„Also, ich heiße Helga Feddersen, bin Hamburgerin und zur Zeit 17.895 Tage alt. Denn am 14.3., morgens 9.30 Uhr, erblickte ich das Licht der Welt und meine Mutter mich: letztere unter stolzen Tränen lächelnd. Drei Stunden darauf gefror das erwartungsvolle Lächeln meines Vaters: Er hatte einen Sohn geplant. Nach zwei Tagen strenger Klausur bei härtesten Getränken kehrte er an das Bett meiner Mutter zurück und verkündete: ‚Deine Tochter wird Zahnärztin.‘ – Mutter jedoch bestimmte: ‚Deine Tochter Helga wird erst einmal groß.‘“ Das hat die Tochter zwar nicht selbst mitbekommen, hat es aber in ihr Buch „Hallo, hier ist Helga!“ aufgenommen.
Helga Feddersen kam am 14. März 1930 zur Welt. Ihre Eltern besaßen eine Firma für Seemannsausrüstungen an der Deichstraße, die bis heute besteht. Die Tochter hatte einen Sinn für Komik, auch für unfreiwillige Komik. Als Achtjährige blieb sie allein zu Haus, während die Mutter unerwartet weg musste. Helga erwartete einen gleichaltrigen Jungen zum Rollschuhlaufen und bekam von der Mutter den Auftrag, beim Weggehen gut abzuschließen. Als die Mutter vor der Tochter zurückkehrte, fand sie an der Wohnungstür einen Zettel, auf dem in der Handschrift der Tochter stand: „Geheim! Liebe Muttie! Alles gut abgeschloßsen. Hauschlüsel ligt unter der Fußmatte.“
Aus Helga Feddersen Lebenserinnerungen können wir entnehmen, dass sie in einer humorvollen Familie aufwuchs. Pfingsten ging es jedes Jahr in Hagenbecks Tierpark, und der Vater hielt angesichts des Gedränges im Zoo diese „Pfingstpredigt“: „Die Familie bleibt zusammen. Sollten wir uns trotzdem verlieren, keiner fährt ohne den andern nach Haus. Sammelpunkt: Bärenkäfig außen.“ Zum Pfingstfest gehörten außerdem das gemeinsame Schmettern des berühmten Couplets von Hein Köllisch „To Pfingsten, ach wie scheun“ und des Liedes „An de Alster, an de Elbe, an de Bill, da kann jeder eener moken wat he will“.
Eine belastende Kindheit, erleichtert durch eine Drehorgel
Dass ihre Kindheit nicht immer heiter war, hat Helga Feddersen in ihrer autobiografischen Novelle „Amanda mit der Drehorgel“ der Nachwelt hinterlassen. Die Novelle veröffentlichte sie erst kurz vor ihrem Tod. Die Hauptdarstellerin Amanda ist häufig mit ihrer Drehorgel Amandus unterwegs, die sie ihrem Großvater „abgebettelt“ hat. Amanda verlebt eine glückliche Zeit mit ihren Freunden, den „Waldkindern“, in einem Waldkindergarten. Umso größer ist der Kontrast des Unterrichts in der Grundschule: „Zum ersten Mal eine Tür geschlossen, durch die man nicht hinausgehen konnte, wenn man wollte. Den ersten Tag ohne meine Freunde, die Waldkinder.“ Amandus wird ihr Trost in einer fremden Umwelt. „Ich bin ‚Amanda mit der Drehorgel‘, und wir möchten alle lieber wieder gehen.“ Aber: „Als die Lehrerin in diesem Augenblick die Tür schloss, wusste ich, dass ich bleiben musste, dass es einfach sein musste.“
Nachmittags findet Amanda Zuflucht in einer Fliederlaube, die ihr Vater ihr im Garten in eine Fliederhecke geschnitten hat. Die Mutter versucht, Freundschaften mit anderen Mädchen zu stiften und unternimmt es, möglichst oft „zwei zarte lerneifrige Mädchen, Walla und Hella, zu uns einzuladen“. Aber es entsteht keine Freundschaft, schon deshalb nicht, weil Amanda mithört, wie eine der Mütter der Mädchen zur anderen über sie sagt: „Die arme Mutter, was für ein grobes, merkwürdiges Mädchen.“ Amanda gegenüber geben sich die beiden Mütter betont freundlich, aber aus einer Mädchenfreundschaft wird nichts: „Ich setzte mich neben Amandus, der am Fußende der Betten stand, und wir waren uns einig. Ein wenig traurig für Mutter, aber wir wollten Walla und Hella nicht. Sie waren falsch wie ihre Mütter, nur noch ein wenig mehr.“
Dafür schließt sie Freundschaft mit Edgar, dem Sohn eines Schokoladenfabrikanten, der in der Nachbarschaft wohnte und den sie oft besucht und auch in der Fabrik willkommen ist. Die Leserinnen und Leser der Novelle erfahren zunächst nicht, dass Edgar einer jüdischen Familie angehört. Erst nach dem nicht direkt erwähnten Machtantritt der Nazis lesen wir: „Edgar habe ich nicht mehr gesehen. Mutter erzählte, die Golds machen eine Auslandsreise. Und Vater ersteigerte eines Tages einen riesenlangen Tisch für seinen Lagerraum, der war mir vertraut.“
Amanda wechselt auf Initiative ihrer Mutter und gegen den Willen ihrer Lehrerin auf eine Oberschule. Dort wird sie wegen ihrer schlechten Handarbeitsleistungen vor der ganzen Schule bloßgestellt. Sie denkt nun häufig an Edgar und erinnert sich: „Edgar hasste alle braunfarbenen Sachen …“ Amandas Eltern und die Tochter passen sich an. Der Vater erwägt, mit braunen Hemden zu handeln, die Mutter geht zur „rechten Mutterschaft“ und Amanda erscheint zu den „Abenden“, gemeint sind die Abende der NS-Jugend.
Im Krieg verlässt Amanda mit ihrer Klasse im Rahmen der Kinderlandverschickung die Stadt, um vor Bombenangriffen geschützt zu sein. Jeden Morgen hilft ihr „ein anderes williges Händepaar, das mir die immer noch dünnen Zöpfe flocht … Die Zöpfe hingen merkwürdig verdreht über den Ohren, vergeblich nach hinten gezogen.“ Das ist vielleicht ein Symbol dafür, dass Amanda mit ihren widerspenstigen Haaren (und ihren unangepassten Gedanken) nicht zu den strohblonden Mädchen mit den schön geflochtenen Zöpfen gehört.
Nach dem Ende des Krieges kehrt Amanda mit ihrer Drehorgel in die Stadt zurück, die zerstört ist und in der ihre Eltern in einem Schrebergarten in einer kleinen Hütte leben. Der Vater baut seinen Laden „auf einem Trümmerhaufen“ wieder auf. Die Vergangenheit wird verdrängt, Fragen der Tochter mit dem Satz beantwortet: „Befehl ist Befehl.“ Und als sie leise fragt „Und Edgar“, da hören die Eltern sie nicht, wollen sie nicht hören.
Der schweiß- und tränentreibender Hindernislauf durch die Theater
Helga Feddersen schloss die Oberschule erfolgreich ab und besuchte anschließend eine Frauenfachschule. 1948 nahm man sie in eine private Schauspielschule auf. Sie hatte bereits 1949 ihren ersten Auftritt im Theater im Zimmer, das damals Helmuth Gmelin leitete. Es wurde Strindbergs Drama „Ostern“ gespielt. Helga Feddersen hat ihre nächsten Schritte auf dem Weg zu einer Bühnenkarriere im Buch über ihr Leben so beschrieben: „Als Schauspielerin mit beglaubigter Bühnenreife trat ich in den schweiß- und tränentreibenden Hindernislauf durch die Theater an. Über die ‚Naive‘ durch den ‚Charakter‘ zur ‚Komikerin‘. Der ‚Charakter‘ brachte mich ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, die ‚Komik‘ zu Film und Fernsehen. „Hier gewann sich meine Nase einen nicht unbedeutenden Verehrerkreis. Man bestaunte dieselbe in dem Film ‚Die Buddenbrooks‘ als ‚Klothilde‘ sowie in vielen Fernsehspielen.“
Dass man die eigene Berühmtheit nicht überschätzen sollte, erlebte Helga Feddersen während einer Flugreise: „Als ich beim Heimflug in München umstieg, stand auf dem Rollfeld ein Fotograf. Er riss die Kamera hoch und machte mir eine Handbewegung. Ich reagierte sofort. Ging zurück, um dann nochmals die Gangway herabzuschreiten. Im Innersten wunderte ich mich: ‚Woher weiß der, dass ich komme?‘ Unten angekommen, fragte er mich nach meiner Adresse. ‚Per Nachnahme, innerhalb acht Tagen, Weltpostkarte.‘ Es war der Flughafenfotograf.“
Ihr erster Mann, der NDR-Dramaturg Götz Kozuszek, ermutigte sie dazu, Drehbücher und Kurzgeschichten zu schreiben. Mehrere Filme und Serien entstanden auf der Grundlage ihrer Drehbücher und auch ein Buch mit ihren Kurzgeschichten erschien.
Ein Tumor verändert das Leben der Schauspielerin
Helga Feddersen war auf dem Weg, als Schauspielerin und Autoren viel Anerkennung zu finden und bewies ihre vielseitigen Fähigkeiten in einem breiten Spektrum von Rollen. Aber dann entdeckten die Ärzte 1955 einen bösartigen Tumor an ihrer Ohrspeicheldrüse. Der Tumor konnte entfernt werden, aber durch Operation wurden ihr Gesicht entstellt. Sie konnte zeitweise nicht mehr sprechen und ihr Gesicht wurde in Mitleidenschaft gezogen. Helga Feddersen zog sich daraufhin aus der Öffentlichkeit zurück. Ihre Familie überzeugte sie, im Laden in der Deichstraße zu arbeiten. Sie beschränkte ihre Tätigkeit zunächst auf das Lager, aber mit der Wiedergewinnung ihre Sprachfähigkeit bediente sie bald auch Kunden im Laden.
Mit neugewonnenen Selbstbewusstsein kehrte Helga Feddersen auf die Bühne und in die Filmstudios zurück. Die Vielseitigkeit der Schauspielerin sollte es verbieten, sie darauf zu reduzieren, sie wäre ausschließlich eine „Ulknudel“ gewesen. In den folgenden Jahren spielte sie zum Beispiel in der Krimiserie „Stahlnetz“ mit. Daneben war sie in Peter Ahrweilers Kleiner Komödie, im Ohnsorg Theater und in Filmkomödien sowie der humoristischen Fernsehreihe „Ein Herz und eine Seele“ zu sehen. Auch als Synchronsprecherin war sie gefragt. Als Schauspielerin konzentrierte sich nun auf ihre komische Seite und übernahm Rollen in humoristischen Filmen und Fernsehsendungen. Die Schauspielerin Helga Feddersen hatte die innere Kraft, sich zu ihrer Behinderung zu bekennen und aus der Situation das Beste zu machen.
1978 erschien ihre erste Schallplatte mit eigenen Liedern und Gedichten. Gemeinsam mit Dieter Hallervorden nahm sie das Nonsenslied „Du, die Wanne ist voll“ auf, das es unter die Top Ten der deutschen Schlagerparade brachte.
In der Öffentlichkeit nahm man sie als extrovertierte, laute Frau wahr, aber privat war sie introvertiert und eher ruhig. Ole von Beust, der wie sie in der Deichstraße wohnte und mit dem sie befreundet war, sagte über die Schauspielerin: „Helga war eine sehr nachdenkliche, belesene Frau. Sehr gastfreundlich und empathisch. Sie fühlte mit anderen Menschen.“
Große Erfolge im eigenen „Theater am Holstenwall“
1983 eröffnete Helga Feddersen gemeinsam mit ihrem Partner Olli Maier das Theater am Holstenwall. Sie ließen einen alten Ballsaal zu einem Theater mit 250 Plätzen umbauen. Olli Maier war eine durchaus umstrittener Künstler, was sich auch am Titel seiner Lebenserinnerungen ablesen lässt: „Ich, der Buhmann der Nation“. Aber es gibt auch diese Beobachtung von Ole von Beust: „Ich fand, dass die beiden immer sehr liebevoll miteinander umgegangen sind, und sie haben viel zusammen gelacht.“
Ihr Boulevard-Theater fand mit Komödien und Schwänken ein großes Publikum und die Aufführungen waren häufig ausverkauft. Das lag vor allem an der populären Schauspielerin Helga Feddersen. Dass Popularität relativ ist, erlebte die Schauspielerin in Kiel. Ein 12-Jähriger erbat sich gleich sieben Autogramme. „Aha“, sagte sie, „für alle deine Freunde?“. Der Junge antwortete: „Nee. Zum Tauschen. Für sechs Feddersen kriege ich einen Otto.“ Da tat es dem Ego von Helga Feddersen gut, was sie auf einem Flohmarkt erlebt: „Von Kindern umringt schrieb ich, was die Finger hergaben. Da schiebt sich ein Mann in die Kinderrunde und erbittet sich gleichfalls mein Konterfei. ‚Nö‘, sagt da eine kleine Hamburger Deern. ‚Sie kriegen kein Autogramm. Helga ist nämlich Kinderliebhaberin und keine Männerliebhaberin.‘“
Die Erfolgskomödie „Die Perle Anna“ wurde im Theater am Holstenwall mehr als 400 Mal vor vollen Haus gespielt. Aber als Helga Feddersen nicht mehr in ihrem Theater auftreten konnte, verlor es einen großen Teil seines Stammpublikums. 1989 musste Insolvenz angemeldet werden. Es kam zu mehreren Besitzerwechseln, aber das Theater war nicht mehr zu retten. Im Februar 2008 fand die letzte Aufführung mit einem Satre-Stück statt. Es hatte den beziehungsreichen Titel „Das Spiel ist aus“.
Schwere Schicksalsschläge und der erneue Rückzug aus der Öffentlichkeit
1985 musste Helga Feddersen mit dem Tod ihres Mannes Götz Kozuszek fertig werden, der sie immer wieder ermutigt und gefördert hatte. Im Alter litt er unter Alzheimer und wurde in dieser Zeit zu einer großen Belastung für seine Frau. Außerdem musste sie selbst zwei Mal wegen neuer Tumore operiert werden.
Als wären dies nicht genug Belastungen, erzwang dann auch noch eine Kiefervereiterung die Entfernung aller Zähne. Die Schicksalsschläge lösten ein Medikamentenabhängigkeit aus, die zur Folge hatte, dass Helga Feddersen zeitweise nur noch 32 Kilogramm wog. Die Öffentlichkeit hörte in diesen Jahren nur noch von ihren Erkrankungen und ihren finanziellen Schwierigkeiten. Sie wählte Nieblum auf Föhr zum neuen Wohnort und lebte dort zurückgezogen mit ihrem Lebensgefährten Olli Maier. Helga Feddersen starb am 24 November 1990 im Alter von 60 Jahren. Kurz vor dem Tod hatte sie Olli Maier geheiratet. Beigesetzt wurde sie auf einem Friedhof in Stuttgart, der Heimatstadt ihres Ehemannes.
Am Haus Deichstraße 39, in dem sie viele Jahre im Ersten Stock gewohnt hatte, erinnert keine Tafel an die Schauspielerin. Immerhin gibt es in Altona seit 2016 eine Helga-Feddersen-Twiete. Eine späte Ehrung. In Stuttgart trug damals bereits seit zwei Jahren eine Straße an die Schauspielerin. Karl Dall sagte voller Anerkennung über die Schauspielerin: „Helga hatte den Mut, sich über sich selber lustig zu machen.“
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro