Globalisierungs-Alternativen: den öffentlichen Dienstleistungs- und Bildungsbereich verteidigen und stärken

 

Ein wichtiges Element jeder Alternative zu den Liberalisierungsstrategie in Organisationen wie der "World Trade Organization" und bilateralen Handels- und Dienstleistungsverhandlungen ist die Verteidigung des öffentlichen und nicht-privatisierten Bereichs gegen die Angriffe von Privatisierung und internationaler Liberalisierung. Es geht dabei um den Schutz des lokalen Wasserbetriebes vor Privatisierungsplänen ebenso wie um eine Erhöhung der Effizienz des öffentlichen Sektors und eine Darstellung seiner Erfolge. Im Blick auf die Länder des Südens besteht die Strategie darin, gezielt Entwicklungshilfegelder einzusetzen, um öffentliche Betriebe leistungsfähiger zu machen. Es stimmt, dass in der Vergangenheit solche Bemühungen oftmals gescheitert sind. Aber die zwingende Konsequenz ist nicht, diese Bemühungen aufzugeben, sondern es kann ein Anlass sein, nach den Gründen zu fragen und gemeinsam mit der jeweiligen Regierung und der Zivilgesellschaft nach Lösungen zu suchen.

 

Offenkundig sind verantwortungsbewusste, einer wirksamen demokratischen Kontrolle unterworfene Regierungen bessere Partner bei diesen Bemühungen als despotische und korrupte Regime. Ebenso sind Behörden und staatliche Einrichtungen, die durch Vetternwirtschaft, fehlende Motivation der Beschäftigten und Ineffizienz geprägt sind, alles andere als eine Empfehlung für den öffentlichen Bereich. Darin zeigt sich exemplarisch, dass Regierungen und staatliche Einrichtungen nicht nur für die Konkurrenzsituation im Rahmen der vorherrschenden Globalisierung wirkungsvoller arbeiten müssen, sondern noch mehr für die Verwirklichung von Alternativen.

 

Auf Initiative der Schweizer entwicklungspolitischen Aktion „Erklärung von Bern“ hat in der Schweiz eine Kampagne gegen einen weltweiten Ausverkauf des „service public“ (der öffentlichen Dienstleistungen) begonnen.[1] Die Aktion wird von fünf Gewerkschaften, attac Schweiz und zahlreichen anderen Organisationen unterstützt. Mit einer Postkartenaktion an den Schweizer Bundesrat Couchepin wird gefordert, dass grundlegende öffentliche Dienstleistungen nicht den WTO-Regeln unterstellt werden, die Regierungen, besonders auch in südlichen Ländern, die Kompetenz behalten, nationale Investitionsregeln gemäß dem Entwicklungsstand ihres Landes zu erlassen, die bereits eingegangenen Verpflichtungen in Zusammenhang mit GATS nochmals überdacht, öffentlich diskutiert und gegebenenfalls rückgängig gemacht werden.[2]

 

Alternativen zur Liberalisierung des Bildungsbereichs

 

Eine wichtige Aufgabe ist die Stärkung der gesellschaftlichen Verantwortung und Trägerschaft der Bildung. In einer ganzen Reihe von Ländern wie den USA, aber zum Beispiel auch Chile ist eine starke Tendenz vorhanden, Bildung zu einer Ware zu machen, die gekauft werden muss. Das öffentliche Bildungswesen fungiert dann oft nur noch als Auffangmöglichkeit für all jene, die sich die privaten Angebote nicht leisten können. Entsprechend werden die staatlichen Bildungsausgaben reduziert, was den Effekt hat, dass die Qualität staatlicher Angebote sinkt.[3] Die Alternative besteht darin, das öffentliche Bildungsangebot zu erweitern und qualitativ zu verbessern.

 

Die EU hat Teile des Bildungsbereichs nicht nur europaweit liberalisiert, sondern ist auch dabei, sie für Konkurrenten in anderen Teilen der Welt zu öffnen. Dies reicht von den Kindergärten bis zu Hochschulen. Zwar gab es schon vor dem Liberalisierungsprozess viele Bildungseinrichtungen, die nicht in staatlicher Trägerschaft waren, aber dies waren vor allem Schulen in kirchlicher Trägerschaft oder Kindergärten in Eigeninitiative der Eltern. Was jetzt droht, ist aber eine immer stärkere Ausweitung von Angeboten, deren Betreiber Bildung zu einer gewinnträchtigen Sache machen, zugänglich für alle, die das nötige Geld haben. Gleichzeitig leiden die staatlichen Bildungseinrichtungen unter massiven Finanzierungsproblemen. Das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich in Ländern wie den USA sehen. Die verantwortlichen Politiker in unserem Lande und in der EU können also hinterher nicht sagen, das hätten sie nicht gewusst und gewollt.

 

Besonders intensive Anstrengungen sind erforderlich, um in den Ländern des Südens die öffentlichen Bildungsangebote und die Angebote von nicht gewinnorientierten Schul- und Hochschulträgern wie den Kirchen auszubauen. Die staatlichen Bildungsausgaben sind in diesen Ländern oft minimal. In den sogenannten Least Developed Countries wurden Anfang des Jahrhunderts pro Jahr nur öffentliche Mittel in Höhe von 9 US-Dollar je Einwohner ausgegeben, in den Industriestaaten sind es etwa 1.200 US-Dollar.[4]

 

Angesichts der hohen Verschuldung vieler armer Länder und der Auflagen von Internationalem Währungsfonds und anderen Kreditgebern werden deren Bildungsausgaben nicht steigen, es sei denn, die internationale Entschuldungspolitik macht Fortschritte und die Entwicklungshilfeleistungen wachsen deutlich.[5]

 

Den „marktorientierten“ Bildungsreformen, mit denen manche Regierungen ihre Budgetprobleme vermindern und die die Armen massiv benachteiligen, muss das Konzept entgegengestellt werden, das öffentliche und nicht-gewinnorientierte Bildungsangebot auszuweiten und zu verbessern. Dabei sind die massiven Interessen in Rechnung zu stellen, die eine Kommerzialisierung der Bildung betreiben. US-amerikanische Unternehmen haben bereits 1996 sieben Milliarden Dollar aus dem Verkauf von Bildungsleistungen im Ausland eingenommen, und diese Summe dürfte sich seither noch deutlich erhöht haben.[6]

 

Bei den internationalen Liberalisierungs-Verhandlungen drängen die USA auf eine weitere Liberalisierung dieses Sektors, wobei es auch um die Verbreitung von US-Bildungsmaterialien in anderen Teilen der Welt geht. Es sind also wirkungsvolle Kampagnen erforderlich, um das öffentliche und das nicht-kommerzielle Bildungswesen gegen diesen Ansturm zu verteidigen. Dabei geht es auch darum, dass die Gesellschaft über ihre demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter die Kontrolle über die Bildung behält. Dafür reicht es nicht aus, allgemeine Rahmenrichtlinien zu erlassen. Zu berücksichtigen ist auch, dass viele private Bildungsträger ihren Lehrkräften nur befristete Verträge anbieten und die Bezahlung oft deutlich niedriger ist als im Öffentlichen Dienst. Die Verteidigung und der Ausbau des öffentlichen Bildungswesens ist deshalb auch ein Schritt zur Wahrung von gesicherten Arbeitsverhältnissen und einer angemessenen Bezahlung.

 

Eine Privatisierung der Angebote hat auch den Effekt, dass die Bildungsinhalte beeinflusst werden. Wenn zum Beispiel der Hamburger Senat plant, die Berufsschulen zu privatisieren und einer Gesellschaft unter maßgeblichem Einfluss der Handelskammer und der Handwerkskammer zu überlassen, ist zu erwarten, dass globalisierungskritische Inhalte noch weiter zurückgedrängt werden. Die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens bis hin zu den Universitäten ist also auch ein Schritt, den öffentlichen Diskurs über Themen und Positionen offen zu halten, die den ökonomischen Status quo infrage stellen. Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Es gibt eine starke Tendenz, die Finanzen von Bildungseinrichtungen dadurch aufzubessern, dass Unternehmen als Sponsoren gewonnen werden oder Werbung für die eigenen Produkte im schulischen Bereich betreiben, etwa durch Werbeplakate. Damit wird die Welt des unbegrenzten Konsums auch noch in den Schulen unübersehbar präsent.

 

Die Rolle der Kirchen bei der Verteidigung öffentlicher Bildungsangebote 

 

Die Kirchen und ihre Mitglieder können im Bildungsbereich einerseits ihre eigenen Bildungsangebote ausbauen und andererseits Initiativen zur Stärkung des öffentlichen Bildungswesens unterstützen. Mit ihren eigenen Angeboten können sie zeigen, dass es im nicht-staatlichen Bereich Möglichkeiten gibt, Bildung zu vermitteln, ohne damit Gewinninteressen zu verbinden und sich auf eine Klientel zu beschränken, die hohe Gebühren zahlen kann. In der bildungspolitischen Debatte können sie sich dafür einsetzen, dass der öffentliche Sektor verteidigt und der Ideologie entgegengetreten wird, privatwirtschaftliche Angebote seien in jedem Falle überlegen.

 

Vor allem aber wird es darauf ankommen, dass die Kirchen ihr Verständnis von Bildung in die gesellschaftliche Debatte einbringen. Bildung muss wieder stärker als Recht der Menschen, als zentraler Teil unserer Kultur, als Möglichkeit, die Werte einer Gesellschaft weiter zu vermitteln, als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens und als wichtige Gestaltungsmöglichkeit menschlichen Lebens wahrgenommen werden.

 

Bildung ist also nicht nur eine Investition in die berufliche Zukunft, für die man gegebenenfalls zahlt in der Hoffnung auf eine hohe Rendite. Die „Vermarktung“ der Bildung hat also sehr viel mit einem Menschenbild zu tun, das ökonomische Kategorien ins Zentrum stellt. Nicht nur der Religionsunterricht erscheint in dieser Perspektive als ein Randbereich, sondern zum Beispiel auch Kunst und Literatur. Die Verteidigung eines umfassenden Bildungsverständnisses ist deshalb ein wichtiger Schritt, um ein totales ökonomisches Diktat im sozialen Zusammenleben zu verhindern. Anders formuliert: Die Förderung einer Bildung, die nicht nur dem Gelderwerb dient, ist ein Beitrag zu einer wirklich menschlichen Gesellschaft.

  



[1] Vgl. Marianne Hochuli: Gegen einen weltweiten Ausverkauf des Service public, in: epd-Entwicklungspolitik, 22/2001, S. 30f.

[2] Vgl. Pressemitteilung der Erklärung von Bern vom 26.6.2001

[3] In einer Analyse des GATS-Prozesses schreibt Peter Wahl: „Dort, wo private und öffentliche Anbieter koexistieren, differenziert sich über kurz oder lang ein Zweiklassensystem heraus. Während vom privaten Sektor eine hohe Qualität gegen entsprechende Bezahlung angeboten wird, sind die ökonomisch schwachen Schichten auf die verbliebenen öffentlichen Dienstleistungen angewiesen, die finanziell unterausgestattet sind und meist nur noch ein Rumpfangebot aufrechterhalten.“ (epd-Entwicklungspolitik 22/2001, S. 23)

[4] Vgl. Thomas Fritz: Die Bewertung der GATS-Verhandlungen im Rahmen der Wissensgesellschaft, Gutachten im Auftrag der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Berlin 2002, S. 25f.

[5] Vgl. hierzu die Beiträge zu Bildungsfragen in den Ausgaben 17-18/2000 und 12/2002 der Zeitschrift epd-Entwicklungspolitik

[6] Vgl. Thomas Fritz: Die Bewertung der GATS-Verhandlungen im Rahmen der Wissensgesellschaft, a. a. O., S. 26