Wilhelm Hocker - ein Hamburger Original

 

Hamburg, Stadt der mächt’gen Hanse,

frei und arg beschränkt zugleich,

Hamburg, Stadt der mächt’gen Hänse,

schaue auf Dein reiches Reich!

Schmück‘ die morsche Mauerkrone

einmal noch mit ed‘lem Stoffe,

daß Dein Haupt sich hebe

und Dein Herz Verjüngung hoffe!

Die großen Herrn verspeisen unsere Kirschen

und spucken uns die Steine ins Gesicht.

Merk auf, mein Sohn

Ich will dir was erzählen …

Schon brüllen Hamburgs Rammer „Gottverdauri!“

Wi got mit Fro un Kind na Warrekauri.

Schön muss sie sein; denn sie ist transatlantisch,

Und in der Ferne blüht allein das Glück;

Die Fahrt dahin, wie reizend, wie romantisch,

Legt kaum in sieben Monden man zurück.

O Stadt des Mohrenlandes, gerühmt in Bild und Wort,

O Stadt des Mohrenlandes am lichtbeglänztem Port.

Was hast Du noch verschuldet, wodurch jemals gefehlt,

Daß so viel dunkle Häupter man Dir zu Häupten zählt?

Es sitzen Deine Aelt’sten, wie Mumien zu Gericht,

Beharren wie im Traume, ob Dir das Herz auch bricht

Und einer raunt dem Andern schlaftrunken in das Ohr:

„Ich bin derselben Meinung, wie mein Kollege Mohr!“

Ich weiß es längst: man ist ein Pasquillant,

wenn öffentlich den Schuft man Schuft genannt.

Ein Libellist, wenn man von Recht erfüllt,

die Streiche dieser hohen Herrn enthüllt.

Jedoch zum Ruhm des menschlichen Geschlechtes

lebt auch noch heut die Poesie des Rechtes.

Wer gut, wer tugendhaft, wer sittlich rein,

wird stets vor dem Pamphlet gesichert sein.

Hart aber straf‘ es den, der unberechtigt

sich fremden Glückes, fremden Guts bemächtigt.

Vernichtend treff es ihn wie Dolch und Gift,

weil das Gesetz ihn eben niemals trifft.

Reiß‘ Dich viel gepreßte Presse los von allen Deinen Bengeln,

die die Urteilskraft der Leser nur nach ihrer Willkür gängeln!

Wo Helden weilen, die als Zecher,

Als Weinvertilger längst bekannt,

Ich mein‘ die Herren Kornumstecher,

Da ist der Fusel schnell verbannt!

Was soll der Zwang? – Warum den Armen

Entzieh’n die tröstende Tinctur?

Sein Festgericht, sein Hochzeitscarmen

Ist oft die Brandweinflasche nur.

Auf! Sucht Madeira ihm zu schaffen,

Canariensect und Pararet,

Der manchen Ratsherrn, manchen Pfaffen

Tagtäglich zu Gebote steht.

Ich habe die Freuden des Himmels gefühlt

Und getragen die schmerzlichsten Joche;

Ich habe auf seid’nen Matratzen gewühlt

und gelegen im Kellerloche.

Ganz anders wurde der Dichter im Juli 1843 in der Zeitschrift „Der Freihafen“ gewürdigt: „Man hat Hocker oft vorgeworfen, daß die Ergüsse seiner Muse nur ein Gifthauch wären, daß er nur niederreiße, heruntermache, mit einem Worte, daß er ein Pasquillant sei, weshalb denn auch alle besseren Literaten sich von ihm abwendeten; aber keine Ver­urteilung ist wohl ungerechter als diese. Seine Gedichte sind zwar oft beißend, anzüglich und geradezu persönlich, aber was ist die Ursache davon? Der Mangel an Öffentlichkeit und Freiheit in dem freien Staate! Das tiefe Rechtsgefühl, das Hocker’s ganzes Wesen durchdringt, darf sich nicht offen aussprechen über Gebrechen eines Staates, dessen Freiheit lediglich darin besteht, dass seine Bürger auf der Bierbank politisieren dürfen …“ 

Aus:

Frank Kürschner-Pelkmann

Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale

ISBN 978-3-98885-248-9

336 Seiten, 15,95 Euro