Lokale Alternativen zur Globalisierung für Kirchengemeinden
Bei der Beschäftigung mit der Geschichte der ersten Gemeinden der Christenheit fällt auf, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Teilen innerhalb kleiner Gemeinschaften wie der Gemeinde in Jerusalem und dem Teilen unter den Gemeinden im römischen Weltreich bestand. Es ist der gleiche Geist der Geschwisterlichkeit, der dieses ökumenische Teilen prägt. Wie können Christinnen und Christen auf lokaler Ebene heute in diesem Geist leben? Ein erster Schritt besteht darin, das eigene Handeln als Kirche, Kirchengemeinde und einzelner Christ/einzelne Christin im Horizont der anderen Globalisierung zu verstehen. Es geht also um ein Bewusstsein dafür, dass wir als Teil der weltweiten „Oikumene“, der ganzen Schöpfung Gottes, eine Verantwortung und zugleich große Möglichkeiten haben, menschenfreundliche Formen des Wirtschaftens und des Lebens zu gestalten. Was wir tun und lassen, kann daran gemessen werden, ob es ein Leben in Fülle für alle fördert und dabei Gottes Schöpfung bewahrt. Die vielen kleinen Schritte, die nötig sind, erhalten so eine Richtung.
Aus dem Lesen der Bibel können Gläubige klare Orientierungen für dieses Engagement gewinnen. Da Gott größer ist als die Kirche und nicht exklusiv vereinnahmt werden kann, eröffnet eine klare eigene Position die Möglichkeit, mit Menschen anderen Glaubens oder ohne religiöse Bindung zusammenzuarbeiten, die ebenfalls für Ziele eintreten, die unter dem Stichwort einer anderen Globalisierung zusammengefasst werden können. Es gibt zahllose Beispiele dafür, wie buddhistische Mönche und muslimische Gemeinschaften sehr viel entschlossener ihr Leben umgestellt haben, um diese Vision mit Leben zu erfüllen, als Christen in ihrer Nachbarschaft.[1]
Und es gibt viele Beispiele dafür, wie Menschen unterschiedlichen Glaubens sich gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung engagieren, jeder und jede aus ihren religiösen Überzeugungen heraus. Beim christlichen Engagement geht es auch um die eigene Glaubwürdigkeit. Bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt wurde im Mai 2002 das „Wittenberger Memorandum Nachhaltigkeit als Aufgabe der Kirchen“ verabschiedet. Darin wird unter anderem festgestellt: „Nicht zuletzt um der Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung willen müssen sich die Kirchen mit ihrer eigenen Praxis auseinandersetzen. Auch die tägliche Praxis und die äußere Gestalt predigen. Die Kirchen besitzen Land und betreiben zahlreiche Einrichtungen, etwa Gemeinde- und Tagungshäuser, Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ... Es gibt zu vielen Aspekten der Nachhaltigkeit im Raum der Kirche wichtige Vorreiter und gute Pilotprojekte ... Aber nachhaltige Entwicklung, die als Wesensmerkmal kirchlicher Arbeit begriffen wird, verlangt weitergehende Anstrengungen. Eine ‚gute fachliche Praxis‘ für nachhaltige Entwicklung muss in allen kirchlichen Einrichtungen zur Selbstverständlichkeit werden und in den täglichen Auftrag eingehen.“[2]
Konzepte für die Umsetzung nachhaltiger Vorstellungen bietet das Modellprojekt „Kirchliches Umweltmanagement“[3]. Ein gutes Beispiel dafür, wie die zentrale Verwaltung einer Landeskirche mit einem klaren Konzept und vielen kleinen Schritten zur Bewahrung der Schöpfung beitragen kann, ist die „Umwelterklärung 2001“ des Evangelischen Oberkirchenrates in Stuttgart. Von der Durchführung von Dienstfahrten mit der Bahn oder dem Auto über den Energieverbrauch in den Verwaltungsgebäuden bis zum Umgang mit Abfällen werden für zahlreiche Bereiche eine Bilanz unter ökologischen Gesichtspunkten erstellt und Veränderungen verwirklicht.[4]
Für Christinnen und Christen gibt das Ziel eines Lebens in Fülle den vielen kleinen Schritten, die jeder für sich genommen so winzig erscheinen, einen tieferen Sinn. Das bewahrt auch vor Resignation. Ein lokales Handeln mit einer globalen ökumenischen Perspektive kann vor vielen Fehlern bewahren. Ein Beispiel: Es gibt Fälle, wo in Deutschland gesammeltes Altglas auf verschlungenen Wegen in Ländern wie Indonesien aufgetaucht ist und dort den lokalen Sammlern von verwertbarem Müll das Leben schwer macht. Wenn dies keine Einzelfälle sein sollten, bedarf das „duale System“ der Müllverwendung einer kritischen Analyse. Hier Altglas zu sammeln, das dann den Armen im Süden die Existenzgrundlage nimmt, ist ein Schritt in die falsche Richtung.
Dieser und andere Skandale machen es dringend erforderlich, die Aktivitäten der Unternehmen des „dualen Systems“ einer systematischen kritischen Überprüfung zu unterziehen. Dazu gehört es auch, die Arbeits- und Lohnbedingungen in den Betrieben, in denen der Müll sortiert wird, genauer zu überprüfen. Dies spricht nicht gegen eine Wiederverwendung von Glas, Plastik etc., sondern soll aufdecken und verhindern, dass „schwarze Schafe“ den Gedanken der Wiederverwendung von Materialien diskreditieren, Menschen ausbeuten und Schaden im Süden der Welt anrichten.
Es gibt viele Fälle, in denen die Einbeziehung globaler ökologischer und sozialer Fragen in kirchlichen Entscheidungsprozessen rasch und problemlos zu überzeugenden Lösungen führt. So schenken inzwischen viele Kirchengemeinden bei ihren Veranstaltungen fair gehandelten Kaffee aus ökologischem Anbau aus. Der Blumenschmuck in der Kirche sollte aus lokalen Gartenbaubetrieben stammen oder zumindest fair gehandelt sein. In den bisherigen Kapiteln sind bereits zahlreiche weitere Beispiele dafür gegeben worden, wie Kirchen und ihre Mitglieder zur Bewahrung der ganzen Schöpfung und zur Herstellung gerechter Verhältnisse beitragen können. Dadurch können Zeichen gesetzt werden, und es kann vorgelebt werden, dass ein anderes Leben und eine andere Globalisierung möglich sind.
Für Kirchengemeinden kann es sinnvoll sein, einen Ausschuss einzusetzen, der vom WC-Papier bis zum Neubau eines Pastorats alles darauf überprüft, ob es unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Solche Maßnahmen führen nicht unbedingt zu Kostenerhöhungen, wie sich zum Beispiel bei Energieeinsparmaßnahmen zeigt.
Ein eigenes Kapitel ist der Umgang mit Fragen der Mobilität in der Gemeinde und in kirchlichen Einrichtungen. Wie viele Dienstfahrzeuge braucht eine Gemeinde, ein Kirchenkreis und eine diakonische Einrichtung, welche Fahrten lassen sich mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln durchführen? Kann die Reise des Chores nach Rom mit der Bahn statt mit dem Flugzeug durchgeführt werden, selbst wenn dies nicht preiswerter ist? Wenn über solche Fragen intensiv in der Gemeinde debattiert wird, ist das ein wichtiger erster Schritt zu einem verantwortlichen Mobilitätsverhalten.
In den Blick kommen muss auch der Umgang der Gemeinde mit ihrem Geld. Das Streben nach hohen Renditen verleitet viele Finanzverantwortliche in Kirchengemeinden und Kirchenämtern dazu, ethische, soziale und ökologische Gesichtspunkte bei der Geldanlage hintan zu stellen. Tatsächlich führen solche konventionelle Anlageformen keineswegs immer zu hohen Renditen, eindrucksvoll belegt durch die Talfahrt der Aktienkurse in den letzten Jahren. Umgekehrt darf aber auch nicht die Illusion bestehen, mit ethisch verantwortbaren Anlageformen garantiert höhere Renditen zu erzielen. Ein Beispiel dafür ist die Anlage von Geldern bei der Ökumenischen Kreditgenossenschaft Oicokredit. Ökofonds sind kritisch darauf zu überprüfen, ob sie tatsächlich den gesetzten ökologischen und ethischen Kriterien entsprechen.[5]
[1] Vgl. u. a. Evangelisches Missionswerk in Deutschland: Wege zu einer gerechten Gesellschaft, Beiträge engagierter Buddhisten zu einer internationalen Debatte, (Weltmission heute 23), Hamburg 1996
[2] Zitiert nach: epd-Dokumentation, 30/2002, S. 11
[3] Vgl. epd-Dokumentation 30/2002, S. 47ff.
[4] Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart: Umwelterklärung 2001, Stuttgart 2002
[5] Vgl. u. a. Antje Schneeweiß: Kursbuch Ethische Geldanlage, Frankfurt am Main 2002 sowie verschiedene Publikationen von Südwind – Institut für Ökonomie und Ökumene, Lindenstraße 58-60, 53721 Siegburg,