Samuel Kobia
Samuel Kobia © Peter Williams/WCC

Kobia, Samuel - ÖRK-Generalsekretär mit einer Botschaft der Hoffnung

 

„Eine Welt, in der so viel Ungleichheit, Gewalt und so große Unterschiede beim Zugang zu Ressourcen bestehen, ist eine ungerechte Welt, und wenn es um das Verhältnis dieser Ungerechtigkeit zur Würde der Menschen geht, dann kommen Spiritualität und Gerechtigkeit zusammen." Dies sagte mir der Generalsekretär des Ökumenische Rates der Kirchen Dr. Samuel Kobia im Frühjahr 2006 in einem Interview für die Zeitschrift „eins-Entwicklungspolitik“. [1]

 

Samuel Kobia wurde am 28. August 2003 als erster Afrikaner zum ÖRK-Generalsekretär gewählt. Es wurde ein afrikanischer Kirchenführer in dieses Amt gewählt, der in derjenigen afrikanischen Tradition zu Hause ist, die dem Oberhaupt einer Familie oder eines Dorfes nur begrenzte Macht zugesteht und von ihm erwartet, dass er die Gemeinschaft zusammenhält. Samuel Kobia ist jemand, der den Menschen rechts und links von sich zuhört, der abwägt und dann versucht, gemeinsame Positionen herauszuspüren und diese zu formulieren.

 

Das hebt Samuel Kobia positiv von so manchen anderen afrikanischen Kirchenführern ab, die scheinbar bruchlos autoritäre Elemente afrikanischer Traditionen mit dem aus Europa importierten Bischofsamtes verbinden. Mit Samuel Kobia wurde also ein Vertreter jenes Teils der ökumenischen Bewegung in Afrika an die Spitze des ÖRK gewählt, der für eine Geschwisterlichkeit eintritt, die den Menschen zum Menschen macht (auf Zulu „Ubuntu“), wobei gerade Frauen einbezogen werden.

 

Bald nach seiner Wahl zum ÖRK-Generalsekretär sagte Kobia in einem Interview: „Mir wird immer klarer, dass das Wichtigste, was die Welt und die Menschheit heute braucht, Brücken sind, die die Menschen miteinander verbinden und zusammenführen. Überall sehen wir, dass Menschen und Beziehungen zerbrochen sind … Ich möchte, dass der ÖRK sowohl Brückenbauer als auch Brücke ist und so die Menschen miteinander verbindet und es ihnen erlaubt, mit anderen in Verbindung zu treten."

 

Vielseitig gebildet und ökumenisch engagiert

 

Sam Kobia, wie ihn seine Freunde in der Ökumene nennen, wurde am 20. März 1947 in Miathene geboren. Er ist also etwas älter als der Ökumenische Rat der Kirchen, den er von 2004 bis 2009 leitete. Er ist in seiner kenianischen Heimat fest verwurzelt und kennt sich zugleich in der weltweiten Kirche aus. Er gehört der Methodistischen Kirche von Kenia an und machte seine ersten ökumenischen Erfahrungen, als er am interdenominationellen St. Paul's United Theological College in der Nähe von Nairobi studierte. Nach dem theologischen Diplom setzte er seine theologischen Studien in den USA fort und wurde danach l974 zum Berater im Bereich Dienst in der Arbeitswelt im Nationalen Kirchenrat Kenias berufen. 1976 kehrte er in die USA zurück und erwarb einen MA-Grad im Studienfach Stadtplanung am renommierten Massachusetts Institute of Technology.

 

1978 wurde Samuel Kobia zum Leiter des Arbeitsbereichs Kirchlicher Dienst im Stadt- und Landbereich des ÖRK in Genf berufen. Hier engagierte er sich in einem weltweiten ökumenischen Netzwerk dafür, dass Menschen den Alltag und die Nöte der an den Rand Gedrängten teilen, sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken und mit ihnen aus dem Glauben heraus für eine umfassende Befreiung eintreten. Das Stichwort Befreiung taucht immer wieder in den Reden und Aufsätzen des kenianischen Theologen auf und ist unlösbar verbunden mit einer tiefen Frömmigkeit.

 

Kritik an der bisherigen Entwicklungsarbeit

 

1984 kehrte Samuel Kobia in seine Heimat zurück und übernahm die Leitung der Entwicklungsabteilung des Kirchenrates von Kenia. Diese Arbeit hat ihn zurückhaltend gegenüber den herkömmlichen Entwicklungsprojekten gemacht, auch gegenüber alten Formen kirchlicher Entwicklungsarbeit. Ende 2000 sagte er bei einer Tagung in der Missionsakademie in Hamburg: „Es ist notwendig, eine kritische Analyse der Schuld vorzunehmen, die die ,Entwicklungsideologen' den Armen gegenüber haben. Die Armen sind mit einer Hacke in der Hand in die Entwicklungsarena gestiegen und sind mit einer Hacke in der Hand wieder herausgekommen, nur diesmal mit einem zerbrochenen Stiel. Die Moderne, einschließlich der ökumenischen Bewegung, schuldet den Armen eine Entschuldigung dafür, dass sie ihre Hoffnung vergeudet hat."

 

Viele Organisationen und Experten, die den Armen eine Überwindung ihres Elends durch Entwicklung versprachen, hätten nur zur Entmachtung dieser Menschen und zu einer Zerstörung von Traditionen beigetragen. Es könne keine Entwicklung ohne Solidarität und wirkliche Partnerschaft geben, ist Samuel Kobia überzeugt. Ganz wichtig ist ihm dabei die Befreiung der Frauen.

 

Engagement für Demokratie und Menschenrechte in Kenia

 

Für die Anliegen der Frauen hat sich Samuel Kobia auch eingesetzt, als er 1987 zum Generalsekretär des Kirchenrates von Kenia gewählt wurde.  Dort förderte er den Aufbau einer der aktivsten und profiliertesten kirchlichen Frauenabteilungen in Afrika. Ein anderes Augenmerk lag in dieser Zeit auf politischem Gebiet. Kenia wurde damals vom autoritären Regime unter Präsident Daniel Arap Moi regiert, der versuchte, das zarte Pflänzchen Demokratie zu vernichten. Kirchliche Persönlichkeiten wagten es, mutig für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Das war nicht ungefährlich. Ein Bischof kam unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall ums Leben, ein anderer konnte gerade noch fliehen, als sein Haus überfallen wurde.

 

Das hielt Samuel Kobia nicht davon ab, öffentlich freie und faire Wahlen zu fordern und soziale Missstände deutlich beim Namen zu nennen. Das hat ihm den Zorn des Präsidenten und der Regierungspolitiker eingebracht, aber auch viel Anerkennung und Vertrauen in der Bevölkerung. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 1992 leitete er das Nationale Wahlbeobachtungsprogramm, das mit breiter nationaler und internationaler Unterstützung entstand, um Wahlmanipulationen zu verhindern.

 

Berufung zum ÖRK-Generalsekretär

 

1993 zog Samuel Kobia mit seiner Frau Ruth und seinen vier Kindern nach Genf und übernahm die Leitung der Abteilung für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Er wurde zu einem der wichtigsten Berater von Generalsekretär Konrad Raiser und zur Verbindungsperson des ÖRK zu den afrikanischen Kirchen. Von 2003 an leitete Kobia die große ÖRK-Abteilung „Themen und Programmbereiche".

 

Dass er anschließend zum ÖRK-Generalsekretär gewählt wurde, hat in den afrikanischen Kirchen Freude ausgelöst und wurde als ein Zeichen dafür gewertet, dass zumindest die Ökumene den afrikanischen Kontinent nicht abgeschrieben hat. Zum Verständnis seines Amtes als ÖRK-Generalsekretär sagte der kenianische Theologe gleich nach seiner Wahl: „Als Generalsekretär werde ich mich als Kapitän eines Teams betrachten. Jedes Mitglied des Teams ist wertvoll, weil wir nur mit Beteiligung aller Erfolg haben können.“ Kobia übernahm die Leitung der Gemeinschaft von damals 348 evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen in einer Phase des Umbruchs.

 

Die eher leiseren Töne des kenianischen Theologen und sein eher nachdenkliches als forsches Auftreten sollten nicht mit einer „moderaten“ Haltung verwechselt werden. Samuel Kobias Kritik an der Politik westlicher Großmächte, aber auch afrikanischer Regime ist in der Sache scharf. Bei seiner Kritik spart er auch die Kirchen nicht aus. So hat er kritisiert, dass sie zu lange geschwiegen und sich nicht entschlossen genug des Aids-Problems angenommen haben. Die Kirchen in aller Welt bedürfen nach Auffassung Kobias der Umkehr: Sie haben dazu beigetragen, eine Welt aufzubauen, in der Unrecht, Unterdrückung und Ausbeutung sich verfestigt haben.

 

Die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt bildete einen Schwerpunkt der ÖRK-Tätigkeit unter Samuel Kobia. Das war Grund genug für ihn, sich schonungslos mit den Ursachen wachsender Gewalt in Afrika auseinanderzusetzen und dabei am Ende doch immer wieder Zeichen der Hoffnung zu entdecken.

 

Vielleicht kann man ihn als einen Theologen der Hoffnung bezeichnen. Eines seiner Bücher hat den Titel „Courage to Hope“. Mut zu hoffen. Samuel Kobia schreibt darin: „Afrikanerinnen und Afrikaner haben die Fähigkeit, Freude am Leben zu haben inmitten des Todes, und zu hoffen in Situationen, die hoffnungslos erscheinen.“

 

Unrecht muss beim Namen genannt werden

 

Hoffnung entsteht für ihn aus dem Glauben, nicht aus dem Ignorieren der Realität. Deshalb hat Samuel Kobia sich auch mit deutlichen Worten zu Unrecht und Missständen in anderen Teilen der Welt geäußert. Im Februar 2007 erklärte er zum Beispiel in Bangalore/Indien im Blick auf die Diskriminierung der Dalits: „Südafrika hat die Apartheid abgeschafft, und es ist eine Sünde, dass sie im Indien des 21. Jahrhundert weiterbesteht.“

 

Im Blick auf den Irak warnte er einen Monat später vor noch mehr Blutvergießen und Zerstörung, da „die Verfechter dieses tragischen Krieges auf ihrer militärischen Option verharren“. 2003 habe „politische Waghalsigkeit und Überheblichkeit über Vernunft und gesunden Menschenverstand triumphiert“. Und wieder einen Monat später mahnte Kobia bei einem Besuch in Wales die Kirchen in Europa. sich noch stärker in die Migrationspolitik einzumischen: „Weil jeder und jede nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, muss die Migration die Kirchen dazu herausfordern, an der Überwindung von jeder Form von Unrecht. Diskriminierung und Geringschätzung beizutragen, die diesen Menschen entgegengebracht wird.“

 

Immer wieder bezog der ÖRK-Generalsekretär klare Positionen zu globalen Unrechtsstrukturen und vorherrschender Globalisierung. So schrieb er in seinem Buch „Zur Hoffnung berufen“: „Gott hat uns das Geschenk des Lebens gemacht, und wir haben es missbraucht. Menschliche Habgier und menschlicher Machthunger haben Strukturen geschaffen, die Menschen zu einem Leben in Armut zwingen … Die Globalisierung bringt uns einander näher als jemals zuvor – und verschärft gleichzeitig die ungleiche Verteilung von Macht und Wohlstand.“ [2]

 

Diese globale Situation stellt die Ökumene vor große Aufgaben: „Als Kirchen sind wir aufgerufen, angesichts dessen, was wir in dieser Welt als falsch erkannt haben, gemeinsam zu planen, gemeinsam zu sprechen und gemeinsam aktiv zu werden. Der Glaube an Gottes Ruf zu einem Leben in Fülle bedeutet vor allem, einzutreten für die Würde des Menschen und für die Rechte der Armen, sich aus ungerechten Lebensbedingungen zu befreien.“ [3]

 

Die ökumenische Bewegung braucht einen Neuanfang

 

Als nachdenklicher, auf Konsens zielender und doch in der Sache entschiedener afrikanischer Theologe war Kobia als ÖRK-Generalsekretär bemüht, die ökumenische Bewegung neu zu beleben und gleichzeitig zu erweitern. Eines seiner Ziele sah er darin. den Dialog mit Pfingstlern und Evangelikalen voranzubringen, ebenso mit der römisch-katholischen Kirche. Auch die Zusammenarbeit mit den Orthodoxen gelte es zu festigen.

Sein Vorgänger Konrad Raiser hatte den Auszug der Orthodoxen aus dem Rat verhindern können, einer seiner großen Verdienste. Die Orthodoxen setzten aber durch, dass ein Konsensverfahren in die Entscheidungsprozesse des ÖRK eingeführt wurde, sie also bei wichtigen Fragen nicht überstimmt werden können. Das macht es nicht leichter, in kontroversen Fragen zu einer klaren Position zu gelangen.

 

Dieses Konsensverfahren wurde von deutschen Delegierten und Beobachtern kritisch bewertet, so von der damaligen hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann. Am 23. Februar 2006 erschien ein Interview mit ihr in der „Süddeutschen Zeitung“, in der sie u.a. sagte: „Im Plenum wird versucht, Konflikte möglichst zu vermeiden. Der Weltkirchenrat braucht aber die offene Diskussion. Den Konsensdruck, der hier herrscht, finde ich schwer erträglich.“

 

In anderen deutschen Beiträgen nach der Vollversammlung in Porto Alegre 2006 war die Rede von einer Krise, sogar von einem Totengesang des ÖRK, und es wurde die Frage gestellt: Wird der Ökumenische Rat der Kirchen noch gebraucht? In der ökumenisch engagierten Zeitschrift “Publik-Forum“ lautete die Überschrift eines Beitrags über die Vollversammlung in Porto Alegre: „Untergang auf Raten? Kein Aufbruch, keine Konzepte: Der Weltrat der Kirchen muss sich nach Porto Alegre fragen lassen, welche Rolle er in Zukunft spielen will“.

 

Auch Samuel Kobia stand dem ökumenischen Status quo nicht nur des ÖRK kritisch gegenüber. So schrieb er in seinem Buch „Zur Hoffnung berufen“: „Die weltweite ökumenische Bewegung besteht in den ersten Jahren des dritten Jahrtausends aus einer komplexen und komplizierten Ansammlung von Institutionen, die in zunehmendem Maße Schwierigkeiten haben, eine Antwort auf Jesu Ruf nach Einheit zu finden, und die sich nur mühsam auf die Veränderungen einstellen können, die angesichts der globalen Situation im 21. Jahrhundert erforderlich sind. Die ökumenische Bewegung wird zu oft durch institutionelle Eigeninteressen paralysiert. Sie ist kein lebendiger Organismus mehr, sondern eine Struktur, die immer weniger ein Mittel zum Zweck ist, sondern ein Eigenleben entwickelt.“[4]

 

Samuel Kobia hat diesen Stillstand der ökumenischen Bewegung nicht beenden können, aber das ist ihm nicht allein vorzuwerfen, sondern auch den Kirchen, die häufig wenig Engagement für die Ökumene und ihre Institutionen entwickeln. Im ÖRK zeigten sich die Schwächen dieses kirchlichen Zusammenschlusses unter Generalsekretär Kobia noch deutlicher als unter seinen Vorgängern. Das Konsensprinzip machte es nicht eben leichter, einen ökumenischen Aufbruch zu erreichen – und da waren dann auch noch die zunehmenden Finanzprobleme, die es sehr erschwerten, Programme zu gestalten, die weltweite eine große Wirkung entfalten konnten. Es kann nicht verwundern, dass die Kritik an der Arbeit des ÖRK und seines Generalsekretärs zunahm und dies besonders in Deutschland.

 

Kritik aus Deutschland am ÖRK-Generalsekretär

 

In einem Interview mit dem „Evangelischen Pressedienst“ vom 7. Februar 2008 kritisierte Bischof Martin Hein (Kurhessen-Waldeck), der dem ÖRK-Zentralausschuss angehörte: „Der ÖRK nimmt eigentlich zu allem Stellung. Eine kleine UNO muss der Weltkirchenrat aber nicht sein.“ [5] Öffentlich wahrgenommen werde der ÖRK wenig. Bischof Hein plädierte für eine Reduzierung der Programme des ÖRK und eine stärkere Vermittlung der Arbeit in der Öffentlichkeit. Auch müsse der ÖRK intern effizienter werden. Generalsekretär Samuel Kobia kritisierte er, dieser wäre zu wenig in Genf präsent: „Ich wundere mich manchmal, wie häufig der Generalsekretär unterwegs ist.“

 

Beunruhigen musste die Ankündigung von Bischof Martin Hein in dem epd-Interview, dass die deutschen Kirchen ihre Finanzbeiträge zum ÖRK zurückfahren würden. „Auf Dauer kann es nicht angehen, dass rund ein Drittel der Kosten des Ökumenischen Rates ausschließlich aus Deutschland bestritten wird.“ Bisher hatten die deutschen Kirchen und kirchlichen Entwicklungseinrichtungen ihren Finanzanteil am Budget des ÖRK sowie anderer ökumenischer Organisationen und Programme auf ein Drittel begrenzt, diesen Anteil aber nicht infrage gestellt (außer in Ausnahmefällen im Blick auf einzelne Programme).

 

Der hohe deutsche Anteil spiegelt wider, dass die deutschen Kirchen dank des Kirchensteuersystems finanziell besser dastehen als die meisten anderen ökumenisch orientierten evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen auf der Welt. Diese Kirchen haben zudem das Problem, dass das Kollekten- und Spendenaufkommen für weltweite ökumenische Aufgaben in vielen Fällen sehr begrenzt ist. Die Infragestellung des Drittels aus Deutschland konnte deshalb die ÖRK-Finanzierung im Kern gefährden.

Im Rückblick hat Bischof Hein 2018 seine Kritik und deren Folgen so kommentiert: „Der Wechsel des Generalsekretärs Samuel Kobia zu Olav Fyske Tveit wurde ursächlich mit mir in Verbindung gebracht, weil ich mich in einem Interview kritisch zur Amtsführung geäußert hatte. Ich hatte das als sachlichen Beitrag einer bereits bestehenden Debatte verstanden. Es ist übrigens das einzige Mal, dass ich es bis in die Washington Post geschafft habe: Die deutsche Delegation im ÖRK und vor allem Bischof Hein hätten massive Kritik geäußert, und dies habe zu einer Stimmung gegen Samuel Kobia und letztlich zu seinem Rücktritt geführt. Da hat man mir zu viel Einfluss zugemessen!“ [6]

 

Aber wenn das ranghöchste Zentralausschuss-Mitglied der finanzstarken EKD den ÖRK und seinen Generalsekretär sehr deutlich kritisiert und eine Reduzierung der Finanzbeiträge ankündigt, ist der Einfluss nicht eben gering. Dies um so mehr, wenn die Kritik in Medieninterviews geäußert wird. Auf eine Anfrage des epd hin äußerte sich Generalsekretär Kobia zu der Kritik von Bischof Hein und wies u.a. darauf hin, dass seine Besuche von Mitgliedskirchen von Zentralausschussmitgliedern ausdrücklich als Rückenstärkung für die Ökumene vor Ort gewürdigt worden seien. Einige Reisen seien durch Krisensituationen wie zum Beispiel in Eritrea erforderlich geworden. Die Neukonzipierung der ÖRK-Programmarbeit sei auf einem guten Wege.[7]

 

Verzicht auf eine zweite Amtszeit

 

Während der ÖRK-Zentralausschusssitzung im Februar 2008 gab Samuel Kobia bekannt, er stehe aus „persönlichen Gründen“ nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. Das nahm der Zentralausschuss mit Bedauern zur Kenntnis. Martin Schindehütte, der Auslandsbischof der EKD reagierte mit Verständnis und Respekt auf die Entscheidung Kobias. Er äußerte: „Ich glaube, dass es eine richtige Entscheidung war.“ Dies eröffne neue Perspektiven und Möglichkeiten für den ÖRK. [8]

 

Er fügte hinzu: „Natürlich gibt es ganz viele Menschen in Afrika oder in Asien, die in ihm eine große Identifikationsfigur gesehen haben, und für die war es besonders schmerzlich, dass er diese Entscheidung getroffen hat.“ Daraus könnte man schließen, dass es auch Weltregionen gab, in denen der Rückzug Kobias weniger schmerzlich wahrgenommen wurde. Bischof Schindehütte verwies auch darauf, dass man die persönlichen Gründe Kobias respektieren müsse.

 

Da vom ÖRK-Zentralausschuss kurzfristig kein neuer Generalsekretär berufen werden konnte, erklärte Samuel Kobia sich bereit, seine Tätigkeit als ÖRK-Generalsekretär bis Ende 2009 fortzuführen. Ende September 2009 verabschiedete sich der ÖRK-Zentralausschuss vom bisherigen Generalsekretär. Bernice Powell Jackson, die Präsidentin des Ökumenischen Rates der Kirchen in Nordamerika, bekannte in einer Predigt: „Es ist für mich eine große Ehre, Ihnen heute die Liebe, Dankbarkeit und den Respekt sehr vieler Menschen rund um den Globus auszudrücken.“[9] Der mennonitische Theologe Fernando Enns aus Hamburg erklärte, Kobia sei auf dem besten Wege zum „ökumenischen Helden“, da er seine Tätigkeit stets mit einem leidenschaftlichen Eintreten für Diakonie und Spiritualität verbunden habe.“

 

Neue Aufgaben in Kenia

 

Nach dem Ende seiner Tätigkeit für den ÖRK kehrte Samuel Kobia nach Kenia zurück. Dort übernahm er verschiedene ökumenische Aufgaben. So diente er mehr als ein Jahrzehnt lang der kirchlichen St. Paul’s University als Kanzler. 2010 berief ihn die Allafrikanische Kirchenkonferenz, der Zusammenschluss evangelischer, anglikanischer und orthodoxer Kirchen in Afrika, zum Ökumenischen Sonderbotschafter für den Sudan. Schon während seiner Tätigkeit für den Nationalen Kirchenrat Kenias hatte er sich intensiv für Frieden und Versöhnung in diesem seit Jahrzehnten zerrissenen und von Bürgerkriegen heimgesuchten Land bemüht.

 

Die „National Cohesion and Integration Commission berief Samuel Kobia zu ihrem Vorsitzenden. Diese von der Regierung eingesetzte Kommission soll nationale Identität und Werte fördern, ethnisch motivierter Gewalt entgegentreten, Diskriminierung auf ethnischer, rassischer und religiöser Basis beseitigen und nationale Versöhnung und Heilung fördern.

Auf seiner langjährigen ökumenischen Reise ist Samuel Kobia hoffnungsvoll geblieben und hat eines seiner Bücher als ÖRK-Generalsekretär nicht ohne Grund „Zur Hoffnung berufen“ genannt: „Auf meinen Reisen in alle Regionen der Welt wurde ich immer wieder Zeuge solch überraschender Hoffnungszeichen. An Orten, wo menschlich betrachtet nur Tod und Verzweiflung sichtbar sind, feiern Menschen das Leben. Es ist diese Gabe, miteinander zu feiern und das Leben in Gemeinschaft zu stärken, die Afrika vor dem Zusammenbruch bewahrt … Als Christ erkenne ich in diesen Momenten, die Leben verwandeln und in denen ein Hoffnungsfunke Realität wird, die Gottesgabe der Gnade. Vor diesem Hintergrund träume ich von einer ökumenischen Bewegung als Bewegung von Menschen, die Boten der Gnade Gottes sind, als ein Volk, das einander offen begegnet und die Gegenwart Christi und die Gnade Gottes im Gegenüber erkennt.“ [10]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 


[1] „Spiritualität und das Engagement für Gerechtigkeit gehören zusammen“, Interview mit Samuel Kobia, in: eins-Entwicklungspolitik, 13-14/2006, S. 63-65

[2] Samuel Kobia: Zur Hoffnung berufen, Frankfurt am Main 2008, S. 22f.

[3] Ebenda, S. 23

[4] Ebenda, S. 43

[5] Bischof Hein bemängelt Effizienz und Führung in Genfer ÖRK-Zentrale, epd-Interview, 7.2.2021, noch verfügbar auf der Website der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck Aktuell | Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck (ekkw.de)

[6] „Es geht um ein gemeinsames Zeugnis“, Interview mit Bischof Prof. Martin Hein, Blick in die Kirche, 3-2018

[7] Vgl. Dankbarkeit und Erklärungen, ÖRK-Meldung vom 14.2.2008

[8] ÖRK-Generalsekretär Kobia zieht Kandidatur zurück, Evangelischer Pressedienst, 19.2.2008

[9] Zentralausschuss nimmt Abschied von Generalsekretär Samuel Kobia, Pressemeldung des ÖRK, 31.8.2009

[10] Samuel Kobia: Zur Hoffnung berufen, a.a.O., S. 18