Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Ein wunderbarer Garten und die schöne Susanna

 

Im Stadtgebiet von Babylon und in der Umgebung gab es eine größere Anzahl von Gärten, nach antiker Überlieferung auch die Hängenden Gärten der Semiramis, die zu den sieben Weltwundern gezählt wurden. Der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus beruft sich bei seiner Darstellung dieser Gartenanlage auf das heute nicht mehr verfügbare Werk „Babylonia“ von Berossos, einem babylonischen Priester aus dem 3. Jh. v. Chr. Er führte die Hängenden Gärten auf König Nebukadnezar II. zurück. Dieser habe sie für seine aus Medien stammende Frau anlegen lassen, weil sie Heimweh nach den grünen Hügeln ihrer Heimat hatte. Es ist von begrünten Terrassen, überwucherten Säulengängen und vielen exotischen Blumen und Bäumen die Rede. Allerdings werden diese Hängenden Gärten von Herodot nicht erwähnt, obwohl er nur ein Jahrhundert nach dem babylonischen König lebte. Herodot hat allerdings Babylon nie selbst besucht, sondern war nur aus zweiter Hand über die Schönheit und Pracht der Stadt informiert. Er ist also kein zuverlässiger Gewährsmann.

 

 Die deutschen Archäologen um Robert Koldeway, die Ende des 19. Jahrhunderts begannen, nach Spuren der antiken Stadt zu graben, machten sich auch auf die Suche nach den berühmten Gärten der Semiramis. Sie fanden beim Gelände des Südpalastes von Nebukadnezar II. die Überreste eines Gewölbebaus mit 14 überwölbten Räumen. Die Konstruktion aus gebrannten Ziegeln könnte stabil genug gewesen sein, um die Erdmassen und Bäume des Gartens zu tragen. Auch wiesen die archäologischen Funde gewisse Ähnlichkeiten mit den antiken Beschreibungen der Gartenanlage auf. Aber die ausgegrabene Anlage war bedeutend kleiner, als man das nach den antiken Darstellungen erwarten konnte, und lag zudem abseits vom Euphrat und seinem Wasser. Nachdenklich macht auch, dass die Hängenden Gärten in der ersten antiken Liste der Weltwunder aus dem 2. Jh. v. Chr. ohne Ortsangabe geführt werden.

 

Inzwischen hat die britische Archäologin Stephanie Dalley von der Universität Oxford viele Belege dafür gesammelt, dass sich die Gärten der Semiramis tatsächlich in der assyrischen Königsstadt Ninive befanden. Während keine babylonische Königin mit dem Namen Semiramis bekannt ist, gab es im 9. Jh. v. Chr. eine assyrische Königin Sammuramat, die von griechischen Historikern unter dem Namen Semiramis erwähnt wird. Nach dem Tod ihres Mannes Sanherib regierte sie vier Jahre lang für ihren minderjährigen Sohn das Land und erzielte in dieser Zeit einige wichtige militärische Erfolge. Noch Jahrhunderte später wurden in Assyrien verschiedene Legenden über sie erzählt. In der griechischen Überlieferung wurde sie dann allerdings zu einer unzüchtigen und mörderischen Frau, was bis in die Gegenwart fortwirkt. Diese Legenden gaben zum Beispiel Mitte der 1950er Jahre den Anstoß für den italienischen Monumentalfilm mit dem Titel „Semiramis – die Kurtisane von Babylon“.

 

Um Wasser aus den Bergen für die Stadt Ninive und die berühmten Gärten zu leiten, hat König Sanherib ein aufwendiges System von Kanälen und Aquädukten bauen lassen, argumentiert Stephanie Dalley. Bei Grabungen in der Umgebung von Ninive sind Reste solcher Aquädukte gefunden worden. Es gibt also Gründe, das Weltwunder tatsächlich in Ninive zu suchen. Zur später falschen Zuordnung der Gärten könnte beigetragen haben, dass die Assyrer nach der Eroberung von Babylon ihre eigene Hauptstadt zum „neuen Babylon“ erklärten. Die Debatte über die Thesen der britischen Forscherin dauert noch an.

 

Unstrittig ist, dass es in der Stadt Babylon beeindruckende Gärten gab, für die man Pflanzen aus der ganzen damals bekannten Welt holte. Die Gärten des Königs sollten ein Abbild der bewohnten Welt sein, um deren Schutz und Pflege sich der Herrscher von Babylon kümmerte. Die Gärten waren ein Symbol der Fruchtbarkeit, die das Land den Göttern und ihrem irdischen Vertreter, dem König, verdankte. Auch wird von großen Gärten der Tempel berichtet, die angelegt wurden, um die Götter jederzeit mit Obst und Gemüse versorgen zu können.

 

Die aus dem babylonischen Exil zurückgekehrten Juden haben in ihrer Heimat unbekannte Pflanzen wie die Rose aus Babylon mitgenommen, aber auch Kenntnisse über die Anlage und Pflege von Gärten. Der biblische Verfasser Kohelet hat die Anlage von Gärten im Jerusalem der Nachexilzeit so beschrieben: „Ich tat große Dinge: Ich baute mir Häuser, ich pflanzte mir Weinberge, ich machte mir Gärten und Lustgärten und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume hinein; ich machte mir Teiche, daraus zu bewässern den Wald der grünenden Bäume“ (Kohelet 2,4-6).

 

Die Geschichte von Susanna im Garten

 

In der Geschichte von Susanna im Buch Daniel wird von einem reichen jüdischen Mann mit dem Namen Jojakim erzählt, der in Babylon lebte und einen schönen Garten besaß. Seine Frau Susanna war sehr schön und sehr gottesfürchtig. Ihre frommen Eltern hatten sie nach dem Gesetz des Mose unterwiesen. Ihr Mann Jojakim war hoch angesehen in der Stadt, und jeden Vormittag kamen Menschen zu ihm, damit er ihre Streitigkeiten schlichtete. Nachmittags ging er dann mit seiner Frau durch ihren schönen Garten.

 

Als aber zwei Älteste aus dem Volk zu Richtern berufen wurden, begann das Unheil, denn sie waren voller Bosheit. Als sie Susanna durch ihren Garten gehen sahen, entbrannte ihre Begierde, und zwar so sehr, „dass sie nicht mehr zum Himmel aufsehen konnten und nicht mehr an gerechte Urteile dachten“ (Vers 9, zitiert nach Lutherbibel, Zusätze zum Buch Daniel). Täglich gingen sie nun wie zufällig an dem Garten vorbei, um die schöne Frau beobachten zu können. Zunächst verschwiegen sie einander ihre Gefühle, aber schließlich „bekannten sie beide ihre Begierde. Danach kamen sie miteinander überein, darauf zu warten, wann sie die Frau allein finden könnten“ (Vers 14).

 

An einem heißen Tag kam Susanna von zwei Mägden begleitet in den Garten, um zu baden. Dort hatten sich die beiden Ältesten versteckt. Susanna gab ihren Mägden den Auftrag, den Garten zu verschließen und dann Öl und Salben zu holen. Diesen Augenblick nutzten die beiden Ältesten, kamen aus ihrem Versteck hervor und sagten zu der jungen Frau: „Siehe, der Garten ist zugeschlossen und niemand sieht uns, und wir sind in Liebe zu dir entbrannt; darum sei uns zu Willen! Willst du aber nicht, so werden wir dich beschuldigen, dass wir einen jungen Mann allein bei dir gefunden haben und dass du deine Mägde deshalb hinausgeschickt hast“ (Vers 20-21).

 

Susanna antwortete, sie wollte lieber unschuldig in den Händen der Männer sein, als sich gegen den Herrn zu versündigen. Sie schrie laut, und auch die beiden Ältesten schrieen sie an. Einer der beiden lief zur Tür des Gartens und öffnete sie. Die Leute in der Umgebung hatten das Geschrei gehört und kamen nun herbei, um zu sehen, was der Hausherrin widerfahren war. Die Ältesten erhoben sofort schwere Vorwürfe gegen Susanna.

 

Damit nicht genug, am nächsten Vormittag suchten sie den Ehemann Jojakim auf und ließen nach Susanna schicken, um ihre Vorwürfe vor dem Ehemann zu wiederholen. Susanna brachte ihre Eltern, ihre Kinder und weitere Verwandte mit, denn sie war sich bewusst, dass ihr im schlimmsten Falle eine Verurteilung zum Tode drohte. Die beiden Ältesten sagten: „Als wir beide allein im Garten umhergingen, kam sie hinein mit zwei Mägden und schloss den Garten zu und schickte die Mägde fort. Da kam ein junger Mann zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr. Als wir aber in einem Winkel im Garten solche Schande sahen, liefen wir eilends hinzu und fanden sie beieinander“ (Verse 36-38).

 

Der junge Mann wäre geflohen, und Susanna hätte sich geweigert, seinen Namen zu nennen. Das Volk glaubte den beiden Ältesten und Richtern, und Susanna wurde zum Tode verurteilt. „Sie aber schrie mit lauter Stimme: Herr, ewiger Gott, der du alle Heimlichkeiten kennst und alle Dinge zuvor weißt, ehe sie geschehen, du weißt, dass diese mich zu Unrecht beschuldigt haben. Und nun siehe, ich muss sterben, obwohl ich doch nicht begangen habe, was sie so bösartig gegen mich zusammengelogen haben“ (Verse 42-43).

 

Gott erhörte sie, und als sie hingerichtet werden sollte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel, und der sprach zur Menge: „Seid ihr Männer von Israel solche Narren, dass ihr eine Tochter Israels verdammt, ehe ihr die Sache erforscht und Gewissheit erlangt habt?“ (Vers 48). Es wäre eine neue Gerichtsverhandlung erforderlich, denn die Frau würde zu Unrecht beschuldigt. Daniel nahm an dieser zweiten Verhandlung teil und verhörte die beiden Ältesten getrennt voneinander. Sie verstrickten sich in Widersprüche und wurden als falsche Zeugen entlarvt und für ihr Verbrechen hingerichtet. Damit war Susannas Unschuld bewiesen und ihre Ehre wiederhergestellt.

 

Susanna nahm kein Bad

 

Von dieser Erzählung gibt es zwei deutlich unterschiedene Versionen in griechischer Sprache, und unter Fachleuten wird noch debattiert, ob es eine weitere, ursprüngliche Fassung gegeben haben könnte, die wir heute nicht mehr kennen. Die ältere der beiden heute noch bekannten Fassungen der Geschichte könnte um das Jahr 120 v. Chr. entstanden sein, also in der Zeit der Hasmonäer-Herrschaft, in der in der jüdischen Gesellschaft darum gerungen wurde, wie man griechische kulturelle und soziale Einflüsse abwehren konnte.

 

Auffällig ist an der Geschichte, dass Susanna und ihr Mann ganz selbstverständlich als Teil der Oberschicht von Babylon vorgestellt werden, deren Wohlstand schon erkennbar wird an dem prächtigen Garten und der Tatsache, dass Susanna mindestens zwei Dienerinnen beschäftigte.

 

Hier spiegelt sich wider, dass zumindest einzelne jüdische Familien in Babylon in der Zeit der persischen und griechischen Herrschaft zu Wohlstand und Einfluss gelangt waren. Aus der zwangsweisen Verschleppung war eine bewusst gewählte Diasporasituation geworden. Als die Susanna-Geschichte aufgeschrieben wurde, war dies bereits eine Selbstverständlichkeit und der Ausgangspunkt für die Geschichte. Und es war auch selbstverständlich, dass man seine Rechte vor Gericht einklagen konnte.

 

Die Rezeption dieser Geschichte in Kirche und Kunst ist bemerkenswert. In keiner der beiden Versionen der Geschichte ist davon die Rede, dass Susanna nackt war, als die beiden Richter aus dem Versteck hervortraten, und auch nicht davon, dass sie gerade ein Bad nahm. In Vers 17 sagt Susanna ihren Dienerinnen: „Holt mir Öl und Salben und schließt den Garten zu, damit ich baden kann!“ Sie lässt also Vorbereitungen treffen, um dann zu baden. Dieses Vorhaben kam aber nicht zum Abschluss, weil die beiden Männer auftauchten, bevor die Dienerinnen zurück waren. Das Bild von der nackt badenden Susanna entspringt also der Fantasie von Lesern. Die Geschichte müsste deshalb eigentlich nicht „Susanne im Bade“ oder „Susanna beim Bade“ heißen, sondern „Susanna im Garten“.

 

Die Geschichte von einer Frau, die überrascht wurde, als sie sich auf ein Bad vorbereitete, stieß auf Skepsis unter strenggläubigen Juden und fand keine Aufnahme in den Kanon der Hebräischen Bibel, zumal sie lediglich in griechischen Fassungen überliefert ist. Auch unter den Christinnen und Christen blieb die Geschichte von Susanna umstritten. In den katholischen Bibeln wurde sie als 13. Kapitel dem Daniel-Buch angefügt, weil gegen Ende der Geschichte Daniel auftritt. Martin Luther hat diese Geschichte nicht in seine Bibelübersetzung aufgenommen. In evangelischen Bibeln findet sie sich allenfalls im Anhang. Bereits in der frühen Kirchengeschichte wurde versucht, der Geschichte ihre erotischen Aspekte zu nehmen, um sie allegorisch zu deuten, so Matthias Albani, „wobei Susanna als Vorbild die christliche Kirche und die beiden gemeinen Alten die Juden und die Heiden versinnbildlichen sollen“.[1]

 

Susanna auf der Leinwand

 

Über viele Jahrhunderte war die Susanna-Erzählung ein beliebtes biblisches Motiv für Maler, konnte diese Geschichte doch dazu genutzt werden, um weibliche Nacktheit darzustellen. Dem voyeuristischen Bedürfnis der Betrachter wurde Genüge getan, und es ließ sich jederzeit sagen, es handele sich ja um eine biblische Geschichte. Der Zurückhaltung der Theologen und Kirchenoberen hinsichtlich dieser Geschichte stand ein großes Interesse von Künstlern gegenüber, unter ihnen Rembrandt, Corinth und Rubens.

 

Bemerkenswerterweise ist aus früheren Jahrhunderten lediglich ein einziges Gemälde einer Malerin überliefert, in der die Susanna-Geschichte thematisiert wird. Es stammt von der italienischen Künstlerin Artemisia Gentileschi, die von 1593 bis 1653 lebte. Ihr Vater war Maler in Rom, und seine Tochter musste ihm schon früh als Aktmodell dienen. Als er das künstlerische Talent seiner Tochter erkannte, förderte der Vater sie nach Kräften. Er schickte sie zur Ausbildung zu seinem Freund und Kollegen Agostino Tassi, der allerdings die junge Frau vergewaltigte. Er brachte sie zunächst dadurch zum Schweigen, dass er ihr eine baldige Heirat ankündigte.

 

Als Artemisia Gentileschi nach einigen Monaten merkte, dass er diese Zusage keineswegs einhalten wollte, verklagte sie ihn wegen der Vergewaltigung. Es kam – wie in der Geschichte von Susanna – zum Prozess, und auch die junge Italienerin musste erleben, dass das Wort einer Frau vor Gericht nicht viel galt und man ihr nicht glauben wollte. Sie musste sich gynäkologischen Untersuchungen unterziehen und wurde gefoltert, um zu überprüfen, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Der Vergewaltiger wurde schließlich verurteilt, aber lediglich zu acht Monaten Haft, und dies auch wegen eines weiteren Vergehens. Der Ruf der jungen Frau war durch den viel beachteten siebenmonatigen Prozess dauerhaft geschädigt. Ihr Vater verheiratete sie mit einem Maler in Florenz, der hohe Schulden bei dem Vater hatte, die ihm vermutlich als „Gegenleistung“ für die Heirat erlassen wurden.

 

Aufgrund dieser Erfahrungen stellt Artemisia Gentileschi die Susanna-Geschichte gänzlich anders dar als ihre männlichen Kollegen. Es wird überdeutlich, wie Susanna von den beiden alten Richtern belästigt wird. Ihre Scham ist durch ein Tuch bedeckt, und sie hat einen abwehrenden Gesichtsausdruck. Hier lockt nicht die Frau, wie auf manchen Susanna-Darstellungen von Malern, sondern hier sieht sie sich bedroht und wehrt die lüsterne Annäherung ab. Die Malerin ergreift Partei für Susanna, sicher auch ein Ergebnis des Prozesses, in dem sie selbst verleumdet und als Prostituierte hingestellt wurde. Diese Darstellung wird der Susanna in der biblischen Geschichte sehr viel gerechter als viele andere Gemälde.

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Matthias Albani: Daniel, a. a. O., S. 276.