Die Firmenzentrale am Ballindamm erinnert noch heute daran, dass Albert Ballin aus kleinsten Anfängen eine mächtige Reederei aufgebaut hat.
Die Firmenzentrale am Ballindamm erinnert noch heute daran, dass Albert Ballin aus kleinsten Anfängen eine mächtige Reederei aufgebaut hat. Foto: iStock.com/Christian Ader

 

„Mein Feld ist die Welt“ - Albert Ballin und die HAPAG

 

Als Albert Ballin am 15. August 1857 in Hamburg geboren wurde, war es ihm nicht in die Wiege gelegt, einmal an der Spitze der größten Reederei der Welt zu stehen. Seine Familie, zu der 13 Kinder gehörten, lebte davon, alte Kleidung wieder aufzuarbeiten und weiter zu verkaufen. Mit viel Fleiß und Geschick schaffte man es, eine kleine Textilfabrik in Billwerder aufzubauen, die allerdings 1843 als Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Harnburg nach dem Großen Brand in Konkurs ging. Auch eine Kohlenhandlung rentierte sich nicht.

 

1852 beteiligte sich Albert Ballins Vater an einer Auswandereragentur, die Auswanderungswillige auf Schiffe nach Nordamerika vermittelte. Die gescheiterte demokratische Bewegung von 1848 und die wirtschaftliche Not vieler Menschen in Deutschland und Osteuropa waren Grund genug für Hunderttausende, sich auf den Weg in das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten zu machen. Unter den Auswandereragenturen gab es eine große Konkurrenz bei der Vermittlung von Schiffsplätzen und die Reedereien selbst bemühten sich ebenfalls direkt um Kunden. So blieben die Gewinne der Agenturen bescheiden.

 

Erfolg im boomenden Auswanderergeschäft

 

Als sein Vater 1874 starb, stieg der 18-jährige Albert Ballin in die Firma ein, um für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen. Er hatte Glück, denn ein Wirtschaftsboom in den USA führte zu einer neuen Auswanderungswelle und damit zu mehr Kunden. Um sich besser gegen die Konkurrenz durchzusetzen, baute Albert Ballin zusammen mit einem Reeder eine neue Schiffsverbindung nach Nordamerika auf. Sie verzichteten auf jeden Komfort und statteten ihre Schiffe so aus, dass sie nach Nordamerika Auswanderer und auf den Weg zurück Fracht transportieren konnten. Durch die gute Auslastung der Schiffe konnten sie sich mit Dumpingpreisen einen großen Marktanteil im Auswanderergeschäft sichern.

 

Das beunruhigte den bisherigen Marktführer in der Hansestadt, die 1847 gegründete "Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“. Die HAPAG entschloss sich schließlich 1886, den erfolgreichen 28-jährigen Geschäftsmann Albert Ballin abzuwerben und zum Chef ihrer Passageabteilung zu machen. Ballin stieg in dem Unternehmen rasch in den Vorstand auf und wurde 1899 zum HAPAG-Generaldirektor berufen.

 

Der Aufsteiger aus armen Verhältnissen blieb in der Hamburger Oberschicht ein Außenseiter. Jemand, der aus eigener Kraft reich geworden war, zählte weniger als ein Mitglied einer traditionsreichen Kaufmannsfamilie, der das Erbe seiner Vorfahren verwaltete. Auch die Heirat der Tochter einer angesehenen Familie half ihm da nicht viel. Denn „erschwerend“ kam hinzu, dass Albert Ballin einer jüdischen Familie angehörte. Er war kein religiöser Mensch, war aber auch nicht bereit, sich aus opportunistischen Gründen taufen zu lassen.

 

Als Reeder war Albert Ballin dennoch sehr erfolgreich, vielleicht auch motiviert davon, die hochnäsigen etablierten Kaufmanns- und Reederfamilien zu überflügeln. Dabei nutzte er mit Geschick und Weitblick die Chancen, die sich im wirtschaftlich expandierenden Kaiserreich und in einer Frühform der Globalisierung boten. Dazu gehörte schon damals das Ausflaggen von Schiffen zur Kostensenkung.

 

Die größte Reederei der Welt

 

Innerhalb eines Jahrzehnts schaffte es die HAPAG, alle in- und ausländischen Konkurrenten zu überflügeln und zur größten Reederei der Welt aufzusteigen. Albert Ballin baute den Linienverkehr seines Unternehmens systematisch aus. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es mehr als 70 Linien von Harnburg aus nach Nord-, Mittel- und Südamerika sowie nach Asien, Australien und Afrika, wobei das Auswanderergeschäft nach Nordamerika ein wichtiger Geschäftszweig blieb. 1901 wurden auf der Veddel Auswandererhallen für bis zu 5.000 Auswanderer errichtet, die dort bis zur Abfahrt ihrer Schiffe recht komfortabel untergebracht wurden. Neben Unterkünften gab es Speisesäle, Gesundheitseinrichtungen, eine Kirche, eine Synagoge und einen Musikpavillon. 1913 reisten 170.00 Menschen über die Auswandererstadt nach Übersee.

 

Im Winter, wenn es weniger Passagiere auf den Nordatlantikrouten zu befördern gab, nutzte Ballin als weltweit erster Reeder einzelne Schiffe für Kreuzfahrten. Das Angebot war so erfolgreich, dass von 1900 an auch erste luxuriöse Kreuzfahrtschiffe gebaut werden konnten.

 

Den Schwerpunkt des Reedereigeschäftes bildeten weiterhin Frachtschiffe. In einer Zeit ohne Kartellgesetze und -behörden schaffte es Albert Ballin immer wieder, kleine Konkurrenten aufzukaufen oder an sich zu binden. International schmiedete er Kartelle großer Reedereien, die Routen und Marktanteile miteinander absprachen. Besonders bedeutsam war die Bildung des „Nordatlantischen Dampferlinienverbandes“. Albert Ballin nutzte also alle Chancen, die sich in einer Zeit der Globalisierung mit sehr wenig Regulierung boten.

 

Bis zu 175 Schiffe liefen regelmäßig etwa 400 Häfen rund um den Globus an. In Häfen wie New York, aber zum Beispiel auch auf der kleinen Karibikinsel St. Thomas, betrieb HAPAG eigene Kaianlagen. Ballins Wahlspruch lautete: „Mein Feld ist die Welt“. Und zu dieser Welt gehörten auch lukrative Truppentransporte, zum Beispiel die Überfahrt deutscher Truppen zur Niederschlagung des „Boxeraufstandes“ in China im Jahre 1900. Auch am spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 und am russisch-japanischen Krieg von 1904 verdiente er mit.

 

Gute Verbindungen zum Kaiser

 

Das große HAPAG-Verwaltungsgebäude an der Binnenalster lässt noch heute etwas von der Bedeutung dieser Reederei zur Zeit Albert Ballins erkennen. Auch Ballins repräsentative Villa in der Feldbrunnenstraße 58 sollte Eindruck machen und zudem den Rahmen für große Essen und Begegnungen im kleinen Kreis bieten. Der Kaiser, der Bankier Max Warburg und andere Persönlichkeiten, die für die weitere HAPAG-Expansion nützlich sein konnten, waren hier gern und häufig gesehene Gäste.

 

Vor allem mit dem Bau imposanter Passagierdampfer erwarb Ballin sich beim deutschen Kaiser große Anerkennung. So kam der Kaiser zur Taufe des Luxusdampfers „lmperator“ (52.118 BRT, etwa 3.500 Passagiere und 1.180 Besatzungsmitglieder) 1912 extra nach Hamburg. Ballin seinerseits bezeichnete sich als „ehrlichen Bewunderer“ des Kaisers.

 

Albert Ballin gehörte zum exklusiven Kreis der „Kaiserjuden“, mit denen der Kaiser aus wirtschaftlichen und politischen Gründen freundschaftlich verkehrte. Der antisemitisch eingestellte Monarch behauptete einfach, Ballin wäre in Wirklichkeit „kein echter Jude“, wobei er als „echt“ die Juden ansah, die ihm kritisch gegenüberstanden. Der Kaiser verkündete selbstbewusst: „Wer Jude ist, bestimme ich.“ Im Grunde war Albert Ballin für den Kaiser vor allem nützlich als Reeder großer Schiffe, die den Großmachtambitionen des Herrschers entsprachen, und in begrenztem Umfang auch als Berater in Wirtschafts- und Schifffahrtsfragen.

 

Albert Ballin war politisch ein Verfechter des Dreiklassenwahlrechts in Preußen, das die Wohlhabenden und Reichen privilegierte. Er stand der Sozialdemokratie und Gewerkschaften ablehnend gegenüber. Wer gestreikt hatte oder einer Gewerkschaft angehörte, wurde nicht eingestellt. Albert Ballin nahm die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft mit ihrer Situation wahr und ergriff im eigenen Unternehmen eine ganze Reihe von sozialen Maßnahmen zugunsten seiner Beschäftigung, zum Beispiel bei der Alters- und Krankheitsvorsorge sowie durch den Bau von Wohnungen für Beschäftigte. Aber all dies geschah paternalistisch, ohne Mitwirkung der Betroffenen. Wenn mit den Beschäftigten überhaupt verhandelt wurde, dann strikt ohne Gewerkschaftsbeteiligung.

 

Vergebliche Versuche, einen Krieg abzuwenden

 

Der Aufstieg der HAPAG und die gewaltigen Schiffbauprogramme mochten in Hamburg Anlass zum Jubel sein, jenseits der Nordsee lösten sie Unruhe aus. Großbritannien, bis dahin unbestritten die Nummer Eins auf den Weltmeeren, fürchtete um seine Vormacht. Die Kriegsflotte des Deutschen Kaisers und die gewaltigen Passagierschiffe seines Reeders in Hamburg erschienen in der englischen Presse als gleichermaßen bedrohlich. In einer englischen Zeitung hieß es Ende Januar 1914: „Ballin hat der Welt den Krieg erklärt.“ Die Bedrohung gehe nicht von den deutschen Kriegsschiffen aus, sondern von dem Hamburger Reeder.

 

So hat Ballin, ohne dies zu beabsichtigen, in gewissem Umfang zur Zuspitzung der europäischen Konflikte beigetragen, die dann in den Ersten Weltkrieg mündeten.

Entscheidender für die Verschlechterung der deutsch-britischen Verhältnisse war allerdings der massive Ausbau der deutschen Flotte. Albert Ballin unterstützte zunächst diese Aufrüstungspolitik, erkannte dann aber die verheerenden Wirkungen auf die Beziehungen zu London. Von 1908 an bemühte er sich intensiv, seine Verbindungen zur britischen Regierung und zum Kaiser zu nutzen, um ein Abkommen zur Begrenzung der jeweiligen Flottengrößen zu erzielen. Er scheiterte. Der Kaiser und die Mehrheit im Reichstag folgten den gigantischen Flottenbauplänen von Admiral von Tirpitz – und steuerten damit auf einen Krieg zu.

 

Nach den Schüssen von Sarajewo reiste Albert Ballin nach Berlin und London, um den drohenden Krieg doch noch abzuwenden, aber der Hurrapatriotismus war stärker als die nüchterne Lageeinschätzung des hanseatischen Kaufmanns. Ballin war klar, dass mit den ersten Schüssen dieses Krieges seine weltweit tätige Reederei zusammenbrechen würde.

 

Angesichts der drohenden Niederlage des Deutschen Reiches in diesem Weltkrieg reiste Ballin noch einmal nach Berlin, um am 5. September 1918 den Kaiser davon zu überzeugen, auf den Friedensplan des amerikanischen Präsidenten Wilson einzugehen. Der Kaiser lehnte ab. Es folgte die militärische Niederlage, und am 9. November 1918, dem Tag der Abdankung Kaiser Wilhelms II., starb Albert Ballin. Vermutlich hatte er sich das Leben genommen, als er sein Lebenswerk zerstört sah.

 

Die HAPAG musste nach der Ablieferung der über den Krieg geretteten Schiffe an die Siegermächte ganz von vorn anfangen. Als sie trotz Inflationszeit und Weltwirtschaftskrise wieder alle großen Häfen der Welt anlaufen konnte, führte Hitler Deutschland in einen neuen Krieg. Die HAPAG verlor erneut ihre Schiffe und musste neu anfangen. Nach der Fusion mit dem Norddeutschen Lloyd ist Hapag-Lloyd nicht nur die größte Reederei Deutschlands, sondern hat auch einen bedeutenden Anteil am Containerverkehr. Aber die internationale Bedeutung in der Zeit Ballins konnte das Unternehmen nicht zurückgewinnen.

 

Erinnerungen an Albert Ballin

Der Ballindamm vor dem Hapag-Lloyd-Verwaltungsgebäude erinnert an den großen Reeder. In der repräsentativen Villa in der Feldbrunnenstraße hat heute das „UNESCO Institute for Lifelong Learning“ seinen Sitz, eine angesehene Einrichtung, die zur Internationalität Hamburgs beiträgt. Auf der Veddel ist vor einigen Jahren auf dem Gelände der früheren Auswandererhallen das „Auswanderermuseum BallinStadt“ entstanden, in dem auch ausführlich über Albert Ballin informiert wird. Im „Internationalen Maritimen Museum Hamburg“   sind ein Porträt Ballins, ein Gemälde mit der „Imperator“ sowie Modelle diverser HAPAG-Schiffe ausgestellt. Das Kontorhaus „Ballin-Haus“ wurde während der Naziherrschaft in „Meßberghof“ umbenannt und heißt heute noch so. Zu erwähnen ist auch der Ballinkai in Altenwerder, an dem Containerschiffe abgefertigt werden.

 

 

Anlässlich seines 100. Todestages verlieh Hapag-Lloyd erstmals den „Albert-Ballin-Preis für globales Handeln“ und zwei „Albert-Ballin-Förderpreise für Globalisierungsforschung“. Nils Haupt, der Leiter Konzernkommunikation Hapag Lloyd, begründete die Vergabe der Auszeichnungen so: „Mit der Auslobung der Albert-Ballin-Preise erinnern wir an eine Persönlichkeit, die uns groß gemacht hat: Albert Ballin. Der Hamburger Reeder war ein Motor der ersten Globalisierung um 1900, der wirtschaftliche Tatkraft mit gesellschaftlicher und politischer Verantwortung verknüpfte.“ Erster Preisträger war 2018 die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“.  

 

© Frank Kürschner-Pelkmann