Die Rückkehr der Israeliten aus dem Exil
Das Überleben als Volk wurde dadurch begünstigt, dass die nach Babylon Verschleppten in einem eigenen Siedlungsgebiet zusammenleben konnten. Eine grundlegende Veränderung ihrer Situation ergab sich dadurch, dass sich die Machtkonstellation zwischen den Großmächten erneut verschob. Der Perserkönig Kyrus konnte 539 v. Chr. mit seinen Truppen Babylon besetzen und gewann damit auch die Kontrolle über die abhängigen Länder des babylonischen Reiches wie Juda. Die kampflose Übergabe Babylons ist nicht nur aus der Abwesenheit des babylonischen Königs zu erklären, sondern auch durch die tiefe Kluft zwischen diesem König und seinen Priestern, die ihm die religiöse Legitimation entzogen und mit den Persern sympathisierten.
Die Perser ihrerseits waren klug genug, die babylonischen Götter zu respektieren und den Priestern ihren Einfluss zu lassen. Dies ist geradezu ein Lehrstück für die Beziehung von politischer Macht und religiöser Legitimation globaler Reiche. Die Perser bauten ihr Weltreich auf einem anderen Prinzip als die Assyrer und Babylonier auf. Hatten diese großes Gewicht auf die Auflösung der Strukturen in den eroberten Ländern gelegt und dafür die Oberschichten deportiert, setzten die Perser darauf, die bestehenden Kulte, Rechtsstrukturen und Verwaltungspraktiken in den eroberten Ländern zu festigen, solange die persische Herrschaft nicht infrage gestellt wurde.[1]
Dies erinnert an das britische imperiale System der „indirect rule“ und die heutigen Bemühungen von Großmächten, in ihren Interessengebieten Regime an die Macht zu bringen und an der Macht zu halten, die eine gewisse Autonomie genießen, solange sie willfährig gegenüber den politischen und ökonomischen Vorstellungen der Großmacht sind. Dies gilt zum Beispiel auch mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende der französischen Herrschaft in Afrika für eine ganze Reihe früherer Kolonien.
Entsprechend dieser Politik wurde es den Juden erlaubt, aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückzukehren und den Tempel wieder aufzubauen, wozu der persische König sogar eine finanzielle Unterstützung gewährte.[2] Ein Prophet, der als zweiter Jesaja oder Deuterojesaja bezeichnet wird, hatte diese Heimkehr vorausgesagt und angekündigt, dass König Kyrus es sein würde, der als „Gesalbter“ Gottes diese Rückkehr ermöglichen würde (vgl. Jesaja 40-55). Bemerkenswerterweise handelt Gott hier also durch einen Ungläubigen.
Die Rückkehr aus dem Exil vom Jahre 538 an wurde als zweiter Exodus und als Beweis verstanden, dass Gott seinem Volk treu geblieben war. Dass zunächst nur kleine Gruppen tatsächlich in die alte Heimat zurückgekehrt sind, es also nicht den prophezeiten großen Zug auf einer Prachtstraße zurück in die alte Heimat gab, tat der historischen und religiösen Bedeutung des Endes der erzwungenen Exilzeit in Babylon keinen Abbruch.
Der schwierige Neuanfang nach der Rückkehr aus dem Exil
Der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem verzögerte sich allerdings, sodass er erst 515 fertiggestellt war. Damit hatte das über einen großen Raum verstreute jüdische Volk ein neues religiöses Zentrum. Das wertete die Rolle des Hohepriesters und der anderen Priester in Jerusalem auf, die zudem mangels einer starken einheimischen politischen Autorität (es gab keinen König mehr) sehr viel mehr Einfluss gewannen als in der Königszeit. Aus dem Tempel Salomos und der anderen Könige wurde ein Tempel, für den der Hohepriester die Verantwortung trug. Dass die Hohenpriester auf religiösem Gebiet die Nachfolge der Könige angetreten hatten, wurde schon äußerlich dadurch sichtbar, dass sie bei der Einführung in ihr Amt wie Könige gesalbt wurden. Die neue Rolle der Priester hat sich auf die religiösen Vorstellungen signifikant ausgewirkt.
Das Leben in der neuen alten Heimat brachte auch eine Reihe früherer Fragen zurück, zum Beispiel das Verhältnis zu den Menschen anderer Völker, mit denen man Tür an Tür lebte. Im Buch Maleachi wurden Mischehen als einer der Missstände angeprangert, die es zu beseitigen gelte. Vor allem aber ging es Propheten wie Esra und Nehemia um die Rückkehr zu den religiösen Regeln der Vergangenheit und die Einhaltung der göttlichen Weisungen. Vor allem Nehemia hat offenbar durchgesetzt, dass die Weisungen in den Büchern Mose, die Tora, zur verbindlichen Grundlage des Lebens und Zusammenlebens gemacht wurden. Dies konnte nicht verhindern, dass die sozialen Gegensätze weiter zunahmen, ein Grund für die Kritik der Propheten der Nachexilszeit.[3]
Eine wichtige Bestimmung der Tora ist der Schuldenerlass. Da im Zusammenhang mit der Erlassjahrkampagne hierzu bereits viel veröffentlicht worden ist, u. a. vom Evangelischen Missionswerk, will ich dieses Thema an dieser Stelle nicht näher ausführen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, dass mit der Herrschaft Alexanders des Großen die Einführung von Münzgeld im Mittelmeerraum sich rasch ausbreitete und damit die Wirtschaftsbeziehungen eine neue Qualität gewannen. In den griechischen Stadtstaaten, wo sich die Geldwirtschaft schon sehr früh entwickelte, nahm die Schuldknechtschaft bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. so dramatische Formen an, dass in Athen eine drastische Reform eingeführt werden musste, um den Zusammenhalt und das Funktionieren des Staates zu retten. So wurde die Versklavung von Menschen als Sicherheit für Schulden verboten. Bestehende Schuldverträge wurden aufgehoben und verpfändetes Land auf Anordnung der Stadtregierung zurückgegeben. Verschuldung war also kein spezifisches Problem des armen und abhängigen Palästinas, sondern schon auf der damaligen Stufe der Geldwirtschaft ein strukturelles Problem, das auch vor Metropolen wie Athen nicht halt machte.[4]
[1] Vgl. Siegfried Herrmann: Die Schriften des Alten Testaments, , in: Siegfried Herrmann/Walter Klaiber: Die Geschichte Israels, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1996., S. 106
[2] Vgl. Hubertus Halbfas: Die Bibel, Düsseldorf 2001, S. 279ff.
[3] Vgl. hierzu: Rainer Kessler: Das Wirtschaftsrecht der Tora, in: Füssel/Segbers: „... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit“, Luzern und Salzburg 1995, S. 89ff.
[4] Vgl. Stephen Zarlenga: Der Mythos vom Geld – die Geschichte der Macht, Zürich 1999, S. 32f.