Globalisierungs-Alternativen: der Kampf gegen den Handel mit gefälschten Medikamenten

 

„‚Einiges in diesen Sendungen ist nutzlos. Es ist nichts. Milch, Zucker oder was sie sonst nehmen, wenn sie Placebos machen. Und gefärbtes Wasser oder Öl in den Ampullen ... Da kommt eine Nachtschicht, die stellt das Zeug her und beschriftet und verpackt es. Dann wird es zum Flughafen gebracht.‘ ‚Warum?‘, fragte Brunetti, und als er sah, dass Sandi die Frage noch nicht verstand, fügte er hinzu: ‚Warum Placebos und keine richtigen Medikamente?‘ ‚Dieses Mittel gegen Bluthochdruck – besonders das – ist sehr teuer. Die Rohstoffe oder Chemikalien, oder was man dazu braucht. Auch einige von den Sachen gegen Diabetes, glaube ich wenigstens. Da machen sie eben Placebos, um Kosten zu sparen.‘“[1]

 

Kommissar Brunetti, die Hauptperson in Donna Leons Krimi „In Sachen Signora Brunetti“, ist einem Fall von Medikamentenbetrug auf die Spur gekommen. Von Norditalien aus werden gefälschte Medikamente oder Arzneimittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum in den Süden der Welt verkauft. Der Werkmeister der Fabrik erklärt dem Kommissar, wie das Geschäft läuft, ein mörderisches Geschäft, denkt man an die Empfänger der Medikamente, schließlich auch ein mörderisches Geschäft in Italien selbst. Bei der Durchsuchung der Fabrik fand die Polizei unter anderem drei Kisten mit Plastikfläschchen, die als Hustensaft deklariert waren, und es heißt dann im Roman: „Doch bei der Analyse zeigte sich, dass sie ein Gemisch aus Zucker, Wasser und Frostschutzmittel enthielten, ein Gebräu, das jeden, der sie einnahm, krank machen oder gar töten konnte.“[2]

 

Der Absatz gefälschter Medikamente in Afrika, Asien und Lateinamerika

 

Der Kriminalroman hat viel mit der Realität zu tun, auch in der Hinsicht, dass Italien tatsächlich eines der Länder ist, wo in großem Stil gefälschte Medikamente produziert werden. Abgesetzt werden die Produkte vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika, wo importierte Arzneimittel nur in Einzelfällen geprüft werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass sieben bis zehn Prozent aller Medikamente, die weltweit verkauft werden, gefälscht sind. Die harmlosesten Fälschungen sind zugleich auch die seltensten.

 

In diesen Fällen wird nicht nur die Verpackung des Originalmedikaments gefälscht (manchmal sogar mit Hologramm), sondern auch die Tabletten selbst mit der richtigen Zusammensetzung der Wirkstoffe. Aber so viel Mühe machen sich die meisten Fälscher nicht. In manchen Fällen enthalten die imitierten Medikamente zwar noch die auf der Packung angegebenen Wirkstoffe, die Mengen aber sind geringer oder völlig falsch berechnet worden.

 

Die meisten Akteure dieses kriminellen Geschäftes liefern Backpulver in Tablettenform oder Leitungswasser als Augentropfen. Es gibt sogar zahlreiche Fälle, in denen gesundheitsgefährdende oder giftige Substanzen zu angeblichen Markenmedikamenten verarbeitet werden. Es ist in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen, dass die Fälschungen zum Tod zahlreicher Menschen geführt haben. So sind 1990 in Nigeria 100 Kinder an einem gefälschten Hustensaft gestorben, der ein giftiges Lösungsmittel enthielt. Im folgenden Jahr wurde bekannt, dass große Mengen gefälschter Brandsalbe in Mexiko Sägemehl enthielten. Wie viele Menschen hierdurch zu Schaden kamen, ließ sich nicht mehr feststellen.

 

1996 starben mindestens 59 Kinder in Haiti nach der Einnahme von gefälschtem Fiebersirup. Im Jahre 2000 starben in Kambodscha mindestens 30 Menschen an gefälschten Anti-Malaria-Mitteln. Oft werden die tödlichen Folgen der gefälschten Medikamente nicht erkannt, weil angenommen wird, der Patient sei trotz der Einnahme eines wirksamen Mittels gestorben. Außerdem tragen die Fälschungen zur Verbreitung von Infektionskrankheiten bei, weil sie nur vermeintlich Schutz gegen eine Erkrankung bieten und Kranken keine Heilung ermöglichen. Weit verbreitet sind inzwischen gefälschte Aids-Medikamente, weil bei diesen teuren Arzneimitteln die Gewinnspanne für Fälscher besonders groß ist.

 

Die Weltgesundheitsorganisation hat für die Zeit zwischen 1982 und 1999 insgesamt 770 Arzneimittelfälschungen dokumentiert. Die angesehene Zeitschrift „British Medical Journal“ gab einem Beitrag über eine Studie zu diesem Thema die Überschrift „Mord durch gefälschte Medikamente“. Aus der Studie geht zum Beispiel hervor, dass Stichproben ergaben, dass 60 Prozent von 133 geprüften Medikamentenhändlern in Kambodscha gefälschte wirkungslose Malariatabletten verkauften.[3] Selbst in Apotheken auf den Philippinen wurde Mitte der 90er Jahre festgestellt, dass acht Prozent der untersuchten 1.359 Medikamente gefälscht waren.[4] 2024 wurde geschätzt, dass 30% der in armen Ländern verkauften Medikamente gefälscht sind (sertzeblatt.de, 17.5.2024)

 

Neue Möglichkeiten für Fälscher durch die Liberalisierung

 

Der globale Markt hat auch den Kriminellen neue Möglichkeiten eröffnet. Staatliche Einkaufsstellen, die es zum Beispiel in Tansania gibt und die wenigstens vom Grundsatz her in der Lage sind, den Ursprung und die Qualität der Importe zu überprüfen, werden zunehmend ersetzt durch den offenen Markt, der es ermöglicht, auf einer Vielzahl von Wegen Medikamente zu importieren und durch Kleinhändler selbst auf Märkten von abgelegenen Kleinstädten anzubieten. Die Liberalisierung des Arzneimittelbereichs hat also den Fälschern das Geschäft sehr erleichtert. Auch der Internet-Handel mit Medikamenten schafft neue Gefahren, wenn Lieferanten nicht den strengen Bestimmungen für Apotheken unterworfen sind. Deshalb ist zu fürchten, dass die Zahl der gefälschten Medikamente zunehmen wird.

 

Wie global dieses Geschäft ist, zeigte sich bereits 1989 bei der Aufdeckung der Verbreitung von Fälschungen des Medikaments Zantec in Großbritannien und den Niederlanden. Das imitierte Mittel enthielt zwar den angegebenen Wirkstoff gegen Magengeschwüre, allerdings in stark schwankender Konzentration. Verkauft wurden die Fälschungen von einem niederländischen Pharmagroßhändler, der sie seinerseits über einem Medikamentenmakler in der Schweiz bezogen hatte. Der gab an, die Tabletten von einem griechischen Händler erworben zu haben. Tatsächlich hatten griechische Verbrecher die Arzneimittel gefälscht, und zwar mit Rohstoffen aus der Türkei oder Singapur.[5]

 

Hintergrund dieses Verbrechens war, dass immer mehr Pharmahändler ihre Ware aus unterschiedlichsten Ländern beziehen, weil die Pharma-Unternehmen die gleichen Produkte zu sehr unterschiedlichen Preisen in den einzelnen europäischen Ländern anbieten. Die Parallel-Importe, also die Importe ohne Einschaltung des Pharmaunternehmens, das die Medikamente produziert, lohnen sich also für Pharmahändler, bergen wie in diesem Fall auch Risiken.

 

Im Süden der Welt wirkt sich vor allem aus, dass viele verarmte Familien sich die teuren Medikamente, die in Krankenhäusern und Apotheken verkauft werden, nicht leisten können und deshalb zu dem greifen, was billig auf den Märkten angeboten wird. Je höher der Preis importierter Medikamente ist, desto lohnenden ist das Geschäft für die Verbrecher und desto größer ist die Gefahr, dass arme Familien zu ihren Opfern werden. Nach Schätzungen des internationalen Verbandes der Arzneimittelhersteller hatte das Geschäft mit den gefälschten Medikamenten schon Anfang des Jahrhunderts ein Volumen von über 25 Milliarden Euro im Jahr erreicht.[6]

 

Es sind durchaus nicht nur finstere Hinterhof-Werkstätten, in denen gefälscht wird, sondern es gibt – wie im Krimi von Donna Leon – auch Firmen, die tagsüber wirksame Medikamente produzieren und nachts die sehr viel billigeren Backpulver-Tabletten für den Export in Länder, wo Kontrollen fehlen und gute Geschäfte mit den gefälschten Medikamenten zu machen sind. Manchmal werden die Dokumente über die Qualitätskontrolle gleich mit gefälscht, sodass niemand auf den Verdacht kommen kann, dass die Vitaminpillen tatsächlich nur gefärbten Zement enthalten. Auch Hilfsgüter bestehen manchmal aus Fälschungen. So wurden bei einer Meningitis-Epidemie im Niger bereits 60.000 Menschen geimpft, bis man feststellte, dass die Ampullen, die vor einer Gehirnhauterkrankung bewahren sollten, nur Wasser enthielten.[7]

 

Internationales Vorgehen gegen Fälschungen

 

Die pharmazeutische Industrie erleidet durch die Fälschungen große Einnahmeeinbußen. Die Unternehmen haben aber gezögert, die Fälschungen zu sehr zum Thema zu machen, um das Vertrauen in die eigenen Medikamente nicht zu gefährden.[8] In einem Beitrag von Markus Balser zu den Medikamentenfälschungen heißt es hierzu: „Zwar beklagt die Pharmaindustrie Milliardenschäden. Doch sie tut sich schwer, die illegale Konkurrenz zu bekämpfen. Viele Unternehmen wollen nicht, dass Fälschungen eigener Produkte bekannt werden – aus Angst, ihr Umsatz könne einbrechen. Nur wenige ... gehen gegen skrupellose Fälscherbanden auch gerichtlich vor. Dass Plagiate ohne Warnung an Gesundheitsbehörden weiterverkauft werden, nehmen Konzerne dabei in Kauf.“[9]

 

Inzwischen wird das Problem der Fälschungen offen benannt, und die deutsche Pharmaindustrie engagiert sich in einem „German Pharma Health Fund“, der unter anderem die Qualitätskontrolle in Ländern des Südens finanziell unterstützt.[10] So wurde ein Minilabor entwickelt, mit dem die Echtheit einer breiten Palette von wichtigen Medikamenten relativ einfach überprüft werden kann.

 

Es gibt weitere wirksame Instrumente gegen die todbringenden Fälschungen. So bemüht sich das Unternehmen „Reconaissance International“ um eine Aufklärung solcher krimineller Aktivitäten, um Informationsarbeit und gemeinsam mit Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation um Konzepte, die Fälschungen erschweren, die Überprüfung von Medikamentenlieferungen auch in ärmeren Ländern erleichtern und die strafrechtliche Verfolgung der Täter forcieren.

 

Gerade am Beispiel der Medikamente wird deutlich, wie sich das Gesundheitswesen durch die immer stärkere Kommerzialisierung in aller Welt gravierend verändert. Nicht nur bei den Medikamenten bekommt das Gewinnmotiv eine immer größere Bedeutung. Die Pharmaindustrie gehört weltweit zu den profitabelsten Wirtschaftszweigen. So gehen Bürger und einige staatliche Stellen in den USA wegen exzessiver Gewinne juristisch gegen große Pharmaunternehmen vor.[11]

 

Die Unternehmen behaupten, sie bräuchten so hohe Gewinne, um ihre Forschung zu finanzieren, die allen zugute komme. Allerdings hat die Orientierung an hohen Gewinnspannen große Konsequenzen für diese Forschungen selbst, denn es werden nur jene Vorhaben forciert, die in Zukunft hohe Gewinne erwarten lassen. Die Manager und Aktionäre der Pharmaunternehmen verstehen sich nicht als barmherzige Samariter, aber muss man deshalb darauf verzichten, die Akteure des Medikamentengeschäftes an biblischen Maßstäben zu messen?

 

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann



[1] Donna Leon: In Sachen Signora Brunetti, Zürich 2000, S. 273f.

[2] Ebenda, S. 299

[3] Vgl. die Information der österreichischen Apotheker-Vereinigung zum Thema „Der Handel mit lebensgefährlichen Scheinmedikamenten“

[4] Vgl. den Beitrag von Ulrich Bahnsen in der „Zeit“ 34/2002 zum Thema „Gestreckt, gepanscht, vergiftet“

[5] Vgl. Die Woche, 4.8.1995

[6] Vgl. die Hintergrundinformation des „German Pharma Health Fund“ zum Thema „Arzneimittelfälschungen – ein skrupelloses Geschäft“

[7] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 30.9.2002

[8] Paul Newton vom Center for Tropical Medicine and Infectious Diseases der Universität Oxford schrieb in einer Fachzeitschrift, die Pharmaindustrie habe das Problem in der Vergangenheit heruntergespielt, weil sie fürchtete, die Öffentlichkeit könnte das Vertrauen in die Medizin verlieren; vgl. „Der Handel mit lebensgefährlichen Scheinmedikamenten“, a. a. O.

[9] Süddeutsche Zeitung, 30.9.2002

[10] Vgl. im Internet www.gphf.org

[11] Vgl. The Economist, 13.7.2002