Die Kirche und die globalen Mächte – ein kurzer historischer Rückblick
Die Kirchen können selbstkritisch und selbstbewusst in den Streit über Globalisierung und globale Werte eintreten, denn sie waren neben den Regierungen imperialer Mächte und den international tätigen Wirtschaftsunternehmen die ersten, die weltweite Verbindungen aufbauten und die dabei versucht haben, vorzuleben, was es bedeutet, Teil einer weltweiten Gemeinschaft zu sein. Die Kirchen können – bei allen Defiziten, die es gibt – darauf verweisen, dass sie ein Beispiel dafür geben, wie eine globale Gemeinschaft aussehen kann, die nicht nur durch Märkte oder militärische Macht zusammengehalten wird.
Das Verhältnis zu anderen „global players“ war häufig spannungsreich. Das Römische Reich, eine für damalige Verhältnisse wirklich „globale“ Macht, verfolgte die ersten Christinnen und Christen, weil sie den Allmachtsanspruch der Cäsaren und deren religiöse Legitimation infrage stellten. Schon damals wurde mit einem „globalen“ Anspruch die Beherrschung sowohl aller Länder als auch aller Lebensbereiche in diesen Ländern verbunden. Dem standen die ersten christlichen Gemeinden mit ihrer Überzeugung im Wege, den einen Gott anzubeten, ihm zu folgen und nicht den offiziell verordneten Göttern. Vor allem stellte die christliche Botschaft eine alternative Vision des Zusammenlebens der Menschen dar. Die christliche Vorstellung von Geschwisterlichkeit jenseits ethnischer, kultureller und sozialer Grenzen, wie sie zuerst im Pfingstereignis eindrucksvoll sichtbar wurde, widersprach ganz diametral den imperialen Vorstellungen von Herrschaft und Unterordnung in einem Weltreich, das straff organisiert war.
Das Verhältnis zu den Weltherrschern blieb auch nach dem Ende der Christenverfolgung im Römischen Reich schwierig. Das Bündnis mit den global und regional Mächtigen nach dem Übertritt Kaiser Konstantins zum Christentum hatte zur Folge, dass viele Kirchen über lange Zeit mit den politischen Herrschern verbunden waren.[1]
In dieser Situation blieb das prophetische Amt eine Sache oft kleiner Minderheiten, die notwendigerweise mit den politisch und kirchlich Mächtigen in Konflikt gerieten. Es entstand eine gegenüber den „Mächten der Welt“ kritische Tradition in der Kirche, an die heute große Teile der ökumenischen Bewegung anknüpfen.
Kirchliche Bewegungen, die Unrecht anprangerten und bekämpften
Seit dem Beginn der kolonialen Eroberungen und der Ausplünderung ganzer Weltregionen entwickelten sich innerhalb der Kirche kleine, aber manchmal doch einflussreiche Bewegungen, die sich gegen das Unrecht dieser globalen Expansion aussprachen und auf die Seite der Opfer stellten. Manche Vertreter dieser Bewegungen, zu ihrer Zeit in ihren Kirchen nicht selten isoliert und verfemt, werden heute gern als Beispiele dafür angeführt, dass Kirche eine Tradition hat, auf der Seite der Armen zu stehen. Legitim ist eine Berufung auf die Tradition des Widerstandes aber nur, wenn Kirche sich konsequent auf die Seite der Opfer heutiger Globalisierungsprozesse stellt.
Die Missionsbewegung der Neuzeit entstand zum Teil im Protest gegen eine globale Bewegung der Kolonisierung ganzer Weltregionen. So waren viele der Gründer der britischen Church Missionary Society vor 200 Jahren führend in der Anti-Sklaverei-Bewegung aktiv.[2] Jene Teile der Missionsbewegung, die auf ein Bündnis mit den global Mächtigen setzten, haben, so muss im Nachhinein festgestellt werden, den Gedanken der Mission, ja das Wort Mission in Misskredit gebracht. Schließlich gab es bei verschiedenen Missionsgesellschaften das Bemühen, sich aus den globalen politischen und wirtschaftlichen Konflikten herauszuhalten, aber überzeugend war auch das nicht. Bei genauer Betrachtung der Missionsgeschichte fällt auf, wie groß die Zahl derer war, die sich auf Distanz zu den politisch und wirtschaftlich Mächtigen begaben und sie (wenn auch oft nicht laut genug) kritisierten.
Viele heutige Missionswerke bemühen sich, an diese Tradition anzuknüpfen. Das größere Wissen über andere Regionen der Welt und die Möglichkeit, mit Schiffen europäischer Kaufleute und Reeder in entfernteste Teile unseres Globus zu fahren, gaben der Missionsbewegung zweifellos einen großen Auftrieb. Überall in Europa entstanden Missionsgesellschaften, die die neuen Möglichkeiten zur Verbreitung des Evangeliums nutzten.
Durch die Berichte der Missionsgesellschaften und zurückgekehrter Missionarinnen und Missionare wuchs in vielen Gemeinden das Bewusstsein, Teil einer Kirche zu sein, die nicht an den Grenzen des eigenen Landes endete. Die Missionszeitschriften waren für viele Menschen, die nicht zur international tätigen Kaufmannschaft, zur akademischen Welt oder zu den politisch Mächtigen gehörten, der erste regelmäßige Zugang zu Ereignissen und Entwicklungen in der außereuropäischen Welt. Ihnen wurde deutlich, dass es neben der eigenen noch viele andere christliche Traditionen gab, dass Kirche also eine vielfältige globale Bewegung war.
Die Wirksamkeit der evangelistischen Arbeit litt unübersehbar darunter, dass verschiedene Missionsgesellschaften und Kirchen in Konkurrenz zueinander standen. Gleichzeitig gab es aber auch positive Erfahrungen des Miteinanders von Missionaren über denominationelle Grenzen hinweg. Oft waren die Missionare fast die einzigen Weißen in einer Region, und so entstanden in der Ferne persönliche Kontakte, die in der Heimat eher vermieden wurden. Ökumene, so zeigte sich damals, lebt aus der persönlichen Begegnung von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Traditionen.
Die Wurzeln der ökumenischen Bewegung
Die protestantischen und anglikanischen Missionsgesellschaften erkannten, dass sie von einem Nebeneinander und manchmal sogar Gegeneinander um des Evangeliums und seiner Verbreitung willen zu einem Miteinander kommen mussten. In diesem Geist fand 1910 die erste Weltmissionskonferenz in Edinburgh statt. Sie wurde zu einem Meilenstein auf dem Weg zur heutigen ökumenischen Bewegung. Ihre größte sichtbare Wirkung war im Süden der Welt zu beobachten, wo in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zahlreiche nationale Kirchen- oder Christenräte entstanden.[3]
Ihnen gehörten zunächst vor allem die Vertreter von Missionsgesellschaften an, aber zunehmend auch einheimische Vertreter „junger Kirchen“. Ökumene, so zeigte sich, braucht verbindliche Formen der Zusammenarbeit. Sie wurden schon damals auch dazu genutzt, gemeinsam zu Fragen der Zeit Stellung zu nehmen und sich für den armen und Not leidenden Teil der Bevölkerung zu engagieren.
Demgegenüber blieben die Auswirkungen des ökumenischen Geistes von Edinburgh in Europa zunächst eher gering. Dies lag nicht zuletzt an den politischen Konflikten und Spaltungen, die mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg verbunden waren. Immerhin entstand über die Missionsgesellschaften ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass die eigene Kirche Teil einer Vielfalt von Kirchen in allen Teilen der Welt war, die vieles trennte, aber doch der gemeinsame Glaube verband.
Die Missionsbewegung war nur eine der Wurzeln der weltweiten ökumenischen Bewegung, die 1948 in der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ihren deutlich sichtbaren Ausdruck fand. Unter den Bewegungen, die den Weg zur weltweiten ökumenischen Zusammenarbeit geebnet haben, sind der Christliche Studentenweltbund, die Weltvereinigungen Christlicher Junger Männer und Frauen, die Weltgebetstags-Bewegung und die Weltbewegung für das Praktische Christentum sowie für Glauben und Kirchenverfassung beispielhaft zu erwähnen. Sie alle trugen dazu bei, dass die Kirchen und ihre Mitglieder eine provinzielle Enge zumindest teilweise überwanden.
Die ökumenische Bewegung hat sich von Anfang an den Problemen gestellt, die durch globale politische und wirtschaftliche Konflikte, Kriege und die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der Weltwirtschaft entstanden waren. So gehörten Hilfsaktionen für Menschen in Not in verschiedenen Teilen der Welt zu den ersten Programmen des Ökumenischen Rates der Kirchen und des Lutherischen Weltbundes. Daraus entwickelte sich eine vielfältige und ökumenisch betriebene Katastrophenhilfe- und Entwicklungsarbeit.
Die Beschäftigung mit den Ursachen der Not brachte die ökumenische Bewegung seit den 60er Jahre zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Strukturen der Weltwirtschaft, welche ganz offenkundig nicht geeignet waren, die Kluft zwischen Arm und Reich zu vermindern, sondern diese sogar vergrößerten. Die ÖRK-Vollversammlung in Uppsala im Jahre 1968 wurde zu einem Meilenstein auf dem Weg zu einer Ökumene, die die Option für die Armen ernst nimmt und in konkretes Handeln umsetzt. In dieser Tradition hat sich das ökumenische Engagement für die Verlierer der Globalisierung entwickelt.
Die Förderung von Vielfalt
Eine wichtige Grundlage für eine ökumenische Alternative zur vorherrschenden Globalisierung ist die Bejahung und Förderung von Vielfalt. Die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt erscheint oft als Bedrohung, nicht als Bereicherung. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sie mit einer sozialen und ökonomischen Kluft zwischen den Gruppen verbunden ist oder wenn alle Gruppen in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs ums Überleben kämpfen. Dies zeigt sich heute besonders in den ethnischen Konflikten in Afrika. Der ökumenische Einsatz für Versöhnung in solchen Konflikten ist verbunden mit dem Bemühen, die sozio-ökonomischen Ursachen der Konflikte zu überwinden und das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die kulturelle und ethnische Vielfalt ein Geschenk Gottes ist.[4]
Das Streben nach versöhnter Vielfalt – im Gegensatz zur Vereinheitlichung – stand schon am Anfang der konziliaren Tradition, den Konzilien der ersten Gemeinden aus unterschiedlichsten Kulturen des Mittelmeerraums und setzt sich heute in großen ökumenischen Versammlungen fort. Die ökumenische Bewegung lebt aus der Wertschätzung von Vielfalt. Es geht nicht um die Schaffung einer Super-Kirche, sondern um das Miteinander und die gegenseitige Bereicherung von Kirchen mit ihren sehr unterschiedlichen religiösen und kulturellen Traditionen.
Die andere, menschengerechte Globalisierung nimmt die kulturelle Vielfalt ernst, will sie bewahren und festigen. Das war in der Geschichte des Christentums nicht immer so, aber hier hat die ökumenische Bewegung viel dazugelernt und ist dabei, zu einer echten Alternative zu werden. Ein Beispiel für die Verteidigung des Rechts auf das Anderssein ist die Stärkung der Adivasi in den indischen Kirchen. Aber auch in unserer Gesellschaft gilt es, das Recht auf das Anderssein zu verteidigen, wie dies zum Beispiel die Initiativen tun, die mit Migrantinnen und Migranten zusammenarbeiten.
[1] Vgl. Ulrich Duchrow: Die unvollendete Befreiung vom imperialen Geist – Kirche und Theologie am Ende des 2. Jahrtausends, in: Raúl Fornet-Betancourt: Kapitalistische Globalisierung und Befreiung, Frankfurt am Main 2000, S. 389ff.; vgl. auch: Carl Amery: Global Exit, München 2002, S. 103ff.
[2] Vgl. 200 Years, The Church Mission Society 1799-1999, London 1999, S. 10f.
[3] Vgl. Frank Kürschner-Pelkmann: Von Babel nach Jerusalem, Der Beitrag der Christenräte zur Einheit, Weltmission heute 11, Hamburg 1991
[4] Vgl. Klaus Schäfer (Hrsg.): Zu einer Hoffnung berufen, Das Evangelium in verschiedenen Kulturen, Elfte Konferenz für Weltmission und Evangelisation in Salvador da Bahia 1996, Frankfurt am Main 1999