Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Die großen Pläne von Alexander dem Großen

 

Wir kehren noch einmal zur Geschichte des antiken Babylons zurück, in eine Zeit, als die Stadt beinahe eine neue Blüte erlebt hätte. Im 4. Jh. v. Chr. veränderten sich die politischen Gewichte in Mesopotamien und seinen Nachbarregionen erneut dramatisch. Alexander der Große besiegte die Perser und dehnte sein Herrschaftsgebiet bis an die Grenze Indiens aus. Am Anfang seines wirklich kometenhaften Aufstiegs war er lediglich König von Makedonien gewesen, das allerdings bereits sein Vater Philipp II. zur führenden politischen und militärischen Macht in Griechenland gemacht hatte.

 

Der Sohn Alexander erhielt eine herausragende Bildung, zu der sogar der berühmte Philosoph Aristoteles beitrug. Diese umfassende Bildung erleichterte nicht nur den politischen und militärischen Erfolg des Königs, sondern war auch die Grundlage für seinen Ruf als herausragender Herrscher. Mit 20 Jahren bestieg Alexander 336 v. Chr. den Thron und weitete durch erfolgreiche Feldzüge sein Reich rasch auf ganz Griechenland und angrenzende Gebiete aus. 334 v. Chr., also nur zwei Jahre nach seinem Machtantritt, begann Alexander einen Feldzug gegen das Reich der Perser, zu dieser Zeit eine Weltmacht, deren Territorium von Kleinasien bis Ägypten, von Zentralasien bis Palästina reichte. Es gelang den zahlenmäßig unterlegenen Truppen Alexanders, den Gegnern in zahlreichen Schlachten verlustreiche Niederlagen zuzufügen, was durch interne Konflikte innerhalb der militärischen Führung der Perser begünstigt wurde.

 

Im Jahre 331 v. Chr. erreichte Alexander mit seinen Truppen die Stadt Babylon. Was dort geschah, hat der griechische Historiker Arrian so beschrieben: „Als er von der Stadt nicht mehr weit entfernt war, führte er die Armee in Schlachtordnung aufgestellt, und die Babylonier kamen ihm mit allem Volk entgegen, dazu ihren Priestern und Gemeindevorstehern, und alle brachten Geschenke. Sie übergaben ihm die Stadt, Burg und Schätze …“[1]

 

Kurz vorher hatten die persischen Truppen unter König Dareios panikartig die Stadt verlassen. Selbst die Kriegskasse und die militärische Ausrüstung sollen den Truppen Alexanders in die Hände gefallen sein. Der Einzug Alexanders in Babylon durch das Ischtar-Tor gilt als Höhepunkt seines Siegeszuges und wurde von seinen Anhängern immer neu beschrieben. In der traditionsreichen Stadt Babylon ließ Alexander sich zum „König von Asien“ ausrufen. Anschließend gelang es dem Herrscher, das Kernland der Perser und deren Hauptstadt Persepolis zu erobern und bis nach Indien vorzudringen.

 

Im Februar 323 v. Chr. kehrte Alexander an der Spitze seiner Truppen nach Babylon zurück, um von hier aus die Arabische Halbinsel zu erobern. Babylon hatte damals schon geraume Zeit seine einstige politische und militärische Bedeutung verloren – aber was weiterlebte, war der Mythos dieser Stadt. Und diesen Mythos wollte der Herrscher des neuen Weltreiches nutzen. Alexander der Große hatte ein untrügliches Gespür für Selbstinszenierungen. Dies ist ablesbar an Münzen, Gemälden und Gesängen seiner Zeit.

 

Er war entschlossen, den Mythos Babylon zur Abrundung des eigenen Ruhms einzusetzen und die Stadt zur prächtigen Hauptstadt seines Reiches auszubauen. So ließ er zum Beispiel die Reste des berühmten Turms abtragen, um ihn an gleicher Stelle neu entstehen zu lassen. Aber dieser Turmbau wurde nie verwirklicht, weil Alexander am 10. Juni 323 v. Chr. starb, bevor mit dem Bau begonnen werden konnte. Wodurch der König im Alter von nur 34 Jahren im Palast von Nebukadnezar II. in Babylon ums Leben kam, ist bis heute umstritten. Es könnte das West-Nil-Fieber gewesen sein – oder wurde er vergiftet? Gewiss ist, dass der König nach einem einwöchigen qualvollen Krankenlager verschied. Schon in der Antike wurde Alexander zu einem Mythos, bewundert wegen seiner großen militärischen Erfolge, gehasst wegen seines brutalen Umgangs mit besiegten Feinden und bedauert wegen seines qualvollen Todes.

 

In den Konflikten um seine Nachfolge zerfiel das Reich. Im „Babylonischen Krieg“ von 311 bis 309 v. Chr. spielten die Babylonier selbst keine Rolle mehr. Vielmehr bekämpften sich rivalisierende Feldherren des verstorbenen Königs, wobei Seleukos Nikator seine Herrschaft über Babylon und große Teile Mesopotamiens verteidigen konnte. Er schaffte es sogar, seinen Machtbereich bis an den Indus auszudehnen. Aber weder ihm noch den anderen „Diadochen“ gelang es, das gesamte frühere Reich Alexanders unter ihre Kontrolle zu bringen.

 

Für Babylon war der Tod von Alexander dem Großen in doppelter Hinsicht eine Katastrophe. Der Ausbau zur Hauptstadt eines riesigen Reiches wurde abrupt gestoppt, bevor er richtig begonnen hatte, und zusätzlich kam es zu einer verheerenden Wirtschaftskrise, wie die Auswertung von Hunderten Keilschrifttexten aus dieser Zeit ergeben hat. Ein Auslöser einer massiven Inflation war vermutlich, dass die Silbermenge in der Stadt plötzlich gewaltig anstieg durch die Kriegskasse, die Alexander mit nach Babylon brachte. Er und vor allem seine Diadochen gaben viel Geld aus, um ihren gewaltigen Militärapparat zu bezahlen. Ein beträchtlicher Teil des Silbers wurde zum Kauf von Lebensmitteln für die Truppen eingesetzt, sodass die Preise in die Höhe schossen.

 

Die Wirtschaftskrise zog sich über Jahre hin und gilt als Beweis dafür, dass die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage schon damals wirksam waren und unter ungünstigen Bedingungen eine länger anhaltende Inflation auslösen konnten. Nach dem Ende dieses Nachfragebooms und des Abzugs eines großen Teils der Truppen wurde es auch nicht einfacher für die Bewohner Babylons, denn von den großen Edelmetallschätzen war inzwischen kaum noch etwas übrig und die Stadt verarmte. Statt zur Hauptstadt des Weltreiches des „Königs von Asien“ zu werden, erlebte Babylon einen weiteren politischen und ökonomischen Verfall.

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Zitiert nach: Rupert Gebhard u. a.: Alexander der Große, Darmstadt 2013, S. 71.