An einem Tisch vereint – zu einem gemeinsamen Leben befreit

 

Alle wurden von Jesus eingeladen, mit ihm am Tisch Platz zu nehmen und zu essen. Er aß mit Zöllnern und Huren, mit Pharisäern und Kindern. Und dieses gemeinsame Essen war eine Einladung, Teil einer solidarischen Gemeinschaft zu werden. Jesus lehrte und lebte, dass die Alternative zum Status quo nur in einer Gemeinschaft gelebt werden konnte. Die gegenseitige Hilfe und Sorge befreite davon, egoistisch nur an das eigene Überleben und Weiterkommen zu denken. Eine solidarische Gemeinschaft war die Voraussetzung dafür, sich auf ein Leben einzulassen, das nicht auf materielle Sicherheit und das Anhäufen von Gütern ausgerichtet war. Es ist durchaus plausibel, dass Jesus hier inmitten der tödlichen Auseinandersetzung mit einer globalen Macht an die Erfahrungen in kleinen Familien und Sippen in der Nomadenzeit anknüpfte.

 

Das gemeinsame Mahl war Ausdruck des gegenseitigen Annehmens und der Bereitschaft zum Teilen (Matthäus 26,17-30; Johannes 13, 21-26). Selten wird dieser Tisch üppig gefüllt gewesen sein mit leckeren Speisen. Jesus war ein armer Wanderprediger, und auch die meisten der Frauen, die dafür gesorgt haben, dass er und seine Jüngerinnen und Jünger etwas zu essen bekamen, waren arm. Aber das karge gemeinsame Mahl wurde für die Jesus-Leute doch ein Zeichen der kommenden Fülle im Reich Gottes.[1] Am Abend vor seiner Verhaftung versammelte Jesus seinen engsten Anhängerkreis an einem Tisch. Mit ihnen allen gemeinsam aß und trank er und besiegelte so eine Gemeinschaft, die über seinen Tod hinaus Bestand haben sollte.

 

Deshalb schreibt Ulrich Duchrow: „Wahre und nutzbringende Teilnahme am Sakrament des Abendmahls ist identisch mit der realen Teilnahme an der Gemeinschaft mit Christus und seinen Heiligen. Diese Teilnahme am einen Leib Christi bringt dem Teilnehmenden überreiche Stärkung und Stützung, aber nur dann, wenn er seinerseits für Christus und seine Heiligen eintritt in Widerstand, Tun, Fürbitte und Mit-Leiden.“[2]

 

Diese Gemeinschaft sollte grundlegend anderen Regeln folgen als denen, die das Leben im Römischen Reich bestimmten: „Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will, soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ (Markus 10,42-44)

 

Jesus sagte dies nach einem  Streit seiner Jünger, wer im Himmelreich zu seiner Rechten und seiner Linken sitzen würde, wer also eine herausgehobene Position in der Gemeinschaft der Jesus-Anhänger haben sollte. Jesus warnte davor, sich auf eine Stufe mit den politisch Mächtigen zu stellen und ihre Machtspiele zu übernehmen – eine Warnung, die durchaus berechtigt war, wie die Kirchengeschichte gezeigt hat. Jesus wusch seinen Jüngern beim Abendmahl die Füße, um ein Zeichen zu setzen, dass er eine Gemeinschaft hinterlassen wollte, die durch gegenseitigen Dienst und nicht durch Herrschaft übereinander geprägt sein sollte.

 

Leider sind Jesus-Aussagen zu dem, was das Leben der Jünger bestimmen sollte im Gegensatz zu den vorfindlichen Strukturen von Herrschaft und Unterdrückung, immer wieder dazu missbraucht worden, um einen Gegensatz zwischen den Regeln in der Gemeinschaft der Jesus-Anhänger (und der späteren Kirche) und der Welt zu konstruieren. Jesus setzte sich hier aber nicht von „der Welt“ ab, sondern von den brutalen Herrschaftsformen des römischen Imperiums. Er wollte die Botschaft vom kommenden Reich Gottes in diese Welt bringen, und dafür war es wichtig, dass die Jüngerschar vorlebte, dass das Verständnis von Macht und Herrschaft sich von dem unterschied, was die Römer und andere Unterdrücker praktizierten.

 

Jesus wollte aber nicht die Regeln für einen kleinen exklusiven Zirkel aufstellen, sondern die Menschen dazu einladen, mit ihm gemeinsam nach dem Reich Gottes zu trachten. Er wollte die Regeln „der Welt“ nicht den römischen Machthabern überlassen, sondern eine Alternative vorleben, an der sich alle beteiligen konnten und sollten. Von daher war die durch gemeinsame Mahlzeiten gestiftete Gemeinschaft Zeichen und Ausgangspunkt für eine Bewegung, die ernst nahm, dass die Erde des Herrn ist. Schon vorher hatte Jesus angekündigt: „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ (Lukas 13,29, Vgl. auch Matthäus 8,11)

 

Das Mahl, das zum Anfang für die christliche Abendmahlstradition wurde, war ein Mahl von politisch Verfolgten, die im Angesicht der drohenden Vernichtung durch eine Weltmacht mit dem gemeinsamen Essen und Trinken zum Ausdruck brachten, dass die Gemeinschaft, die Gott stiftet, die Brutalitäten von globalen Herrschern in der Welt überdauert. Es entstand eine Verpflichtung, füreinander und für die Menschen in der Welt Verantwortung zu übernehmen.[3]

 

Die indonesische Theologin Marianne Katoppo hat dies so ausgedrückt: „In der Kirche sollte das Abendmahl ein sichtbares Zeichen für die Überwindung von gesellschaftlich-wirtschaftlichen Barrieren sein, wie es das im Leben der ersten Christen war. Statt diese Unterschiede noch zu betonen, sollte die Kirche eucharistische Bedeutung ins gebrochene Leben bringen... Wie Pater Tissa Balasuriya bemerkte, feierte Jesus dieses Mahl nur einmal und war dann innerhalb von 48 Stunden tot, umgebracht von den unterdrückenden sozialen Strukturen, von denen er die Menschen befreien wollte. Das ist das wahre Umfeld der Eucharistie.“[4]

 

Ganz in diesem Sinne haben der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland erklärt: „Die Christen können nicht das Brot am Tisch des Herrn teilen, ohne auch das tägliche Brot zu teilen. Ein weltloses Heil könnte nur eine heillose Welt zur Folge haben. Der Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte, für Gerechtigkeit und Solidarität ist für die Kirche konstitutiv und Verpflichtung, die ihr aus ihrem Glauben an Gottes Solidarität mit den Menschen und aus ihrer Sendung, Zeichen und Werkzeug der Einheit und des Friedens in der Welt zu sein, erwächst.“[5]

 

Das Mahl des geschwisterlichen Teilens und der Solidarität miteinander und mit der übrigen Schöpfung Gottes ist heute oft losgelöst von dieser Verbindlichkeit, ist zu einem Bestandteil von Gottesdiensten geworden, nach denen alle Anwesenden auseinander gehen und in ihren jeweiligen Alltag zurückkehren. Das Abendmahl kann aber auch Ausdruck einer tiefen Verbundenheit in einer Gemeinschaft sein, die sich dafür einsetzt, dass das Reich Gottes mitten in dieser Welt beginnt. Dann verliert der Streit über unterschiedliche Einsetzungsworte und Konfessionen seine trennende Bedeutung.

 

Die Einladung zum gemeinsamen Mahl war für Jesus die Einladung zu einem anderen Leben, und diese Einladung gilt auch heute – für alle.

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Gott und die Götter der Globalisierung - Die Bibel als Orientierung für eine andere Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 


[1] Der taiwanesische Theologe Choan-Seng Song hat diese Verheißung in seinem Buch „Theologie des Dritten Auges“ (Göttingen 1989) so formuliert: „Das Herrenmahl verweist uns nicht nur auf die Vergangenheit, sondern gleichermaßen auch auf die Zukunft, auf die Zeit, die noch aussteht. Im Erinnern des auferstandenen Christus gedenken wir dessen, der wiederkommen wird in Herrlichkeit.“ (S. 168)

[2] Ulrich Duchrow: Weltwirtschaft heute, Ein Fall für Bekennende Kirche, München 1986, S. 66

[3] Wie eng der Zusammenhang zwischen der Einheit im Glauben und der Überwindung der sozialen Kluft ist, wurde schon deutlich, als in der Gemeinde in Korinth die reichen Gemeindemitglieder sich nicht mit den Armen an einen Tisch setzen und mit ihnen ihr Essen teilen wollten. Die Antwort des Briefschreibers ist eindeutig: Wer die Heilstat Jesu durch ein Verhalten ohne Liebe missachtet, „der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn“ (1. Korinther 11,27).

[4] Marianne Katoppo: mitleiden – mithandeln, Theologie einer asiatischen Frau, Erlangen 1981, S. 104f

[5] Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover und Bonn 1997, S. 42