Katholische Kirche zur Globalisierung

 

Keine Kirche ist in dem Maße Weltkirche wie die römisch-katholische Kirche. Von ihrer Geschichte und ihrer Größe wie von ihrem Selbstverständnis und von ihrer Präsenz her ist sie global. Entsprechend unüberhörbar sind auch die Stimmen in der katholischen Kirche, die die negativen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung auf die Armen der Welt wahrnehmen und kritisieren. Liest man katholische Texte zu Fragen der Globalisierung, kommt man zur Einsicht, dass diese Kirche ein gewichtiger Faktor der globalen Protestbewegung und der Suche nach Alternativen ist.

 

Für viele immer wieder überraschend ist es, wie deutlich Papst Johannes Paul II., der bei vielen Themen für seine konservative Position bekannt ist, sich kritisch zu wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und den Schattenseiten der Globalisierung äußert. So begann der Evangelische Pressedienst eine Meldung über den Besuch des Papstes in Washington mit diesen Sätzen: „Papst Johannes Paul II. hat bei seiner ersten Begegnung mit US-Präsident George W. Bush soziale Ungerechtigkeit als Folge der Globalisierung beklagt. Die Kirche erkenne zwar die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Prozesses an ... sie sei aber zutiefst besorgt über ‚die Trennlinie zwischen denen, die von den Vorteilen profitieren können und denjenigen, die davon abgeschnitten sind’.“[1]

 

Zahllos sind solche Aussagen des Papstes, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es ihm ernst ist mit dem Engagement für die Opfer des Globalisierungsprozesses.[2] Immer wieder spricht er von den „unguten Folgen der Globalisierung“ und bei der Eröffnung der Bischofsversammlung in Rom Ende September 2001 betonte er, dass die Kirche ihre Stimme erheben muss zur Verteidigung der Armen, es gelte aber auch die Aufgabe wahrzunehmen und jene zu „benennen, die missbräuchlich von den Verhältnissen profitieren“.[3]

 

Der Papst steht mit diesem Engagement nicht allein. Dies wurde zum Beispiel in Zusammenhang mit den Protesten anlässlich des G-8-Treffens in Genua deutlich. Dionigi Tettamanzi, Kardinal und Erzbischof von Genua, übte Kritik an der vorherrschenden Globalisierung und bezog eindeutig Partei für deren Opfer. Bei einer Veranstaltung aus Anlass des Gipfels erklärte er: „Die Kirche steht an der Seite derer, die gegen die Perversität dieser Globalisierung kämpfen“. Er wandte sich gegen den „Profit um jeden Preis“ und stellte fest, es sei „nur recht und billig, die Mächtigen dieser Welt massiv unter Druck zu setzen“.[4]

 

Der Kardinal ist nicht eine Randfigur der Weltkirche, sondern gilt als einer der ernsthaften Kandidaten für die Nachfolge des jetzigen Papstes. Auch aus den Orden kommt in zunehmendem Maße Kritik an der gegenwärtigen Globalisierung. Dies gilt besonders für die Franziskaner. Im „Missionsdienst“ der Missionszentrale der Franziskaner schrieb Pater Andreas Müller im Oktober 1999 in einem Kommentar: „Die Globalisierung der Märkte darf nicht absoluten Vorrang haben. Gott sei Dank regt sich auch allenthalben der Widerstand ... Als Christen sind wir Hoffnungsträger einer neuen Kontrastgesellschaft. Wenn wir wirklich an den menschenfreundlichen Gott glauben, der sich der Welt mitgeteilt hat und dabei seine Vorliebe für die Armen kundgetan hat, dürfen wir uns niemals abfinden mit der gnadenlosen Durchsetzung der Starken gegen die Schwachen, müssen wir der Globalisierung des Marktes die Globalisierung der Herzen entgegensetzen. Konkret heißt das: Wir müssen die Aspekte von der Würde der Person, der Solidarität, der Gerechtigkeit, der Befreiung der Armen in die Globalisierungsdebatte einbringen.“[5]

 

Sehr deutlich hat sich auch Peter-Hans Kovenbach, der Generalobere der Jesuiten, geäußert, als er angesichts der Auswirkungen des Neoliberalismus eine neue „Befreiungstheologie“ forderte.[6] Dass die Orden es nicht bei solch klaren Stellungnahmen belassen, zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Ordensleute für den Frieden immer wieder Mahnwachen vor dem Hauptsitz der Deutschen Bank in Frankfurt am Main durchführen. Über die Initiative berichtete Schwester Klarissa Watermann in einem Interview: „Einmal hieß das Thema einer Aktion zum Beispiel: ‚Unser Wirtschaftssystem kettet Menschen an’. Da haben wir uns angekettet vor den Garagen der Deutschen Bank und hatten Bilder von Sklaven in Ketten dabei, um auf die Situation der Menschen in den armen Ländern hinzuweisen, die durch unser Wirtschaftssystem angekettet sind. Natürlich wurden wir schnell mit Schneidbrennern losgeschnitten und weggetragen.“[7]

 

Die Globalisierung aus der Perspektive der Armen beleuchten

 

In der katholischen Kirche und ihren Organisationen gibt es eine breite Diskussion über die Globalisierung, die schon deshalb eine kritische Position einnimmt, weil sie diesen Wirtschaftsprozess aus der Perspektive der Armen beleuchtet und bewertet. Ein Beispiel dafür ist ein Memorandum von Pax Christi in Deutschland zum Thema „Der Globalisierung des Kapitals eine globalisierte Solidarität entgegensetzen“. In dem im Juli 2000 veröffentlichten Papier wird vor allem der Zusammenhang zwischen Globalisierung, wachsender Armut und der Gefährdung des Friedens herausgearbeitet, wobei auch auf die Armut in Deutschland und die wirtschaftliche Notsituation vieler Flüchtlinge eingegangen wird. Es wird dann analysiert, wie sich die Deregulierung der Finanzmärkte auswirkt und konstatiert, dass sie viele Länder verwundbarer gemacht hat für plötzliche Finanzschocks und dass dies verheerende soziale und ökonomische Auswirkungen habe. Außerdem begünstige die Deregulierung Prozesse der sozialen Spaltung. Es wird daher gefordert: „Damit Bemühungen um soziale Entwicklung nicht konsequent durch die Dominanz monetaristischer Interessen konterkariert werden, ist eine Neuordnung des Internationalen Finanzsystems dringend erforderlich. Dazu gehören u. a. Maßnahmen zur Entschleunigung von Finanzflüssen und zur Eindämmung von Wechselkursspekulationen.“[8]

 

Außerdem wird unter anderem die Einführung einer Devisentransaktionssteuer (Tobin-Steuer) gefordert. Außerdem setzt sich Pax Christi für die vollständige Streichung der Schulden der ärmsten Länder und die Ausweitung der Entschuldung auf die sogenannten Schwellenländer ein. In einem längeren Abschnitt geht es dann um Fragen der Menschenrechte: „Im Kontext der Globalisierung wird die militärisch geschützte Wettbewerbsfähigkeit – mit ihren Folgen von sozialer Spaltung, Chaotisierung ganzer Länder und Regionen, Ausbau der Polizei-, Militär- und sonstigen Sicherheitsapparate – zur leitenden politischen Perspektive.“[9] Besorgt wird zudem registriert, dass die Grundrechte der Menschen im Zeitalter der Globalisierung nicht nur gegen staatliche Eingriffe, „sondern immer mehr auch gegen die Dominanz ökonomischer Interessen durchgesetzt werden müssen“.[10] Pax Christi fordert, dass der Globalisierung des Kapitals eine „Globalisierung der Solidarität“ entgegengestellt werden muss.

 

Es kann nicht überraschen, dass die katholischen Hilfs- und Missionswerke eine aktive Rolle im Engagement für eine andere Globalisierung einnehmen, erfahren sie doch von ihren Partnern im Süden der Welt tagtäglich, wie sich die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt und in den einzelnen Ländern verheerend und nicht selten katastrophal auswirkt. So stellte Hermann Schalück, der Präsident von missio Aachen 1998 in einem Kommentar fest, dass die Globalisierung zwar Vorteile bringe und die Gewinne der Unternehmen erhöhe: „Doch die Profite des einen erwirtschaften sich auf Kosten der anderen. Aspekte der Globalisierung, die für den einen Segen sind, erweisen sich für den anderen als Fluch. Autos und Fußbälle werden billig in Asien hergestellt – zum Teil mit Kinderarbeit ... Wir in der katholischen Kirche sollten Globalisierung nicht als Schicksal hinnehmen oder gar verteufeln, sondern bewusst gestalten. Kirche ist von Anfang an kulturüberschreitend angelegt ... Es ist unser Auftrag aus dem Evangelium, humane Dimensionen und ethisch-moralische Prinzipien in die Globalisierungs-Debatte einzubringen. Unser Ziel ist der Aufbau einer auf Werten fundierten Menschheitsfamilie, die sich in Frieden und Gerechtigkeit entfalten kann.“[11]

 

Hier könnten viele Stellungnahmen aus Werken wie Misereor zitiert werden, ich will mich aber darauf beschränken, Bischof Franz Greve, der an der Spitze von Adveniat (des katholischen Werkes zur Unterstützung der Kirchen in Lateinamerika) steht, zu Wort kommen zu lassen. Er nannte in einer Predigt die Armut in Deutschland und die extrem schlechte Situation von Kindern, Jugendlichen, Frauen und indianischer Bevölkerung in Lateinamerika ein „Ärgernis“ und konstatierte dann: „Überall sind die Spuren der Ungerechtigkeit sichtbar, die Armen in den hoch verschuldeten Ländern zahlen sich tot an den Zinsen.“[12]

 

„Die vielen Gesichter der Globalisierung“

 

Die Einsichten der Orden und katholischen Entwicklungs- und Missionswerke sind in die Studie „Die vielen Gesichter der Globalisierung – Perspektiven einer menschengerechten Weltordnung eingeflossen, die von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz 1999 herausgegeben wurde.[13] Erarbeitet hatte sie eine Sachverständigengruppe der kirchlichen Werke Adveniat, Caritas international, Misereor, missio Aachen, missio München und Renovabis. Die Studie stellt im ersten Teil ausführlich dar, was Globalisierung ist und wie sie sich auswirkt. Dabei bemühen die Autorinnen und Autoren sich erkennbar um eine möglichst sachliche Darstellung unter Berücksichtigung auch der positiven Ergebnisse des Globalisierungsprozesses. In einem längeren Abschnitt wird dann auf die Globalisierung als „Herausforderung für die Religionen und die Kirche“ eingegangen.

 

Es wird deutlich, dass die großen Religionsgemeinschaften selbst zu globalen Akteuren geworden sind und sich dabei auch ihrer globalen Verantwortung bewusst werden: „Alle großen Religionen verstehen sich (zumindest heute) nicht nur als partikulare, sondern auch als universale Angebote. Sie erheben damit den Anspruch, Antworten zu besitzen bzw. Wahrheiten zu verkünden, die für alle Menschen gültig sind. Soll dies nicht zu schweren Konflikten führen, sondern zu einer gedeihlichen Pluralität, so erfordert dies eine umfassende Ökumene, die den Dialog der Religionen und die Zusammenarbeit der Menschen unterschiedlichen Glaubens als wesentliches Element einschließt.“[14]

 

Im Abschnitt „Weltkirche als Lerngemeinschaft“ wird dargestellt, dass in einer Weltkirche ein Gleichgewicht zwischen Universalismus und Partikularismus hergestellt werden muss. Die Kirche „will zugleich Weltkirche sein und doch nicht die Ortskirchen bevormunden“.[15] Unter Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil und die Erfahrungen von Ortskirchen tritt die Sachverständigengruppe für eine richtige Verbindung von universaler Botschaft des Evangeliums und partikularen Formen und Gestalten ein. Was das konkret bedeutet, wird eingeräumt, habe „weiten innerkirchlichen Konfliktstoff geschaffen“.[16]

 

Dabei werden die „Spannungen zwischen Zentralismus 573 und ortskirchlicher Selbstständigkeit – etwa in Asien – nicht verschwiegen: „Andererseits sind diese und ähnliche Vorteile zugleich auch Nachteile, weil sie den Eindruck einer nicht in Asien verwurzelten, fremdbestimmten Religion verstärken und das Bemühen um Inkulturation häufig bremsen.“[17]

 

Ausführlich geht die Studie auf die Aufgaben der kirchlichen Hilfswerke ein. Für das sozialethische Verhalten der Werke und der übrigen Kirche werden eine Reihe von sozialethischen Maßstäben entwickelt, die hier nur in Stichworten wiedergegeben werden können: Menschenwürde, Orientierung am Gemeinwohl, individuelles und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Subsidiarität sowie Verminderung des Spannungsverhältnisses von Universalität und Partikularität durch einen möglichst breiten interkulturellen Dialog.[18] Diese sozialethischen Einsichten werden in Beziehung gesetzt zur Realität der heutigen Globalisierung, und es kann nicht überraschen, dass dabei deutliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen und dem zugrunde liegenden Konzept von Wirtschaften geübt wird. So wird zum Beispiel festgestellt: „Die Globalisierung in ihrer gegenwärtigen Form bedarf grundlegender Strukturreformen, wenn sie dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen soll.“[19]

 

Zum „freien Markt“ heißt es: „Das heute vorherrschende Steuerungsprinzip des freien Marktes allein erweist sich als unfähig, wirtschaftliche Effizienz, soziale Gerechtigkeit und ökologische Zukunftsfähigkeit auf verträgliche Weise miteinander zu verbinden. Noch weniger ist es imstande, dauerhaft Frieden, demokratische Partizipation und kulturelle Vielfalt zu schaffen bzw. zu sichern, wenn es nicht von einem Konsens in grundlegenden Wertfragen getragen ist.“[20]

 

Aus diesen Erkenntnissen werden im letzten Teil der Studie Konsequenzen für erforderliches Handeln im Blick auf die internationale Rechtsordnung und Sicherheitspolitik, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Reform der Weltwirtschaftsordnung und des internationalen Finanzsystems sowie die globale Umweltpolitik gezogen. Für die Kirche und ihre Werke werden zahlreiche Aufgaben identifiziert, und es heißt dann zum Schluss: „Die Weltkirche, die sich als Lerngemeinschaft versteht, verkündet ein Programm, das Brücken bauen soll. Nur im gemeinsamen Lernen voneinander, rückgebunden an die ihnen geschenkte Botschaft des Evangeliums, können die Ortskirchen in ihrer Vielfalt zu einer wahren Weltkirche werden. Dieses Programm, von dessen Realisierung die Kirche freilich noch weit entfernt ist, könnte ein Modell einer menschengerechten Globalisierung sein mit dem Ziel, ‚der Globalisierung des Profits und des Elends eine Globalisierung der Solidarität entgegenzustellen’ (Johannes Paul II.).“[21]

 

Die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“[22] hat inzwischen zwei weitere Studien veröffentlicht, und zwar zu den Themen „Das soziale Kapital – Ein Baustein im Kampf gegen Armut von Gesellschaften“ und „Globale Finanzen und menschliche Entwicklung“[23]. Auf die Inhalte dieser Studien wird in einer gesonderten Publikation („Visionen und kleine Schritte“) eingegangen, in der es um Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung gehen wird. Hier soll nur deutlich gemacht werden, wie systematisch und mit langem Atem die katholische Kirche in Deutschland sich mit Fragen der Globalisierung befasst, und dies ganz selbstverständlich im Austausch mit anderen Diözesen, Bischofskonferenzen und Werken in allen Teilen der Welt.

 

Für eine „Globalisierung der Solidarität“

 

Dass Johannes Paul II. sich so kritisch gegenüber der vorherrschenden Globalisierung ausspricht und so stark für eine Globalisierung der Solidarität einsetzt, gibt dem Engagement in allen Regionen der Weltkirche Auftrieb, aber davon nicht zu trennen ist die konkrete Erfahrung von Gemeinden vor Ort, wie negativ sich der gegenwärtige Globalisierungsprozess auf die Armen auswirkt. Um so mehr ist zu hoffen, dass die Weltkirche selbst noch überzeugender eine „Globalisierung der Solidarität“ vorleben und dabei vor allem das Verhältnis zwischen Vatikan und lokalen Diözesen und Gemeinden neu gestalten kann. Am Schluss dieses Absatzes kommt Bischof Franz Kamphaus zu Wort, der bei dem Entwicklungspolitischen Kongress „Solidarität – die andere Globalisierung“ am 13. November 1998 feststellte: „Eine Welt auf dem Weg zur Solidarität. Sie zeigt sich in den weltweiten politischen Aufbrüchen gegen den neoliberalen Marktradikalismus. Immer mehr Menschen stellen sich der Ökonomisierung aller Lebensbereiche entgegen. Sie sind nicht mehr bereit hinzunehmen, dass die Politik ganz und gar ins Schlepptau der Ökonomie gerät. Sie sagen: Wir dürfen unsere Seele doch nicht an den Markt verkaufen! Und sie haben Recht!“[24] 

 

2015 hat sich Papst Franziskus in einem Interview mit einem portugiesischen Radiosender so geäußert: „Das derzeitige Flüchtlingsphänomen in Europa ist nur die Spitze eines Eisbergs. Wir sehen diese Flüchtlinge, diese armen Menschen, die vor dem Krieg, vor dem Krieg und dem Hunger flüchten. Aber an der Wurzel gibt es eine Ursache: ein böses, ungerechtes sozio-ökonomisches System. Auch mit Blick auf die ökologische Krise gilt: Der Mensch muss im Zentrum des Systems, der Politik stehen. Doch das heute dominierende Wirtschaftssystem hat den Menschen an den Rand gedrängt und stattdessen den Gott Geld, das Idol der Stunde, ins Zentrum gerückt. Man muss also an die Ursachen herangehen … Das herrschende Wirtschaftssystem hat Geld und nicht die Person in den Mittelpunkt gestellt. 17 Prozent der Weltbevölkerung besitzen 80 Prozent des Reichtums. Heute führt die Welt Krieg gegen sich selbst!“

  

2015 hat Papst Franziskus die Enzyklika "Laudato Si - Über die Sorge für das gemeinsame Haus" veröffentlicht. Darin hat er die Bedrohungen für dieses gemeinsame Haus der Menschheit mit deutlichen Worten benannt. Dazu gehörte auch die Kritik an der Gewinnmaximierung: 

 

"Das Prinzip der Gewinnmaximierung, das dazu neigt, sich von jeder anderen Betrachtungsweise abzukapseln, ist eine Verzerrung des Wirtschaftsbegriffs: Wenn die Produktion steigt, kümmert es wenig, dass man auf Kosten der zukünftigen Ressourcen oder der Gesundheit der Umwelt produziert; wenn die Abholzung eines Waldes die Produktion erhöht, wägt niemand in diesem Kalkül den Verlust ab, der in der Verwüstung eines Territoriums, in der Beschädigung der biologischen Vielfalt oder in der Erhöhung der Umweltverschmutzung liegt. Das bedeutet, dass die Unternehmen Gewinne machen, indem sie einen verschwindend kleinen Teil der Kosten einkalkulieren und tragen."

 

Der Papst beharrte in der Enzyklika auf der gemeinsamen Verantwortung von Politik und Wirtschaft, gemeinsam zur Lösung der bedrohlichen globalen Probleme beizutragen:

 

"Die Politik und die Wirtschaft neigen dazu, sich in Sachen Armut und Umweltzerstörung gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Was man jedoch erwartet, ist, dass sie ihre eigenen Fehler erkennen und Formen des Zusammenwirkens finden, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Während die einen nur verzweifelt nach wirtschaftlicher Rendite streben und die anderen nur besessen darauf sind, die Macht zu bewahren oder zu steigern, haben wir als Ergebnis Kriege oder unlautere Vereinbarungen, bei denen es beiden Teilen am wenigsten darum geht, die Umwelt zu schützen und für die Schwächsten zu sorgen."

 

Der Papst mahnte die einzelnen Gläubigen, zur Beschützung der von Gott geschaffenen Welt beizutragen. Aber das allein genüge nicht:

 

"Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist nicht etwas Fakultatives, noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung ...  Allerdings ist es zur Lösung einer so komplexen Situation wie der, mit der sich die Welt von heute auseinandersetzen muss, nicht genug, dass jeder Einzelne sich bessert. Die isolierten Einzelpersonen können ihre Fähigkeit und ihre Freiheit verlieren, die Logik der instrumentellen Vernunft zu überwinden, und sind schließlich einem Konsumismus ohne Ethik und ohne soziales und umweltbezogenes Empfinden ausgeliefert. Auf soziale Probleme muss mit Netzen der Gemeinschaft reagiert werden, nicht mit der bloßen Summe individueller positiver Beiträge." 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 


[1] epd Zentralausgabe, 23.7.2001

[2] José Comblin merkt allerdings kritisch an: „Allerdings muss eingestanden werden, dass die kritischen Äußerungen des Papstes auf einem stark generalisierenden Niveau bleiben. Keine Regierung muss sich in dieser Kritik wiederfinden. Niemand muss die Kritik als Richtlinie für die eigene Politik verstehen.“ José Comblin: Lateinamerika in der Globalisierung, in: Giancarlo Collet: Weltdorf Babel, Globalisierung als theologische Herausforderung, Münster 2001, S. 82

[3] Süddeutsche Zeitung, 1.10.2001

[4] Zitiert nach: Publik-Forum, 17/2001, S. 21

[5] Andreas Müller, Globalisierung der Herzen, in: Missionsdienst, Missionszentrale der Franziskaner, Oktober 1999, S. 13f.

[6] Vgl. Ecumenical News International, 24.9.1997; bereits im November 1996 hatten die Provinzoberer der Jesuiten in Lateinamerika und der Karibik die neoliberale Wirtschaftspolitik in einem Offenen Brief mit deutlichen Worten kritisiert und sich für eine alternative Wirtschafts- und Lebensweise eingesetzt: „Wir fordern nicht die Gesellschaft des Wohlstands, der grenzenlosen materiellen Befriedigungen, sondern eine gerechte Gesellschaft, in der niemand vom Zugang zu den Grundgütern für die Selbstverwirklichung ausgeschlossen bleibt, wie Erziehung, Ernährung, Gesundheit, Wohnung und Sicherheit.“ Zitiert nach: Katholische Mission, 3/1997, S. 76

[7] Publik-Forum, 14/2000, S. 41

[8] Pax Christi, Deutsches Sekretariat, Der Globalisierung des Kapitals eine globalisierte Solidarität entgegensetzen, Bad Vilbel, Juni 2000, S. 3

[9] Ebenda

[10] Ebenda, S. 4

[11] Hermann Schalück: Leben im globalen Dorf, in missio aktuell, 6/98, S. 37

[12] Adveniat-Pressemeldung vom 18.12.2000

[13] Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz: Die vielen Gesichter der Globalisierung – Perspektiven einer menschengerechten Weltordnung, Bonn 1999

[14] Ebenda, S. 42f.

[15] Ebenda, S. 43

[16] Ebenda, S. 44

[17] Ebenda

[18] Vgl. ebenda, S. 46ff.

[19] Ebenda, S. 51

[20] Ebenda, S. 52f.

[21] Ebenda, S. 66

[22] Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik: Das soziale Kapital – Ein Baustein im Kampf gegen Armut von Gesellschaften, herausgegeben von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2000

[23] Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik: Globale Finanzen und menschliche Entwicklung, herausgegeben von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001; wie diese Arbeit auch über den kirchlichen Raum hinaus geschätzt wird, zeigt eine Rezension der Studie in der Zeitschrift „Entwicklung und Zusammenarbeit“, in der es zum Schluss heißt: „Die hohe Qualität der in der Broschüre versammelten Argumente ist wesentlich auf die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe zurückzuführen... Aus dieser Kombination von hohem Sachverstand und praktischen Erfahrungen vor Ort ist eine außerordentlich informative, aufklärende und sozial engagierte Studie entstanden, die zudem sehr verständlich geschrieben und auch für Laien gut nachvollziehbar ist. Sie sollte vielfach angefordert und diskutiert werden.“ Rezension von Jörg Huffschmid in „Entwicklung und Zusammenarbeit“, 3/2002, S. 98

[24] Zitiert nach: epd Entwicklungspolitik, 22/98, S. 37