„Wenn es draußen hupte, stürmten wir alle raus. Jeder wollte der Erste sein. ‚Nicht so stürmisch, ihr schmeißt mich ja um‘, rief Mutti und herzte uns alle leidenschaftlich. Pappi dagegen ließ sich Zeit mit dem Aussteigen. Er notierte erst den Kilometerstand, um den Benzinverbrauch ausrechnen zu können. Wenn er dann endlich auch ausstieg, umschwärmten wir ihn wie ein Bienenscharm. ‚Hallo‘, sagte er leicht erschöpft. ‚Das war eine anstrengende Fahrt.‘ – Und wir wussten sofort, dass ein stürmisches Um-den-Hals-Fallen nicht angebracht war. So trugen wir brav die Koffer ins Haus. Mutti sah sich unauffällig um, ob auch alles ordentlich war, während Pappi schnurstracks an den Schreibtisch marschierte und die Post durchsah. Trotzdem war es für uns immer wunderschön, wenn wieder einmal die ganze Familie zusammen war.“
So erinnerte sich die Tochter Marita an die Heimkehr der Eltern Erhardt von einer Tournee. Die Eltern waren oft auf Tournee, denn Heinz Erhardt hatte jedes Jahr zahlreiche Engagements. Im Durchschnitt soll er 6.000 Kilometer im Monat gefahren sein.
Fünfzehn Schulwechsel zwischen St. Petersburg und Hannover
Heinz Erhardt wurde am 20. Februar 1909 in Riga geboren und gehörte einer deutschbaltischen Familie an. Die Eltern trennten sie bald nach der Geburt des Sohnes. Der Vater machte in Deutschland als Kapellmeister Karriere, die Mutter zog nach St. Petersburg. Der Sohn wuchs zunächst bei den Großeltern mütterlicherseits auf. Sie betrieben ein Noten- und Musikhaus im Zentrum von Riga und gehörten dem Großbürgertum der Stadt an. 1916 holte die Mutter ihren Sohn Heinz zu sich nach St. Petersburg, aber er hatte so großes Heimweh, dass er nach Riga zurückkehren durfte. Mit zehn Jahren kam Heinz Erhardt 1919 zu seinem wiederverheiratete Vater. Hintergrund war, dass nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland auch in Riga gewaltsame Auseinandersetzungen drohten. Da der Vater als Kapellmeister häufig umzog, führte der Sohn ein unstetes Leben, bis die zweite Frau seines Vaters ihn bei sich in Hannover aufnahm – und ihn bald darauf in einem Internat ablieferte.
1924, da war Heinz Erhardt 14 Jahre alt, hatte sich die politische Lage im Baltikum beruhigt und er durfte zurück zu seinen Großeltern in Riga. Nach fünfzehn Schulwechseln an unterschiedlichsten Orten war ihm die Lust an der Schulbildung vergangen. Wie sagte er doch später so treffend: „Das Lernen macht stets dann Verdruss, wenn man’s nicht will, es aber muss.“ Er dichtete über den Ritter Fips, was er selbst erlebt hatte:
Was er schätzte selbst in Serien,
das waren jedes Mal die Ferien,
die er von sich aus noch ergänzte,
indem er gern die Schule schwänzte.
Heinz Erhardt fiel in der Schule in Riga nicht durch seine schulischen Leistungen, sondern durch seine spöttischen Gedichte über seine Lehrer auf. Er sorgte dafür, dass die Lehrer seine literarischen Werke zu lesen bekamen – was seinem schulischen Erfolg natürlich nicht förderlich war. Immerhin nahm ein Lehrer ihn in seine Laienspielgruppe auf. Dort fiel er rasch durch sein humoristisches Talent auf und hatte die Lacher stets auf seiner Seite. Er schwankte trotzdem, ob er Schauspieler oder Komponist werden wollte.
Nicht Musiker, sondern Verkäufer in einer Musikalienhandlung
Heinz Erhard schaffte 1926 das Abitur nicht. Später schrieb er: „In der Schule war kein Fortkommen, also machte ich, dass ich fortkam.“ Sein Großvater brachte ihn erst einmal zur Ausbildung in eine Musikalienhandlung in Leipzig unter. So viel Zeit wie möglich verbrachte der junge Mann am dortigen Konservatorium, wo er ein Klavier- und Kompositionsstudium begann. In Leipzig betätigte er sich zusätzlich als Unterhalter bei „Bunten Abenden“ und verfasste humorvolle Gedichte. Schon damals entstand das Gedicht „Das Gewitter“. Es beginnt dramatisch und endet mit diesem Vers:
Und wie es stürmt und brandet und kracht,
da, eine Jungfrau tritt hinaus in die Nacht
und ruft in die tosenden Winde hinaus:
„Na, das ist ein Dreckwetter, da bleib ich zuhaus!“
Heinz Erhardts künstlerische Arbeit endete nach zwei Jahren abrupt, als sein Großvater ihn zurück nach Riga holte. Dort arbeitete er in der Musikalienhandlung der Familie, war als Erbe vorgesehen. Später schrieb er über diese Zeit: „Im großväterlichen Musikgeschäft befand ich mich inmitten hehrster Kunst – dachte ich! In Wirklichkeit ist es völlig wurst, ob man mit Käse handelt oder mit Musik. Immer kauft man billig ein, um teurer zu verkaufen.“ Das äußerte er auch gegenüber seinem Großvater, der spätestens dann geahnt haben muss, dass aus dem Enkel kein erfolgreicher Musikhändler werden würde. Lustlos verkaufte Heinz Erhardt Noten und Instrumente, trat daneben aber wieder als Humorist bei Feiern und Festen in Riga auf. 1932 reüssierte er im deutschen Theater der Stadt als Komponist und parallel als Schauspieler in Lustspielen. Die „Rigaer Rundschau“ würdigte ihn als „der immer heitere Heinz Erhardt“. Da konnte er allenfalls ahnen, dass er einmal als Humorist große Erfolge feiern würde.
Nicht nur im Fahrstuhl auf dem Weg nach oben
Im Frühjahr 1934 lernte er im Fahrstuhl seine zukünftige Frau Gilda Zanetti kennen. Beide stiegen im Erdgeschoss in den Fahrstuhl ein und er fragte sie: „Wollen sie auch nach oben?“ Das war vielleicht nicht der geistreichste Beginn eines Gesprächs, aber es war der Anfang einer Freundschaft. Sie endete auch nicht, als er sie zum Tanzen ausführte: „Die reizende Gilda Zanetti war nun die Erste, die überhaupt nicht schimpfte, wenn ich mehr auf ihren als auf meine Füßen stand.“
Ein Jahr später wurde geheiratet, der Beginn einer 45 Jahre währenden glücklichen Ehe. Heinz Erhardt erinnerte sich später: „Als wir heirateten, langte das Geld gerade für einen Ausflug ins Grüne.“ 1936 kam die Tochter Grit zur Welt. Ihre Eltern waren finanziell arm und die erhofften Erfolge auf der Bühne blieben zunächst aus. Eine spätere Bühnen-Pointe von Heinz Erhardt wird ihn vielleicht damals selbst beschlichen haben: „Viele betreten ja die Bretter, die die Welt bedeuten – und merken nicht, dass sie auf dem Holzweg sind.“
Ehefrau Gilda wollte nicht nur im Fahrstuhl „auch nach oben“. Sie bestärkte ihren Mann darin, dass provinzielle Riga mit seiner überschaubaren deutschen Minderheit zu verlassen und eine Karriere in Danzig und dann 1838 in Berlin anzustreben. Dankbar bekundete er später, er hätte es seiner Frau zu verdanken, dass er es gewagt hatte, Riga zu verlassen und den Erfolg in größeren Städten zu suchen. Nach zähen Verhandlungen in Berlin bekam Erhardt eine Chance. Als ein berühmter Kabarettist krankheitsbedingt ausgefallen war, vermittelte eine Berliner Agentur Erhardt zu einem mehrtätigen Gastspiel nach Breslau.
Aber das enttäuschte Publikum der Kaiserkrone, das den bekannten und beliebten Kabarettisten erwartet hatte, buhte Erhardt am ersten Tag aus. Was am nächsten Tag geschah, hat Heinz Erhardt so beschrieben: „Mir war alles egal. Und so schlich ich mich verschlafen, mit tieftraurigem Gesicht auf die Bühne und spulte mein Programm ab. – Die Leute schrien vor Lachen.“ Der Humorist hatte sein Erfolgsrezept gefunden und trat hinfort mit traurigem Gesicht auf, gekoppelt mit gespielter Hilflosigkeit und schelmischem Übermut.
Erste Erfolge als Kabarettist in Breslau
Die Direktion der Kaiserkrone engagierte Erhardt auf der Stelle für drei Monate und er war in dieser Zeit auch in Programmen des Reichssenders Breslau zu hören. Zurück in Berlin erhielt er Engagements bei einem Kabarett und einem großen Varieté mit 3.000 Plätzen. Der Durchbruch war geschafft und die Familie mit inzwischen zwei Kindern konnte sich eine Wohnung leisten.
Aber dann brach am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg aus. Zunächst konnte Heinz Erhardt seine Karriere fortsetzen und trat auch im Kabarett Gondel in Hamburg auf. Aber im November 1941 zog man ihn zum Militärdienst ein. Da er Klavier spielen konnte, bereicherte er das Marinemusikkorps Stralsund um einen Klavierspieler. „So kam ich als Nichtschwimmer und Brillenträger zur Marine.“ Später versetzte man ihn zur Truppenbetreuung, wo die Soldaten endlich wieder einmal etwas zu lachen hatten.
Als Vorbilder hatte Heinz Erhardt Dichter wie Morgenstern und Ringelnatz:
O wär' ich
Der Kästner Erich!
Auch wär' ich gern
Christian Morgenstern!
Und hätte ich nur einen Satz
Vom Ringelnatz!
Doch nichts davon! - Zu aller Not
Hab ich auch nichts von Busch und Roth!
Drum bleib' ich, wenn es mir auch schwer ward
nur Heinz Erhardt ...
Ein beliebter Komiker in Nordwestdeutschen Rundfunk
Das Kriegsende erlebte Erhardt als englischer Kriegsgefangener. Nach einem Jahr entließ man ihn, und er konnte zu seiner Frau und seinen inzwischen vier Kindern reisen, die auf einem Gutshof in der Nähe von Preetz untergekommen waren. Im Sommer 1945 engagierte ihn der von den britischen Besatzungstruppen aufgebaute Nordwestdeutsche Rundfunk in Hamburg. In der Sendereihe „So was Dummes“ unterhielt er die Zuhörer, die sich mit den humorvollen Beiträgen vom tristen Alltag ablenken lassen wollten. Spontan durfte nichts gesendet werden, jeder Satz musste von der Zensurbehörde genehmigt werden. Aber es gelang Erhardt, seine Beiträge trotzdem spontan erscheinen zu lassen.
Die britischen Besatzer, die Erhardt und seinen Humor sehr schätzten, sorgten dafür, dass er mit seiner Familie in einer herrschaftlichen Villa in Blankenese einquartiert wurde. Die Eigentümer der Villa waren alles andere als erfreut über die verordneten Mieter und es kam zu einem „zermürbenden Kleinkrieg“, wie Rainer Berg und Norbert Klugmann in ihrer sehr lesenswerten Erhardt-Biografie schreiben. Erhardt verarbeitete den Kleinkrieg zu einer bissigen „Satire der Woche“, wobei er den Namen des Vermieters nur leicht verfremdete.
Was dann geschah, haben die Biografen so beschrieben: „Heinz Erhardt erhielt mehrere hundert Briefe, in denen ihm Zuhörer für seine offenen Worte dankten und ähnliche Erlebnisse schilderten. Ein einzige Brief war nicht so nett: Er enthielt die gerichtliche Anklage von Erhardts Vermieter wider Willen in Blankenese. Der Mann fühlte sich beleidigt, beklagte die Ähnlichkeit der Namen – und hatte völlig recht, denn natürlich hatte ihn sich Erhardt zum Vorbild genommen.“
Es folgte ein Prozess, bei dem der Humorist zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Das nahm Erhardt zum Anlass für eine weitere Glosse, die er aber vorsichtshalber so formulierte, dass sie nicht justiziabel war. Der Vermieter war blamiert und das Verhältnis zu den einquartierten Mietern dauerhaft eisig. Da war es günstig, dass die Familie Erhardt auf ein kleines Haus in Wellingsbüttel stieß, das sie erst mietete und später kaufen konnte.
Ein hart arbeitender Humorist
Heinz Erhardt war inzwischen nicht nur im Nordwestdeutschen Rundfunk, sondern auch in anderen Sendern zu hören. Daneben trat er erneut in Kabaretts auf, auch im Hamburger Trichter, einer Bühne, die er noch aus der Anfangszeit seiner Karriere kannte. Auch in Lustspielen war er zu sehen. Große Erfolge erzielte Erhardt mit Stegreiftheater-Aufführungen, wobei sich als Schwierigkeit erwies, dass nicht nur das Publikum, sondern auch seine Mitspieler immer wieder zum Lachen brachte.
Für die in der Nachkriegszeit sehr populären „Bunten Abende“ reiste er durch die Republik. Er war ein Gegenbild zum zackigen Deutschen, war der humorvolle, menschliche Bürger. Selbst wenn er den spießigen Bürger spielte, fiel er durch einen schalkhaften Nonkonformismus auf. Er nahm seine Arbeit sehr ernst, konnte aber über sich selbst verkünden: „Was bin ich heute wieder ein Schelm!“ Auch die nachfolgende Aussage bezog er auch auf sich selbst: „Wer sich selbst auf den Arm nimmt, erspart anderen die Arbeit.“
Seine Biografen haben über Erhardts Auftritte als Humorist geschrieben: „Er schöpfte seine humoristischen Einfälle aus Beobachtungen, aus Alltäglichkeiten, denn er war ungewöhnlich interessiert und immer aufmerksam – seine Fantasie schien immer zu arbeiten. Er hat ja nie Witze erzählt, nacherzählt. Was er auf die Bühne brachte, war immer ureigene Schöpfung. Dabei ist er nie über irgendwen hergezogen, nie hat er Böses über Kollegen gesagt oder aus Gerüchten Kapital geschlagen. Seine ureigene Art war immer liebenswert und geradeheraus, so war er zuweilen wie ein großes Kind. Und gearbeitet hat er wie ein Pferd – von 365 Tagen im Jahr sicherlich mehr als 360!“
Selbst wenn er anscheinend nicht arbeitete, stand er manchmal plötzlich auf, um eine Idee oder ein neues Gedicht aufzuschreiben. So entstanden Sätze wie dieser: „Paradox ist, wenn einer sich im Handumdrehen den Fuß bricht.“ Eines seiner beliebtesten Gedichte trägt den Titel „Warum die Zitronen sauer wurden“. Die Zitronen forderten in diesem Gedicht von Gott groß und rot oder bläulich zu werden:
Gott hörte oben die Beschwerden
Und sagte: „Daraus kann nichts werden!
Ihr müsst so bleiben! Ich bedauer!“
Da wurden die Zitronen sauer.
„Mein Leben hat mir Spaß gemacht“ – nicht trotz, sondern auch wegen der vielen Arbeit
Einen großen Freundeskreis hatte Heinz Erhardt nicht, wie auch, wo er fast immer unterwegs war oder zu Hause am Schreibtisch saß. Es kam etwas hinzu. Seine Tochter Grit hat ihn so erlebt: „Er zog sich zurück. Zwar war er kontaktfreudig, doch eine gewisse Distanz blieb spürbar. Wenn er zu Hause in Hamburg war, hat er sich im Haus verkrochen. Er war kein geselliger Mensch, der große Gesellschaften liebte. Ich führe das auch darauf zurück, das er eben so populär war, dass ihn jeder erkannte. Auch deshalb hat er sich wohl abgekapselt, als Abwehr, um sich nicht völlig in der Öffentlichkeit zu verlieren.“
Aber humorvoll war er auch im privaten Leben und häufig das, als was er sich auf der Bühne immer wieder bezeichnete, ein Schelm. Er war mit sein mit Arbeit gefülltes Leben genossen: „Mein Leben hat mir Spaß gemacht. Die großen Reisen und Tourneen … anstrengend, aber schön. Beruf und Leben waren bei mir identisch. Es ist ein Glück, wenn einem solches gelingt …“
Die „großen Reisen“ führten immer auf die nächste Bühne. Urlaubsreisen haben Gilda und Heinz Erhardt höchst selten unternommen. Nicht einmal die Hochzeitsreise holten sie nach, als sie genügend Geld dafür hatten, denn nun fehlte die Zeit dafür.
Lampenfieber gehörte zu diesem Leben. So trug der Humorist bei seinen Bühnenauftritten eine Hornbrille mit Fensterglas, das seine Kurzsichtigkeit nicht korrigierte. Er nahm das Publikum nur verschwommen wahr und hatte weniger Lampenfieber. Auch ein Doornkaat half, ohne zu große Beklemmungen auf die Bühne zu gehen.
Aber war er erst einmal auf der Bühne, trug er mit trockenem Humor all die Gedichte vor, die ihn berühmt machten, so das Gedicht vom Tod des Ritters Fips, der sich leichtsinnig in voller Rüstung über die Brüstung seines Schlosses beugte, um den Ursprung eines Krachs zu erkunden:
Hierbei verlor er alsobald
zuerst den Helm und dann den Halt,
wonach - verfolgend stur sein Ziel -
er pausenlos bis unten fiel.
Und hier verlor er durch sein Streben
als drittes nun auch noch sein Leben,
an dem er ganz besonders hing ---
Der Blechschaden war nur gering ...
Auch wenn Heinz Erhardt nicht arbeitete, hatte er immer Situationen im Blick, die sich für ein Gedicht eignen würden. Als er einmal mit Frau und Kindern zu Hagenbeck ging, sahen sie dort ein Nashorn, das über einen Holzpflock stolperte. Das verarbeitete Erhardt zu einem seiner beliebtesten Gedichte:
Ein Nashorn und ein Trockenhorn
spazierten durch die Wüste,
da stolperte das Trockenhorn,
und’s Nashorn sagte. Siehste!
Erhardt spulte keineswegs immer das gleiche Programm ab, sondern variierte es ständig und war auch offen für spontane Einfälle. Als 1948 bei einer Aufführung von Erhardt und Kollegen nur acht Personen im Publikum saßen, verkündete er spontan: „Ich warne Sie vor Missfallenskundgebungen – heute sind wir nämlich in der Überzahl.“
Aufstieg zum erfolgreichen Humoristen und Filmschauspieler
In den ersten Jahren der Nachkriegszeit war Heinz Erhardt zwar als Künstler erfolgreich, aber finanziell stand die Familie schlecht da, wie sich die Tochter Marita später erinnert hat. Sie zeigte sich „inzwischen fest davon überzeugt, dass meine Eltern ernsthafte Existenzängste hatten und dass die Verbissenheit, mit der mein Vater seine Karriere vorantrieb, mit diesen Ängsten eng zusammenhing. Sie haben ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr losgelassen.“ Dabei verbesserte sich die finanziellen Verhältnisse im Laufe der 1950er Jahre und auch danach stetig.
Unvergessen sind bis heute viele seiner Gedichte, zum Beispiel „Die Made“. Eine Made ermahnte ihr Kind, in ihrer Abwesenheit zu Hause zu bleiben:
Also sprach sie und entwich. –
Made junior aber schlich hinterdrein;
doch das war schlecht!
Denn schon kam ein bunter Specht
und verschlang die kleine fade Made
ohne Gnade. Schade!
Auch in Filmen war Erhardt bald zu sehen. Er verkündete, dass er mit seinen Körpermaßen einfach ideal auf eine Breitwand passen würde. Zunächst erhielt er nur in Nebenrollen in Filmen, aber 1957 in seiner ersten von 40 Film-Hauptrollen in der Komödie „Der müde Theodor“, die ein großer Erfolg wurde. In diesem und in weiteren Produktionen spielte er den „Film-Papa“, zum Beispiel in „Vater, Mutter und neun Kinder“. Die Tochter Marita behielt diese Filme so in Erinnerung: „Wir, seine echten Kinder, waren ebenfalls gerührt, wenn wir unseren Vater in dieser Rolle sahen. Vielleicht auch deshalb, weil wir selbst ihn nie in diesem Maße väterlich um uns besorgt erlebt haben.“
Die Vernachlässigung des Familienlebens
Heinz Erhardt hat im Alter selbstkritisch geschrieben: „Mal was ganz Privates: Ich bin ein schlechter Vater gewesen. Nie habe ich mich um meine vier prächtigen Kinder gekümmert ... Ich bin ein noch schlechterer Großvater – oder Gropi, wie man mich nennt. Ein Wunder, dass meine Enkel immer sagen, wie lieb sie mich haben. Ich habe direkt ein ganz schlechtes Gewissen! Viele sagen, ich sei der Prototyp eines vorbildlichen Familienoberhauptes! Dabei bin ich ein ganz mieses!“ Zur Ehrenrettung von Heinz Erhardt muss gesagt werden, dass sein umtriebiges Berufsleben ihm nur wenig Zeit für das eigene Familienleben ließ. Auch hat er nie gereizt auf die Kinder reagiert oder sie ausgeschimpft. Die Kindererziehung überließ er vollständig seiner Frau, den Haushalt auch. Sie war außerdem als seine Managerin tätig.
Die Ehefrau, die Kinder und auch Heinz Erhardt selbst schätzten es sehr, wenn der Schauspieler ein längeres Engagement in Hamburg hatte, zum Beispiel in der Komödie „Lieber reich, aber glücklich“ in der Kleinen Komödie von Peter Ahrweiler. Gern spielte Heinz Erhardt auf einer Tournee immer das gleiche Stück, bis zu 500 Mal: „Wenn ich schon eine so lange Rolle auswendig lerne, dann soll es sich auch lohnen.“
Meistens war er unterwegs, und seit Anfang der 1960er Jahre war er zusätzlich an diversen Fernsehproduktionen beteiligt, zeitweise sogar mit einer eigenen Produktionsfirma. Zu erwähnen sind auch seine zahlreichen Auftritte bei Verkaufsveranstaltungen von Möbelfirmen und seine Mitwirkung an Werbespots. Auch fand er noch Zeit, mehrere Bücher zu veröffentlichen, darunter „Das große Heinz-Erhardt-Buch“, das mehr als eine Million Mal verkauft wurde. Das Buch zeigt, wie kreativ der Humorist war. Dass auch ihm das Verfassen kurzer, pointierter Gedichte nicht zuflog, mag dieser Vierzeiler belegen:
In nur vier Zeilen was zu sagen,
erscheint zwar leicht, doch es ist schwer!
Man braucht ja nur mal nachzuschlagen:
die meisten Dichter brauchen mehr …
Heinz Erhardt hat seine eigenen Werke so vorgetragen, dass sich viele Menschen vor Lachen bogen. Und immer hatte er „Noch’n Gedicht“.
Er war festgelegt auf das humoristische Fach. Hierfür erhielt er Engagements in Theater und Film. Als Klavierspieler klassischer Stücke und als Schauspieler in ernsten Rollen wählte man – zu seinem Leidwesen – andere. Und sein Traum einer Opernregie hat sich nie erfüllt. Gern hätte er auch einmal im Film einen Mörder gespielt, aber seine Frau und Managerin redete ihm das aus. Er blieb seiner Rolle als trottelig-liebenswürdiger Mann treu. Mit großem Erfolg, aber eben auch mit dem Verzicht auf die anderen Rollen, die Heinz Erhardt auch gern einmal übernommen hätte.
Die Sorge, vergessen zu werden
Heinz Erhardt arbeitete fast ständig, und seine Biografen Berg und Klugmann haben diese private Aufzeichnung von Heinz Erhardt aus dem Jahr 1971 als Beleg für seine Getriebensein und zugleich seine „groteske Fehleinschätzung“ in ihr Buch aufgenommen: „Ich arbeite fast pausenlos. Nicht, um Geld zu verdienen, seltsamerweise denke ich oft gar nicht daran, sondern weil ich arbeiten muss. Denn in keinem Beruf wird man so schnell vergessen wie in meinem. Also kann ich mir keinen Urlaub erlauben und vor allem, ich darf nicht krank werden.“ Das schrieb Erhardt fünf Monate vor seinem ersten Schlaganfall im November 1971.
Auf den ersten Schlaganfall folgte rasch ein zweiter. Seine rechte Körperhälfte war gelähmt und sein Wortfindungszentrum zerstört. Er verstand weiterhin alles, aber konnte nicht mehr antworten. Das war eine Katastrophe für den Komiker und Schauspieler. Er konnte sich nur noch in einer einfachen Zeichensprache verständigen. Kein Wunder, dass er öfter seinen noch immer lebendigen Humor verlor und in Depressionen verfiel.
Daran änderte auch nicht, dass Tausende Briefe und Karten mit Genesungswünschen eintrafen. Anlässlich seines 70. Geburtstages erhielt Heinz Erhardt das Große Bundesverdienstkreuz. Eine geplante Geburtstagsfeier im Atlantic-Hotel musste angesichts seines verschlechterten Gesundheitszustandes ausfallen. Grit Erhardt schrieb über die lange Zeit der Krankheit ihres Vaters: „Diese siebeneinhalb Jahre waren für ihn die Hölle.“
Wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag starb er in der Nacht zum 5. Juni 1979. Im Nachlass des Humoristen entdeckten die verwandten später die bis dahin unbekannte Komödie „Geld sofort“ und die Noten von Kompositionen Erhardts aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Funde zeigten erneut, wie vielseitig Erhardt und wie umfangreich sein Oeuvre waren.
Als Heinz Erhardt 100 Jahre alt geworden wäre, erinnerte sich Hamburg an seinen berühmten Künstlers und benannte ein Jahr später, im Juni 2010, eine Parkanlage in Wellingsbüttel in Heinz-Erhardt-Park. Auf Tafeln sind einige seiner populärsten Gedichte zu lesen.
Ein Gedicht Heinz Erhardts zum Ende des Lebens soll hier nicht fehlen:
Du warst ein Musiker und Dichter
Ein Maler und Kaninchenzüchter
Doch trotzdem war’s dir nicht gegeben,
den eigenen Tod zu überleben.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro