Loriot - keine Sketsche über die Kirche, aber mit den Hoppenstedts jedes Weihnachtsfest präsent 

 

Es bleut die Nacht, die Sternlein blinken,

Schneeflöckchen leis herniedersinken.

Auf Edeltännchens grünem Wipfel

Häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.[1]

 

Haben Sie die Zeilen erkannt? Dann wissen Sie bereits, dass in diesem „Advent“-Gedicht von Loriot die idyllische Beschreibung jäh von dem alles andere als weihnachtliche Geschehen im Forsthaus abgelöst wird. Denn die Försterin hat beschlos­sen, ihren Mann zu töten, weil er ihr bei des „Heimes Pflege“ schon längere Zeit im Weg steht. Also greift die Försterin zum Gewehr und „erlegt“ ihren Gatten „über Kimme und Korn“. Zwischendurch entführt uns Loriot wieder in die vorweihnachtlich-winterliche Idylle:

 

Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase

zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase

und ruht weiter süß im Dunkeln,

derweil die Sternlein traulich funkeln.

 

Mittlerweile ist die Försterin damit beschäftigt, den Förster „sauber zu zerlegen“. Sie verpackt das Fleisch in Geschenkpapier und erwartet Knecht Ruprecht, der auch schon mit einem Schlitten naht. Auf seine Frage, ob sie etwas geben kann, mit dem armen Leuten eine Freude gemacht werden kann, übergibt sie ihm sechs Fleischpakete. Und in den anschließenden vier Abschlusszeilen des Gedichts ist die heile Welt fast schon wieder hergestellt:

 

Die Silberschellen klingen leise,

Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.

Im Försterhaus die Kerze brennt,

ein Sternlein blinkt – es ist Advent.

 

Selten ist in einem Advents- oder Weihnachtsgedicht der Kontrast zwischen romantischen Beschreibungen einer heilen Vorweihnachtswelt und Versen zur harten Rea­lität des Lebens so drastisch dargestellt worden wie in diesem Gedicht. Und dabei gelingt es Loriot auch noch, diese Welten in punktuelle Verbindung mitein­ander zu bringen, ohne dass es zum Zusammenstoß kommt. Der vom Knall aufge­weckte Hase beruhigt sich wieder, und Knecht Ruprecht zieht mit den schön verpackten Fleischpaketen davon.

 

Dieses Gedicht gehört heute zu den „klassischen Werken“ Loriots, löste aber bei seinem Erscheinen auch Empörung aus. Daran erinnerte sich Loriot, als er 1988 in einem Interview nach einem möglichen Band mit Gedichten angesprochen wurde: „Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Der Lyrikband besteht bisher aus einem Gedicht, es heißt Advent. Und dieses Gedicht hat mir so viel Ärger eingebracht, dass ich zunächst darauf verzichtet habe, den Gedichtband zu vollenden.“[2] Dass eine Försterin ihren Mann tötet, komme zwar vor, „aber eben nicht zur Adventszeit. Das war nicht sooo gut …“[3]

 

„Auf den Hund gekommen“

 

Loriot, wissen seine Fans, hieß eigentlich Victor Christoph-Carl von Bülow.[4] Seinen Künstlernamen hat er aus dem Wappenvogel seiner Familie abgeleitet, dem Pirol, der auf Französisch Loriot heißt. Die Adelsfamilie von Bülow war ursprünglich in Mecklenburg zu Hause, aber die Eltern von Victor Christoph-Carl, oder Vicco, wie er in der Familie genannt wurde, wohnte in Brandenburg an der Havel, als ihr Sohn am 12. November 1923 das Licht der Welt erblickte. Der Vater war Polizeimajor, die Mutter stam­mte aus einer Adelsfamilie. Die Eltern ließen sich bereits fünf Jahre nach der Geburt des Kindes scheiden, und Victor und sein ein Jahr jüngerer Bruder wuchsen zunächst bei Großmutter und Urgroßmutter von Bülow in Berlin auf.

 

1932 heira­tete ihr Vater erneut, und die Kinder zogen wenig später zu Vater und neuer Ehefrau in ihre Wohnung in Berlin-Zehlendorf. Über seinen Vater sagte Loriot 2008 im Rück­blick: „Mein Vater war der witzigste Mensch, den ich in meinem Leben kennen­­gelernt habe, aber auch der ernsteste.“[5] Über das Entstehen seiner religiösen Überzeugungen äußerte Loriot in einem anderen Interview: „Ich bin im Glauben erzogen worden. Ich weiß, andere machen Witze über die Kirche. Ich mache es nicht.“[6]

 

Was bald darauf folgte, war alles andere als humorvoll. Vicco von Bülow machte 1941 das Notabitur, ging zur Wehrmacht, schlug ganz in der Tradition seiner Fa­milie die Offizierslaufbahn ein und wurde an die Ostfront abkommandiert. Er kehr­te mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse aus dem Krieg zurück, aber ohne ein aner­kanntes Abitur. Das holte er 1946 nach, verdiente sich seine Essenmarken als Holzfäller und studierte danach Malerei und Grafik an der Kunst­akademie in Hamburg. Er wohnte im Stadtteil Ohlsdorf: „Meine Nachbarschaft bestand aus einem Friedhof, einem Zuchthaus und einer Irrenanstalt.“[7] Es war auf diesem Friedhof, dem Ohlsdorfer Friedhof, wo er 1951 seiner Freundin einen Heiratsantrag machte. Sie stimmte trotz des ungewöhnlichen Ortes zu.

 

Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete von Bülow zunächst als Werbegrafiker und mach­te sich mit seinen ersten Knollennasenmännchen einen Namen. Bald erschie­nen seine Zeichnungen in Illustrierten wie dem „Stern“. 17 Jahre lang zeichnete er für diese Zeitschrift die beliebten Geschichten von Reinhold dem Nashorn. Zum Eklat kam es, als Loriot in einer Reihe von Zeichnungen die Rollen von Menschen und Hunden vertauschte und komische Szenen gestaltete, wo die Hunde-Herrchen an dem Verhalten ihrer Menschen an der Leine schier verzweifelten. Aber was heute auch Hundeliebhabern immer wieder Freude bereitet, löste in den 1950er Jahren so viel Wut und Protest aus, dass der „Stern“ die Serie abbrach. Der Car­toonband „Auf den Hund gekommen“ wurde trotz der ursprünglichen Anfeindungen zu einem der größten Bucherfolge des Zeichners.

 

Ende der 1950er Jahre stieg Loriot mit ersten kleinen Rollen ins Filmgeschäft ein und konnte dann von 1967 an die Fernsehreihe „Cartoon“ moderieren. Von 1971 wuchs die Po­pu­larität Loriots weiter, als er mit dem Hund „Wum“ das Maskottchen der „Aktion Sorgenkind“ für die ZDF-Quizshow „Der große Preis“ erfand. Loriot lieh seinem Fernsehhund auch die Stimme, und als der Hund das Lied „Ich wünsch’ mir ‚ne kleine Miezekatze“ trällerte, wurde daraus ein Schlager, der wochenlang an der Spitze der Hitparade stand. Es folgten zahlreiche weitere Fernsehaufträge, und 1988 und 1991 produzierte der vielseitige Künstler zwei Spielfilme, in denen er auch die Hauptrollen übernahm, „Ödipussi“ und „Pappa ante Portas“. Im zweiten Film und in zahllosen Sketchen wurde Evelyn Hamann zu seiner wichtigsten Film­partnerin. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die „Ausflüge“ Loriots in die Welt der Musik. Beispielsweise dirigierte er 1982 die Berliner Philharmoniker bei einem vergnüglichen Auftritt, verfasste neue Texte für den „Karneval der Tiere“ und inszenierte einige Opern an bekannten Häusern wie der Staatsoper Stuttgart.

 

„Ich glaube, dass der liebe Gott lachen kann“

 

Immer wieder hat Loriot sich gegen die Auffassung gewehrt, Komik sei eine leichte Angelegenheit: „Das Herstellen von Komik ist schwere Arbeit … Da kommt es auf Rhythmus und Genauigkeit an.“[8] Und bei allen Film- und Fernsehaufnah­men hat Loriot tage- und wochenlang daran gearbeitet, dass diese Genauigkeit eingehalten wurde.

 

Die meisten Themen seiner Cartoons und Filme hat Loriot dem Alltagsleben ent­nommen und bewiesen, dass leichte Übertreibungen die Absurditäten dieses Alltags entlarven können. Aber diese Entlarvungen sind immer so gestaltet, dass Men­schen sich zwar erkennen, aber nicht bloßgestellt fühlen. Kleinbürgerliche Pedan­terie hat Loriot so in Szene gesetzt, dass ihr zerstörerisches Potenzial sichtbar wurde. Das klassische Beispiel dafür ist der Versicherungsvertreter, der im Salon auf die Herrschaften des Hauses wartet, und das Zimmer bei dem Versuch, ein schief hängendes Bild gerade zu rücken, in ein Trümmerfeld verwandelt. Als die Hausangestellte wieder in den Raum tritt, äußert er „Das Bild hängt schief!“, ein Satz, der von diesem Sketch „Die Zimmerverwüstung“ in den Sprachschatz vieler deutscher Fa­milien über­­gegangen ist.

 

Keine Witze und keine Sketche hat Loriot über die Kirche gemacht, schon gar nicht über den Glauben anderer Menschen. 2006 sagte er in einem Interview: „Ich kann mich nicht über Dinge amüsieren, die anderen heilig sind. Es ist verhängnisvoll, fremde Glaubensrichtungen nicht ernst zu nehmen. Ich finde es aber nicht schlimm, über den eigenen Glauben hier und da eine heitere Sicht durchblicken zu lassen. Ich glaube, dass der liebe Gott lachen kann.“[9] Als er die ganze Bibel las, war er verwundert, dass nur ein einziges Mal das Wort „Lachen“ eine Rolle spielt.[10]

 

Mit 86 Jahren führte Vicco von Bülows Weg zurück an den Ort, wo er am 30. Dezember 1923 getauft worden war, in die Kirche St. Gotthardt in der Stadt Brandenburg. Zum 85. Geburtstag hatte die Stadt ihrem Ehrenbürger versprochen, die Nordkapelle zu sanieren, und am 19. September 2009 konnte das Geschenk dem berühmtesten Sohn der Stadt präsentiert werden, der zusammen mit seiner Frau Rose-Marie und seiner Tochter Susanne nach Brandenburg gekommen war. Der An­sturm der Besucher war so groß, dass Hunderte keinen Platz mehr in der Gotthardtkirche fanden. 2003 hatte Loriot in einem Interview gesagt, er sei „stolz auf meine Geburtsstadt Brandenburg, ich bin auch stolz auf das Land meiner Herkunft“.[11] Ja, Loriot bekannte sich zu seinen preußischen Wurzeln: „Ich bin als Preuße geboren, ich habe das Preußische sozusagen im Blut. Das definiert man für sich nicht neu. Man ist da hineingeboren, damit hat man sich abzufinden.“[12] Und wer wollte bestreiten, dass Vicco von Bülow daraus das Beste gemacht hat, gerade in seinem Werk voller Humor und Weisheit.

 

Am 22. August 2011 ist Victor von Bülow gestorben. Und was sollte nach dem Tod auf seinem Grabstein stehen, war er 2002 in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ gefragt worden, wohl in der Hoffnung, nun einen inhaltsschweren Satz zu hören, aber diese Hoffnung enttäuschte Loriot: „Zweckmäßig wäre es, wenn der Name draufstände.“[13] Und was kommt nach dem Tod? „Der Himmel, hoffe ich. Ich habe mir meinen Kinderglauben an den lieben Gott bewahrt.“[14]

 

Von Weihnachtsbäumen und Weihnachtsgeschenken

 

Die Einkaufs- und Weihnachtsbaumrituale vor dem Fest waren ein dankbares Thema für Loriot. Das Thema Weihnachtsbaum hat Loriot in eine Bilderreihe verarbeitet. Auf der ersten Zeichnung schmückt ein Mann einen Weihnachtsbaum. Er scheint mit der Arbeit fast fertig zu sein, und eigentlich könnte bald die Bescherung beginnen. Aber auf der zweiten Zeichnung nimmt eine ganz andere Bescherung ihren Lauf. Die Frau tritt im Mantel von draußen durch die Tür, und der Windzug führt dazu, dass sich alle Nadeln und sämtlicher Christbaumschmuck vom Baum lösen und auf sie zufliegen. Auf der dritten Zeichnung haben sich alle Nadeln und der Schmuck auf ihr so verteilt, dass sie wie ein lebendiger Weihnachtsbaum wirkt, sogar mit einem Stern auf der Spitze. Derweil steht der Mann bedröppelt neben den kahlen Zweigen des Baums. „Heiligabend“ hat Loriot diese Bildreihe ge­nannt,[15] und auch wenn eine solche Katastrophe selten sein dürfte, so sind doch schon am Heiligabend nadelnde Tannenbäume und andere Formen des Missge­schicks rund um den Baum in zahllose Familienchroniken eingegangen. Loriot weiß Abhilfe: Er empfiehlt „Nadelfestiger im eleganten Zerstäuber-Flakon“. Auf einer Zeichnung steht ein Mann vor dem geschmückten Baum und besprüht ihn mit eben diesem Nadelfestiger. Loriots Erläuterung: „Das wohlriechende Mittel hält trockene Fichten bis in den Sommer zimmerfrisch und verleiht dem Baumschmuck straffen Sitz in jeder Haltung.“ Zum Beweis wird gezeigt, wie der Mann den Baum mit der Spitze nach unten hält, ohne dass Nadeln oder Schmuck irgendeinen Schaden nehmen.[16]

 

Ein ganz eigenes Kapitel in der Weihnachtswelt Loriots sind die Geschenke. Hier werden Geschenkgewohnheiten humorvoll entlarvt. Die Bildunterschrift unter einer Zeichnung „… und schreiben Sie drauf: Erst Heiligabend öffnen!“ nimmt eine fast schon stereotyp verwendete Anweisung auf Weihnachtsbriefen und -paketen auf. Aber bei Loriot stehen die Worte unter dem Bild von einem gut verpackten und fest verschnürten Elefanten, den ein Maharadscha zum Geschenk machen will.[17] Und noch einmal Elefanten als Geschenk: Eine Frau sitzt auf einem Sofa, auf dem drei kleine Elefanten possierlich ruhen: „Als Geschenk für anspruchsvolle Tierfreunde ist ein Wurf zentralafrikanischer Zwergelefanten zu empfehlen.“ Das zweite Bild trägt dann die Unterschrift: „Die possierlichen Tierchen (6 Wochen alt) hören schon nach acht Monaten auf zu wachsen und erreichen bei vorsichtiger Er­nährung eine Schulterhöhe von nur 150 cm.“ Auf dem Bild haben die Elefanten eine stattliche Größe erreicht, und unter ihrem vereinten Gewicht hat das Sofa alle vier Beine von sich gestreckt und bildet nun eine flache Spielwiese.[18]

 

Das Geschenkthema wird auch in einer anderen Bildgeschichte mit zwei Zeichnungen aufgenommen: Auf der ersten Zeichnung ist ein gelangweiltes Mädchen zu sehen, das vor einem Berg von Geschenken steht, das ihre Eltern ihr präsentieren, von der Kette über eine Puppe bis zu einer Bluse. „Das abgebildete Kleinkind Sabine fand zu den aufwendigen Gaben der Eltern keine innere Beziehung.“ Die zweite Bildunterschrift lässt Schlimmes ahnen: „Dagegen zauberte das Geschenk eines älteren Patenonkels, ein in letzter Minute eintreffender Edelstahlhammer, sofort den erhofften weihnachtlichen Glanz in Sabines Kinderaugen.“ Zu sehen sind dazu ein zertrümmertes Klavier, ein demoliertes Sofa, eine zerkleinerte Geschenksammlung, eine verängstigte Mutter und ein sichtlich getroffener Vater, dahinge­sunken am Klavier.[19]

 

Zum Weihnachtsbesuch bei den Hoppenstedts

 

„Zicke-Zacke Hühnerkacke“.[20] Loriot-Liebhaber wissen, wo diese Worte vorkommen, in „Weihnachten bei Hoppenstedts“. Dicki, das 8-jährige Kind der Familie, soll eigentlich ein Weihnachtsgedicht aufsagen, während im Hintergrund stimmungsvolle Weihnachtslieder zu hören sind. Dicki verweigert sich diesem „Fröhlichen Weihnachten“, das jeden Inhalt verloren hat. Dicki wird noch zwei Mal rebellieren, aber vergeblich. Wie beliebig und inhaltsleer der Ablauf dieses Heiligabends ist, hat sich schon vorher im Dialog zwischen Vater und Mutter Hoppenstedt gezeigt. Der Vater: „Jetzt wird erst mal der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki sein Gedicht auf, dann holen wir die Geschenke rein, dann sehen wir uns die Weihnachtssendung im Dritten Programm an, dann wird ausgepackt, und dann machen wir’s uns gemütlich …“ Mutter Hoppenstedt widerspricht, will eine andere Rei­henfolge, aber das Ende ist sehr ähnlich: „… und dann wird’s gemütlich“. Vor der „Gemütlichkeit“ wird der Baum geschmückt, begleitet von Opa Hoppenstedt inzwischen klassisch gewordenen Bemerkung: „Früher war mehr Lametta!“

 

Die Regie von Mutter Hoppenstedt lässt sich auch durch die „Hühnerkacke“ nicht nachhaltig stören. Wie das Weihnachtsfest der Buddenbrooks läuft auch das Fest der Hoppenstedts mit einer beeindruckenden inneren Zwangsläufigkeit ab. Aber wo sich im Roman von Thomas Mann der erwachsene Sohn Christian Buddenbrook dem ritualisierten Fest verweigert, ist es bei den Hoppenstedts die kleine Dicki. Gleich nach dem Gedicht hat der Großvater seinen Auftritt als Weihnachtsmann. Dicki hält sich die Augen zu und streckt die Zunge heraus. Auf die Frage der Mutter „Schau mal, wer da ist!“, antwortet das Kind „Opa“. Das löst bei dem Großvater einen Zornausbruch aus, und er reißt sich die Weihnachtsmannmütze vom Kopf und den Bart ab.

 

Nun kann die Bescherung beginnen, die alle Liebhaber des Loriot-Films in lebhafter Erinnerung haben werden. Die Geschenke werden in großer Eile ausgepackt, und binnen kurzer Zeit türmt sich ein gewaltiger Berg von Kartons, Weihnachtspapier, Holzwolle, Styropor und anderen Rückständen der Auspackorgie auf. Vater Hoppenstedt erhält eine Sammlung von Krawatten, was er widerstandslos hinnimmt und auch beim x-ten gleichen Geschenk verkündet: „Schau mal, eine Krawatte!“. Opa Hoppenstedt bekommt einen Schallplattenspieler, und die Bemerkung der Mutter „Kinder, ist das gemütlich bei uns“ geht in der Marschmusik aus dem Plattenspieler unter.

 

Opa wird zur „Gemütlichkeit“ vermahnt, während Vater Hoppenstedt anfängt, ein Geschenk für Dicki auszupacken, ein Spielzeug-Atomkraftwerk. Rund um das Kraftwerk baut er kleine Bäume, Häuser, Kühe und Menschen auf, und seine Frau ruft begeistert aus: „Ach, wenn doch jeden Tag Weihnachten wäre …!“ Nur Dicki zeigt keinerlei Interesse an dem Neutronen-Beschleuniger und der Brennkammer. Als das Atomkraftwerk steht, verkündet der Vater: „Wenn wir irgendwas falsch ge­macht haben, dann soll es jetzt ‚Puff’ machen.“ Vater Hoppenstedt hat das Vertrauen ganzer Generationen von Atomkraftbefürwortern und stellt fest: „Aber es macht nicht ‚Puff’ …!“

 

Die Bemerkung kommt zu früh, denn im gleichen Augenblick explodiert der kleine Atommeiler und reißt ein Loch in den Fußboden, sodass man auf den Wohnzimmertisch der Familie unter den Hoppenstedts blicken kann. Das veranlasst Mutter Hoppenstedt zu dem Ausruf „Entzückend!“, während ihr Mann sich durch das Loch nach unten beugt und ruft: „Familie Hoppenstedt wünscht frohe Festtage …“ Auf den Ausruf der Nachbarn „Muss … das … sein?!“ antwortet der Familienvater von oben: „Jawohl, das muss sein! Das ist nämlich ein Kinderspiel, und Weihnachten ist das Fest des Kindes … guten Abend.“ Ein Atomkraftwerk entfaltet noch als Kinderspiel seine Zerstörungskraft und wird mit einer verqueren Logik mit dem Weihnachtsfest in Verbindung gebracht.

 

Die Hoppenstedts legen Weihnachtspapier über das Loch im Fußboden, und die Mutter verkündet unverdrossen: „So Kinder, jetzt machen wir’s uns gemütlich.“ Aber mit der Gemütlichkeit wird es wieder nichts, denn nun werden Berge von Geschenkpapier, Kartons etc. zusammengetragen, um sie bei Nachbarn vor der Tür zu stapeln. Das hat offenbar eine gewisse Tradition, aber dieses Mal waren die Nachbarn schneller, und als die Hoppenstedts ihre Wohnungstür öffnen, um zu sehen, „ob die Luft rein ist“, versinken sie in Bergen von Weihnachtsverpackung, die ihre Nachbarn vor ihrer Tür aufgehäuft haben und die nun in die Wohnung stürzen. Über das Chaos hinweg taucht ein Weihnachtsmann-Darsteller auf und fragt: „Benötigen Sie einen Weihnachtsmann?“

 

Aber hier braucht niemand mehr einen Weihnachtsmann, das Fest ist längst unter Konsummüll begraben worden. Dicki wurde ohnehin schon ins Bett geschickt, mit der Bemerkung der Mutter: „… wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören!“ Im Hintergrund hört man die Marschmusik von Opa Hoppenstedt … Damit endet der Film. Anders als bei den Buddenbrooks wird die Fortsetzung des Niedergangs einer Familie nicht geschildert, mit dem Fest selbst ist der Tiefpunkt bereits erreicht. Aber Loriot wäre nicht Loriot, wenn er nicht selbst dieses sinnentleerte Treiben in einem humorvollen Film präsentiert hätte. Und das spätere Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk, in dem er Opa Hoppenstedt gespielt hatte? Im November 2008 bekannte Loriot bei der Eröffnung einer Ausstellung über sein Lebenswerk in Berlin: „Eigentlich bin ich Opa Hoppenstedt. Das Alter trifft zu. Das Befinden trifft zu. Das Aussehen trifft zu.“[21]

 

Der Wahnsinn des Alltags

 

Der Schöpfer der Geschichten und Filme, über die viele Millionen lachen, blieb selbst ein scharfer Analytiker des Alltags. Und dazu gehörte auch der gesellschaftskritisch-politische Bereich. Ein „harmloser“ Komiker war Loriot jedenfalls nicht, wie wir an der Atomkraftwerk-Episode bei den Hoppenstedts gesehen haben. 1992 sprach Loriot in einem „Zeit“-Interview von den „Auswüchsen des heu­tigen Managements, das meint, immer und überall das Äußerste herausholen zu müssen“.[22] Er bekannte, der Wahnsinn sei allgemein: „Jeder weiß, dass Abgase die Umwelt vergiften, aber wenn es ökonomisch günstig erscheint, werden eben noch mehr Autos gebaut. Man sagt, die Menschheit prosperiere nur durch die Erhöhung der Umsatzzahlen. Das nennt man Fortschritt. Aber das kann auf die Dauer nicht funktionieren. Das muss eines Tages zum Kollaps führen.“[23]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

Weitere Beiträge der Reihe "Ökumenische Porträts" finden Sie auf der Seite "Ökumenische Porträts". 



[1] Weihnachten mit Loriot, Zürich 2008, S. 14; alle weiteren Zitate aus diesem Gedicht sind diesem Buchabschnitt entnommen.

[2] Loriot: Bitte sagen Sie jetzt nichts, Gespräche, Zürich 2011, S. 100

[3] Ebenda

[4] Zur Biografie von Loriot vgl. u. a. „Loriot“, in: Loriot: Ach was! Ausstellungskatalog, Ostfildern 2009, S. 162ff.

[5] „Früher war mehr Lametta“, Interview mit Loriot von Hanns-Bruno Kammertöns und Stephan Lebert, Die Zeit, 12.11.2008

[6] Interview mit Loriot von André Müller, Die Zeit, 21.2.1992

[7] Interview „Früher war mehr Lametta“, a.a.O.

[8] Interview mit Loriot von André Müller, Die Zeit, 21.2.1992

[9] Loriot: Bitte sagen sie jetzt nichts, a.a.O., S. 180

[10] Vgl. ebenda, S. 223

[11] Gespräch mit Loriot von Günter Kaindlstorfer, in: Falter, Wien 2003

[12] Ebenda

[13] Loriot: Bitte sagen sie jetzt nichts, a.a.O., S. 165

[14] Ebenda

[15] Vgl. Weihnachten mit Loriot, S. 36

[16] Vgl. ebenda, S. 38

[17] Vgl. ebenda, S. 7

[18] Ebenda, S. 12f.

[19] Vgl. ebenda, S. 42f.

[20] Ebenda, S. 31; alle weiteren Zitate finden sich in diesem Buchabschnitt ab Seite 30.

[21] Zitiert nach: „Eigentlich bin ich Opa Hoppenstedt“, Spiegel Online, 6.11.2008

[22] Interview mit Loriot von André Müller, Die Zeit, 21.2.1992

[23] Ebenda