Thesen zur Verantwortung der Ökumene für eine andere Globalisierung  

 

1 Die Kluft zwischen Arm und Reich, die durch die Globalisierung verschärft wird, bedroht nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern auch die Gemeinschaft in der Kirche und zwischen den Kirchen. Diese soziale Kluft muss in den Kirchengemeinden, den einzelnen Kirchen und der weltweiten Ökumene stärker zum Thema gemacht werden. Dadurch wird die Grundlage dafür geschaffen, als Kirche überzeugend vorzuleben, wie das Teilen von Brot und Wein auch Konsequenzen für das Alltagsleben hat.

 

2 Ein Schritt auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung besteht darin, verbindliche Formen des ökumenischen Teilens zwischen Arm und Reich zu finden. Grundlage dafür ist die Überzeugung, dass wir alle Gottes Haushalter des Reichtums dieser Welt sind.

 

3 Auf globaler Ebene gilt es, die bestehenden Formen ökumenischen Teilens auszubauen, die es ermöglichen, dass die Empfänger der Gelder gleichberechtigt über deren Verwendung entscheiden können. Dafür ist eine Verbesserung dieser ökumenischen Instrumente erforderlich, aber auch eine Änderung der Einstellung in vielen Kirchen, die Mittel für Entwicklungs- und Missionsaufgaben zur Verfügung stellen. Frauennetzwerke wie die „Fellowship of the Least Coin“ können zum Vorbild für ein solches ökumenisches Teilen sein.

 

4 Ökumenisches Teilen kann weder auf lokaler noch auf globaler Ebene eine exklusiv christliche Angelegenheit sein. Vielmehr eröffnet das Teilen von Gütern die Möglichkeit zu einer intensiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit über religiöse Grenzen hinweg. Es muss wahrgenommen werden, wie religiöse Unterschiede in vielen Gesellschaften mit großen Unterschieden im Zugang zu Einkommen und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten korrespondieren. Angesichts der globalen Migrationsbewegungen wird es darauf ankommen, das Konfliktpotenzial solcher Unterschiede zu erkennen und sozialen Frieden und religiöse Harmonie gleichermaßen anzustreben.

 

5 Der ökumenische Beitrag zu einer anderen Globalisierung muss auf der lokalen Ebene verankert sein. Kirchengemeinden können vorleben, was es bedeutet, so zu wirtschaften, dass die Schöpfung geschont und ungerechte Verhältnisse abgebaut werden. Es gibt hierfür zahlreiche ermutigende Beispiele, aber es ist noch erforderlich, ein solches Wirtschaften zur Selbstverständlichkeit in allen Gemeinden zu machen und dabei globale Gesichtspunkte einzubeziehen.

 

6 Christinnen und Christen können dadurch, wie sie mit dem Reichtum der Schöpfung umgehen, zeigen, dass ein Leben jenseits der „Gesetze“ des Marktes und der Akkumulation möglich ist. Die Kirchen können solche Bestrebungen nicht nur durch Predigt und Gemeindearbeit fördern, sondern auch dadurch, dass es den Einzelnen erleichtert wird, die Übersicht über ethisch verantwortliche Formen der Geldanlage und des Einkaufs zu behalten.

 

7 Der Umgang mit dem „wir“ in den Kirchen muss neu durchdacht werden, wenn es um Fragen des Lebensstils und Wirtschaftens geht. Weder dürfen die Unterschiede bei der Verschwendung von Ressourcen und der Belastung der Umwelt hinter dem „wir“ verborgen werden, noch können wohlmeinend andere mit dem „wir“ vereinnahmt werden, wo die persönliche Entscheidung gefragt ist. Aus der Bibel lässt sich lernen, wie persönliche Entscheidungen für den richtigen Weg und ein gemeinsames Engagement in der Gesellschaft einander ergänzen.

 

8 Angesichts der Dramatik vieler globaler Probleme erscheint die eigene Verhaltensveränderung nicht selten als vergeblich. Gemeinsames Engagement auf lokaler Ebene und Mitwirkung an der weltweiten ökumenischen Bewegung können die vielen kleinen Einzelschritte einbinden in eine Vision von einem anderen Leben und den Weg zu dessen Verwirklichung. Christinnen und Christen wissen, dass sie auf diesem Weg auf Gottes Unterstützung hoffen und vertrauen können. Ein Engagement für eine andere Globalisierung ist glaubwürdig, wenn es durch den eigenen Lebensstil und das eigene Wirtschaften bekräftigt wird.

 

9 Um das bestehende internationale Wirtschafts- und Finanzsystem im Interesse der „Verlierer“ der Globalisierung und der Schöpfung zu verändern, ist ein ökumenisches Engagement in der nationalen und internationalen Politik notwendig. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit der übrigen Zivilgesellschaft und auch mit jenen Politikern und Regierungen erforderlich, die sich für eine andere Globalisierung einsetzen.

 

10 Angesichts der globalen Machtverteilung haben die Kirchen im Norden eine besondere Verantwortung, sich durch Lobby- und Advocacyarbeit sowie durch Kampagnen für Anliegen der Armen im Süden einzusetzen. Der Prozess der Globalisierung führt dazu, dass die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme in verschiedenen Teilen der Welt einander immer ähnlicher werden und vor allem immer stärker miteinander zusammenhängen. Deshalb ist das Engagement für die Anliegen der Menschen im Süden der Welt sehr oft unlösbar verbunden mit einem Eintreten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die Schöpfung im eigenen Land und am eigenen Ort.

 

11 Die weltweite ökumenische Bewegung kann ein Beispiel dafür geben, wie eine Globalisierung aussehen kann, in der nicht Herrschaft und  Bereicherung  das  Zusammenleben prägen, sondern eine Geschwisterlichkeit, die alle einbezieht und allen ein Leben in Fülle ermöglicht. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht die ökumenische Bewegung die gegenseitige Anerkennung als Kirche und das gemeinsame Engagement für die Ziele des konziliaren Prozesses, also Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.

 

12 Angesichts einer globalen Situation, die als Kampf zwischen Gott und Mammon zu verstehen ist, bedarf es einer engen und verbindlichen ökumenischen Zusammenarbeit aller, die sich als Teil der einen Kirche Christi in der Welt verstehen und die sich für diese Schöpfung und alle Mitmenschen einsetzen wollen. Ökumene ist eine Gemeinschaft in Vielfalt, die die Vielfalt der Welt schätzt und bewahren will. Diese Vielfalt und die Sorge füreinander sind Zeichen einer anderen Globalisierung, an der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen mitarbeiten und die immer deutlicher Gestalt gewinnt. Es ist die Mission der Kirchen und ihrer Mitglieder, um Gottes und der Menschen willen an diesem Prozess mitzuwirken.

 

 © Frank Kürschner-Pelkmann