Wasser für Petra

 

Die meisten Städte der Welt wurden dort angelegt, wo ausreichend Trinkwasser verfügbar war. Das jordanische Petra scheint eine Ausnahme zu sein. Gerade einmal 150 mm Niederschläge im Jahr werden heute hier gemessen, und viel mehr werden es auch vor zweieinhalb Jahrtausenden nicht gewesen sein. Quellen gibt es nur wenige in dem Gebiet, viel zu wenige für eine antike Großstadt mit zeitweise 20.000 bis 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Warum bauten die Nabatäer ausgerechnet in diesem Talkessel eine Stadt?

 

Die erste Antwort lautet, dass sie dort gar keine Stadt bauen wollten. Als sie hier im 4. vorchristlichen Jahrhundert erste Zelte aufstellten, bestand ihr Leben darin, mit Kamelkarawanen die Wüsten der arabischen Halbinsel zu durchqueren. Die Nabatäer brachten Weihrauch, Myrre und Gewürze von Asien ans Mittelmeer, ein sehr lukratives Geschäft, und nicht ungefährlich für alle, die die Wüste nicht kannten. Aber die Nabatäer wussten, wo es zwischen dem heutigen Jemen und der Mittelmeerküste Oasen und Quellen gab – und behielten dieses Wissen wohlweislich für sich. So konnten sie den Handel beherrschen, und eine ihrer wichtigsten Wege durch die Wüste führte an Petra vorbei, wo die wertvollen Waren sicher gelagert werden konnten.

 

Es gab aber noch einen anderen Grund für die Entstehung der Stadt, die der Archäologe Robert Wenning in der Veröffentlichung „Petra“ des Katholischen Bibelwerkes so beschrieben hat: „Die majestätische Größe der Landschaft wird tatsächlich in ihrer ganzen Wirkung am bewusstesten in Petra erfahren. Für die Nabatäer waren diese Landschaft und ihr Gott miteinander verbunden. Neben der Funktion als Stapelplatz trat die Funktion als Kultstätte, als Wohnsitz des Stammesgottes. Damit wurde Petra zugleich das religiöse Zentrum der Nabatäer und dadurch eine Art Wallfahrtsstätte, die von Nabatäern von überall her immer wieder aufgesucht wurde.“

 

Die Ebene, die einmal eine blühende Metropole des Orients werden sollte, hatte den unschätzbaren Vorteil, dass nur ein einziger Weg durch eine etwa 1,2 Kilometer lange und an einigen Stellen kaum mehr als zwei Meter breite Schlucht dorthin führt, der Siq. Deshalb war der Ort ideal als Fluchtstätte für die Nabatäer geeignet. Mit wachsendem Wohlstand wurden dort im 1. Jahrhundert v. Chr. zunächst kleine Stammesgruppen sesshaft, sicher zögernd, denn die Nabatäer liebten ihre Freiheit als Nomaden. Auf ihren weiten Reisen hatten sie nicht nur die Götter anderer Völker kennen gelernt und in ihre eigene Religion integriert, sie erwarben auch Kenntnisse im Wasserbau. Und die waren dringend notwendig, um ein Überleben und dann ein für damalige Verhältnisse luxuriöses Leben in Petra zu ermöglichen. Dazu musste das Wasser gebändigt und gespeichert werden, das bei den wenigen, aber heftigen Niederschlägen über der Region niederging.

 

Wasser im Überfluss mitten in der Wüste

 

Die Nabatäer bauten um 50 vor Chr. parallel zu ihren Steinhäusern, Paläs­ten, Grabmälern und Tempeln in Petra, inzwischen Königssitz, ein weit verzweigtes beeindruckendes System von Dämmen, Kanälen, Leitungen, Rückhaltebecken und Zisternen, um das Wasser zu lenken und zu speichern. Besonders wichtig war ein Damm vor den Eingang des Siq, der zwischen 70 Meter hohen Felswänden in die Stadt führte. Es galt zu verhindern, dass weiterhin Sturzfluten eindrangen und den Zugang in die Stadt in einen reißenden Strom verwandelten. Das Wasser vor dem Eingang der Schlucht wurde weiträumig abgeleitet, wofür auch ein etwa 100 Meter langer Tunnel in den Fels geschlagen werden musste. In den Nebentälern der Siq-Schlucht wurden kleine Dämme errichtet, die das Wasser aufhalten konnten. An verschiedenen Stellen sind noch Rückhaltebecken zu erkennen. Um Wasser in die Stadt zu leiten, wurde eine Tonröhrenleitung durch die Schlucht geführt. Außerdem fingen die Nabatäer in Felsrinnen und Zisternen die Niederschläge im Gebirge rund um die Stadt auf. Es wurde in Filterbecken gereinigt und dann in Zisternen geleitet. Zwei Jahrtausende später werden solche Systeme in Entwicklungsländern als „rain water harvesting“ propagiert.

 

Die Wasserbaumaßnahmen waren recht wartungsaufwendig, aber auch so erfolgreich, dass die Nabatäer es sich leisten konnten, geradezu verschwenderisch mit dem kostbaren Nass umzugehen und im Zentrum ihrer Stadt einen künstlichen See mit einem Inselpavillon in der Mitte und große Gartenanlagen anzulegen. Besucher, die durch die Wüste in die Stadt kamen, müssen von der üppigen Vegetation und dem Plätschern des Wassers und den Wasserkaskaden ebenso beeindruckt gewesen sein wie von den mächtigen Bauten. Die wirtschaftliche Großmacht der Nabatäer zeigte in Petra ihren ganzen Reichtum durch prächtige Gebäude und durch Wasser im Überfluss. Der Kieler Archäologe Ulrich Hübner schrieb hierüber 2004 in einem Aufsatz in dem Buch „Wasser – Lebensmittel, Kulturgut, politische Waffe“, das Wasser „wurde in Petra von den Nabatäern nicht nur als notwendiges Mittel zu Überleben genutzt, sondern zugleich als Prestige- und Luxusgut optimiert, aufwendig inszeniert und verschwenderisch verbraucht“.

 

Dieses Wasser wurde auch für kultische Handlungen verwendet, so für die rituelle Reinigung. Berühmt ist der Löwenbrunnen, der vermutlich sichtbar machen sollte, dass die Menschen das kostbare Nass einem Gott verdankten. Reiche Familien bauten sich eigene Wasseranlagen und zur Sicherung der Versorgung über das ganze Jahr auch Zisternen. Etwa 200 Zisternen gab es in Petra, die bis zu 300 Kubikmetern Wasser fassten. Einige ­füllen sich dank erhaltener nabatäischer Kanäle noch heute mit Wasser.

 

Der wirtschaftliche Erfolg der Nabatäer und ihre großen Wasserbaukünste ermöglichten es ihnen, Petra zu einer der prächtigsten Städte zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean zu machen. Aber mit wachsender Bevölkerung entstand auch die Notwendigkeit, die Landwirtschaft auszubauen. Deshalb errichteten die Nabatäer an den relativ regenreichen Hängen der Gebirge in der Umgebung von Petra zahlreiche Dämme und Terrassen, die den Anbau von Getreide und Früchten erlaubten. In einem weiteren Gebiet wurde der Regen in einzelnen Parzellen gesammelt, die mit niedrigen Mauern umgeben waren. Das Wasser wurde anschließend über Kanäle in Sammelbecken geleitet. Auch diese Bewässerungs­landwirtschaft bedurfte eines hohen technischen Standards, großer Investitionen und vielfältiger Wartungsarbeiten. Auch wenn das ganze System nicht geblieben erhalten ist, wird an einigen Orten noch heute die nabatäische Technik genutzt, um die Wadis zu terrassieren, sodass sich das herabstürzende Wasser in Stau­becken sammelt und nur ganz allmählich abfließt.

 

Vom unaufhaltsamen Abstieg einer Stadt

 

In den ersten Jahrhunderten nach Christus begann ein allmählicher Niedergang Petras. Die Gewinne der Nabatäer aus dem Fernhandel sanken, nachdem auf einer weiter nördlichen Route immer mehr Weihrauch und andere Kostbarkeiten nach Palmyra im heutigen Syrien gebracht wurden. Außerdem nutzten zunehmend Schiffe die Möglichkeiten des Passatwindes, um von Asien aus Güter an die ägyptische Küste am Roten Meer zu transportieren. 106 n. Chr. wurde das Reich der Nabatäer von römischen Legionen besetzt. Petra wurde zu einem römischen Verwaltungszentrum. Die römischen Herrscher pflegten das lebenswichtige System von Rückhaltebecken, Wasserleitungen etc. und bauten es sogar noch etwas aus.

 

Aber der Niedergang Petras war nicht aufzuhalten. Das zeigte sich besonders nach den verheerenden Erdbeben im Jahre 363 und dann erneut 419. Die Bewohner hatten nicht mehr die finanzielle Kraft, um alle zerstörten Gebäude wieder aufzubauen. Auch wurden die Wartungsarbeiten vernachlässigt, ohne die das komplexe Wasserversorgungssystem nicht funktionieren konnte. Vermutlich haben noch im 8. Jahrhundert Menschen in Petra gelebt, bevor die Stadt jede Bedeutung verlor. Die Wasserkenntnisse der Nabatäer sind aber zu einer Grundlage für die arabische Wasserkultur geworden, wie sie sich zum Beispiel eindrucksvoll im spanischen Granada zeigt.

 

Seit Archäologen damit begonnen haben, in Petra Grabungen durchzuführen und jedes Jahr Hunderttausende Touristen in die Felsenstadt kommen, stellt sich erneut das Problem, wie die plötzlichen Wassermassen nach Regenfällen gebändigt werden können. Bei einer Flutwelle im Jahre 1963 kamen 26 Touristen ums Leben. Mit Unterstützung von Schweizer Wasserfachleuten ge­lang es, einen Teil des na­batäischen Hochwasserschutz-Systems wieder her­zustellen. Die Arbeiten machten noch einmal sichtbar, wie ausgeklügelt die antiken Anlagen ge­baut worden waren. Das wiederhergestellte und leicht er­weiterte Schutz­system bewährte sich bereits bei einer großen Flut im Jahre 2001.

 

Mit der Erneuerung dieser Anlagen ist auch die Hoffnung verbunden, den Wasserspiegel wieder abzusenken, der immer weiter stieg, seit das Wasser nicht mehr abgeleitet und gespeichert wurde. Das Grundwasser, das reich an Mineralstoffen ist, bedroht inzwischen die Bauten von Petra. Die Rückkehr zu den technischen Lösungen der Nabatäer vermindert auch dieses Problem. Dass Petra 1985 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, ist auch darin begründet, dass die Nabatäer das wenige Wasser des Gebiets sehr systematisch einsetzten, um menschliches, tierisches und pflanzliches Leben über Jahrhunderte zu sichern. Die auf der klugen Nutzung des Wassers beruhende Kultur, die vor mehr als zwei Jahrtausenden entstand, verdient heute uneingeschränkte Bewunderung. In der arabischen Welt sind die Nabatäer als bedeutende Wasserfachleute in Erinnerung geblieben.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann