Die GATS-Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten

 

Es gibt eine Reihe von Grundprinzipien, zu denen sich alle GATS-Mitgliedsstaaten verpflichten mussten. Ausländischen Anbietern von Dienstleistungen soll der Marktzugang ermöglicht und zu diesem Zweck Handelshemmnisse beseitigt werden. Außerdem sollen ausländische Dienstleistungsunternehmen genauso behandelt werden wie einheimische Anbieter.

 

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Meistbegünstigung.[1] Eine Handelsvergünstigung, die einem Land gewährt wird, muss auch allen anderen Ländern gewährt werden. Auch wenn es Übergangsfristen gibt, bleibt als Problem, dass eine Handelsvergünstigung, die Tansania mit seinem Nachbarland Kenia vereinbart und die den kleinen Industriebetrieben beider Länder dienen soll, nach den GATS-Regeln auch den Konzernen der reichen Länder offen stehen soll. Der Effekt ist, dass die lokalen Unternehmen einem Wettbewerb ausgesetzt werden, den sie nicht bestehen können.

 

Zudem sind die Länder gehalten, sich an der Entwicklung und Einführung international verbindlicher Regeln für die Gesetzgebung und Regelung der Dienstleistungen zu beteiligen und Handelshemmnisse durch nationale Regelungen wie Gesetze, Verordnungen, ökologische Normen oder soziale Standards zu begrenzen. Vorhandene Regelungen sollen für alle Marktbeteiligten transparent sein.[2]

 

Ausgenommen von der Liberalisierung werden Dienstleistungen, die „in Ausübung hoheitlicher Gewalt“ erbracht werden. Das sind öffentliche Dienstleistungen, die der Befriedigung grundlegender gesellschaftlicher Bedürfnisse dienen. Nach den GATS-Vereinbarungen ist dies ein Dienst, der „weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird“.[3]

 

Nachdem Internationaler Währungsfonds und Weltbank aber immer mehr Entwicklungsländer dazu gezwungen haben, zumindest die lukrativen Energie- und Wasserversorgungsbetriebe zu privatisieren und private Krankenhäuser zuzulassen, gibt es immer weniger Bereiche, in denen es keine privaten Konkurrenten gibt. Entsprechend groß ist der Druck, diese Bereiche in die internationalen Liberalisierungsprozesse einzubeziehen.[4]

 

Einmal gemachte Zugeständnisse einer Regierung, wie verantwortungslos sie auch immer gehandelt haben mag, sind faktisch nicht mehr zurückzunehmen, weil ein Ausgleich in Form von neuen Handelsliberalisierungen zugunsten der durch die Zurücknahme benachteiligten Länder erfolgen muss. Dies kann von armen Ländern kaum geleistet werden. Wenn in einer Wirtschaftskrise die Liberalisierung des Bankensystems oder des Gewinntransfers eingeschränkt wird, kann ein Land schwerlich als Ausgleich nun den Gesundheitsbereich der internationalen Konkurrenz öffnen, würden doch nun hier die durch die Wirtschaftskrise geschwächten nationalen Anbieter vom Markt verdrängt.

 

Die WTO bemüht sich, auf Ausnahmeregelungen zu verweisen, um solchen Befürchtungen entgegenzutreten, aber es ist dennoch klar, dass ein Land von einmal gemachten Zusagen nur sehr schwer wieder zurücktreten kann. Im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages zu Globalisierungsfragen wird in diesem Zusammenhang zu GATS festgestellt: „Eine wesentliche Funktion dieses Abkommens wird ... darin gesehen, Liberalisierungsfortschritte, die auf bilateraler oder regionaler Ebene erzielt wurden, zu multilateralisieren. Die Wiedergewinnung staatlicher Regelungskompetenzen ist nach erfolgter Festschreibung im Prinzip nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Das GATS-Konzept der fortschreitenden Liberalisierung sieht eine sukzessive Ausweitung von Marktöffnungsverpflichtungen vor.“[5]

 

Problematisch ist auch, dass Subventionen zu keinen Verzerrungen auf dem Dienstleistungsmarkt führen dürfen. Wenn also zum Beispiel ein internationaler Wasserkonzern sich die Kontrolle über die lukrativsten Wasserbetriebe gesichert hat, ist zumindest umstritten, ob eine Regierung dann noch die nichtprivatisierten Wasserbetriebe subventionieren kann, ohne damit eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne der GATS-Regelungen auszulösen. Die Konsequenz wäre, auch den internationalen Wasserkonzern zu unterstützen oder aber ganz auf Subventionen zu verzichten. Bisher haben sich die meisten Länder das Recht reserviert, ihre staatlichen Unternehmen zu subventionieren,[6] ob sie das bei fortschreitender Liberalisierung auch noch dürfen, bleibt abzuwarten.

 

Ein weiterer Bereich, in dem ärmere Länder die übermächtige internationale Konkurrenz fürchten müssen, ist das staatliche Beschaffungswesen. Die staatlichen Beschaffungen sind gegenwärtig noch nicht in die GATS-Regelungen einbezogen, es gibt aber ein starkes Interesse großer Dienstleistungsunternehmen, diese Aufträge auch verpflichtend der internationalen Konkurrenz zu öffnen, was häufig bedeuten würde, dass kleine lokale Unternehmen solche Aufträge an die sehr viel kapitalkräftigere internationale Konkurrenz verlieren würden. In einer WTO-Veröffentlichung heißt es: „Die Verhandlungen sind mit der Erwartung verbunden, dass einige Regierungen die Verpflichtung übernehmen, die Auftragsvergabe für staatliche Beschaffungen für ausländische Dienstleistungsanbieter zu öffnen.“[7]

 

Es wird außerdem befürchtet, dass die Liberalisierung im Dienstleistungsbereich gravierende Auswirkungen auf die Menschen haben wird, die in diesem Bereich beschäftigt sind. Angesichts einer starken nationalen und internationalen Konkurrenz werden, so zeigt sich bereits, alle auf einem liberalisierten Markt tätigen Unternehmen versuchen, ihre Kosten zu senken. Das wird von den Befürwortern der Liberalisierung als Vorteil gepriesen, nicht aber von den Beschäftigen, die durch Rationalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren oder die davon betroffen sind, dass immer mehr tariflich nicht abgesicherte und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse angeboten werden. Dies trifft in besonders großem Umfang Frauen, die in diese Niedriglohnarbeitsverhältnisse abgedrängt werden. Außerdem verlieren viele Beschäftigte ihre Arbeitsplätze, wenn ihr Unternehmen der internationalen Konkurrenz nicht standhält, und auch hier zeigt die Erfahrung, dass Frauen zuerst betroffen sind und entlassen werden.

 

Die „Erklärung von Bern“, eine Initiative Schweizer Bürgerinnen und Bürger für eine gerechte Welt, zieht in einem Positionspapier diese Bilanz: „Das Dienstleistungsabkommen GATS ist ein WTO-Abkommen, das nur auf Druck der Industrieländer zustande gekommen ist. Dementsprechend einseitig ist der Nutzen, den diese Länder mit ihren starken Dienstleistungssektoren und ihren multinationalen Dienstleistungskonzernen aus diesem Abkommen ziehen können. Ärmere Länder können wenige grenzüberschreitende Dienstleistungen zur Verfügung stellen, müssen sich aber ihrerseits verpflichten, ihre Märkte gegenüber ausländischen Investoren zu öffnen. Das Dienstleistungsabkommen GATS ist zugleich das erste multinationale Investitionsabkommen, das zwar die Rechte der Investoren regelt, ihnen aber keinerlei Verpflichtungen auferlegt.“[8]

 

Es geht in den Debatten um die Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs im Kern um die Frage, ob alle Lebensbereiche den Gesetzen des Marktes unterworfen werden sollen. Die GATS-Kritiker beharren darauf, dass alle Menschen den Zugang zu den Grundgütern des Lebens und öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung und medizinische Versorgung haben müssen. Sie sollten nicht wie jede beliebige Ware behandelt werden. Ebenso gilt es, die Notwendigkeiten einer nachhaltigen Entwicklung zu beachten. In einem attac-Positionspapier wird zu knappen Ressourcen und Gütern festgestellt: „Eine Unterordnung des Umgangs mit diesen Gütern unter die Logik des Marktes, nach der höherer Verbrauch von Ressourcen wie Wasser und Energie und wachsende Müllberge mehr Umsatz und mehr Gewinn bedeuten, ist ökologisch und sozial nicht vertretbar.“[9] Einer der Hauptförderer einer Kommerzialisierung und Liberalisierung aller Lebensbereiche ist die Europäische Union.

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Im Artikel 1 des GATS-Vertrages heißt es, „each Member shall accord immediately and unconditionally to service and service suppliers of any other Member treatment no less favourable than it accords to like service and service suppliers of any other country“, zitiert nach: Introduction to the GATS, a. a. O., S. 4

[2] Eine WTO-Darstellung zu diesen Vereinbarungen findet sich auf der WTO-Homepage unter dem Titel: „The General Agreement on Trade in Services (GATS): objectives, coverage and disciplines“.

[3] Vgl. hierzu: Thomas Fritz: Die Bewertung der GATS-Verhandlungen im Rahmen der Wissensgesellschaft, Gutachten im Auftrag der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Berlin 2002, S. 9f.

[4] In der Ausgabe vom 22.1.2001 der Zeitschrift „The Ecologist“ schreibt Maude Barlow in diesem Zusammenhang: „Many parts of the ‚Third World‘ have been forced to dismantle their public infrastructure in recent decades under International Monetary Fund-imposed structural adjustment programmes.“ So seien viele Gesundheits- und Bildungsbereiche privatisiert worden, ebenso der Wassersektor. Durch GATS würden die internationalen Konzerne jetzt den Zugang zu allen Ländern erhalten, und kein Land könne sich diesem Druck entziehen.

[5] Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Globalisierung der Wirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Bundestagsdrucksache 14/9200, Berlin 2002, S. 153

[6] Vgl. WTO: An Introduction to the GATS, Genf 1999, S. 7

[7] WTO: An introduction to the GATS, a.a.O., S. 6

[8] Die WTO zu wessen Diensten? Ein Positionspapier der Erklärung von Bern zum WTO-Dienstleistungsabkommen GATS, Zürich 2000, S. 10

[9] Kein Ausverkauf von Dienstleistungen!, Positionspapier der AG Welthandel und WTO von attac Deutschland vom 30.7.2002