[10] Vgl. u. a. Walter Schmithals: Weihnachten, Göttingen 2006, S. 23 und Friedrich Fechter/Luzia Sutter Rehmann: Jungfrau, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, S. 286  [11] Vgl. Thomas Hieke, „Wie es geschrieben steht“, in: Wei
Gemälde der Unbefleckten Empfängnis in der Kirche Chiesa di San Agostino von Antonio Licata (1820) Foto: iStock.com/sedmak

Maria: Junge Frau oder Jungfrau?

 

Eine Gemeinsamkeit der Evangelien von Matthäus und Lukas in der Lutherübersetzung und einiger apokrypher Schriften besteht darin, dass sie herausstellen, dass Maria eine Jungfrau war, als das Jesuskind geboren wurde. In der „Bibel in gerechter Sprache“ und in weiteren Übersetzungen und Auslegungen ist hingegen von einer „jungen Frau“ die Rede. Die Evangelisten Matthäus und Lukas beziehen sich an dieser Stelle auf Jesaja 7,14. Dies ist die einzige Stelle in der Hebräischen Bibel, wo von einer Jungfrau die Rede ist, dies allerdings auch nur in der griechischen Übersetzung der Hei­ligen Schrift. Bei der Übersetzung wurde aus der „alma“, der jungen Frau, in der Hebräischen Bibel eine „parthenos“ im Griechischen, was mit Jungfrau, aber auch mit unverheirateter Frau übersetzt werden kann.[10] Zu beachten ist auch, dass die Jesaja-Prophezeiung sich nicht auf die Ankunft des erwarteten Messias und seine Geburt durch eine junge Frau bezieht, sondern es geht um die prekäre politische und militärische Lage des jüdischen Königs Ahas. In einer Situation, in der er von Feinden bedrängt war, wurde ihm prophezeit, dass seine Schwierigkeiten überwunden sein würden, bevor das Kind einer jungen Frau in seiner Umgebung, das bald geboren würde, zwischen Gut und Böse unterscheiden könnte. Dieses Kind werde die Frau Immanuel nennen, „Gott mit uns“.[11] Das traf dann, lesen wir bei Jesaja, auch tatsächlich ein. Das Prophetenwort war so formuliert, dass es im Kontext des Matthäusevangeliums auf den Messias bezogen werden konnte. Wenn man das tut, stellt Thomas Hieke, Mitarbeiter am Seminar für Altes Testament der Universität Regensburg, 2007 zu Recht fest, bleibt es allerdings ein Rätsel, warum das Kind Jesus und nicht Immanuel genannt wurde.[12]

 

Im Judentum haben die Vorstellungen von einer Jungfrauengeburt keine Wurzeln. Der jüdische Gelehrte Pinchas Lapide schreibt mit großer Bestimmtheit: „Da in der jüdischen Glaubensliteratur kein einziger Fall von Jungfrauengeburt nach göttlicher Zeugung zu finden ist, während solche Wundererzählungen zu den häufigsten Leitmotiven der griechischen Heidenwelt gehören, muss sie Lukas, der Heidenchrist, aus dem Sagengut seiner Heimat übernommen haben.“[13]

 

Dass die Jungfrauengeburt von Maria in der Kirche einen derart großen Stellenwert bekommen konnte, lag in der Konsequenz vor allem daran, dass sich diese Kirche in einem hellenistischen Umfeld ausbreitete, in dem es eine lange Tradition von Jungfrauengeburten gab.[14] Dazu schrieb Ingo Broer, emeritierter Professor für Bib­lische Theologie an der Universität Siegen, in einer katholischen Publikation über Maria: „Das Motiv der Empfängnis eines göttlichen Sohnes durch eine jungfräuliche Frau war in Griechenland bekannt … Neben Platon und Alexander findet sich die göttliche Erzeugung in weiteren Biografien großer hellenistisch-römischer Denker oder politischer Herrscher, wie etwa Pythagoras, Cäsar und Augustus. Auch in Ägypten gibt es eine Reihe von interessanten Belegen, etwa eine Bemerkung Plutarchs, in der zwar von einer göttlichen Zeugung, nicht aber von einer Geburt aus einer Jungfrau die Rede ist.“[15]

 

Dann heißt es zusammenfassend in dem Aufsatz: „Dass die Aussagen von der jungfräulichen Empfängnis mithilfe des Heiligen Geistes in Mt 1 und Lk 1 völlig unabhängig von dem hier gezeichneten religiös-kulturellen Hintergrund entstan­den sind, ist nicht wahrscheinlich. Der Blick in die umliegenden Kulturen hilft, den Sinn der Aussagen zu verstehen: Die übernatürliche Entstehung Jesu ist nach dessen Tod und Auferstehung eine plausible Erklärung für seine Göttlichkeit. Denn als göttlich hatten die Gläubigen ihn erlebt.“[16] Um es pointiert zu sagen: Die Jungfrauengeburt ist eine Erklärung, die auf dem Hintergrund hellenistischer Vorstel­lungen vom göttlichen Wirken plausibel ist. Es ist verständlich, dass die vom Helle­nismus beeinflussten Evangelisten auf diesen Erklärungsrahmen zurückgegriffen haben.

 

Die Jungfrauengeburt wurde danach in der frühen Kirchengeschichte mit einer anderen theologischen Überzeugung verbunden, der Erbsünde. Dadurch, dass Maria von keinem irdischen Mann gezeugt wurde, so die theologische Argumentation, stand sie nicht in der Kette der Sünde, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Sie war, um mit dem katholischen Theologen Wolfgang Thönissen zu sprechen, „von der verhängnisvollen Macht der Ursünde befreit“.[17] Der Kirchenvater Augustinus hatte gelehrt, dass die Erb­sünde durch die geschlechtliche Vereinigung wegen der damit verbundenen Be­gier­de auf das Kind übertragen würde.[18] So ist die Lehre von der Jungfrauengeburt Marias und der Befreiung von der Erbsünde das Ergebnis der Verbindung von hel­lenistischen und frühchristlichen Vorstellungen, die an dieser Stelle eine Symbiose eingingen, die bis heute das Bild von Maria mit prägen. Selten in der Geschichte hat ein Übersetzungsproblem, junge Frau oder Jungfrau, eine derart nachhaltige Wirkungs­geschichte gehabt, und diese Geschichte wäre ohne die Existenz eines Weltreiches und einer Ausbreitung der Anhängerschaft Jesu auf unterschiedliche Kulturen in diesem Welt­reich eventuell anders verlaufen.

 

Die Jungfrauengeburt zog eine Reihe von Fragen und Debatten nach sich, deren Beantwortung umso schwieriger wurde, je ethnisch und kulturell vielfältiger das Chris­tentum wurde. Im jüdischen Kontext war die Jungfrauengeburt nie zu Hause gewesen, und daher war es für die ersten Jesusanhänger auch ganz unproblematisch, dass Jesus vier Brüder und mindestens zwei Schwestern hatte. Der Jesusbruder Jakobus nahm eine wichtige Rolle in der Jerusalemer Urgemeinde ein und dies sicher auch deshalb, weil er ein Bruder des Jesus von Nazareth war. Auch Paulus sprach von Jakobus als „des Herrn Bruder“ (Galater 1,19). Damit, dass Jesus Brüder hatte, schien auch Paulus, Jude und zugleich in der hellenistisch-römischen Welt zu Hause, kein Problem zu haben.

 

Aber für diejenigen, die nicht im Judentum heimisch waren, dem hellenistisch-römischen Kulturraum angehörten und die Vorstellungen von Jungfrauengeburt und Erbsünde übernahmen, sah das ganz anders aus. Konnte die „unbefleckte“ Maria nach der Geburt Jesu zu einer ganz normalen Ehefrau geworden sein und mit Josef Kinder gezeugt und dann geboren haben? Im 2. Jahrhundert wurde heftig über die „immerwährende Jungfräulichkeit“ der Mutter Jesu gestritten. Letztlich setz­ten sich in der Kirche diejenigen durch, die die Geschwister Jesu entweder zu Halbgeschwistern machten, die aus einer ersten Ehe Josefs stammten, oder zu Vettern und Cousinen.[19] In einer Veröffentlichung des Katholischen Bibelwerks ist aber nachzulesen, dass die Versuche, den griechischen Begriff „adelphos“ so zu deuten, dass er neben Brüdern auch Vettern einbezog, gescheitert ist: „Ein adelphos ist immer ein Bruder gemäß dem Blut und auch von Rechts wegen.“[20]

 

Die Debatte um die Lehre von der Jungfrau Maria und ihre Konsequenzen ist ein frühes Beispiel dafür, wie eine multiethnisch und multikulturell gewordene Kirche mit Gemeinden in vielen Teilen des römischen Weltreichs vor Zerreißproben gestellt war, wenn Glaubenslehren interpretiert werden sollten. Diese Debatte hatte eine Fortsetzung: Wenn Maria ihr Leben lang „unbefleckt“ war, wie stand es dann um ihre Geburt? Und aus diesem Grunde wurde es zur vorherrschenden Auffassung, dass auch Maria von einer Jungfrau geboren worden war.[21] In der katholischen Kirche wurde die erbsündenfreie Empfängnis Marias erst 1854, also sehr spät, zu einem Dogma erhoben.[22] Dazu mehr im Themenschwerpunkt Marias.

 

Auch Martin Luther beharrte auf der Vorstellung von der Jungfrauengeburt – und wie häufiger nahm er in seine Argumentation eine Abgrenzung von „den Juden“ auf, denen gegenüber er seine eigene Position mit „uns Christen“ charakterisierte: „Die Juden sagen: Die hebräische Sprache spricht nicht von einer Jungfrau, sondern von einer jungen Dirne. Uns Christen ist die Antwort genug: Lukas und Matthäus sind im Hebräischen erfahren genug gewesen, ihre Auslegung soll uns genügen. Und sie haben im Griechischen ‚Jungfrau’ ausgelegt.“[23]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

Eine Übersicht über weitere Beiträge zu Maria finden Sie auf der Seite "Maria - die Mutter Jesu". 

 

[10] Vgl. u. a. Walter Schmithals: Weihnachten, Göttingen 2006, S. 23 und Friedrich Fechter/Luzia Sutter Rehmann: Jungfrau, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, S. 286

[11] Vgl. Thomas Hieke, „Wie es geschrieben steht“, in: Weihnachten, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2007, S. 32

[12] Ebenda

[13] Helmut Gollwitzer/Pinchas Lapide: Ein Flüchtlingskind Auslegungen zu Lukas 2, München 1991, S. 69

[14] Vgl. u. a. Jürgen Becker: Maria, Leipzig 2001, S. 135ff.

[15] Ingo Broer: Göttliche Zeugung und jungfräuliche Geburt, in: Maria und die Familie Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2009, S. 38

[16] Ebenda, S. 39

[17] Wolfgang Thönissen: Verehrung, nicht Anbetung, Zeitzeichen, 12/2007, S. 31

[18] Vgl. Sabine Bieberstein: Die Berufung einer Prophetin, Wendekreis, Dezember 2004, S. 43

[19] Vgl. Daniel Marguerat: Auf Kollisionskurs mit der Jungfrauengeburt?, in: Maria und die Familie Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2009, S. 23f.

[20] Ebenda, S. 24

[21] Simon Claude Mimouni: Über die Bibel hinaus: Geburt und Tod Marias, in: Maria und die Familie Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2009. S. 33ff.

[22] Vgl. Sabine Bieberstein: Die Berufung einer Pro­phetin, Wendekreis, Dezember 2004, S. 43

[23] Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Erster Teil, Die Weihnachts- und Vorgeschichte bei Matthäus und Lukas, Göttingen 1951, S. 77