Hein Kein HHöllisch war Ende des 19. Jahrhunderts der erfolgreichste Volkssänger von St. Pauli und weit über Hamburgs Grenzen hinaus berühmt. Mehr als 150 plattdeutsche Lieder sind von ihm überliefert, viele davon sangen die Leute auf der Straße oder in der Kneipe. Einige werden heute noch bei plattdeutschen Liederabenden vorgetragen. Köllisch schöpfte dabei aus dem Alltag. So entstand seine berühmte „Pingsttour“ nach einer Landpartie mit Frau und fünf Gören. Hier eine Kostprobe aus dem Couplet, also dem Lied mit gereimten Strophen. Sie erzählt vom matschigen Ende eines Ausflugs in das Rodenbeker Quellental:
Op eenmol, wie gemeen, ehr eener sick verseh'n,
Dor kummt vun boben dohl een Regen kolossol.
De ganze Minschenschwarm, de kummt nu in Marm,
De Froonslüd kriescht un jucht, de Mannslüd flucht.
De Vadder springt nu opp, glitscht ut un fallt darop
Grood opp denn Kinnerwogen, de kippt un fallt in Groben.
He mit sien witte Büx recht in son deepe Pfütz,
Mit samt datt lüttje Göör, wat een Malheur.
Minna Köllisch, die älteste Tochter von Hein Köllisch, hat 1958 dem Hamburger Abendblatt bestätigt: „Es war alles genauso, wie Vater es in der ‚Pingsttour‘ geschildert hat … Wie das in Hamburg nun einmal so üblich war: Die ganze Familie wurde zu Pfingsten neu eingekleidet. Vaters witte Maibüx leuchtete unternehmensfreudig.“ Aber, sie blieb nicht lange weiß: „Wir hatten auf den Wiesen gelagert, den Proviant verzehrt, glücklich und zufrieden den strahlenden Pfingstsonntag verbracht. Da öffnete der Himmel seine Schleusen …“ Wie die Tour zu Ende ging? Das hat Hein Köllisch so überliefert:
Na endlich, no den Suus,
dor geiht dat nu to Huus,
de Vadder un sien Söhn
sünd nüdlich antosehn,
de scheune witte Büx
süht ut wie Stebelwix,
de Strohheud sünd so slapp
wie oles Papp.
De Brögam un de Brut,
de seht erst lecker ut!
De harr'n, wat sull'n se mooken,
sick beid' in't Hei verkropen.
Dat allerlüttste Göör weur
dorch natt dör un dör,
de Mudder weur so natt
as wie so'n Katt.
De een schuwt achtern annern her
grood wie de Geus, se könt nich mehr!
Un dorbi alle Ogenblick
verswind mol eener achtern Knick.
Grood wie gerädert un half dood
kummt se denn endlich an de Bood.
So ward in Hamborg Pingst'n
fiert un sick fein amüsiert.
„Ein rundum fröhlicher und herzensguter Mann“
Heinrich Köllisch war ein Junge von St. Pauli, geboren am 19. September 1857 am Paulsplatz, heute Hein-Köllisch-Platz. Sein Vater besaß eine kleine Fabrikation von „Buddelwichse“, also Schuhcreme in Flaschen. Hein trat nicht sofort in des Vaters Fußstapfen, sondern ging nach einer Schlosserlehre als Geselle auf Wanderschaft. Doch nach dem plötzlichen Tod des Vaters musste er die Fabrik übernehmen. Aus Ruß, Zuckersirup, Bier und Schwefelsäure wurde dort „Köllisch Glanzwichse“ gebraut, aber vielleicht ist die originelle Mischung auch eine von den Geschichten von Hein Köllisch.
Er schrieb gereimte Werbesprüche für die Glanzwichse und brachte das Produkt selbst zu seinen Kunden. Nebenbei verfasste er humoristische Texte und Lieder, die er in seiner Stammkneipe auf St. Pauli zum Besten gab. 1890 heiratete er Marie Meyer, die Tochter eines Königlichen Musikmeisters. Bald gehörten fünf Kinder zur Familie. Der Enkel Heinz Köllisch erinnerte sich so an seinen berühmten Opa: „Mein Großvater war ein rundum fröhlicher und herzensguter Mann. Er soll der erste Hamburger gewesen sein, der mit seiner ganzen ‚Belegschaft‘ einen Betriebsausflug machte, einen Tag nach Pfingsten und natürlich ins geliebte Quellental.“
Ein erfolgreiches „Universum“
1892 wurde Hein Köllisch von einem Theaterdirektor entdeckt, als er in seiner Stammkneipe in der Bartelsstraße plattdeutsche Lieder vortrug. Sein erstes Lied war „De Orgel kummt“, und wie spätere Lieder beruhte es auf eigenen Beobachtung des Alltagslebens in Hamburg, in diesem Fall der damals die großer Zahl der Orgelmänner auf den Straßen der Stadt. Dieses Lied, das Hein Köllisch noch oft gesungen hat, endet mit diesen Zeilen:
De Orgel fangt kum an to spel’n,
dor gröhlt dat all ut hundert Kehl’n:
De Orgel kummt, de Orgel kummt!
De ganze Klick, de dreiht sick rund.
De Deerns de kriescht, de Jungs de jucht,
de Kinner schreet, de Nobern flucht!
Und alles rennt in’n hell’n Galopp
De Orgel achder rop!
Hein Köllisch konnte als Sänger im Etablissement im Siebten Himmel auftreten und auf der Stelle war er im Siebten Himmel. Donnernder Applaus verhalf ihm zu Höhenflug und festem Engagement. Marie Köllisch betrachtete die Karriere ihres Mannes als Volkssänger zunächst wohl etwas skeptisch, schließlich war sie die Tochter eines Königlichen Musikmeisters. Aber der Erfolg des Sängers überzeugte sie und bald trug sie geschäftstüchtig zu dessen Karriere bei. Sie überzeugte einen Drucker, ein Blatt mit dem Lied „De Pingsttour“ zu produzieren. Entgegen den Erwartungen des Druckers fand das Blatt reißenden Absatz und trug zur Bekanntheit des Volkssängers bei. Weitere Blätter mit Liedern von Hein Köllisch folgten
Als Sänger und Humorist war Hein Köllisch so erfolgreich, dass er bereits 1894 am Spielbudenplatz ein eigenes Theater eröffnen konnte. Heinrich Köllisch‘s Universum bot eine Mischung aus Varieté und Volkstheater. Neben eigenen Liedern gehörten plattdeutsche Parodien, Tanzdarbietungen und kleine Theaterstücke zum Repertoire. Das erste Stück hatte den vielversprechenden Titel „Adam und Eva, oder hier dorff keener bi de Appeln gehen“. Ein Werbespruch des Universums lautete: „Täglich urdrastische Komödien. Hoch und platt? Für jeden wat. Hierzu erstklassige Spezialitäten.“
Mit eigenen Liedern und Couplets trug Hein Köllisch zum Erfolg seines Theaters bei. Die Premiere der „Pingsttour“ im Universum kam so gut an, dass er das Lied gleich ein zweites Mal singen musste. Köllisch war ein volkstümlicher Sänger, der aus dem Volk kam und dem Alltagsleben der Menschen humorvolle Seiten abgewinnen konnte, zum Beispiel einer stürmischen Überfahrt nach Helgoland in „De Reis‘ no Helgoland“:
Bald de Menschen legen
Op Deck rum wie de Flegen,
Kunn‘ nicht leben, kunn‘ nicht starb’n
Mancheen stöhnt: Och, wie sall dat ward’n.
Nu erst de Berliner,
De vertrock keen Mien mehr.
So käm’n se denn no Helgoland,
Wer Lust hatt, gung an‘ Strand.
Paul Möhring hat in seinem Buch über Hein Köllisch geschrieben, dass dessen Lieder und Couplets nicht am Schreibtisch entstanden sind: „Er fand seine Stoffe im hamburgischen Volksleben, auf der Straße, in der Familie, in seiner Stammkneipe. Er besang eigene Erlebnisse, er machte Menschen seiner täglichen Umgebung zum Mittelpunkt seiner Verse, er schöpfte aus dem Humor des hamburgischen Alltagslebens. Und alles in einer Sprache, die jeder verstand ... Hein Köllisch erweckte die plattdeutsche Parodie zu neuem Leben. Der drastische Humor seines ‚Wilhelm Tell‘ und der ‚Loreley‘ rissen die Zuhörer zu lautem Lachen hin.“
Wie der Direktor ein Trinkgeld erhielt und sich dafür bedankte
Auch als berühmter Mann blieb sich der Volkssänger treu. Einmal kam ein neuer Artist mit großem Gepäck ins Theater und rief im herrischen Ton einem etwas schäbig gekleideten Mann, den er für einen Laufburschen hielt, zu: „Tragen Sie mal den Koffer hinein!“ Köllisch verzog keine Miene, nahm den Koffer und bedankte sich artig für das Trinkgeld. Als der Artist begriff, wer ihm das Gepäck getragen hatte, war ihm die Sache äußerst peinlich, und er stammelte zahllose Entschuldigungen. Aber Hein Köllisch beruhigte ihn, es sei doch alles in Ordnung, schließlich hätte er ein gutes Trinkgeld erhalten.
Auf der Bühne trat Hein Köllisch nicht in schäbiger oder komischer Kleidung, sondern in Frack und Zylinder auf: „Für meine Muttersprache ist mir der beste Anzug gerade gut genug.“ Seine Frau Marie brachte den Zylinder vor jedem Auftritt auf Hochglanz. Abends saß sie hinter der Theke des Universums und überwachte den Lokalbetrieb. Wenn ihr Mann nach dem Ende des Programms an die Theke kam, stand sein geliebter Tee mit Rum schon für ihn bereit. Und wenn Hein Köllisch wieder einmal fragte, ob er heute gut war, lautete ihre Antwort: „Das hest du man wedder gut macht, mien Jung.“
Auch vor einer Anpassung klassischer Themen an das Niederdeutsche und an den Humor seines Publikums scheute Hein Köllisch nicht zurück. Die Geschichte von Wilhelm Tell parodierte er so:
Wilhelm Tell, dat weer en Schweizer
un en Schütz von Profeschon,
hauptsächlich mit sien Flitzebogen,
dor wuß he umtogohn.
Jo, scheten kunn he bannig,
wat, weer em ganz egol,
wenn he nich grod vorbischeut,
dann dreup he jedesmol.
1901 erkrankte Hein Köllisch und entschloss sich, zur Linderung der Leiden - und um einen Jugendtraum zu erfüllen - nach Italien und Ägypten zu reisen. Er kam in Ägypten nie an, sondern starb bereits kurz bevor er Rom erreicht hatte am 18. April 1901 im Alter von 43 Jahren. Sein Leichnam wurde nach Hamburg überführt, wo eine unübersehbare Menschenmenge seinem Sarg vom Spielbudenplatz bis zum Ohlsdorfer Friedhof folgte. Seine Witwe und mehrere Kinder sorgten dafür, dass seine Bühne, das Universum, weiterbestehen konnte.
Der unvergessene Volkssänger
Besondere Verdienste erwarb sich die älteste Tochter Minna, die Jahrzehnte lang als Sängerin, Schauspielerin plattdeutscher Texte und Verwandlungskünstlerin auf der Bühne des Universums und auf anderen Bühnen im In- und Ausland stand. Dabei hatte ihr Vater nicht gewollt, dass sie und ihre Geschwister Schauspieler oder Sänger würden. So stand Minna Köllisch erst nach seinem Tod das erste Mal in einem plattdeutschen Einakter auf der Bühne des Universums und arbeitete mit großer Energie daran, das Theater zu erhalten. Da sie sowohl eine Sopran- als auch eine Altstimme beherrschte, konnte sie mit sich selbst Opernduette singen. Ihr Mann war ein bekannter Zauberkünstler und so gestalteten sie gemeinsam ein vielfältiges Kulturprogramm.
1943 ging die Hamburger Institution Universum im Bombenhagel unter. Zu Ehren des Volksdichters und Sängers benannte die Stadt den Paulsplatz 1949 in St. Pauli in Hein-Köllisch-Platz um. In der Niederdeutschen Bibliothek in der Peterstraße 36 wird seit 2023 in einer Dauerausstellung an Hein Köllisch erinnert.
Zum Abschluss eine Kostprobe aus der Köllischen „Loreley“:
Ick weet nich, wat sall dat bedüden,
dat ick so gnadderich bin!
So‘n Quatschkrom ut urollen Tieden,
de will mi gor nich mehr ut‘n Sinn.
Das Gedicht endet mit diesen Zeilen:
Wenn den Schipper die Wellen wegsnappen
is gor nich to bedur’n de Mann.
Wat geiht den dösigen Knappen
dat Froonsminsch dor boben an?!
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro