. Heidi Kabel überzeugte ihren Mann, in die Partei einzutreten und wurde selbst Mitglied der NS-Frauenschaft. Beide haben das bald bereut, aber einfach rückgängig machen ließ sich eine Mitgliedschaft nicht. Sie hatte nicht einmal die erhoffte Wirkung. Hans Mahler bekam die Stelle nicht, sondern ein Bewerber, der schon länger in der Partei war.
Während der schweren Bombenangriffe auf Hamburgs im Juli 1943 lebte Heidi Kabel in der Lüneburger Heide. Bei ihrer Rückkehr in die zerstörte Stadt bald nach den Angriffen konnte sie mit dem Zug nur bis Wilhelmsburg fahren und musste den Weg zu Fuß fortsetzen: „Es wurde der schmerzlichste Fußweg meines Lebens. Selbst wenn ich heute, mit dem Zug von Süden kommend, nach Hamburg hineinfahre, habe ich noch das Grauen vor Augen, das sich mir damals ins Gedächtnis prägte.“ Diese Erlebnisse, haben Heidi Kabels Leben verändert und dazu beigetragen, dass sie keine oberflächlich humoristische Schauspielerin wurde.
Das Theater der Niederdeutsche Bühne hat die Bombardierungen der Stadt überstanden, ebenso die Wohnung der Familie in der Binderstraße. Es folgte ein Umzug in ein gemietetes kleines Haus in Bahrenfeld, wo Heidi Kabel und ihre Familie die Schrecken der weiteren Bombenangriffe auf die Stadt erlebten. Sie schrieb in ihren Lebenserinnerungen, dass sie oft in letzter Minuten mit ihren Kindern in einen Luftschutzbunker gerannt war, während erste Maschinen vom Himmel die grellen Leuchtbomben warfen, die die Flächen der vorgesehenen Bombenabwürfe markierten. „Und die Angst, die mich damals befiel, spüre ich noch heute, wenn ich unfreiwillig ein Feuerwerk mit ansehen muss“.
Im unbeschädigten Theater führte das Ensemble trotz aller Bombenangriffe weiterhin Stücke auf – vor vollbesetztem Haus. Aber Schauspieler und Publikum wussten nie, wann der nächste Fliegeralarm kam und ob das Theater am folgenden Tag noch stehen würde. „Jede Vorstellung spielten wir in dem Bewusstsein, es könnte die letzte sein, und das brachte eine Intensität in unser Spiel, die wir vorher nicht erreicht hatten. Unbewusst erarbeiteten wir einen Stil, der uns alle prägte.“ Heidi Kabel hat diesen intensiven Stil auch in den folgenden Jahrzehnten bewahrt.
Ein abendlicher Besucher – Wolfgang Borchert
In dieser schweren Zeit klingelte ein junger Mann an der Tür des Hauses in Bahrenfeld. Es war Wolfgang Borchert, der mit Hans Mahler beruflich zu tun gehabt hatte und nun ihn und seine Frau besuchte. Borchert sprach sehr offen über die Gräuel der Naziherrscher. Es wurde ein langer Abend und der Schriftsteller verließ seine Gastgeber erst, als morgens die ersten S-Bahnen fuhren. Heidi Kabel erinnerte sich in ihren Lebenserinnerungen so an den Besuch von Wolfgang Borchert: „In dieser Nacht hatte ich einen Freund gewonnen.“ Der Dichter war seinerseits sehr beeindruckt von der Gastgeberin und schrieb nach dem Besuch das Gedicht „Bitte“, das er so beendete:
Schön bist du, Elfenkönigin –
so schlank und edel
und so zart …
Ich bitt‘ dich Wind:
Zerbrich sie nicht.“
Solange das Theater stand, waren Schauspieler wie Hans Mahler vor einer Einberufung zum Militär bewahrt, weil die Nazis es wichtig fanden, an der „Heimatfront“ für Unterhaltung zu sorgen. Aber bei einer Zerstörung des Theaters war mit einer sofortigen Einberufung zu rechnen. Das Theater entging den Bomben, aber am 1. September 1944 ließ Goebbels, der den „totalen Krieg“ verkündet hatte, alle Theater schließen. Hans Mahler musste wie viele andere Schauspieler an die Front.
Von den Kollegen vom Theater vertrieben
1945 verhinderte ein Komitee von Kollegen der Niederdeutschen Bühne, dass Kabel und Mahler wegen ihrer Vergangenheit in der Nazizeit weiter in dem Theater spielen durften. Es wird vermutet, dass auch Konkurrenzdenken und Neid der Kollegen eine große Rolle spielten, geklärt wurde das nie. Richard Ohnsorg sagte den beiden am Eingang des Theaters: „Kinders, es tut mir furchtbar leid, aber ihr könnt nicht proben. Die Kollegen haben sich geweigert, sie wollen nicht mehr mit euch auf der Bühne stehen.“ In die eingetretenen Stille hinein sagte Heidi Kabel: „Na ja, denn nicht. Dann müssen wir eben nach Hause gehen.“ In ihren Lebenserinnerungen schrieb Heidi Kabel: „Ich war durch diesen Schock endgültig erwachsen geworden.“
Christian Seeler, seit 1982 Schauspieler und später Intendant des Ohnsorg-Theaters, hat in Gesprächen erfahren, wie sehr dieser Rauswurf Heidi Kabel gedemütigt und gekränkt hat: „Das hat ihr sehr zugesetzt über viele, viele Jahre. Da saß ein Stachel im Fleisch, das hat sie nie verwunden. Sie hat ein bisschen den Glauben an das Gute im Menschen verloren.“ Richard Ohnsorg verlor ein Jahr später seinen Leitungsposten aus nicht ganz geklärten Gründen. Offiziell schied er aus gesundheitlichen Gründen aus, und als kleine Entschädigung erhielt die Niederdeutsche Bühne den Namen Ohnsorg-Theater.
Heidi Kabel stand erst einmal ohne festes Engagement da. Um das Überleben ihrer Familie zu sichern, schloss sie sich einer Unterhaltungstruppe an und tingelte in einem heiteren Programm mit Akkordeon durch die norddeutsche Provinz. Mit einer Mischung von Operettenliedern sowie plattdeutschen und hochdeutschen Geschichten erfreute sie das Publikum in schweren Zeiten. Dafür bezahlten die Zuschauer mit Naturalien, die den Künstlerfamilien das Überleben sicherten. Der Ehemann Hans Mahler war schlechter dran, weil er kein Talent als Entertainer besaß. Ohne zu murren, übernahm er deshalb die Aufgaben eines Hausmanns. Zusätzlich betätigte sich Heidi Kabel als Schwarzmarkthändlerin und beim Kohlenklau von Güterwagen.
Es blieb ihr Groll über den Rauswurf aus dem geliebten Theater: „Für mich sind die Machenschaften des Ensembles bis heute undurchsichtig geblieben, aber damals musste ich darunter leiden, weniger zwar als Hans Mahler, aber das lag wohl daran, dass ich, durch den Alltag abgelenkt, weniger grübelte.“ Im Entnazifizierungsprozess stuften die Engländer Heidi Kabel als „Nichtbetroffene“ ein, ihren Mann wegen seiner Parteimitgliedschaft als „Mitläufer“.
Sie erhielten nie ein offizielles Auftrittsverbot und gingen im Frühjahr 1947 mit der Frage, ob sie nun wieder spielen dürften, zur britischen Militärverwaltung. Dort trafen sie auf John Olden, der mit großem Verständnis und Engagement die Aufgabe übernommen hatte, Rundfunk- und Kultureinrichtungen in Hamburg neu aufzubauen. Er sagte den beiden Schauspielern: „Gehen Sie ruhig sofort wieder in ihr Theater. Sie können beide wieder arbeiten, es liegt überhaupt nichts gegen sie vor.“
Als sie daraufhin das Ohnsorg-Theater betraten, sagte der neue Leiter der Bühne Rudolf Beiswanger lediglich: „Ihr dürft also wieder. Wie schön. Ich freue mich.“ Eine Aussprache über das Geschehene fand nicht statt – wie so oft im Nachkriegsdeutschland. Die beiden Schauspieler mussten nun wohl oder übel mit denen zusammenarbeiten, die sie aus dem Theater vertrieben hatten.
Der Neuanfang am Ohnsorg-Theater
Hans Mahler wurde 1949 zum künstlerischen Leiter des Ohnsorg-Theaters berufen. Es waren schwere Zeiten für das Privattheater angebrochen. Vor der Währungsreform war das Theater stets voll gewesen, aber nachdem jede und jeder am 20. Juni 1948 lediglich 40 Deutsche Mark erhalten hatte und es einen großen Nachholbedarf gab, die wieder verfügbaren Waren zu kaufen, sparten viele bei den Theaterkarten. Gleichzeitig musste das Theater nun die Gehälter und alle anderen Ausgaben in DM bezahlen. Von den fast 20 Privattheatern in Hamburg überlebten nur sechs die Währungsreform.
Dass das Ohnsorg-Theater zu den Überlebenden gehörte, lag vor allem am Engagement der Beschäftigten. Sie mussten zusätzlich zu den Proben und Aufführungen die früheren Abonnenten besuchen und zu einer Erneuerung ihres Abonnements motivieren. Dazu Heidi Kabel später: „Da wir alle wussten, dass unser Wohl und Wehe davon abhing, wuchsen wir über uns hinaus. Wir stiegen treppauf und treppab …“ Die Aktion hatte Erfolg und bald füllten sich wieder die Reihen im Ohnsorg-Theater. Dazu trug auch bei, dass das Theater dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums Rechnung trug und viele Komödien ins Programm aufnahm. Angesichts des wieder gestiegenen Zuspruchs des Publikums erhielt die Bühne dann auch die erhofften Zuschüsse von der Kulturbehörde.
Große Erfolge seit den 1950er Jahren
Heidi Kabel stand von den 1950er Jahren an nicht nur als Schauspielerin auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters, sondern war auch als Hörfunksprecherin und Filmschauspielerin gefragt. Die ersten Gageneinahmen flossen in dringend nötige Haushaltsinvestitionen wie neue Gardinen, die alten waren im Zerfallen. Heidi Kabel wirkte auch an den inzwischen zur Legende gewordenen NDR-Schulfunksendungen „Neues aus Waldhagen“ mit. Ein weiterer Sprecher war Henry Vahl.
Bundesweit bekannt wurde Heidi Kabel vom März 1954 an durch die Übertragungen von Ohnsorg-Aufführungen im Fernsehen. Um ein breites Publikum zu erreichen, ersetzte man dabei das Plattdeutsch durch Missingsch. Damals gab es nur ein Fernsehprogramm, aber dass 70 bis 80 % aller Fernsehgeräte eingeschaltet waren, wenn ein Stück aus dem Ohnsorg-Theater übertragen wurde, zeigte die große Popularität dieser Aufführungen und vor allem auch der Hauptdarstellerin Heidi Kabel. Sie war gern Volksschauspielerin und spielte ihre Rollen mit großer Ernsthaftigkeit und großem Engagement: „Boulevard ist sehr schwierig. Die meisten verwechseln Heiterkeit mit Oberflächlichkeit.“
Christian Seeler erinnerte sich später so an seine Kollegin: „Sie war wunderbar. Sie war warmherzig, offen und hilfsbereit. Sie legte immer großen Wert auf ein harmonisches Ensemble, und es war ihr wichtig, dass auch die anderen gut waren und reüssieren konnten. Ich bin ihr mein Leben lang dankbar dafür, wie sehr sie mich gefördert und unterstützt hat.“
Insgesamt hat Heidi Kabel in mehr als 160 plattdeutschen Stücken gespielt, oft gemeinsam mit Henry Vahl. Stücke wie „Tratsch im Treppenhaus“ und „Die Kartenlegerin“ erreichen auch heute noch hohe Einschaltquoten im Fernsehen. Das Stück „Tratsch im Treppenhaus“ spielte Heidi Kabel im Ohnsorg-Theater mehr 500 Mal zusammen mit Henry Vahl. Dass sie und ihr Mann nun höhere Gagen bekamen, erwies sich 1960 als Segen, weil ihr Mietvertrag des Hauses in Bahrenfeld wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde und sie es sich nun leisten konnten, ein kleines Haus in Nienstedten zu erwerben.
Der Tod von Hans Mahler nach 38 Ehejahren
1969, als sowohl das Theater als auch die Familie alle finanziellen Sorgen hinter sich gelassen hatten, erkrankte Hans Mahler schwer. Am 25. März 1970 starb er, als seine Frau auf der Bühne stand. Sie erfuhr in der Pause vom Tod ihres Mannes. Es wurde überlegt, die Aufführung abzubrechen, aber Heidi Kabel zeigte auch jetzt die große Disziplin als Schauspielerin, die sie immer ausgezeichnet hat: „Wir spielen den dritten Akt auch noch. Lasst wieder einklingeln, damit wir das hinter uns bringen.“
Nach 38 Ehejahren stand sie nun ohne ihren Mann da. „Er war meine erste und einzige große Liebe.“ Sie schrieb in ihren Lebenserinnerungen über die Zeit nach seinem Tod: „Mein einzuübendes Alleinsein wurde mir allerdings durch meinen Beruf erleichtert.“ 1975 starb auch ihr langjähriger Theaterpartner Henry Vahl. Heidi Kabel trat nun seltener im Ohnsorg-Theater auf und übernahm immer wieder Rollen in Fernsehserien wie „Der Sonne entgegen“ und „Die Erbin“. Die berühmte Schauspielerin erhielt viele Ehrungen. Das Bundesverdienstkreuz lehnte sie ab, da war sie ganz traditionsbewusste Hanseatin: „Hamburger nehmen keine Orden an!“
Im Januar 1979 verabschiedete sich Heidi Kabel wegen der permanenten Auseinandersetzung mit dem Intendanten Günther Siegmund vorübergehend vom Ohnsorg-Theater. Kolleginnen und Kollegen hatten von einer „vergifteten“ und „unerträglichen“ Situation gesprochen. Aber auch solche Krisen meisterte sie mutig. Sie pflegte dann zu sagen: „Dor möt wi dörch!“
Ein großes soziales Engagement und ein ruhiger Lebensabend
Heidi Kabel war für ihr großes soziales Engagement bekannt. Sie unterstützte zum Beispiel die „Aktion Sorgenkind“ und setzte sich für Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien ein. Ein großes Anliegen war ihr auch die Förderung von Obdachlosenprojekten. Auch zählte sie zu den Unterstützerinnen der „Babyklappe“ und des Hospizes Hamburger Leuchtfeuer. Ihre Tierliebe fand darin einen Ausdruck, dass sie die Stiftung des Tierparks Hagenbeck unterstützte. Unvergessen ist ihre Rezitation von Texten Wolfgang Borcherts bei einem Benefiz-Konzertes anlässlich des 50. Jahrestages der Bombardierung Hamburgs im Juli 1993.
Als sie im August 1994 80 Jahre alt wurde, überlegte Heidi Kabel: „Wo sind nur die Jahre geblieben? Sie sind im Flug vergangen, wahrscheinlich, weil ich immer gearbeitet habe. Ich hatte gar nicht die Zeit, über Vergangenes nachzudenken, ich musste mich immer auf die nächste Aufgabe vorbereiten, und meine eiserne Gesundheit hat das zugelassen. Sie ist das größte Geschenk meines Lebens.“
Ende 1998 beendete Heidi Kabel mit dem Stück „Mein ehrlicher Tag“ ihre insgesamt 75-jährige Schauspielkarriere. Nachdem sich ihre gesundheitliche Situation verschlechtert hatte, zog sie 2003 in eine Seniorenwohnanlage in Othmarschen. Am Ende ihrer Lebenserinnerungen hatte sie geschrieben, dass ihr vergönnt sein möge, bis zum letzten Atemzug auf der Bühne zu stehen: „Und wenn dann mit dem Schlussapplaus der letzte Vorhang fallen soll, ist es auch nicht so schlimm. Was mir vom Schicksal beschieden war, habe ich mit Anstand zu leben versucht.“
Heidi Kabel starb am 15. Juni 1910 im Alter von 95 Jahren. Die Trauerfeier fand unter großer Anteilnahme im Michel statt. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Nienstedtener Friedhof. Die frühere Kultursenatorin Karin von Welck hat sie so gewürdigt: „Für viele Menschen war Heidi Kabel weitaus mehr als eine Schauspielerin. Sie war ein Hamburger Original. Mit Heidi Kabel verbinden wir nicht nur die plattdeutsche Sprache, die sie mit dem Ohnsorg-Theater über Jahrzehnte in deutsche Wohnzimmer brachte. Heidi Kabel, das war und bleibt Hamburg: Hafen, Michel, Reeperbahn, unnachahmlich bodenständig, mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und mit großem sozialem Engagement.“
Im September 2011 benannte die Stadt den Platz vor dem neuen Standort des Ohnsorg-Theaters in Heidi-Kabel-Platz um. Seither steht eine lebensgroße Bronzestatue der Schauspielerin auf diesem Platz gegenüber vom Hauptbahnhof. Die Tochter Heidi Mahler gehörte Jahrzehnte lang zu den bekanntesten Schauspielerinnen des Ohnsorg-Theaters. Anlässlich ihres 80. Geburtstags spielte sie im Mai 2023 noch einmal die Rolle, mit der ihre Mutter in Erinnerung blieb und die auch sie oft gespielt hatte, den „Putzteufel“ Meta Boldt in „Tratsch im Treppenhaus“, Plattdeutsch „Tratsch op de Trepp“.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro